23 | Gewissensbisse
So, Friends. Es geht weiter :) Viel Spaß.
Leticia blinzelte. Schon wieder hatte sie sich bei der Betrachtung des Fotos auf dem Bildschirm darin verloren. Eigentlich wollte sie die Bilder noch heute bearbeiten, damit sie sie ihrem Auftraggeber pünktlich zuschicken konnte. Doch es gelang ihr nicht, sich darauf zu konzentrieren. Stattdessen verschwammen die Bäume vor ihren Augen immer wieder zu einem satten, grünen Fleck.
Es war vermutlich besser, zunächst den Kopf freizukriegen und sich heute Abend noch einmal dranzusetzen. Da ihre Eltern Noemi heute vom Kindergarten abgeholt hatten, würde sie sowieso eine Pause machen müssen, um hinzufahren. Sie war ihnen unendlich dankbar für die Unterstützung. Andernfalls hätte sie es gar nicht geschafft, zwei Jobs, den Haushalt und Noemi unter einen Hut zu bekommen. Ihr war bewusst, dass andere Alleinerziehende einen solchen Luxus nicht hatten.
Sie seufzte innerlich, als ihre Gedanken abermals zu Maxim abschweiften. Seit Tagen hatte sie nichts von ihm gehört, traute sich jedoch auch nicht, sich bei ihm zu melden. Sie konnte ihm nicht verübeln, dass er diese schwer verdauliche Nachricht erst einmal sacken lassen musste, hoffte jedoch inständig, dass er sich für einen Vaterschaftstest bereiterklären würde.
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, denn trotz der verfahrenen Situation fühlte sie sich dennoch befreit. Ganz egal, wie er zukünftig mit der Wahrheit umgehen würde – sie wusste, dass sie das Richtige getan hatte. Nun gab es keine Geheimnisse mehr.
Als sie kurz darauf bei ihren Eltern ankam, stellte sie den Wagen in der Einfahrt neben dem ihres Vaters ab und lief den schmalen, liebevoll gepflasterten Steinweg bis zum Hauseingang ihres Elternhaues entlang. Auf dem Weg dorthin kramte sie am Schlüsselbund nach dem Haustürschlüssel, den sie noch immer besaß. Ihrem Vater war es wichtig, dass sie immer Zugang zum Haus hatte, vor allem natürlich, wenn sie selbst in Spanien waren und sie sich um die Post und die Blumen kümmerte.
Sie wollte den Schlüssel gerade ins Schloss schieben, als das Handy in ihrer Handtasche zu klingeln begann. Es dauerte einen kurzen Moment, bis sie es zu fassen bekam. Als ihr Maxims Name entgegenblinkte, schluckte sie und ihre Finger begannen augenblicklich zu kribbeln, während ihr gleichzeitig heiß und kalt wurde und sich ihr Hals zuschnürte. Statt ihr Elternhaus zu betreten, ließ sie den Schlüsselbund sinken, atmete tief durch und nahm den Anruf entgegen.
„Hey...", begrüßte sie ihn angespannt und strich sich fahrig durchs Haar.
„Hi. Kannst du reden?"
Es waren nur vier Worte, doch sie ließen Leticia wohlig erschaudern. Seine raue, dunkle Stimme löste so viele Emotionen aus, dass sie sie gar nicht alle gleichzeitig greifen konnte. Sie hatte in diesem Moment nicht mit seinem Anruf gerechnet und war so überfordert, dass sie keinen Ton herausbekam.
„Ich hole gerade Noemi bei meinen Eltern ab. Kann ich dich später zurückrufen?"
„Was ich dir zu sagen habe, dauert nicht lang."
Sofort schlug ihr das Herz bis zum Hals und ihr Mund wurde trocken. Würde er ihr jetzt sagen, dass er keinerlei Interesse an seiner Tochter hatte? Hilflos gab sie sich geschlagen und sank auf die Stufen vor der Haustür.
„Okay", sagte sie, schloss ihre Augen und versuchte, sich sein Gesicht vorzustellen.
„Ich will über all das nicht am Telefon sprechen. Könntest du einen Babysitter für Noemi organisieren und mich am Wochenende besuchen kommen?"
Er wollte tatsächlich noch einmal mit ihr über alles reden. Bedeutete das, dass er bereit war, Noemi eine Chance zu geben? Sie lächelte.
„Ich regel' das", versicherte sie.
„Um eine Schlafgelegenheit musst du dich nicht kümmern", sagte er.
„Schlafgelegenheit?"
Sie schluckte.
„Die Strecke ist so weit und der Aufwand so hoch, das lohnt sich nicht für ein paar Stunden. Sag mir nur Bescheid, wann du in Berlin landest, damit ich dich abholen kann."
Es gefiel ihr, wie entschlossen er mit der Situation umging.
„Ich kläre das ab und melde mich dann noch mal", sagte sie also.
„Okay, bis dann..."
„Bis dann..."
Als sie das Telefonat beendet hatten, schaute sie einen Moment perplex auf das Display ihres Smartphones und versuchte zu verstehen, was gerade passierte. Schon in ein paar Tagen würde sich alles endgültig entscheiden. Jetzt musste sie ihre Eltern lediglich davon überzeugen, noch einmal auf Noemi aufzupassen.
„Hola Guapa."
Überrascht fuhr sie zu ihrem Vater herum. Er stand in der Tür des weißen Backsteinhauses, schaute auf sie herab und lächelte. Sie erwiderte es und stand auf. Wahrscheinlich hatte er sie bereits aus dem Küchenfenster gesehen, wie so häufig, und sich dazu entschieden, ihr schon mal die Tür zu öffnen. Belauscht hatte er sie vermutlich nicht. Das war nicht seine Art. Es beruhigte sie, in seine warmen, braunen Augen zu sehen, um die herum sich kleine Lachfältchen gebildet hatten.
