Vorbereitungen auf den Tag
(10.01.2015 – London, England)
Als ich an diesem Morgen aufwachte, fühlte ich mich zum ersten Mal seit Jahren erholt und rundum wohl. Kein Kopfschmerz plagte mich, keine Übelkeit kämpfte sich durch mein Inneres und ich hatte auch nicht das Bedürfnis mir eine Nadel in den Arm zu jagen. Eine ungewohnte aber Willkomme Abwechslung.
Sherlock hatte mich die ganze Nacht gehalten, beziehungsweise hatte er mich nicht weggedrückt nachdem ich mich an ihn gekuschelt hatte. Mehr als das hatte er sogar einen Arm um mich gelegt, also hatte er mich doch irgendwie gehalten. Was es auch war oder wie auch immer es nun so gekommen war, das Ergebnis fühlte sich süchtig machend gut an.
Der Detektiv schien noch zu schlafen, zumindest waren seine Augen geschlossen als ich die meinen öffnete, ich betrachtete mir sein Gesicht etwas näher. Diese Chance war einfach zu gut als das ich sie dafür nicht nutzen könnte.
Selbst im Schlaf schien sein Verstand nicht zur Ruhe zu kommen, seine Gesichtszüge ließen auf eine gewisse Anspannung schließen, vielleicht träume er ja. Wobei ich mir ehrlich nicht vorstellen konnte wovon ein Mann wie Sherlock Holmes des Nachts oder in diesem Falle des Morgens träumte.
Ich seufzte leise und schmiegte mich noch etwas an seinen warmen Körper. Ich fing an Nachzudenken, würde er mich von sich stoßen wenn er aufwachte, würde er mich immer noch ignorieren und meinen Blicken ausweichen. Oder war alles wieder wie vorher, immerhin hatte er ja gestern für mich gespielt und mich aus meinem Wachtraum befreit.
Mit allem was ich hatte hoffte ich inständig dass er es getan hatte und ich mir diese süßen Klänge nicht nur eingebildet hatte. Ich wollte keinen Tag länger darauf verzichten müssen. Es verfraß mich, wenn er so zu mir war, ich wusste nicht warum aber das änderte ja nichts an dem Gefühl.
„Rebecca ich kann dich denken hören" die verschlafene Stimme des Genies riss mich abrupt aus meinen Gedanken und ich zuckte kurz erschrocken zusammen. Ich hob langsam meinen Blick und sah das er noch immer die Augen geschlossen hielt aber ich wusste ja jetzt das er nicht schlief.
„Du bist wach" stellte ich trotzdem unnötiger weise fest. Manchmal war mein Mund schneller als mein Verstand, nicht das dieser, selbst an guten Tagen, mit dem meines Bettnachbarn mithalten konnte aber an diesem Morgen war ich ihm gnadenlos unterlegen.
„Offenkundig" sagte er gewohnt monoton und kalt, es versetzte mir einen kleinen Stich und meine Hoffnungen das alles wie vorher werden würde schwanden beträchtlich. Er öffnete seine Augen während ich die meinen niederschlug und betrachtete wie sich seine Brust mit jeden Atemzug hob und senkte.
„Was beschäftigt dich?" hörte ich ihn nach einer Weile leise fragen, seine Stimme klang nun wärmer. Dies veranlasste mich dazu mich etwas zu drehen und meine Hände übereinander auf seiner Brust abzulegen um auf ihnen dann mein Kinn zu betten, ich sah Sherlock an und war unendlich erleichtert dass er meinen Blick nicht mied sondern mich ebenso ansah.
„Ich will nicht mehr allein sein, ich will nicht mehr ungesehen sein" flüsterte ich in die Stille zwischen uns. Kurz legte er die Stirn in Falten, er schien nach einer passenden Antwort zu suchen, John hatte schon gesagt das er mit dem zwischenmenschlichen Miteinander ein paar Probleme hatte umso mehr erstaunte mich seine Antwort, den sie war perfekt.
