Versteckte Talente


(10.07.2015 - Parr, England)


Ich erwachte, doch tat ich das wirklich? Mein Körper fühlte sich so leicht an, wie eine warme Brise an einem kühlen Frühlingstag. Langsam öffnete ich meine Augen doch ich sah nichts außer einer Stoffüberzogenen Holzdecke über mir. Ein Sarg, durchfuhr mich die Erkenntnis, ich lag in einem Sarg. Keine neue Erfahrung für mich aber dieser war nicht aus Glas und auch konnte ich nun Sherlock nirgends entdecken, wie auch, ich konnte nicht nach draußen sehen.

Mit tauben Fingern versuchte ich den Deckel zu öffnen aber ohne Erfolg, meine Augen flogen über das innere der Kiste doch nichts was mir helfen würde war zu sehen. Dann hörte ich das gedämpfte Gemurmel von unzähligen Stimmen außerhalb meines Gefängnisses. Für einen Moment war ich wie erstarrt als ich eine Stimme, klarer als die anderen, ausmachen konnte.

„Sherlock" hauchte ich, eine Träne befreite sich aus meinen aufgerissenen Augen. „Sherlock" rief ich nunmehr, als er weiter sprach, ich schlug mit meiner flachen Hand gegen das Holz. Panik überkam mich, er musste mich einfach hören, ich wollte nicht lebendig begraben werden, er sollte nicht mit diesem Schmerz leben.

„Sherlock ich bin hier drin" weinte sich, mein Körper verfiel in eine Panik als ich begann um mich zu schlagen. Der Schmerz in meinen Gliedern war eine willkommen Abwechslung zu dem brennen in meinem Herzen. Das letzte Mal hatte ich derart geschrien als ich meine Mutter gefunden hatte, doch anders als damals nahm ich nun alles überdeutlich wahr.

Der glatte Stoff der meine Schläge kaum abfederte, der Geruch des gebeizten Holzes und die stickige Luft die meine Lungen flutete als ich versuchte mich zu befreien.

„Es tut mir leid" weinte ich als ich erkannte das es nichts bringen würde, niemand schien mich zu hören und es gab keinen Ausweg für mich. „Bitte Sherlock, ich habe Angst" schrie ich und mein Herz zerbrach in noch mehr Einzelteile, eben jene schienen sich in meine Lungen zu bohren, zumindest fühlte sich meine Brust durchlöchert an. Als würde ich versuchen warme Erde einzuatmen.


*


Heute ist meine Beerdigung war der erste Gedanke gewesen den ich an diesem Morgen gehabt hatte, die ganze Nacht hatten mich Alpträume gequält, immer wieder hatte sich mein Verstand ausgedacht was wohl passieren würde wenn Sherlock meinen Sarg der Erde übergab. Einmal sogar was passieren würde wenn ich darin lag.

Trotzig wischte ich mir die letzten Tränen aus den Augen, ich hatte es nicht verdient mich in Selbstmitleid zu baden, immerhin hatte ich das dem Mann angetan den ich mehr liebte als mich selbst. Mein Therapeut sagte ich müsste mich von diesen Denkweisen trennen aber das war leichter gesagt als getan.

Als ich mich anzog wurde mir klar wie voll Mycroft meinen Tag gepackt hatte, als wüsste er das er mich beschäftigen musste wenn er wollte das ich nichts dummes tat. Dafür hatte ich ihm im Gegenzug das Versprechen abgenommen mich zu besuchen sobald die Beerdigung vorbei war, ich wollte wissen wie es Sherlock ging und ich wollte das Gesicht des Eismannes sehen wenn er es mir sagte, nicht das ich eine Lüge entdecken würde, selbst wenn er mir eine erzählte aber dennoch fühlte ich mich besser diese Dinge persönlich zu hören.


*


Unzählige Unterrichtsstunden, eine Therapiesitzung und eine Essenslieferung später hatte ich endlich einen Moment zum Atmen. Diesen nutzte ich damit die Online Yoga Stunden anzufangen die Mycroft mir organisiert hatte, es waren spezielle Videos für Schwangere Beginner. Natürlich waren auch Matte, Tücher und alles andere was ich brauchte im Haus.

Tatsächlich mochte ich diese Art der Übungen sehr, keine anderen Menschen um mich herum, kein echter Lehrer im Raum, nur die beruhigende Stimme einer Frau die ich zur Not auf Pause stellen konnte. Gut das ich aufgegeben hatte, es gruselig zu finden wie gut mich die Holmes Männer kannten.


