33 | Abschied

Da ist Maxim doch tatsächlich der Vater. Wer hätte das gedacht? Und wir haben auch nur 33 Kapitel darauf gewartet. Lol. Sorry dafür, früher hab ich Dinge echt in die Länge gezogen...

Die Vaterschaft ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,99 % praktisch erwiesen.

Leticia schloss erleichtert ihre Augen. Sie hatte mit keinem anderen Ergebnis gerechnet, dennoch fiel in dieser Sekunde die Anspannung der letzten Wochen von ihr ab. Nun war es endlich offiziell. Maxim war Noemis Vater.

Sie drehte ihm den Kopf zu. Noch immer starrte er sprachlos auf das Gutachten. Sie schluckte. Im Gegensatz zu ihr schien er keineswegs aufzuatmen; seine Gesichtszüge waren hart, die Finger, in denen er nach wie vor das Papier hielt, verkrampft. Nicht zu wissen, was er dachte, trieb Übelkeit in ihr hoch. Seine Lippen öffneten sich, doch er sagte nichts. Stattdessen schloss er kurz seine Augen und fuhr sich schwer ächzend mit der flachen Hand über seinen Kopf. Es war offensichtlich, dass die Gewissheit einen Schwall an Emotionen hervorrief, die er nicht greifen und verstehen konnte.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie ist schon jetzt in meinem Herzen. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um ihr ein guter Vater zu sein, und alles für sie abfangen, solang sie das noch nicht selbst kann. Ich werde sie immer auffangen, wenn sie fällt. Es ist nur..." Er brach ab, atmete tief durch, bevor er weitersprach. „Ich habe fast sechs Jahre ihres Lebens verpasst, weil du an mir gezweifelt und sie mir vorenthalten hast. Kein erstes Wort, kein erster Geburtstag und kein erster Schritt, weil du geglaubt hast, du müsstest sie von mir fernhalten; so, wie sie damals meinen Vater von mir ferngehalten haben", fuhr er anklagend fort. Leticia schluckte.

„Aber doch nur, weil ich geglaubt habe, das Beste für sie zu tun. Ich wollte ihr eine große Enttäuschung ersparen."

Er schüttelte enttäuscht den Kopf.

„Es gibt nichts, was du sagen kannst, um die Situation besser zu machen. Alles, was ich will, ist, dass die Dinge jetzt anders laufen. Und damit fangen wir schon in den kommenden Tagen an."

Sie zog skeptisch die Augenbrauen hoch.

„Wie meinst du das?"

„Ich kann nicht dauerhaft in der Stadt bleiben, weil ich immer wieder mal Termine habe. Aber Noemi kommt in ein paar Wochen in die Schule. Bis dahin möchte ich Zeit mit ihr verbringen, also will ich, dass ihr mich ein paar Tage am Stück besucht. Ihr könnt bleiben, solang du Urlaub nehmen kannst. Noemis Geburtstag fällt genau in diese Zeit und ich möchte ihr einen schönen Tag schenken und etwas Cooles mit ihr unternehmen."

Ein sanftes Lächeln schlich sich auf Leticias Lippen. Ihre Augen strahlten gerührt.

„Das klingt toll. Ich schaue direkt morgen, was ich machen kann."

„Damit deine Eltern sich nicht übergangen fühlen, können wir sie einladen oder ihr holt den Tag als Familie nach. Die Entscheidung liegt bei dir."

***

Maxim fiel es noch immer schwer, sich mit der neuen Situation zurechtzufinden, als er einige Wochen später seinen Blick durch den frisch gestrichenen Raum schweifen ließ. Er hatte versucht, seine Vorstellung bestmöglich umzusetzen und glaubte, dass es ihm weitestgehend gelungen war. Für ihn war das Zimmer eine Notlösung, bis er wusste, wie es weitergehen würde.

Die Wände hatte er in grünen und rosafarbenen Pastelltönen gestrichen. Das große, weiße Bett hatte er links in die Ecke gestellt. Einige Einschübe darunter boten zusätzlichen Stauraum. Wahrscheinlich war der helle Kleiderschrank mit den großen Türknäufen gegenüber viel zu groß für die wenigen Klamotten, die Noemi mitbringen würde. In die mittlere der mit Pastellrahmen eingefassten Türen war ein Spiegel eingearbeitet, unter dem sich zwei abgesetzte Schubladen in pastellgrün und weiß befanden. Außerdem hatte er eine Kinderkommode in demselben Stil und einen kleinen Schreibtisch besorgt. Sein Bauch kribbelte verräterisch, als er vorfreudig lächelnd ein paar Buntstifte und einen Zeichenblock zurechtlegte. Er konnte es kaum erwarten, sie endlich wiederzusehen.