„Du bist nicht allein, du wirst nie wieder allein sein." Sein Arm folgte meiner vorangegangenen Bewegung und lag nun wieder an, beziehungsweise auf mir. „Und ich sehe dich Rebecca Jane Kingsley"
Diese Worte berührten etwas tief in mir von dem ich geglaubt hatte das es nicht mehr existierte, ich hatte mit vielem an diesem Morgen gerechnet aber keinesfalls mit diesem Versprechen. Ich sah ihm in die Augen und das erste Mal seit Tagen hielt er meinen Blick, als hätten wir dies nie unterbrochen.
Ich war gefangengenommen von diesem Blick aus hellblauen Augen unsere Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt und ich konnte jeden Farbtupfer in seiner Iris erkennen.
„Danke" hauchte ich, zu mehr war ich nicht fähig, viel zu überwältig war ich von dem Glücksgefühl das mich durchströmte, ich würde nie wieder alleine sein, er wollte mich nicht wegschicken. Und er sah mich an, mehr als das, er sah wirklich mich.
Alle Gedanken an Flucht oder Schlimmeres waren wie weggespült von einer Welle hellblauen Wassers, das mich in diesem Moment von all meinen Qualen erlöste. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte ich mich wahrhaft lebendig und nicht nur am Leben.
Wie lange wir so dalagen im Blick des anderen Versunken, die Gedanken meilenweit von der Realität entfernt, konnte ich im Nachhinein betrachtet nicht sagen. Mir kam es wie eine köstliche kleine Ewigkeit vor, kein Wort fiel zwischen uns und es war auch keines von Nöten. Es war als beantworteten seine Augen jede meiner Fragen und im Gegenzug versprach ich ihm alles was er wollte.
Erst Johns Ruf zum Frühstück riss uns aus unserer Blase und brachte uns zurück in die Baker Street. Schnell setzte ich mich auf, irgendwie war diese Situation bizarr, wieso fühlte ich mich so erwischt als hätte ich etwas Verbotenes getan?
„Wir kommen" rief Sherlock und stand auf. Er zog seinen Morgenmantel an und ging zur Tür. Als ich ihm nicht folgte drehte er sich zu mir um. „Rebecca" mehr war nicht nötig, mehr musste er nicht sagen, ich löste mich aus meinen Gedanken und stand auf um ihm zu folgen. Bis ans Ende der Welt wenn es nötig wäre.
*
„Sherlock, Becky aufstehen es gibt Frühstück" rief ich durch ich die geschlossene Schlafzimmertür. Ich hatte trotz der Ereignisse der letzten Nacht relativ gut aber leider viel zu kurz geschlafen. Dennoch wollte ich Rebecca einen geregelten Tagesablauf bieten, naja so geregelt wie ein Tag mit Sherlock Holmes eben sein kann.
Als ich gerade den Tee aufgoss kamen sie auch schon in die Küche „Guten Morgen John" sagte Becky lächelnd und setzte sich auf ihren Platz. Es war ein Lächeln das ihre Augen erreichte, es tat so gut das zu sehen. Auch meine Mundwinkel zog dies nach oben aber das änderte sich schlagartig als Sherlock zu sprechen begann.
„Deine Schwester hatte also wieder mal einen Rückfall" seine Stimme war ruhig und sachlich. Das machte mir mehr Angst als wenn er schreien würde, ich sah ihn obwohl ich hätte wissen müssen dass er es herausbekommt, erstaunt an.
„Nun sieh mich nicht so an" meinte unser Genie genervt bevor er erklärte „es gibt nicht vieles was dich derart kopflos macht aber auch dafür sorgt das du am nächsten Tag schon wieder so gefasst bist" Kopflos ja da hatte er recht, ich war wirklich kopflos gewesen Becky allein zu lassen. Schuldbewusst sah ich auf meinen Teller.
