21 | Ratschläge
Viel Spaß mit dem nächsten Kapitel :D
„Hey..."
Leticia hielt den Atem an, als Maxim vor Noemi in die Knie ging. Die Kleine musterte ihn aufgeweckt, während er ihr unbeholfen ins Gesicht sah. Ihr gegenüber schien er wie ausgewechselt, die Härte in seinem Gesicht war purer Verzückung gewichen.
„Hey, du", gab Noemi zurück, blieb vor ihm stehen und schaute ihn aus ihren großen, blauen Augen erwartungsvoll an.
„Wie... geht's dir denn?", fragte er holprig. Noemi seufzte und strich sich theatralisch die Haare aus dem Gesicht.
„Mir ist ganz schlecht."
„Deine Mama hat dir einen Tee gemacht."
Als Noemi das Gesicht verzog, schmunzelte er.
„Ich mag keinen Tee", protestierte sie.
„Kann ich verstehen, aber er hilft gut", versicherte er.
„Spielst du mit mir?", fragte Noemi, statt auf seine Aussage einzugehen. Einen Moment schaute er sie verblüfft an, schien überfordert mit der Situation. Gerade, als Leticia ihm helfen wollte, schüttelte er jedoch den Kopf.
„Ich sollte besser gehen. Du musst dich noch ein wenig ausruhen", sagte er dann entschieden, ehe er sich wieder Leticia zuwandte. Sie schluckte, denn die Freundlichkeit war mit einem Schlag verschwunden und sein Blick war düster geworden.
„Ich bringe dich noch zur Tür", sagte sie schnell, um die unangenehme Situation aufzulösen.
„Bis dann, Noemi", sagte er, dann folgte er Leticia in den Flur. Dort fuhr sie reumütig zu ihm herum.
„Maxim, ich-", setzte sie an, doch er brachte sie mit einem kühlen Blick zum Schweigen.
„Es gibt nichts, das du sagen kannst, um das alles weniger schwierig zu machen. Ich weiß nach wie vor nicht, was ich glauben, denken oder sagen soll", stellte er entschieden klar.
„Das verstehe ich", erwiderte sie leise. Ihr Herz begann zu rasen, als er sich zu ihr herunterbeugte; so nah, dass der Duft seines holzig-fruchtigen Parfums ihr in die Nase stieg.
„Nur, damit das klar ist. Mit mir ziehst du keine Scheiße ab", knurrte er so leise, dass Noemi ihn unmöglich hören konnte. Leticia gefror das Blut in den Adern, als er ihr einen letzten kalten Blick schenkte. Sie erkannte, dass sie jetzt nicht zu ihm durchdringen würde, also wich sie ein Stück zurück und öffnete ihm die Tür. Als er nun ein letztes Mal zu Noemi sah, glaubte sie, ein warmes Leuchten in seinen Augen zu erkennen. Möglicherweise war das jedoch auch nur Wunschdenken.
„Tschüss, Noemi", lächelte er. Sie winkte ihm zu.
„Tschüss."
Unter anderen Umständen hätte diese kleine Geste Leticias Herz erwärmt, doch gerade tat es einfach nur weh. Sie hatte nicht erwartet, dass er ihr freudestrahlend um den Hals fiel, wenn er die Wahrheit erfuhr. Ihr war bewusst gewesen, dass er wütend und enttäuscht sein würde und sie vorerst getrennte Wege gingen. Er würde Zeit brauchen, anzuerkennen, dass er eine Tochter hatte und ihr möglicherweise sogar vorhalten, ihn um ihre ersten Lebensjahre gebracht zu haben. Doch obwohl sie sich auf all das eingestellt und damit gerechnet hatte, tat seine Ablehnung ihr gegenüber höllisch weh.
Schwer seufzend schob sie den Schmerz fürs Erste beiseite und wandte sich wieder Noemi zu. Ihre Tochter hatte die Verabschiedung mit Adleraugen beobachtet.