Als Leticia ihn informiert hatte, dass sie tatsächlich Urlaub nehmen konnte, hatte er vorsorglich alle für den Zeitraum anstehenden Termine verschoben. Schwer seufzend fuhr er sich übers Gesicht, als seine Gedanken zu ihr zurückkehrten. Seit sie gemeinsam den Umschlag geöffnet hatten, hatte er seine Gefühle für sie verdrängt.

Ganz gleich, wie er zu ihren Beweggründen stand – er konnte nicht akzeptieren, dass er deshalb so viele Jahre im Leben seiner Tochter verpasst und Leticia ihn um die Chance gebracht hatte, Noemi ein guter Vater zu sein. Es enttäuschte ihn, dass sie ihn – wie alle anderen – in diese Schublade gesteckt und ihm gar keine Gelegenheit gegeben hatte, sich zu beweisen. Er war sich sicher, dass er nach wie vor nichts von ihr wüsste, wären sie sich nicht zufällig im Flugzeug wiederbegegnet. Als wäre all das nicht schon beschissen genug, tat sie jetzt so, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, ihn einfach wie eine Marionette an seinen Platz zu stellen.

Völlig unabhängig von seiner Wut und seiner Enttäuschung ihr gegenüber hatte er ernst gemeint, was er an diesem Tag über Noemi gesagt hatte. Sie hatte einen Platz in seinem Herzen und er würde alles dafür tun, ihr ein gutes Vorbild zu sein. Für Maxim bedeutete das jedoch nicht, dass er auch Leticia einen Platz in seinem Herzen zugestand. Dabei hatte er selbst nicht erwartet, dass die Gewissheit ihn von ihr wegtreiben und er sie wieder aus seinem Leben ausschließen wollen würde. Doch so gern er auch Nähe zu Noemi aufbauen wollte, so sehr würde er Distanz zu Leticia halten. Er wusste bloß noch nicht, wie er diesen Balanceakt meistern sollte.

Möglicherweise würde er es eines Tages bereuen, doch gerade brauchte er Abstand, um sich selbst vor weiteren Enttäuschungen zu schützen und einen klaren Kopf zu bewahren. Einzig und allein Noemi zählte.

Maxim warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr, dann durchquerte er den Raum und schloss das Fenster über der Kommode. Er war froh, dass die Möbel rechtzeitig geliefert worden waren. Zum Glück hatte er das Zimmer bereits in der vergangenen Woche gemeinsam mit Rico freigeräumt und frisch gestrichen, sodass Noemi ihr eigenes Bett bekommen konnte.

Bei dem Gedanken an sie schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. Er vermisste sie jeden Tag, dachte an sie und fragte sich, wie es ihr ging oder was sie gerade machte. In wenigen Tagen hatte sie Geburtstag. Maxim wusste zu schätzen, dass Leticia es ihm ermöglichte, nicht noch einen weiteren besonderen Tag ihres Lebens zu verpassen.

Er hatte gerade das Erdgeschoss erreicht, als ihr Auto in die Einfahrt rollte. Er lächelte vorfreudig, während er von der Haustür aus beobachtete, wie Noemi aus dem Wagen hüpfte und sich neugierig umschaute. Leticia nahm unterdessen eine kleine Reisetasche aus dem Kofferraum. Maxim seufzte innerlich, als er sich dabei erwischte, wie heiß er sie in der hellen Dreivierteljeans fand, die sie mit einem türkisfarbenen Pullover und bunten Pumps kombiniert hatte. Ihre Kurven zeichneten sich deutlich unter dem Stoff des Oberteils ab und regten seine Fantasie an. Um sich selbst zu bremsen, biss er sich auf die Zunge und setzte einen neutralen Blick auf, als sie zu ihm herüberschaute.

Sein Herz wurde schwer, als sie sich die offenen Haare nach hinten strich und ihm ein Lächeln schenkte. In den vergangenen Tagen hatten sie nur das Nötigste miteinander gesprochen und obwohl eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen zu stehen schien, freute er sich darüber, sie wiederzusehen.

„Hey", begrüßte sie ihn, doch bevor er etwas erwidern konnte, flitzte Noemi bereits an ihr vorbei.

