03 | Schreckensminute
So, habt viel Spaß mit dem 3. Kapitel, ihr Lieben <3
Leticia seufzte frustriert. Heute war nicht ihr Tag. Sie griff nach dem Smartphone, dass ihr gerade eben heruntergefallen war und inspizierte es kurz. Das Display war zum Glück nicht gesprungen, aber an der Unterseite befanden sich einige neue Macken. Sie erhob sich langsam, dann zog sie sicherheitshalber den Reißverschluss ihrer Handtasche zu und schob sie auf ihre Schulter zurück. Darauf bedacht, nicht wieder irgendetwas fallen zu lassen, näherte sie sich den Stewardessen am Boarding-Schalter.
Dort angekommen zog sie den Pass auf ihrem Smartphone wieder über den Scanner, bevor sie schließlich durch den Tunnel in Richtung Flugzeug lief. Als sie die kleine Warteschlange am Eingang erreichte, blieb sie stehen. Es dauerte einen Augenblick, bis sich die Fluggäste langsam in Bewegung setzten. Als sie schließlich die Tür des Fliegers erreichte, vibrierte ihr Handy. Vom Timing her könnte das gut...
Mama blinkte ihr in kleinen schwarzen Buchstaben entgegen. Schnell wischte sie über das Display und nahm den Anruf entgegen. „Hallo Mama, ist jetzt ganz schlecht. Wir boarden gerade."
Ein hoch gewachsener Mann, der vor ihr in der Schlange stand, drehte sich flüchtig zu ihr um, doch als es weiterging, machte er einen Schritt vorwärts.
„Gut, dass ich dich erreiche!", platzte es aus ihrer Mutter heraus. Ihre Stimme bebte.
„Ist was passiert?", fragte Leticia alarmiert, während sie an einer der übertrieben lächelnden Stewardessen vorbeiging.
„Nein, es ist alles in Ordnung", sagte ihre Mutter schnell und Leticia atmete innerlich auf, „ich wollte Dir nur schnell Bescheid geben, dass wir uns nicht wie geplant gleich am Flughafen in Hamburg treffen können. Unser Flug wurde gestern Abend gestrichen und wir hängen jetzt in Barcelona fest. Ich wollte dich schon viel früher anrufen, aber wir dachten, vielleicht können wir kurzfristig auf eine andere Airline umbuchen. Es ist nicht zu glauben, aber alle Heimflüge sind restlos überbucht durch diesen Streik."
„Das ist ja blöd", sagte Leticia mitfühlend. „Wann bekommt ihr denn einen Flieger zurück nach Hause?"
Während sie die Antwort ihrer Mutter abwartete, lugte sie bereits nach ihrem Sitzplatz am Anfang des Gangs.
„Leider erst Sonntag."
„Oh, das tut mir leid", erwiderte Leticia aufrichtig. Als sie realisierte, dass das für sie ein paar ungeplante freie Tage bedeutete, lächelte sie jedoch.
„Ach, halb so wild. Barcelona ist ja sehr schön um diese Jahreszeit. Wir haben sowieso nicht geschafft, uns alles anzuschauen. Es kommt uns also sehr gelegen und Noemi freut sich auch."
Sie lächelte zufrieden. Ihre Mutter war zum Glück sehr pragmatisch veranlagt.
„Konntet ihr denn das Hotel ohne Probleme verlängern oder müsst ihr umziehen?", fragte sie, als sie endlich ihren Sitzplatz erreichte. Reihe 1, Sitz A. Sie liebte die vorderen Sitze in diesen winzigen Fliegern. Es waren so ziemlich die einzigen, die ausreichend Beinfreiheit boten.
„Alles kein Problem. Das Hotel hat uns kurzfristig ein Zimmer angeboten. Du musst dir also keine Sorgen machen", sagte ihre Mutter. Das war alles, was sie wissen musste, um mit einem guten Bauchgefühl nach Hause zu fliegen.
„Das freut mich, Mama. Es ist zwar doof, dass ihr nicht heute schon nach Hause kommt, aber dafür habt ihr noch ein paar schöne Tage in Barcelona. Ich muss jetzt auflegen, ich bin schon im Flieger."
„Guten Flug, Letty. Wir telefonieren heute Abend noch mal."
Letty.
Einerseits mochte sie es nicht, wenn sie so genannt wurde. Aber andererseits erinnerte es sie immer daran, wie ihre Mutter ihr dabei liebevoll durch die Haare gestrichen hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Also lächelte sie.
„Bis später."
Als sie aufgelegt hatte, verstaute sie ihre Tasche und den kleinen Trolley im oberen Gepäckfach, bevor sie sich entspannt in ihren Sitz in der ersten Reihe fallen ließ.
Wenn ihre Eltern noch ein wenig länger in Barcelona blieben, hatte sie seit langem endlich mal wieder ein stressfreies Wochenende vor sich. Sie lächelte bei der Vorstellung daran, wie restlos sie das für sich ausnutzen würde. Sie würde ausschlafen, abends mit Shirin irgendwo essen gehen, etwas trinken und endlich mal wieder Zeit für sich selbst finden. Leticia liebte ihr Leben, genau so, wie es war, doch ein Wochenende ganz für sich allein wusste sie definitiv zu genießen.