*


Weil mein Tag anscheinend noch nicht vollgepackt genug gewesen war hatte ich mich, nach meiner Dusche, noch dazu entschlossen der britischen Regierung etwas zu essen zu machen. Nichts aufwendiges ein einfaches Nudelgericht. Ich wusste das er noch auftauchen würde, auch wenn die Sonne bereits unterzugehen schien, er war ein Mann seines Wortes, zumindest seit wir Partner waren, ich überlegte ihn wieder als einen meiner Jungs aufzunehmen.

Ich schmunzelte, er würde sich mit seinem eigenen Regenschirm aufhängen wenn er meine Gedanken hören könnte. Mein leises Lachen wurde vom Aufschließen der Vordertür unterbrochen.


*


Ich würde es ihr sagen müssen das war mir klar, dieses gegenseitige Vertrauen funktionierte leider nur wenn wir beide mitmachten. Doch vorerst genoss ich den Duft eines hausgemachten Essens und die Wärme eines Lächelns als sie mich begrüßte. Ihre Art mit mir umzugehen war mir noch immer.... Nicht suspekt, sie war aufrichtig, das sah ich ihr an, es war merkwürdig.

In der Vergangenheit hatte es Momente gegeben in denen sie mir am liebsten den Hals umgedreht hätte und doch schien sie immer gewillt meine Seite der Geschichte zu hören und, was erstaunlich war, Frieden zu schließen. Als wäre die Tatsache das Sherlock mein Bruder war, genug für sie um mich in ihre Welt einzufügen statt mich einfach nur zu akzeptieren wie es John zumeist tat.

Eine ungewöhnliche Frau, das musste ich mir eingestehen.

„Wie geht es ihm?" war wie immer ihre erste Frage sobald ich angekommen war, noch nie hatte ich einen Menschen gesehen dessen Augen so deutlich von der Liebe zu einer anderen Person sprachen, zumindest wäre das wahr hätte ich nicht an diesem Tag Sherlocks Augen gesehen als er ihre Trauerrede gehalten hatte.


*


Wir saßen beim Essen, Mycroft sagte mir wie immer alles was er wusste über den Zustand in dem sich Sherlock befand, auch wenn mein Herz mit jedem Wort etwas mehr blutete war ich dennoch dankbar für seine Offenheit. Es genau zu wissen war besser als sich vorstellen zu müssen was geschehen war.

„Was hat er gesehen das er so außer sich war?" fragte ich am Ende nach, wissend das da dennoch etwas war das er weggelassen hatte, ich nahm es ihm nicht übel, manchmal tat ich das auch wenn er etwas über meinen Tag wissen wollte, dennoch war ich, wie er, auf Nachfrage immer ehrlich. Doch als ich die Worte hörte wünschte ich mir beinah er hätte gelogen.

„Einen Strauß aus blauen Kornblumen" klirrend fiel meine Gabel auf den Teller als eine meiner Hände sich vor meinen Mund schlug und die andere meinen Bauch hielt, als könnte ich so beschützen was mir das wichtigste war. Mein Hirn war für einen Moment lang auf Notstrom umgestellt als alle meine Systeme auszufallen schienen. Ich konnte nicht atmen, blinken, verstehen, sprechen oder weinen. Als könnte ich so aufhalten was nunmehr Wahrheit war.

Erst langsam kamen meine Gedanken und die Angst zurück, wieso musste sich dieser spezielle Geist aus meiner Vergangenheit nun zu Wort melden? Wie hatte er von meinem Tod erfahren, beobachtete er mich etwa die ganze Zeit über oder hatte er einfach einen Blick auf die Todesanzeigen, für den Fall seine zurückgelassene Enkeltochter schaffte es sich in ein frühes Grab zu bringen.

Beide Varianten gefielen mir nicht aber die letzte schloss zumindest aus das er wusste wo ich nun war und das er kommen würde um mich zu finden, ich empfand vielleicht keine Wut auf diesen Mann, zumindest nicht in dem Maß wie man erwarten würde, dennoch hatte ich Angst vor ihm, er war der Schatten der meine Familie ausgelöscht hatte, solange er genau das blieb, ein Gebilde aus Rauch und Gerüchten machte er mir nichts aus aber der Gedanke das er zu etwas aus Fleisch und Blut würde, das seine Hand nach meinem Kind ausstreckte, war unerträglich.

Doch wie immer wenn ich unterzugehen drohte war ein Holmes nicht weit um mich an Land zu ziehen. „Rebecca" hörte ich seine Stimme, beinah klang er wie Sherlock und das tat mehr weh als das es half, dennoch sah ich ihn an. „Er war nicht da, er ist in Tallinn. Die Blumen kamen von einem Floristen der mittels einer Mail und einer Überweisung angeheuert worden war. Das Auftragsdatum stimmt mit der Veröffentlichung der Anzeige in der Londoner Zeitung überein. Ich habe alles im Griff und sollte er auch nur einen Fuß auf englischen Boden setzen werde ich darüber unterrichtet."