„Maxim!"

Er schaffte es gerade noch, überrascht in die Knie zu gehen, ehe das kleine Mädchen seine Arme um seinen Hals schlang. Eine wohlige Wärme erfasste ihn, während er sie fest an sich drückte. Es fühlte sich unbeschreiblich an, derart überschwänglich von ihr begrüßt zu werden und sie im Arm zu halten.

„Hey, Zwerg. Alles cool?", nuschelte er in ihr Haar, dann machte sie sich, zu seinem Leidwesen, von ihm los. Leticia stand einfach nur da und beobachtete die rührige Szenerie mit glänzenden Augen. Nach wie vor unentschlossen, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte, zog er sie für eine flüchtige Umarmung an sich, während Noemi gespannt an ihm vorbeistapfte, um das Haus zu erkunden. Der sanfte Duft von Jasmin stieg ihm in die Nase, doch er erstickte seine Sehnsucht im Keim.

„Kommt doch rein", sagte er, statt ihr einen Kuss aufzudrücken, machte sich von ihr los und vollführte eine einladende Handbewegung. „Als erstes will ich dir was zeigen", fuhr er, an Noemi gewandt fort. Mit großen, neugierigen Augen begleitete sie ihn die Treppe hinauf. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seinem Bauch aus. Ob ihr die Überraschung gefallen würde? Leticia, die ihnen gefolgt war, blieb hinter ihnen vor der geschlossenen Tür stehen. Mit einem hoffnungsvollen Lächeln auf den Lippen schaute Maxim zu Noemi, die erwartungsvoll zu ihm aufsah.

„Das hier ist dein Zimmer", erklärte er bedeutsam und schob die Tür auf. Als Noemis Augen vor Begeisterung zu strahlen begannen, atmete er innerlich erleichtert auf.

„Das ist ja cool!", platzte es aus ihr heraus, während sie aufgeregt losflitzte. Leticia warf Maxim unterdessen ein dankbares Lächeln zu. Für einen winzigen Moment lag ein verräterisches Schimmern in ihren Augen, doch mit dem nächsten Wimpernschlag war es verschwunden.

„Danke", flüsterte sie. Er nickte, doch gerade, als sie nach seinen Fingern griff, zog er seine Hand weg und wandte sich wieder Noemi zu.

„Und das ist wirklich nur für mich allein?", hakte die Kleine nach und warf sich aufs Bett. Zu sehen, wie wohl sie sich von Anhieb fühlte, erwärmte sein Herz. Er lächelte.

„Ja. Nur für dich allein", bestätigte er.

„Wow, das ist der Wahnsinn", quietschte sie, als sie die Malsachen auf dem Schreibtisch entdeckte, krabbelte wieder aus dem Bett und durchquerte den Raum, bevor sie Leticia demonstrativ die Stifte entgegenhielt. „Guck mal, Mama. Maxim hat mir Stifte geholt."

Leticia lächelte.

„Cool. Dann könnt ihr ja später zusammen ein bisschen malen."

Maxim nickte.

„Ganz bestimmt sogar", versprach er. „Komm, ich zeige dir auch den Rest..."

Nach dem kurzen Rundgang fanden sie sich schließlich wieder im Flur vor der Küche wieder.

„Habt ihr Hunger?", fragte er, schließlich hatten sie eine mehrstündige Autofahrt hinter sich und es war bereits Nachmittag. Ein trauriges Funkeln lag in Leticias Augen, als er sie aufmerksam musterte. Es war ihr anzusehen, dass ihr die plötzliche Distanz nah ging.

„Essen klingt gut. Oder, Noemi?", antwortete sie lächelnd, doch es wirkte eher erzwungen, denn es erreichte ihre Augen nicht. Die Kleine nickte, also kramte er einen der vielen Flyer aus einer der Küchenschubladen. „Was hältst du davon...", fragte er, als er sich wieder seiner Tochter zuwandte, „... wenn wir uns eine Pizza bestellen?"

Noemis Augen glänzten verzückt.

„Au ja!"

„Na, dann komm. Wir suchen uns eine aus", sagte er, bevor er sie ins Wohnzimmer führte und sich dort auf die Couch fallen ließ. Leticia sank daneben und beobachtete ihn dabei, wie er mit Noemi durch das Angebot schaute. Immer mal wieder huschte ein Schmunzeln über ihre Lippen, während er das kleine Mädchen fragte, welchen Belag es lieber mochte.