Erst, als sie ihr Smartphone in den Flugmodus schaltete, bemerkte sie, dass ihre Kopfhörer noch in ihrer Handtasche waren. Über ihre eigene Vergesslichkeit den Kopf schüttelnd stand sie noch einmal auf, um sie sich schnell zu angeln. Da das Boarding noch nicht abgeschlossen war, war das Handgepäckfach noch geöffnet. Sie fischte ihre Tasche heraus, legte sie auf dem Sitz am Gang ab und suchte nach den kleinen, weißen Ohrstöpseln.
Ein leises Räuspern ließ sie herumfahren. Als sie den athletischen Typ vor sich stehen sah, stockte ihr für einen Augenblick der Atem. Das dunkle Haar stand wüst von seinem Kopf ab und seine braunen Augen funkelten aufmerksam, als er ihr ins Gesicht schaute. Jede Muskelfaser seines trainierten Körpers schien angespannt, seine kräftige Brust drückte sich deutlich durch den Stoff des grauen Hoodies, unter dem an Hals und Händen bunte Tattoos hervorschauten. Als sich ihre Blicke trafen und sie ihn erkannte, erstarrte sie in ihrer Bewegung.
Ihre Kehle wurde trocken und schnürte sich zu, nahm ihr beinah die Luft, und das Herz schlug so heftig in ihrer Brust, dass sie sicher war, alle anderen müssten es ebenfalls hören. Erst jetzt, als ihre zitternden Finger verzweifelt Halt in ihren Hosentaschen suchten bemerkte sie, dass sie aufgehört hatte zu atmen. Es war als wäre die Zeit kurz stehengeblieben.
Er sah noch viel besser aus als damals; sein Körper war nach wie vor muskulös, seine Schultern breit, doch er trug jetzt einen kurzen, gepflegten Bart und rasierte sich die Haare nur noch an den Seiten. Er hatte eine so heiße Ausstrahlung, dass sie sich auf die Zunge beißen musste.
Bruchstückhaft kehrten die Erinnerungen zu ihr zurück und ihr Gedächtnis spielte den Kurzfilm im Schnelldurchlauf ab, während er sie kühl und undurchdringlich anschaute.
Seit dieser einen Nacht hatte sie ihn nicht mehr gesehen und auch nichts mehr von ihm gehört. Ihn jetzt hier wiederzusehen, nach all den Jahren, völlig unverhofft, in einem winzig kleinen Flugzeug, warf sie komplett aus der Bahn. Sie wusste nicht, was sie sagen oder denken sollte. Die Situation war einfach viel zu unwirklich. Eigentlich hatte sie gedacht, dass sie ihm wütend an den Hals springen würde, sollte sie ihm eines Tages wieder begegnen. Stattdessen konnte sie dieses Gefühl nicht greifen.
„Du stehst im Weg", stellte er sachlich fest und musterte sie fast schon vernichtend. Wenn er sich an sie erinnerte, so gelang es ihm ziemlich gut, es zu verbergen. Sie fröstelte von der Eiseskälte seiner Stimme und schluckte, während sie einen Schritt zur Seite trat, um ihn vorbeizulassen.
„Entschuldige...", sagte sie gefasst und strich sich eine lose Haarsträhne hinter ihr Ohr, während ihr Blick an seiner muskulösen Schulter kleben blieb.
„Nee, ich sitze hier", sagte er knapp und deutete mit seinem Zeigefinger auf die beiden freien Sitze in der ersten Reihe; dorthin, wo Leticia gerade eben noch ihre Handtasche auf der Suche nach ihren Ohrstöpseln abgelegt hatte. War das ein schlechter Scherz? Er stand nicht nur plötzlich nach all der Zeit im Flugzeug vor ihr, er hatte auch noch den Sitzplatz neben ihr gebucht? Wie sollte sie diesen Flug nur überleben?
Erst jetzt merkte sie, dass sie die gesuchten Kopfhörer bereits in ihren Fingern hielt.
„Oh, okay", sagte sie matt und verstaute ihre Handtasche wieder im Handgepäckfach. Er musterte sie skeptisch.
„Typisch Frauen. Immer den halben Hausrat dabei", kommentierte er mürrisch und versuchte, seine Reisetasche ebenfalls hineinzuquetschen. Sie floh unterdessen zurück auf ihren Fenstersitz und vergrub ihre zitternden Finger unter ihrem Pullover. Ihr war unsagbar übel, und das lag nicht an ihrer Flugangst. Er musterte sie durchdringend, blieb jedoch stehen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, doch sie wich seinem düsteren Blick nicht aus. Bestimmt hatte er sie auch wiedererkannt.
Die Zeit um sie herum schien stillzustehen. Alle anderen Passagiere, die noch immer im Gang des engen Fliegers standen und ihren Sitzplatz suchten, hatte sie völlig ausgeblendet. Alles, was sie wahrnahm, waren seine Augen, die sie regelrecht durchbohrten und ihr das Gefühl gaben, sich observiert und ertappt zu fühlen. Sein guter Duft benebelte ihre Sinne zusätzlich. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis sich seine Lippen öffneten und er etwas sagte. „Der Fensterplatz ist eigentlich meiner."
Ja, also das klingt ja so, als würde sie sich richtig freuen, ihn wiederzusehen. Oder so. Oder was meint ihr? Haha. Wird sicher ein toller Flug.
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