„Gibst du mir bitte die Marmelade" sagte Rebecca schnell und selbst ich merkte das sie das nur tat weil sie keinesfalls riskieren wollte das es Streit oder dergleichen gab, obwohl ich nicht glaubte das Sherlock sich jetzt mit mir streiten würde aber das konnte sie ja nicht wissen. Ich reichte ihr den Aufstrich und sah sie sanft an, sie hatte ein liebes Wesen.
Das restliche Frühstück verlief größtenteils schweigend. Doch es war keine unangenehme Stimmung, mehr so als hätten wir alle drei Gedanken denen wir nachgehen mussten bevor der Tag beginnen konnte.
„Wo gehen wir heute hin?" fragte sie nachdem wir gegessen hatten und dabei waren das Geschirr sauber zu machen. Natürlich waren wir, Becky und ich, Sherlock säuberte selten etwas.
Ich konnte die Freude in ihren blauen Augen sehen bei dem Gedanken nach draußen zu kommen und sei es bloß für ein paar Minuten. Zwar hatte ich auch meine Sorgen mit ihr rauszugehen aber ich verdrängte dies so gut es ging. Wir konnten sie nicht für immer beschützen, früher oder später musste sie wieder allein in die Welt hinaus gehen können.
„Nur ein bisschen raus, je nachdem wie du dich fühlst" stellte ich ihr wage in Aussicht, keinesfalls wollte ich ihr mit irgendeinem Ziel falsche Hoffnungen machen oder sie unter Druck setzen dort hin zu kommen. Am besten wir richteten uns nach ihrer Kondition und sahen von da aus weiter.
„Mir geht es gut also können wir ruhig in den Park gehen oder so" ich konnte ihr Ansehen das sie nicht ganz die Wahrheit sprach, immerhin verlagerte sie ihr Gewicht immer wieder von einem auf das andere Bein so als würden sie ihr schmerzen.
Unter meinem Blick versuchte sie auch gewissenhaft zu verbergen das ihre Hände leicht zitterten. Ich konnte es ihr ja nachfühlen, wer gab schon gerne zu das es ihm schlecht ging. Was mich beruhigte war das ich in ihren Augen kein Verlangen nach dem Gift sah das früher ihre Adern geflutet hatte. Zumindest in diesem Augenblick nicht.
Ich wusste es würde zurückkommen aber ich hoffte sie war dann strak genug um den Drang zu besiegen. Bis dahin würden wir auf sie achtgeben, das schwor ich mir.
„Na schön, wir werden ja sehen wie weit wir kommen. Am besten du machst dich jetzt fertig und dann gehen wir los" Sie strahlte bei meinen Worten wie die Sonne und gab mir noch einen Kuss auf die Wange bevor sie in Sherlocks Zimmer ging.
Eben jener sah mich jetzt merkwürdig an aber an so etwas hatte ich mich schon längst gewöhnt.
*
Endlich nach all der langen Zeit die in Wirklichkeit nur ein paar Tage gewesen waren würde ich wieder die frische, na gut halbwegs frische, Luft Londons Atmen können und das nicht nur durch ein offenes Fenster. Ich war zu lange ein Kind der Straße gewesen als das ich mich sofort daran gewöhnen konnte nur im inneren einer Wohnung zu sein.
Schnellen Schrittes ging ich in Sherlocks Zimmer und suchte mir ein paar Sachen heraus die ich tragen könnte ohne zu frieren, immerhin war der Januar kein Sommermonat. Ich entschied mich für eine dunkle Jeans und einen schlichten schwarzen Pullover, auf seiner Vorderseite war ein schönes Muster aus Rosen und anderen Blumen. Mit der passenden Unterwäsche bewaffnet ging ich ins Bad.
Unter der Dusche kamen mir die verschiedensten Gedanken, wie es wohl sein würde auf den Straßen Londons zu sein ohne Überlegen zu müssen wo man die nächste Nacht verbringt oder wie man an etwas zu essen oder etwas Stoff kommt.