Seine Augen fragten ob ich ihm vertraute, unglaublicher Weise tat ich das. Also nickte ich zitternd. Er hatte die Sache aufgeklärt also gab es vorerst keinen Grund sich zu sorgen, wenn ich mir das oft genug sagte würde ich es vielleicht irgendwann auch glauben.


*


„Ich habe eine Entscheidung getroffen" sagte ich, schon um sie abzulenken, sie schien mir glauben zu wollen aber mit einem Gegner wie Anu Padar war ein wenig Angst wohl ganz angebracht. Verständlich auf jeden Fall, für einen Goldfisch musste der Kopf der Estländischen Mafia wie ein Riese wirken, für mich war er ein Ärgernis das ich mir an einem Tag wie diesem gerne gespart hätte.

Sie lud gerade die Teller in den Geschirrspüler ein, ein nicken zeigte mir jedoch das sie zuhörte. Ich stand an den Tresen gelehnt da und begann zu sprechen. „Ich gebe Ihnen eine Chance sich zu beweisen, wir fahren Morgen zu einem Übungsplatz, dort werde ich ihnen zeigen wie man eine Waffe abfeuert und wenn sie auch nur halb so talentiert sind wie es ihre Mutter gewesen ist dürfen sie Sherlocks Leben retten wenn der Tag kommt."

Diese Worte brachten sie dazu mich anzusehen, ich wusste nicht welcher Teil der Aussage sie beschäftigte, das ich mehr über Mutter wusste als sie selbst, der Teil in dem ich nachgegeben hatte (nicht das ich über diese Tatsache nachdenken wollte) oder das ich sie persönlich ausbilden wollte. Doch erneut erstaunte sie mich mit ihrer Antwort.

„Ich habe schon mal eine Waffe abgefeuert"


*


Die Stille in der Küche nach dieser Aussage war etwas anderes, er sah aus wie Sherlock wenn ich etwas getan oder gesagt hatte womit er ausnahmsweise nicht gerechnet hatte. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht, es war schön dem Eismann zu zeigen das er nicht alles wusste.

Natürlich fing er sich relativ schnell wieder. „Dann dürfte das ja kein Problem für sie werden." Ich lachte leise, er wollte es anscheinend einfach übergehen. Meinen Kopf schräg legend sah ich ihn weiterhin einfach nur an.

„Sie wollen wohl das ich sie frage wann das gewesen ist." Schlussfolgerte er aus welchen Deduktionen auch immer, die durch seinen Kopf gingen doch ich schüttelte meinen Kopf.

„Ich will das sie zugeben das es sie ärgert nicht alles zu wissen." Gab ich zurück und zeigte mit einer der Gabeln die ich einräumen wollte auf ihn.

„Ich weiß nicht alles" gab er trotzig, als müsste er mir beweisen das er kein Problem damit hatte, zu. In diesem Moment erinnerte er mich so sehr an Sherlock das ich entweder weinen könnte oder, wie ich mich beschloss zu tun, lachen musste wie ich es nicht mehr getan hatte seit ich Sherlock verlassen hatte. Ich lachte bis mir die Tränen kamen und er mir eines seiner Stofftaschentücher mit Monogramm hinhielt.


*

(11.07.2015 – Parr, England)


„Das ist meine Mutter" sagte ich atemlos als ich das Bild in der Eingangshalle des Schießplatzes sah, es war eine Wand an der allerlei Bilder hingen, wohl von Wettkampfgewinnern und ehemaligen Mitgliedern. Doch ich hatte Mama in ihrer zeitlosen Schönheit sofort erkannt. Der Eismann sah sich um, sein Blick sprach davon das ich leise sein sollte aber ich wusste doch das niemand in unserer Nähe war der uns hören konnte.

Die braunen Kontaktlinsen lagen unangenehm in meinen Augen aber ich konnte nicht aufhören das Bild anzusehen, niemals hatte sie davon gesprochen an diesem Ort gewesen zu sein. Es fühlte sich falsch an das ich so wenig über die Frau wusste die mir das Leben geschenkt hatte. Was sie gern getan und wie sie ihre Vormittage verbracht hatte.

„Enna Padar war eine Weltklasse Schützin" sprach Mycroft leise neben mir, es wunderte mich nicht das er diese Dinge wusste, er schien immer beinah alles zu wissen. „Einige nannten sie den eisigen Hauch des Winters, lautlos und tödlich." Ich sah ihn mit gerunzelter Stirn an, nicht verstehend wie dieser Name wohl zu Stande gekommen sein konnte, er erörterte „Ihr offizieller Name war: Tochter des Winters gewesen."

