Zwischen Brüdern


(17.08.2015 – London, England)


Ich wusste nicht ob es tatsächlich etwas bringen würde meinen Bruder zu beschatten, er hatte sie besucht an jenem Tag an dem ich das blonde Haar auf seinem Anzug gefunden hatte aber ob dies eine regelmäßige Abmachung zwischen den Beiden war konnte selbst ich nicht sagen.

Die Beiden hatten sich nie wirklich verstanden, sie hatte ihm die Stirn geboten wann immer dies nötig gewesen war, hatte Frieden mit ihm geschlossen als sie über seinen Betrug an uns hinweg war aber wirklich gemocht hatte Rebecca Mycroft nicht. Doch nun waren sie Partner und zum ersten Mal musste ich zugeben das es etwas gab das ich nicht über sie wusste.

Diese Tatsache brannte unangenehm unter meiner Haut. Das Universum musste zurück ins Gleichgewicht gebracht werden. Deshalb beschloss ich zum Schatten der britischen Regierung zu werden. Er war der Schlüssel, zwangsläufig würde er mich zu Rebecca führen. Wenn die Gelegenheit günstig war würde ich zusätzlich zu meinem Stalking noch in seinem Haus und Büro nach Hinweisen suchen doch fürs erste würde ich sehen ob es ungewöhnliche Änderungen in seinem Tagesablauf gab.


*

(18.08.2015 – London, England)


Gott war mein Bruder langweilig. Wie er mit seinem, wie ich ungern zugab, brillanten Verstand einer so öden Tätigkeit und einem so berechenbaren Tagesablauf nachgehen konnte entzog sich gänzlich meinem Verständnis. Meinen Nachforschungen zufolge war er an diesem Dienstag den ganzen Tag in einer internationalen Telefonkonferenz, das verschaffte mir genug Gelegenheit sein Haus zu durchsuchen bevor er aus dem Büro kam.

Natürlich war Rebecca nicht dort, das wusste ich aber gegebenenfalls gab es in diesem altmodisch eingerichteten Kasten etwas das mir verriet wo genau sie war. Hinein zu kommen war lachhaft einfach, auch das austricksen der Alarmsysteme war keine Kunst für ein Genie wie mich. Systematisch ging ich alle Räume durch, durchsuchte sein Wohnzimmer, alles was ich fand waren sundhaftteure Whiskey Flaschen hinter einigen Büchern, ein paar alte Briefe von inzwischen verstorbenen Familienmitgliedern und viel zu viele internationale Tageszeitungen.

Die anderen Räume wahren ähnlich nichtssagend. In seinem Arbeitszimmer fand ich nichts außer streng geheimen Regierungsberichten, Geheimdienstdokumenten und anderen unwichtigen Papierkram. Nichts über neue Identitäten für gestrandete Mafiatöchter oder besser gesagt Enkeltöchter, auch keine Grundbesitzurkunden für Grundstücke außerhalb Londons, nichts was meine Theorie unterstützte.

Mein Blick fiel auf den Dokumentenvernichter neben seinem Schreibtisch. Ein Schuss ins blaue aber wenn es etwas gab das Mycroft geheim halten wollte das nichts mit seiner Tätigkeit für die Krone zu tun hatte würde er es in der Sicherheit seines eigenen Hauses schreddern. Für dienstliche Papiere hatte er in Whitehall einen entsprechenden Service. Ich lief zurück in die Küche um mir einen Plastiksack zu besorgen, in eben jenen füllte ich den Inhalt des Gerätes, die langen Schnipsel zusammenzusetzen würde ewig dauern aber um meine Frau zu finden würde ich noch größere längen gehen als das.

Um das entwendete Papier zu ersetzten jagte ich anschließend einige leere Seiten durch die Reißzähne. Mycroft war nicht der Typ Mann der in seinem eigenen Müll wühlte, es gab also eine hohe Chance das ich damit durchkam.

Ohne zu zögern ging ich in das letzte Verbleibende Zimmer, sein Schlafzimmer. Ich war noch nie darin gewesen aber wer meine Rebecca vor mir versteckte konnte mit keiner nachsichtigen Behandlung rechnen. Zuerst viel mir auch hier, wie im Rest des Hauses die antike Einrichtung auf, hatte Mycroft nichts verändert seit unser Onkel hier gewohnt hatte? Wie sentimental.