Obwohl letzteres immer wichtiger gewesen war als das die beiden anderen Dinge, zumindest in meiner Suchtgesteuerten Welt. Beim Gedanken an die Dinge die ich getan hatte um an das Gift zu kommen das mich beherrscht hatte, schrubbte ich mich nur noch fester.
Ich schluckte und versuchte die aufkeimende Übelkeit zu verdrängen. Heute wird ein schöner Tag, redete ich mir wie ein Mantra ein, immerhin hatte er so gut begonnen, ich knurrte und versuchte mich zusammen zu nehmen.
Mit schwachen Beinen stieg ich aus der Dusche und wickelte mich in mein Handtuch ein. Ich ging zum Spiegel und sah mein Spiegelbild an. Beim Blick in meine eigenen Augen kam all der Schmerz zurück, all die Dinge die ich ertragen und getan hatte. Tränen brannten in ihnen und ich musste etwas tun. Dieser Schmerz in meiner Seele musste nach draußen.
Hektisch suchte ich in allen Schubladen, in den Schränken, überall eigentlich in dem kleinen Bad bis ich etwas fand das sowohl Sherlock als auch John übersehen hatten. Unter einem Stapel Handtüchern lag eine frische Packung Rasierklingen.
Mit zitternden Fingern nahm ich eine hinaus und lies mich auf den Boden sinken. Es war als hätte mir jemand alle Kraft entzogen. Ich hielt das scharfe Metall senkrecht an meinen linken Unterarm, ein Schnitt und alles wäre vorbei. Endlich wäre ich frei, frei von dem Schmerz und dem Verlangen, frei von all den Erinnerungen.
Aber um welchen Preis? Ich war nicht länger allein und ein Mann der sich selbst einen Soziopaten nannte und dessen nicht weniger gutherziger Freund wollten mir helfen. Ohne Hintergedanken oder Gegenleistung, nein, ich konnte dieses Geschenk nicht derart mit Füßen treten, ich konnte sie nicht derart enttäuschen also drehte ich die Klinge und ersetzte lediglich geistigen Schmerz durch körperlichen.
Als die Klinge mühelos durch meine Haut schnitt und warmes Blut meinen Arm herunterlief konnte ich aufatmen. Es fühlte sich gleich viel besser an, ich tat das, ich hatte die Kontrolle über diesen Schmerz, niemand tat mir das an, das war allein ich selbst.
Die wirren Auswüchse dieser Gedanken waren mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Alles was zählte war der Schmerz der präsenter war als der davor. Nach zwei weiteren Schnitten fühlte ich mich sicher genug der Welt gegenüber zu treten.
Ich spülte meinen Arm ab und wischte das Blut mit etwas Wasser und Klopapier vom Boden auf. Danach umwickelte ich meinen Arm mit einer Mullbinde aus der entschärften Hausapotheke. Sie würden es merken, wurde mir nun klar und sie würden schrecklich enttäuscht sein.
Tränen stiegen mir erneut in die Augen und ich hasste dieses Gefühlschaos. Ich könnte ja behaupten es war ein Unfall oder die Binde verdecke nur den aufgeriebenen Schorf. Immer noch nicht zufrieden aber deutlich beruhigter steckte ich die umwickelte Klinge in meine Tasche, bevor ich mich anzog und mir die Zähne putzte.
Der Schmerz in meinem Arm war dabei willkommen, trotz meines neu erwachten schlechten Gewissens. Wie immer ergab ich keinerlei Sinn. Nachdem ich mir auch das Haar geföhnt hatte, ging ich zurück ins Wohnzimmer.
Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen aber nachdem Sherlock zu uns kam und meinen Arm eine Spur zu lange angesehen hatte wusste ich dass er es wusste. Er sagte nichts, vermutlich weil John im Raum war und er unser Fortkommen nicht verzögern wollte. Ich war ihm unheimlich dankbar deswegen.