„Hola Papa", erwiderte sie und drückte ihm einen Kuss auf. Dann schob sie sich an ihrem Vater vorbei nach drinnen. Der vertraute Geruch von Sandelholz stieg in ihre Nase, als sie sich im Flur umschaute. Die zahlreichen Bilder in bunten Rahmen an den Wänden ließen sie grinsen. Es waren überwiegend Urlaubsbilder und Familienportraits. Sie erinnerten Leticia immer daran, was sie für eine schöne Zeit mit ihrer Familie verbracht hatte.
Kurz blieb ihr Blick an dem kleinen, blauen Holzschild über einem der Haken an der Garderobe hängen. Leticia stand dort in kleinen, grünen Buchstaben. Hinter ihren Namen war ein lustiger Fisch gemalt. Dieses Namensschild war ein Relikt aus ihrer Kindheit, doch ihr Vater hatte es nie entfernt.
„Hattet ihr einen schönen Tag?", fragte sie schließlich und drehte sich wieder ihrem Vater zu. Der lächelte.
„Sie hat mit deiner Mutter heute Rosen eingepflanzt und hatte sehr viel Spaß dabei", erzählte er.
„Das ist schön", sagte Leticia. Sie entschied sich, den Moment zu nutzen, bevor sie Noemi im Wohnzimmer davon überzeugen musste, nach Hause zu fahren und Unruhe entstand, weil sie wie immer gern hierbleiben wollte. „Meinst du, ihr könntet am Wochenende noch mal auf Noemi aufpassen?"
Ihr Vater musterte sie misstrauisch.
„Ist alles okay, Leticia?"
Sie schluckte, lächelte jedoch.
„Wieso?"
Er durchbohrte sie mit seinem Blick.
„Du weißt, wir nehmen Noemi sehr gerne", sagte er in seinem spanischen Akzent. „Aber du bringst sie in der letzten Zeit ziemlich oft zu uns und bist sehr viel unterwegs."
Ihr Herz sank und sie wurde traurig. Es stimmte. Sie fühlte sich augenblicklich schlecht.
„Ist es wegen ihm?"
Ihr Hals wurde trocken. Sie schluckte, doch es wurde nicht besser.
„Was meinst du?"
„Triffst du dich mit diesem Mann, der dich mitten in der Nacht besucht?"
Sie fühlte sich ertappt.
„Ich bin eine schlechte Mutter", seufzte sie bedrückt. Er hob abwehrend die Hände.
„Nein, bist du nicht", sagte er.
„Doch. Ich gebe Noemi so oft zu euch, weil ich mit anderen Dingen beschäftigt bin. Das ist weder ihr gegenüber gerecht noch euch. Das weiß ich auch."
„Wir verstehen dich, Leticia. Du versuchst nur, das Beste aus deinem Leben zu machen und in der Fotografie Fuß zu fassen, damit du mehr Geld verdienst. Das ist auch wichtig, damit du Noemi ein gutes Leben bieten kannst. Wir finden einfach, dass du vielleicht im Moment deine Verantwortung etwas aus den Augen verloren hast. Wir unterstützen dich gern, wo immer wir können, aber wir werden irgendwann nach Spanien gehen. Dann sind wir nicht mehr hier, um dich zu unterstützen."
Sie schluckte.
„Ihr habt recht. Es tut mir leid. Ich kriege das wieder hin."
Es war hart für sie zu erkennen, dass sie sich in der letzten Zeit wirklich etwas zu viel auf ihre Familie verlassen hatte, statt selbst für Noemi da zu sein. Erst die lange Reise nach Spanien, dann das ständige Babysitting. Doch vielleicht konnte sie ihre Eltern ein wenig entlasten und wieder mehr Verantwortung übernehmen, wenn Maxim seine Vaterschaft zu Noemi anerkannte und auch bereit war, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten um sie zu kümmern.
Sie lächelte bei der Vorstellung daran und überlegte kurz, ihren Eltern von den neuesten Entwicklungen zu erzählen, entschied sich jedoch dagegen. Sie wollte erst sicher sein, bevor sie am Ende ihre Niederlage erklären musste.
„Leticia, dieser Mann, er gefällt mir nicht."
Ihr Vater musterte sie ernst. Er schien über Maxims nächtlichen Besuch noch immer nicht hinweg zu sein.
„Dieser Mann ist der Vater deiner Enkeltochter", wollte sie sagen, biss sich jedoch auf die Zunge. „Bei allem Respekt, Papa, aber ich bin alt genug, das selbst zu entscheiden und vielleicht solltest du ihn erst mal kennenlernen, bevor du ihn verurteilst."
„Ich habe ihn kennengelernt, mitten in der Nacht im Wohnzimmer meiner Tochter. Was sagt das über einen Mann aus, der um diese Zeit eine Frau zuhause besucht?"
Sie seufzte schwer als sie erkannte, dass Maxim bereits jetzt einen ziemlich schlechten Stand bei ihrem Vater hatte. Sie hoffte nur, dass es leichter wurde, wenn er erfuhr, dass Maxim Noemis Vater war.
Joa, ihr Vater ist schon ein bisschen drüber, oder? Oder könnt ihr seine Reaktion auf Leticias Männerbesuch verstehen? Und was glaubt ihr, wie wird das nächste Treffen mit Maxim verlaufen?
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