Ich durchsuchte seinen Nachttisch, mich stählend für die Dinge die ich vielleicht fand und gar nicht über meinen Bruder wissen wollte aber fand nichts außergewöhnliches. Ich wollte mich schon schnaubend abwenden um seinen Kleiderschrank und die Kommode zu durchsuchen als mir auffiel das die Matratze an einer Stelle etwas höher stand als normal. Kaum merklich aber genug das ich darunter nachsah.

Ein arrogantes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, Oh Mycroft hast du etwa gedacht es würde niemanden auffallen, deiner Haushälterin entging es vielleicht aber nicht mir. Vorsichtig tastete ich unter die Matratze, ich erfühlte etwas glattes, es war klein aber fest. Ein Buch und als ich sah welches erhärtete sich mein Verdacht noch ein Stück mehr.

Das Mädchen mit dem Perlenohrring

Warum sollte mein Bruder einen Liebesroman lesen wenn nicht weil er darüber mit Rebecca gesprochen hatte, etwas unschönes breitete sich in meinem Inneren aus bei dem Gedanken das er das Buch las um dann mit ihr darüber zu sprechen, ich hatte dies nie getan, alles was ich immer getan hatte war anzumerken das Rebecca mein Mädchen mit dem Perlenohrring war. Ich schluckte meine zeitlich unangebrachte Eifersucht herunter und besah mich weiter meines neuen Beweises.

Die Auflage war neu, er hatte sie erst kürzlich gekauft, in einem Buchladen, er las darin bevor er sich schlafen legte, die Seiten rochen wie die Handcreme die sich im ersten Schubkasten seines Nachttisches befand. Ich blätterte grob hindurch um auszuschließen das nicht eine Art Code oder andere Notizen auf den Seiten weitere Hinweise aufdeckten. Aber ich fand nichts außer einer dem Anschein nach ziemlich öden Liebesgeschichte, wenn man es überhaupt so nennen konnte.

Kein Wunder das Rebecca behauptete unsere Geschichte wäre besser. Ich schoss ein Foto von dem Buch und legte es dann zurück an seinen Platz. Das Bettzeug zog ich genauso zurecht wie es gewesen war bevor ich mich daran machte seinen Kleiderschrank zu durchsuchen. Jedoch fand ich auf keinem der Anzüge auch nur die kleinste Spur meiner Frau, keine Haare, kein verdächtig bekannter Geruch, nicht mal eine Wimper.

Ich nahm auf meinem Weg aus dem Haus noch einige Proben von den Sohlen seiner Schuhe und war versucht einen Sender an einem Gegenstand anzubringen den Mycroft bei sich tragen würde, einer Jacke, einem Schuh, seinem Ersatzregenschirm (den ersten müsste ich ihm dann irgendwie abnehmen) aber das Risiko erwisch zu werden war in diesen Fällen zu groß. Ich musste vorsichtig vorgehen. Er durfte nicht wissen das ich ihm auf den Fersen war.


*

(19.08.2015 – London, England)


Natürlich verkleidete ich mich wann immer ich meinen Bruder beschattete, allein schon um unerkannt zu bleiben aber auch um vor Moriarty zu verschwinden. Jim würde ahnen was im Busch war sollte er mitbekommen das ich Mycroft beschattete. Die Perücke verursachte mir ein unangenehmes jucken am Kopf und der Schnitt der roten Haare tat nichts für mich doch das konnte man auch über die Latexnase und die dunkelbraunen Kontaktlinsen sagen. Ganz zu schweigen von den Klamotten die ich Second Hand gekauft hatte, ein Sportshirt und eine passende Jogginghose.

Unauffällig verfolgte ich meinen Bruder welcher Seelenruhig seinen Weg durch London ging. Von Meeting zu Meeting, Geheimdiensttreffen in belebten Cafés, von seinem Büro und in seiner Pause durch den naheliegenden Park. Langweilig, unauffällig und so unverdächtig das es mich dazu brachte die Wände hochgehen zu wollen. Mit jeder Stunde die verging und die ich mich erinnern musste ruhig zu bleiben wuchs meine Frustration.

Meine ganze Seele schrie nach Rebecca, sehnte sich nach ihrem Wesen und ihrem perfekten Lächeln. Und dieser Mann, dieser eiskalte Bastard wusste wo sie war und ich wollte nichts lieber als ihn bei den Schultern nehmen und ihn so lange schütteln bis er mir sagte wo ich sie finden würde.

Ich kniff mit meiner Hand meinen Nasenrücken und zog scharf die Luft ein um mich zu sammeln. Wenn ich überstürzt handelte war alles umsonst, es gefiel mir nicht aber ich zwang mich tief durchzuatmen und bewahrte ruhe.