„Kommt der jetzt öfter, Mama?", wollte Noemi wissen und legte neugierig den Kopf schief.
„Ich habe keine Ahnung", überspielte sie ihre Frustration mit einem Lächeln. „Vermutlich erstmal nicht."
„Schade", sagte Noemi. „Ich wollte ihm meine Barbies zeigen."
Leticia schmunzelte bei der Vorstellung und ignorierte den kleinen Stich in ihrem Herzen. „Vielleicht ein anderes Mal, Maus", sagte sie aufmunternd und schob sich wieder an ihr vorbei in die Küche. Ihr Blick fiel auf die noch immer dampfende Teetasse auf dem Küchentisch, die sie während ihrer Beichte nervös in ihren Händen hin und her gedreht hatte.
„Du solltest jetzt deinen Tee trinken. Hier...", sagte sie zu Noemi und griff nach der Tasse.
„Keine Lust", erwiderte die Kleine trotzig. Leticia setzte ein ernstes Gesicht auf.
„Ich weiß, aber er tut dir gut. Morgen wird es dir wieder so gut gehen, dass du wieder in den Kindergarten gehen kannst."
Im Laufe des restlichen Tages erwischte Leticia sich immer wieder dabei, hoffnungsvolle Blicke auf ihr Smartphone zu werfen. Doch Maxim meldete sich nicht. Ihr war bewusst, dass sie nach dem Ausgang des heutigen Gesprächs nichts erwarten konnte, doch die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.
Als Noemi am Abend endlich in den Schlaf gefunden hatte, versuchte Leticia, sich mit irgendwelchen dämlichen Fernsehsendungen abzulenken, aber das wollte ihr nicht recht gelingen. Es setzte ihr mehr zu als erwartet, nichts mehr von Maxim zu hören. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich davon abhalten, ihm zuvorzukommen und den ersten Schritt zu machen. Sie musste ihm Zeit geben, die ganzen neuen Informationen zu verarbeiten und zu bewerten.
Statt der Versuchung nachzugeben, wählte sie stattdessen die Nummer ihrer besten Freundin. Schließlich hatte sie Shirin bis heute nichts von den sich überschlagenden Ereignissen erzählt. Es konnte nicht schaden, das jetzt nachzuholen und sich gleichzeitig die Sorgen und den Frust von der Seele zu reden. Es dauerte eine ganze Weile, bis Shirin sich meldete.
„Hey, Süße", trällerte sie fröhlich und entlockte Leticia automatisch ein Lächeln.
„Hey..."
„Oh, du klingst gar nicht gut", stellte Shirin mitfühlend fest. Ihre Freundin kannte sie schon so lang, dass sie sofort heraushörte, wenn etwas nicht stimmte. Leticia seufzte frustriert.
„Ich habe Scheiße gebaut", gestand sie ohne Umschweife.
„Soll ich vorbeikommen?", fragte Shirin sofort. Leticia schmunzelte. Es war ein gutes Gefühl, eine Freundin wie Shirin zu haben.
„Das wäre toll", gab sie gerührt zu.
„Okay. Ich komme. Ist es so schlimm, dass ich Alkohol mitbringen muss?"
Eine halbe Stunde und einen lautlosen Ankündigungsanruf später betrat Shirin ohne Alkohol, dafür mit einem warmen Lächeln auf den Lippen, Leticias Wohnung. Sie strich ihre dunklen Haare nach hinten und legte so ihr recht rundliches Gesicht frei. Shirin war optisch das komplette Gegenteil von Leticia.
Sie war einen Kopf kleiner als sie, was bei Leticias Körpergröße eigentlich schon fast ein Kunststück war und Shirin zu einem regelrechten Zwerg machte. Ihr Oberkörper war relativ schmal, dafür waren ihre Rundungen um die Taille herum und ihre kräftigen Oberschenkel umso ausgeprägter. Ihr Teint wirkte neben Leticias eher blass und bildete einen starken Kontrast zu ihren von Natur aus recht roten, vollen Lippen und den dunklen, langen Haaren, weshalb Leticia ihr bereits zu Schulzeiten den Spitznamen „Schneewittchen" verpasst hatte.