Nachdem sie bestellt hatten, erzählte Noemi ihm aufgeregt von ihren letzten Tagen im Kindergarten. Er hörte ihren Geschichten aufmerksam zu und gab sich Mühe, sich in ihre kleine, eigene Welt einzufühlen. Für seine Verhältnisse schlug er sich schon recht gut. Leticia zog sich in der Zeit zurück und deckte den großen Tisch auf der Terrasse. Er rechnete es ihr an, dass sie ihm die Zweisamkeit mit Noemi ermöglichte. Als der Lieferant die Pizzen brachte, half er Noemi dabei, ihre in Stücke zu schneiden. Die Sonne ging gerade unter, als sie sich schließlich gemeinsam darüber hermachten. Ein wenig spielte er im Anschluss noch mit ihr, bevor er Noemi in ihr neues Bett brachte und ihr, wie gewohnt, ein Kapitel aus ihrem Buch vorlas, das Leticia mitgebracht hatte.

Erst, als sie eingeschlafen war, kehrte er zu Leticia ins Wohnzimmer zurück. Sie hatte sich ihren Laptop mitgebracht und saß gerade über ein paar Fotos, die sie auf einer Hochzeit geschossen hatte. Als sie ihn bemerkte, klappte sie das Notebook zu und schaute ihm aufmerksam ins Gesicht, während er sich zu ihr auf die Couch setzte.

„Du hättest das nicht tun müssen", sagte sie. Er legte stirnrunzelnd den Kopf schief.

„Was meinst du?"

„Das mit dem Zimmer", erwiderte sie lächelnd. Er erwiderte es.

„Sie ist meine Tochter. Natürlich bekommt sie ihr eigenes Zimmer. Solang sie nicht in die Schule muss, kann ich sie auch komplett zu mir nehmen."

Leticia musterte ihn perplex aus großen Augen.

„Wie meinst du das?"

„Wie gesagt; sie ist meine Tochter. Also werde ich die Vaterschaft anerkennen. Ich habe mich darum schon gekümmert. Sie kann jederzeit herkommen und bleiben, solang sie möchte, bis wir eine bessere Lösung gefunden haben."

Einen Moment sah Leticia ihn einfach nur überrascht an. Es war offensichtlich, dass sie mit dieser Offensive nicht gerechnet hatte.

„Steckst du nicht gerade bis zum Hals in Arbeit?", hakte sie skeptisch nach. Er zog beleidigt die Augenbrauen zusammen.

„Willst du mir unterstellen, dass ich mir keine Zeit für sie nehmen würde?"

Seine Stimme war kühl geworden, scharf wie ein Messer. Erst, als sein Blick sich weiter verfinsterte, schien Leticia den Ernst der Lage zu erkennen. Schnell hob sie abwehrend die Hände.

„So habe ich das nicht gemeint", versicherte sie, doch es reichte nicht aus, ihn zu besänftigen; nicht, nachdem sie ihm Noemis Leben lang nicht zugetraut hatte, für sie da zu sein.

„Ich würde es nicht vorschlagen, wenn es nicht möglich wäre", knurrte er.

„Maxim, es tut mir leid, ich-", setzte sie zu einer Entschuldigung an, doch als sie ihm die Hand auf den Arm legte, war es, als würde eine Sicherung durchbrennen. Bestimmt brachte er etwas Abstand zwischen sie und sich selbst. „Fass mich bitte nicht an."

Leticia schluckte. Ihre Augen schimmerten betroffen.

„Lass uns darüber reden, Maxim. Wie soll denn all das jetzt weitergehen?"

Er drehte ihr wütend den Kopf zu.

„Was genau meinst du?"

Sie zögerte, biss sich auf die Unterlippe, schien mit sich zu hadern.

„Das mit uns", sagte sie schließlich doch. Er schüttelte schnaubend den Kopf.

„Das letzte, was ich gerade will, ist, mit dir zusammen zu sein", stellte er entschieden klar. „Mir ist nur wichtig, Noemi der Vater zu sein, den sie die letzten Jahre schon verdient hätte. Dass ich dafür auch Zeit mit dir verbringen muss, ist ein Nebeneffekt, den ich in Kauf nehmen muss, damit das funktioniert."


Autsch. Das tat weh, oder? Könnt ihr verstehen, wieso er auf einmal so abweisend ist? Oder findet ihr das übertrieben von ihm?

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