Ein Blick in seine Augen jedoch verriet mir dass die Sache damit noch nicht erledigt war, ich schluckte und wappnete mich im Inneren bereits. Was dem auch folgen würde ich hatte es verdient, das wusste ich.
„So jetzt noch schnell in Jacke und Schuhe schlüpfen dann kann es losgehen" sagte John fröhlich und zog sich seine Jacke an. Er bemerkte nichts von der Situation in der Sherlock und ich mich befunden hatten, auch nicht die Blicke die wir uns zugeworfen hatte.
Ich stand unschlüssig im Raum, hatte ich so etwas wie eine Jacke? „Natürlich hast du eine" sagte da auch schon Sherlock, der meine Gedanken mal wieder an meinem Gesicht hatte ablesen können. Er zeigte auf die Garderobe, da hingen ein dicker Wintermantel und daneben sicher fürs Frühjahr gedacht eine Lederjacke.
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, so eine hatte ich schon immer haben wollen, ich fuhr mit meinen Fingern über das weiche Leder. Da sie allein zu kalt war ging ich nochmal zum Schrank und holte mir daraus eine dickere graue Stoffjacke, so eine die vorne offen war und nach vorne etwas länger.
Ich zog sie an und die Lederjacke darüber, die Kapuze und der untere Rand blitzen hervor und bildeten einen schönen Kontrast zur schwarzen Jacke. Ein Blick in dem Spiegel verriet mit das ich wirklich cool aussah, es lenkte von meiner blassen Haut und den dunklen Augenringen ab.
So konnte ich mich der Welt zeigen und ich hoffte das mich niemand mehr übersah, den ich bin ein Teil von London wenn auch nicht der Beste.
2014/2015er Version:
Kapitel 14: Vorbereitungen auf den Tag
Als ich an diesem Morgen aufwachte, fühlte ich mich zum ersten Mal seit Jahren erholt und rundum wohl. Kein Kopfschmerz plagte mich, keine Übelkeit kämpfte sich durch mein Inneres und ich hatte nicht das Bedürfnis mir eine Nadel in den Arm zu jagen.
Sherlock hatte mich die ganze Nacht gehalten, beziehungsweise hatte er mich nicht weggedrückt, nachdem ich mich an ihn gekuschelt hatte. Er schien noch zu schlafen, zumindest waren seine Augen geschossen, als ich die meinen öffnete.
Ich betrachtete sein Gesicht etwas näher. Selbst im Schlaf schien sein Verstand nicht zur ruhezukommen. Seine Gesichtszüge ließen auf eine Gewisse Spannung schließen, vielleicht träumte er ja. Wobei ich mir ehrlich nicht vorstellen konnte wovon ein Mann wie Sherlock Holmes des Nachts oder in diesem Falle des Morgens träumt.
Ich seufzte leise und schmiegte mich noch etwas an seinen warmen Körper. Dann fing ich an nachzudenken. Würde er mich von sich stoßen wenn er aufwachte? Würde er mich immer noch ignorieren und meinen Blicken ausweichen? Oder war alles wieder wie vorher, immerhin hatte er ja gestern für mich gespielt und mich aus meinem Wachtraum befreit.
Ich hoffte inständig, dass er es getan hatte und ich mir diese süßen Klänge nicht nur eingebildet hatte. Ich wollte keinen Tag länger darauf verzichten müssen.
„Rebecca ich kann dich denken hören." die verschlafene Stimme Sherlocks riss mich abrupt aus meinen Gedanken und ich zuckte kurz zusammen. Ich hob meinen Blick und sah, dass er noch immer die Augen geschlossen hielt aber ich wusste ja jetzt, dass er nicht schlief.
„Du bist wach." stellte ich trotzdem unnötiger weise fest.
„Offensichtlich." sagte er gewohnt monoton und kalt. Es versetzte mir einen kleinen Stich und meine Hoffnungen, dass alles wie vorher werden würde, schwanden.