Erstaunt sah ich zurück zu dem Foto, wenn ich an sie dachte kamen mir niemals die Worte Winter, lautlos oder gar tödlich in den Sinn, in meinem Kopf war sie Sicherheit, Wärme und Liebe. Dennoch bewies dieses Bild das sie ihr altes Leben niemals vergessen hatte, es ergab sogar Sinn das sie ihre Fähigkeiten von Zeit zu Zeit getestet hatte, nur genützt hatte es ihr am Ende nichts, stellte ich mit einem queren Gefühl im Magen fest.

Am Ende hatte sie der Winter gefunden.


*


Wir nahmen unsere Waffen und gingen zu der Anlage die ich extra allein für uns angemietet hatte. Ich zeigte ihr, als Trockenübung, wie man eine Waffe zusammensetzte, sie prüfte und am Ende auch wie man sie abfeuerte.

Als sie an der Reihe war sprachen ihre Augen vielleicht von Nervosität aber ihre Hände waren so ruhig wie die eines Chirurgen. Sie nahm einen tiefen Atemzug, sah vor sich auf die Zielscheibe und feuerte. Sie zuckte nicht einmal zusammen bei dem Knall der Waffe oder ließ sich beeindrucken von dem Rückstoß.

„Es ist einfacher wenn man nicht High ist." Sagte sie mit ihren Schultern zuckend bevor sie den Rest des Magazins verschoss. Beeindruckt blickte ich auf ihre Treffer, nicht perfekt aber als Ausgangspunkt viel besser als ich erwartet hatte.

„Erzählen sie mir davon?" fragte ich und lud ihre Waffe nach für die nächste Runde. Sie sah aus als überlegte sie ob dies eine Geschichte war die sie teilen wollte bevor sie mich herausfordernd ansah. „Wenn sie mir das Foto meiner Mutter besorgen das am Eingang hängt erzähle ich ihnen davon."

Das entlockte mir ein arrogantes Lächeln, ich beugte mich etwas zu ihr herunter und sprach „Sie sagen das als wäre es ein Problem für mich, verlangen sie etwas schweres" erst als ich mich wieder gerade hinstellte überkam mich der Gedanke das dieser Austausch völlig fremd für mich war und ich nicht wusste was das gewesen war.

Gott sei Dank war Miss Kingsley damit beschäftigt sich etwas zu überlegen, sie bekam nichts von meinen Gedanken mit. „Okay, besorgen sie mir zusätzlich ein Bild von meinem Vater."

Ich wusste, das sie wusste, das der Mann den sie meinte nicht ihr Vater gewesen war aber da wir beide wussten wer gemeint war, war auch dies kein Problem für mich.

Wie ich es zuvor schon mit einigen Agenten getan hatte korrigierte ich bei ihrem zweiten Versuch mit knappen Worten ihre Haltung und gab ihr noch ein paar Tipps. Aufmerksam hörte sie mir zu und deshalb war ihre Trefferquote beim zweiten Mal auch schon deutlich optimiert.

Stolz sah sie mich an und ich wusste nicht warum aber ich lächelte sie an, eine wahrhaft ungewohnte Regung die man in meinem Gesicht nur selten so aufrichtig fand. Aber im Gegensatz zu den meisten Interaktionen die ich hatte, war ihre Gegenwart nicht vollkommen schrecklich, geistestötend oder anstrengend.

„Jetzt sie" forderte sie mich auf, mir die Waffe hinhaltend. Ich schüttelte kurz meinen Kopf. „Wir sind nicht hier um meine Treffsicherheit zu testen." Erklärte ich doch natürlich hatte sie Widerworte, eben jene schienen ihr selten auszugehen.

„Nein aber wir sind hier damit ich etwas lerne und jemanden zu beobachten, der etwas bereits kann, ist sehr lehrreich." Sie genoss es viel zu sehr Logik gegen mich anzuwenden, wissend das das eine Schwachstelle der Holmes Männer war.

Dennoch lag sie nicht falsch weshalb ich die Waffe nahm und ihr zeigte wie man es richtig machte. Schnell, konzentriert und ohne zu zögern schoss ich das Magazin leer, meine Treffer landeten genau da wo ich sie gewollt hatte.

Ich legte die Waffe nieder und sie klopfte mir anerkennend auf den Oberarm, beinah wäre ich bei der unerwarteten Berührung zurückgezuckt doch ich ließ sie gewähren. „Beeindruckend" sagte sie und lud die Waffe erneut nach.

„Bringen sie mir das bei" forderte sie und machte sich bereit für neue Anweisungen. Ich tat genau das was sie verlangte, wissend das meine Bemühungen einem höheren Ziel dienten.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top