*

(20.08.2015 – London, England)


Ich war so müde, ich hatte kaum geschlafen, erst wenn ich sicher war das mein Bruder sich zur Ruhe gelegt hatte gab ich meinen Posten des Nachts vor seinem Haus auf und nahm ihn am Morgen noch bevor er es verließ wieder auf. John glaubte noch immer ich würde an einem Fall für Mycroft ermitteln, doch mit jedem Tag an dem meine Augenringe dunkler wurden und meine Stimmung angespannter machte er sich mehr sorgen.

Bald würde er etwas sagen oder schlimmer mit dem Eismann darüber reden, das musste ich verhindern. Mein Lügengebilde durfte nicht auffliegen.


*


Aus dem Kalender meines Bruders, sein Passwort war eine einfache Verschlüsselung meines ersten Vornamens gewesen (also wirklich Mycroft), konnte ich keine offensichtlichen Änderungen entnehmen aber verglich man seine Termine mit denen vor drei Monaten fiel auf das er gelegentlich für Treffen oder Handlungen die ihn seinerzeit dreißig Minuten in Anspruch genommen hatte nunmehr anderthalb Stunde blockte, diese Anomalien traten auch immer Rücken an Rücken auf, hieß also das er durch zwei aufeinanderfolgenden aufgeblähten Terminen, sich eine nicht unbeachtliche Pause blockte.

Dies mussten die Besuche bei Rebecca sein, es gab keine andere Erklärung. Zufrieden lächelte ich. Hatte ich doch geahnt das es sich lohnen würde spät abends in sein Büro einzubrechen. Mein Herz pochte wie wild als ich las das die nächste lange versteckte Pause meines Bruders für den nächsten Dienstag, den 25.08.2015 angedacht war. Meine Chance, ich würde ihm folgen, ich würde ihn Erwischen, ich würde meine Frau wiedersehen und dann würde ich sie nach Hause bringen.


*

(16.08.2021 – London, England)


„Es tut mir leid dass er dich hier nie besuchen kommt Becky" sprach ich lese zu dem grauen Grabstein vor dem ich rosa Rosen für sie abgelegt hatte. Es war nicht so das ich unbedingt an Geister, Engel oder dergleichen in diesem Sinne glaubte aber welchen Schaden brachte es schon wenn ich mit ihr sprach wenn ich sie besuchen ging. Danach fühlte ich mich leichter das allein reichte schon als Grund es zu tun.

Sherlock war meines Wissens seit ihrer Beerdigung nicht mehr auf dem Friedhof oder gar an ihrer letzten Ruhestätte gewesen. Ob nun weil er nicht daran glaubte das es etwas brachte oder weil es zu schmerzhaft für ihn wäre konnte ich nicht sagen. Es stimmte schon ihren Namen eingemeißelt zu lesen brannte wie Feuer in meinem Herzen aber es zu ignorieren brachte auch nichts, die Tatsache blieb unverändert, sie war fort.

Ich für meinen Teil wollte, allein für die geringe Chance das sie es spürte wo auch immer sie war, nicht den Eindruck machen als hätte ich sie vergessen also ging ich einmal die Woche zu ihrem Grab, zumindest versuchte ich es.

„Du nimmst es ihm bestimmt nicht übel oder?" schmunzelte ich traurig, wissend das sie Sherlock alles vergeben hätte solange er sie nur liebend aus blaugrünen Augen ansah. Ich schwankte etwas hin und her, es war nicht einfach aber es wurde besser. Auf meine Hände sehend sagte ich dann „Es geht ihm besser".

„Auch wenn" begann ich nur um von einer unerwünschten Stimme unterbrochen zu werden „Auch wenn was Dr. Watson?" was zur Hölle machte Mycroft Holmes hier?

Erschrocken wand ich mich zu ihm herum, funkelte ihn herausfordert an „Dies ist ein privat Gespräch". Ich hatte ein wenig Frieden haben wollen, einen Moment für mich allein und vielleicht mit Rebecca, wer wusste das schon. Sherlock wäre mir recht, aber dies war definitiv der falsche Holmes.

„Auf einem öffentlichen Gelände mit einer toten Gesprächspartnerin" sagte eben jener eine Augenbraue nach oben ziehend und auf seinen Schirmgriff sehend bevor er mich auf seine typische Art an schmunzelte, arrogant und immer auf dem Weg ins genervte.