Er öffnete seine Augen während ich die meinen niederschlug und betrachtete wie sich seine Brust mit jeden Atemzug hob und senkte.
„Was beschäftigt dich?" hörte ich ihn nach einer Weile leise fragen, seine Stimme klang jetzt wärmer. Dies veranlasste mich dazu mich zu drehen und meine Hände übereinander auf seiner Brust abzulegen, um auf ihnen dann mein Kinn zu betten. Ich sah Sherlock an und war unendlich erleichtert, dass er meinen Blick nicht mied sondern mich ebenso ansah.
„Ich will nicht mehr allein sein, ich will nicht mehr ungesehen sein." flüsterte ich in die Stille zwischen uns. Kurz legte er die Stirn in Falten, er schien nach einer passenden Antwort zu suchen. John hatte schon gesagt, dass er mit dem zwischenmenschlichen Miteinander ein paar Probleme hatte. Umso mehr erstaunte mich seine Antwort. „Du bist nicht allein, das wirst du nie wieder sein. Und ich sehe dich Rebecca Jane Kingsley" Seine Worte rührten mich, ich hatte mit vielem an diesem Morgen gerechnet, aber keinesfalls mit diesem Versprechen. Ich sah ihm in die Augen und das erste Mal seit Tagen hielt er meinen Blick, als hätten wir dies nie unterbrochen.
Ich war gefangengenommen von diesem Blick aus hellblauen Augen. Unsere Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt und ich konnte jeden Farbtupfer in seiner Iris erkennen.
„Danke." hauchte ich, zu mehr war ich nicht fähig, zu überwältig war ich von dem Glücksgefühl, das mich durchströmte.
Ich würde nie wieder alleine sein, er wollte mich nicht wegschicken. Und er sah mich an, er sah wirklich mich. Alle Gedanken an Flucht oder Schlimmeres waren wie weggespült von einer Welle hellblauen Wassers, das mich in diesem Moment von all meinen Qualen erlöste.
Wie lange wir so da lagen, im Blick des anderen Versunken, kann ich im Nachhinein betrachtet nicht sagen. Uns kam es wie eine köstliche kleine Ewigkeit vor. Kein Wort fiel zwischen uns und es war auch keines von Nöten. Erst Johns Ruf zum Frühstück riss uns aus unserer Starre und brachte uns zurück ins hier und jetzt. Schnell setzte ich mich auf. Irgendwie war diese Situation bizarr. Wieso fühlte ich mich so erwischt als hätte ich etwas Verbotenes getan.
„Wir kommen." rief Sherlock und stand auf. Er zog seinen Morgenmantel an und ging zur Tür. Als ich ihm nicht folgte drehte er sich zu mir um „Rebecca." mehr war nicht nötig, ich löste mich aus meinen Gedanken und stand auf, um ihm zu folgen.
*
„Sherlock, Becky aufstehen es gibt Frühstück" rief ich durch ich die geschlossene Schlafzimmertür. Ich hatte für die Ereignisse der letzten Nacht relativ gut, aber leider viel zu kurz geschlafen. Trotzdem wollte ich Rebecca einen geregelten Tagesablauf bieten, naja so geregelt wie ein Tag mit Sherlock Holmes eben sein kann. Als ich gerade den Tee aufgoss kamen sie auch schon in die Küche „Guten Morgen John." sagte Becky lächelnd und setzte sich auf ihren Platz.
„Deine Schwester hatte also wieder mal einen Rückfall." sagte er ruhig. Ich sah ihn, obwohl ich hätte wissen müssen, dass er es herausbekommt, erstaunt an.
„Nun sieh mich nicht so an, es gibt nicht vieles was dich derart kopflos macht aber du am nächsten Tag schon wieder gefasst bist."