Die Dunkelhaarige zog ihre Schuhe aus und folgte der Brünetten auf leisen Sohlen ins Wohnzimmer, wo sie die Tür hinter sich schloss und sich neben Leticia auf die gemütliche Wohnzimmercouch fallen ließ. Leticia reichte ihr ein Glas stilles Wasser. Shirin hatte vor ein paar Wochen mit einer Ernährungsumstellung begonnen, um ein paar überschüssige Pfunde zu verlieren. Seitdem hatte sie allen ungesunden Getränken abgeschworen.
„Wie geht's dir?", fragte Leticia und schenkte sich selbst ein Glas ein. Der Einfachheit halber trank sie dasselbe wie Shirin.
„Mir geht's ganz okay. Die Arbeit nervt, wie immer, aber ich habe deinen Vorschlag überdacht und mich jetzt im Fitness-Studio angemeldet", erzählte die Dunkelhaarige schmunzelnd.
„Natürlich nur, weil ich dir dazu geraten habe und nicht etwa, weil dort dieser heiße Typ arbeitet. Wie hieß er doch gleich? Matthias?", grinste Leticia wissend.
„Matteo", korrigierte Shirin. „Und nein, ich gehe nur für mich dort hin und nicht, um zu flirten."
„Natürlich", feixte Leticia.
„Mein Leben ist eine einzige Katastrophe zurzeit", sagte Shirin unzufrieden.
„Glaub mir. Im Moment würde ich gern mit dir tauschen", seufzte Leticia und Shirin musterte sie aufmerksam.
„Was hast du verbrochen?"
„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll", erwiderte Leticia und stellte das Glas auf den Wohnzimmertisch. Shirin musterte sie aus ihren haselnussbraunen Augen.
„Ich habe dir doch von diesem Typ erzählt, den ich in den letzten Wochen gedatet habe", versuchte Leticia, irgendwie einen Anfang zu finden.
„Der Typ aus dem Flugzeug, wegen dem du mich ständig versetzt hast", stichelte Shirin trocken. Leticia nickte, spielte gedankenverloren mit dem Stoff ihres Pullovers.
„Ich dachte, zwischen Euch ist nichts gelaufen", gab Shirin zurück. Leticia ließ die Schultern sinken.
„Es ist kompliziert."
Shirin verdrehte die Augen.
„Och nö, nicht so ne Es-ist-kompliziert-Geschichte", stieß sie aus. „Die enden immer so blöd."
„Nach unserem ersten Abend an der Hotelbar haben wir uns nochmal getroffen. Eins kam zum anderen, ich bin mit zu ihm ins Hotel, aber außer Knutschen ist nichts gelaufen. Ich konnte das nicht, also bin ich gegangen", beschönigte Leticia die Tatsache, dass sie vielmehr vor Maxim davongerannt war. Shirin legte den Kopf schief und runzelte die Stirn.
„Wieso konntest du nicht?", hakte sie nach. Leticia atmete tief durch, dann sah sie Shirin fest in die Augen.
„Weil er Noemis Vater ist."
Shirins Mund öffnete sich, doch es kam kein Ton heraus. Stattdessen starrte sie Leticia lediglich fassungslos an.
„Ich dachte, du hast seit eurem One-Night-Stand keinen Kontakt zu ihm", fasste sie ihren bisherigen Kenntnisstand zusammen.
„So war es ja auch. Aber dann stand er plötzlich im Flugzeug einfach so vor mir. Er hat nicht lockergelassen, bis ich mich mit ihm auf einen Drink getroffen habe", offenbarte Leticia ihrer besten Freundin. Die lächelte versonnen.