„Was geht es sie an?" um meine Haltung deutlich zu machen verschränkte ich meine Arme vor meiner Brust. Ich würde gewiss nicht herumstehen und seinen Spott über mich ergehen lassen.

„Ich wollte Sie weder erschrecken noch verspotten." Räumte der Eismann ein, sein Blick durchbohrte mich und gewiss flogen ihm die Deduktionen gerade zu entgegen.

„Was machen sie hier?" seufzte ich und gab meine abwehrende Haltung auf, ich hatte weder die Kraft noch die Nerven für seine Spiele, je schneller er mir sagte was er wollte, desto eher wurde ich ihn wieder los.

„Ich habe sie gesucht" warf er mir jedoch nur das Offensichtliche vor die Füße, ich rollte genervt meine Augen und fühlte mich beinah wie Sherlock dabei. „Haben sie den Weg in die Baker Street vergessen?" fragte ich sarkastisch, wohl wissend das dieser Mann wie ein Elefant niemals etwas vergas.

„Ich wollte sie alleine sprechen" kam dieser Mann endlich mal zum Punkt?

„Sie meinen sie wollten mich alleine erwischen um über Sherlock zu sprechen." Die Beiden hielten mich vielleicht für einen Idioten aber das war ich gewiss nicht. Es gab nur einen Grund warum Mycroft seinen Schatten nicht mehr über die 221B warf. Er ging seinem Bruder aus dem Weg. Zum einen weil Sherlock ihm eine Mitschuld an Beckys Tod gab, hatte er sie doch nicht gefunden beziehungsweise hatte sein Agent ihr den Rücken zugekehrt und zum anderen weil der Ältere des neueren eine Freundin hatte und er dies wohl nicht vor einem Mann mit gebrochenen Herzen zur Schau stellen wollte.

„Gibt es denn etwas zu besprechen?" Oh mein Gott, ich zwang mich ruhig zu bleiben. Ich würde ihm einfach sagen was ich wusste allein damit ich wieder alleine gelassen wurde.

„Es geht ihm besser." Dies schien dem Eismann zu gefallen, nicht das ich an seinem unveränderten Gesichtsausdruck etwas ablesen konnte aber etwas kannte ich ihn ja nun doch. Ich sah wieder auf Beckys Grabstein. „Er isst regelmäßig, wenn auch wenig. Seine Schlafgewohnheiten sind für seine Verhältnisse gut und er arbeitet fleißig an dem Fall oder dem Auftrag den die ihm gegeben haben."

Für einen Moment dachte ich er würde gehen, zumindest machte er eine ziemlich lange Pause bevor er fragte „Haben sie ihm bei den Ermittlungen zu dem Fall geholfen? Spricht er mit ihnen darüber?".

Ich lachte humorlos auf, wirklich? War dies seine größte Sorge im Moment. Ich beschloss ihn dennoch zu beruhigen. „Nein keine Angst" mein Ton war spottend „Ihre große geheime Regierungsangelegenheit ist bei Sherlock in guten Händen. Er hat mir von vornherein gesagt das sie nicht wollen das ich ihm helfe und das er dieses Puzzle alleine zusammensetzen muss. Was auch immer."

Ich wurde wieder etwas ernster als mir einfiel das es Sherlock besser ging seit er diese Aufgabe bekommen hatte und ich sollte mich vielleicht bemühen an meinem Vorsatz festzuhalten den Eismann besser zu verstehen beziehungsweise hinter seine Methoden zu blicken. „Dennoch, es geht ihm besser seit er daran arbeitet. Also, Danke" ich lächelte kurz bevor ich mit den Schultern zuckte „denke ich".

„Gern geschehen" antwortete er unbeholfen und sah so aus als wäre er geistig schon bei seiner nächsten Besprechung. Er sah auf sein Telefon bevor er mir mit einem kurzen falschen Lächeln riet „Am besten bleibt dieses kleine Gespräch unter uns."

Ich nickte nur bevor ich ihm zusah wie er sich entfernte. Als er außer Hörweite war sagte ich zu Becky „Diese Holmes Brüder. Als wäre Sherlock daran interessiert was ich mit seinem Bruder bespreche" ich schüttelte meinen Kopf „und selbst wenn, wäre es denn schlecht wenn er wüsste das sein Bruder sich sorgt und zufrieden ist das er ihm eine fordernde Aufgabe gegeben hat."

Beinah konnte ich Rebeccas Stimme hören wie sie sagte das das einzige dass sie mit Mycroft gemeinsam hatte die liebe für Sherlock war. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top