Kopflos ja da hatte er Recht, ich war wirklich kopflos gewesen sie allein zu lassen. „Gibst du mir bitte die Marmelade." sagte Rebecca schnell und selbst ich merkte das sie das nur tat weil sie keinesfalls riskieren wollte das es Streit oder dergleichen gab, obwohl ich nicht glaubte das Sherlock sich jetzt mit mir streiten würde, aber das konnte sie ja nicht wissen.
Das restliche Frühstück verlief größtenteils schweigend.
„Wo gehen wir heute hin?" fragte sie nachdem wie gegessen hatten und dabei waren das Geschirr sauber zu machen. Ich konnte die Freude in ihren Augen sehen bei dem Gedanken hier raus zu kommen und sei es bloß für ein paar Minuten. Zwar hatte ich auch meine Sorgen mit ihr rauszugehen, aber ich verdrängte dies so gut es ging.
„Nur ein bisschen raus, je nachdem wie du dich fühlst." stellte ich ihr wage in Aussicht, keinesfalls wollte ich ihr mit irgendeinem Ziel falsche Hoffnungen machen oder sie unter Druck setzen dort hin zu kommen. „Mir geht es gut also können wir ruhig in den Park gehen oder so."
Ich konnte ihr ansehen, dass sie nicht ganz die Wahrheit sprach, immerhin verlagerte sie ihr Gewicht immer wieder von einem auf das andere Bein so als würden sie ihr schmerzen. Unter meinem Blick versuchte sie auch gewissenhaft zu verbergen, dass ihre Hände leicht zitterten. In ihren blauen Augen aber sah ich jedoch kein Verlangen zumindest nicht in diesem Augenblick. Ich wusste es würde zurückkommen, aber ich hoffte sie war dann strak genug um es zu besiegen. „Na schön, wir werden ja sehen wie weit wir kommen. Am besten du machst dich jetzt fertig und dann gehen wir los" Sie strahlte bei meinen Worten und gab mir noch einen Kuss auf die Wange, bevor sie in Sherlocks Zimmer ging. Eben jener sah mich jetzt merkwürdig an, aber an so etwas hatte ich mich schon längst gewöhnt.
*
Endlich nach all der langen Zeit die in Wirklichkeit nur ein paar Tage gewesen waren würde ich wieder die frische, na gut halbwegs frische, Luft Londons Atmen können und das nicht nur durch ein offenes Fenster. Schnell ging ich in Sherlocks Zimmer und suchte mir ein paar Sachen raus die ich tragen könnte ohne zu frieren, immerhin war der Januar kein Sommermonat.
Ich entschied mich für eine dunkle Jeans und einen schlichten schwarzen Pullover, auf seiner Vorderseite war ein schönes Muster aus Rosen und anderen Blumen. Mit der passenden Unterwäsche bewaffnet ging ich ins Bad. Unter der Dusche kamen mir die verschiedensten Gedanken, wie es wohl sein wird auf den Straßen Londons zu sein ohne Überlegen zu müssen wo man die Nacht verbringt oder wie man an etwas zu essen oder Stoff kommt. Obwohl letzteres immer wichtiger gewesen war als das andere in meiner Suchtgesteuerten Welt. Beim Gedanken an die Dinge, die ich getan hatte um an das Gift zu kommen, das mich beherrscht hatte, schrubbte ich mich nur noch fester. Ich schluckte und versuchte die aufkeimende Übelkeit zu verdrängen. Heute wird ein schöner Tag, immerhin hatte er so gut begonnen.