„Du musst mächtig Eindruck bei ihm geschunden haben."
Die Brünette schüttelte enttäuscht den Kopf.
„Ganz so märchenhaft ist es leider nicht. Er hat sich nicht mal mehr an mich erinnert. Er dachte, wir würden uns zum ersten Mal begegnen."
Shirin musterte sie betroffen.
„Das tut mir leid...", räumte sie mitfühlend ein. „Aber du hast geglaubt, du könntest Noemi jetzt endlich den Vater geben, den sie all die Jahre nicht hatte. Richtig?", schlussfolgerte Shirin sachlich. Leticia nickte zögerlich.
„Ich war mir nicht sicher, ob er mehr sein kann als dieses ich-fixierte, gefährliche Arschloch von damals, aber ich habe mir eingebildet, dass da mehr ist. Bei unserer Nacht im Hotel habe ich Omas Armband verloren und er hat es mir zurückgebracht – einfach, weil er wusste, wie viel es mir bedeutet. Also dachte ich, wenn ich es ihm sage, hat Noemi vielleicht wirklich eine Chance auf ihren Vater. Ich weiß, ich hätte es ihm direkt sagen müssen, aber ich war so schrecklich unsicher."
„Das kann ich verstehen", warf Shirin sanft ein. Es tat gut, dass sie sie nicht verurteilte, so, wie Leticia sich selbst.
„Gestern Abend wollte ich ihm die Wahrheit sagen. Also habe ich Noemi zu meinen Eltern gebracht, damit wir ungestört sind. Doch sie hat im Kindergarten Cola getrunken und so starke Bauchschmerzen bekommen, dass sie nach Hause wollte. Ausgerechnet, als ich mit Maxim im Wohnzimmer saß, um es ihm zu erzählen, stand mein Vater mit Noemi vor der Tür."
Shirin verstand sofort.
„Du hast ihm vorher nicht mal erzählt, dass du überhaupt eine Tochter hast, oder?"
Leticia schüttelte reumütig den Kopf.
„Nein", sagte sie und strich ihre Haare nach hinten. „Ich dachte, möglicherweise bricht der den Kontakt dann direkt ab. Er war total überrascht und ist ziemlich schnell verschwunden, sodass ich immer noch nicht dazu kam, ihm alles zu erzählen. Heute Morgen war er noch mal hier. Natürlich war er total wütend, als ich es ihm endlich gesagt habe. Er erinnert sich nach wie vor nicht an damals. Jetzt ist er hin- und hergerissen. Einerseits vermutet er, dass ich die Geschichte bloß erfunden habe, um an sein Geld zu kommen. Andererseits ist er enttäuscht, dass ich ihm aufgrund seiner kriminellen Energie keine Vaterqualitäten zugetraut habe."
Shirin schnaubte.
„Was für ein Arschloch, oder? Wieso sollte sich eine wildfremde Frau so eine abgefahrene Geschichte ausdenken, wenn das Kind schon fünf Jahre alt ist?"
Leticia senkte traurig ihren Blick
„Ich kann ihn trotzdem irgendwie verstehen. Er lernt eine Frau im Flugzeug kennen, die sich mit ihm ein paar Mal trifft, ihn jedoch nicht ranlässt. Aus heiterem Himmel erfährt er, dass sie eine Tochter hat und dann offenbart sie ihm zu allem Überfluss, dass es sich dabei um seine Tochter handelt. Ich meine, wenn dein Bruder dir so eine Geschichte erzählen würde, was würdest du ihm sagen?"
Shirin zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.
„Ich würde ihm dazu raten, so schnell wie möglich einen Vaterschaftstest zu machen."
Ja, richtig schlauer Ratschlag, ich weiß. Hätte sie auch schon mal selbst drauf kommen können, würde ich sagen. Aber gut. Was meint ihr? Macht er den Test? Oder will er einfach nichts mit ihr zu tun haben?
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