Ich knurrte und versuchte mich zusammenzunehmen. Ich stieg aus der Dusche und wickelte mich in mein Handtuch ein. Dann ging ich zum Spiegel und sah mein Spiegelbild. Beim Blick in meine eigenen Augen, kam all der Schmerz zurück. Tränen brannten in meinen Augen und ich musste etwas tun. Hektisch suchte ich in allen Schubladen, in den Schränken und dann fand ich etwas das sowohl Sherlock als auch John übersehen hatten. Unter einem Stapel Handtüchern lag eine frische Packung Rasierklingen. Mit zitternden Fingern nahm ich eine hinaus und lies mich auf den Boden sinken. Ich hielt sie senkrecht an meinen linken Unterarm, ein Schnitt und alles wäre vorbei. Ich wäre frei, frei von Schmerz und Verlangen, frei von all den Erinnerungen. Aber um welchen Preis? Ich war nicht länger allein und ein Mann der sich selbst einen Soziopath nannte und dessen Freund wollten mir helfen. Ich konnte das nicht, ich konnte sie nicht derart enttäuschen.
Also drehte ich die Klinge und ersetzte lediglich geistigen Schmerz durch körperlichen. Als die Klinge mühelos durch meine Haut schnitt und warmes Blut meinen Arm herunterlief, konnte ich aufatmen. Es fühlte sich gleich viel besser an, ich tat das und ich hatte die Kontrolle über diesen Schmerz. Niemand tat mir das an. Das war allein ich selbst.
Die wirren dieser Gedanken waren mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Alles was zählte war der Schmerz, der präsenter war, als der davor. Nach zwei weiteren Schnitten fühlte ich mich sicher genug der Welt gegenüber zu treten. Ich spülte meinen Arm ab und wischte das Blut mit etwas Wasser und Klopapier vom Boden auf. Ich umwickelte meinen Arm mit einer Mullbinde aus der entschärften Hausapotheke. Sie würden es merken, wurde mir nun klar und sie würden schrecklich enttäuscht sein. Tränen stiegen mir erneut in die Augen und ich hasste dieses Gefühlschaos. Ich könnte ja behaupten es war ein Unfall oder die Binde verdecke nur den aufgeriebenen Schorf.
Immer noch nicht zufrieden, aber deutlich beruhigter steckte ich die umwickelte Klinge in meine Tasche, bevor ich mich anzog und mir die Zähne putzte.
Der Schmerz in meinem Arm war dabei willkommen, trotz meines neu erwachten schlechten Gewissens. Nachdem ich mir auch das Haar geföhnt hatte, ging ich zurück ins Wohnzimmer.
Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, aber nachdem Sherlock zu uns kam und meinen Arm eine Spur zu lange angesehen hatte wusste ich, dass er es wusste. Er sagte nichts, vermutlich weil John im Raum war und er unser Fortkommen nicht verzögern wollte. Ich war ihm unheimlich dankbar deswegen. Ein Blick in seine Augen jedoch verriet mir dass die Sache noch nicht erledigt war. Ich schluckte und wappnete mich im inneren bereits.
„So jetzt noch schnell in Jacke und Schuhe schlüpfen dann kann es losgehen." sagte John fröhlich und zog sich seine Jacke an. Ich stand unschlüssig im Raum, hatte ich so etwas wie eine Jacke? „Natürlich hast du eine." sagte da auch schon Sherlock, der meine Gedanken mal wieder an meinem Gesicht hatte ablesen können.
Er zeigte an die Garderobe. Da hingen ein dicker Wintermantel und daneben, sicher fürs Frühjahr gedacht, eine Lederjacke. Ich musste Lächeln, so eine hatte ich schon immer haben wollen. Ich fuhr mit meinen Fingern über das weiche Leder. Da sie allein zu kalt war ging ich nochmal zum Schrank und holte mir daraus eine dickere graue Stoffjacke, so eine die vorne offen war und nach vorne etwas länger. Ich zog sie an und die Lederjacke darüber, die Kapuze und der untere Rand blitzen hervor und bildeten einen schönen Kontrast zur schwarzen Jacke. Ein Blick in dem Spiegel verriet mir, dass ich wirklich cool aussah. Es lenkte von meiner blassen Haut und den dunklen Augenringen ab. So konnte ich mich der Welt zeigen und ich hoffte, dass mich niemand mehr übersah, denn ich bin ein Teil von London wenn auch nicht der Beste.
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