Tiefpunkt


Mit brechendem Herzen hatte ich mit ansehen müssen wie sie Sherlock zweimal wiederbeleben mussten. Einmal in der Baker Street selbst und dann ein weiteres Mal im Krankenwagen auf dem Weg ins Krankenhaus, die Sirenen klingelten in meinen Ohren aber alles was ich wahrnahm war das taube Gefühl in meiner Brust.

Ihn so schwach und dem Tode nahe zu sehen tat etwas Krankes mit meinem Verstand. Es war so überwältigend das ich Gleichzeitig schreien und weinen wollte. Ich wollte ihn anflehen durchzuhalten aber ich wollte ihm auch wehtuen für diese grandiose Dummheit die er begangen hatte. Ich wollte um sein Leben betteln, vor jeder Gottheit die mich anhören wollte aber ich wollte auch einfach nur weg von all dem, es war zu viel, es war nicht genug, es war die Hölle.

Jetzt da andere Ärzte da waren erlaubte ich mir langsam zu fühlen was sich angestaut hatte doch als ich begann diese Tür zu öffnen, flog sie mir auch schon entgegen.


*


Der Geruch des Desinfektionsmittels brannte in meiner Nase und die Lichter über mir schienen sich buchstäblich in mein Hirn zu bohren. Den ganzen Weg ins Krankenhaus hatte ich mich versucht zurückzuhalten, tapfer zu sein aber als sie Sherlock vor meinen Augen schockten, nur um ihn dann aus meiner Sichtweite zu rollen als wir ankamen brach der Damm über mir zusammen.

Ich hatte zu viel verloren um mich nun aufrecht halten zu können, Mrs. Hudson welche geschworen hatte in ihrem Wagen nachzukommen legte ihre Arme um mich als sie mich zusammengesackt auf einem der Stühle im Wartebereicht entdeckte.

Auch sie war aufgewühlt, ihr konnte es nicht besser gehen als mir aber sie hielt sich würdevoller. Diese Frau war eine Legende. Wie schnell sie sich gefasst hatte nur um danach mir Trost zu spenden und mir beizustehen.

„Alles wird gut werden" murmelte sie, ihre Stimme klang ein wenig zittrig aber nichts im Vergleich zu mir sollte ich es wagen den Mund zu öffnen. Ich war versucht ihr an den Kopf zu werfen das sie das nicht wissen konnte, das wir das auch bei Rebecca gehofft hatten und sie war gestorben und nun hatte Sherlock ihr anscheinend folgen wollen. Bei Gott er war ein Genie, was wenn er eine Kombination von Medikamenten und Drogen genommen hatte die ihn definitiv umbringen würden.

Doch ich sagte nichts davon, wusste ich doch tief in mir drin das das falsch und unnötig verletzend wäre, die schlechteste aller Reaktionen. Ich nickte nur leicht und ließ mich weiter auffangen.


*


Eine Liste, warum in Gottes Namen hatte er eine Liste mit all den Sachen geschrieben die er sich eingeworfen hatte? Ergab das Sinn? Nicht wirklich aber es musste einen haben, er tat nichts Unlogisches. Es hatte ihm das Leben gerettet, vielleicht war das der Sinn. Das sollte mich erleichtern denn das hieße er hatte sich nicht umbringen wollen aber irgendwie hatte ich das Gefühl das da mehr war. Beziehungsweise das das einen versuchten Selbstmord nicht ausschloss.

Ich griff mir an dem Kopf, schüttelte mich um meine Gedanken zu bereinigen. Das wichtigste war das er Leben würde, ich hatte nicht noch Jemanden verloren. „Dr Watson was ist passiert?" Und wenn ich tausend Jahre leben würde hätte ich nie gedacht Mycroft Holmes atemlos und außerhalb seiner kühlen Verfassung zu sehen. Dies war nicht Sherlocks erster Krankenhausaufenthalt aber es war der schlimmste Vorfall seit ich ihn kannte.

Geschockt stellte ich fest dass ich niemanden angerufen hatte, auf der anderen Seite war er hier das bedeutete er hatte es gewusst, dieser Bastard hatte es gewusst und nichts unternommen oder? Verdammt jetzt war ich wütend und zu verwirrt um zu wissen ob das logisch war. „Das fragen sie mich, müssten sie nicht wissen was vor sich geht. Sie überwachen ihn doch so gern. Aber wie bei Rebecca haben sie zugelassen das....."

„Ist er...?" Tränen traten in seine Augen was mich pausieren ließ, was tat ich hier? Dieser Mann hatte seinem Bruder die Drogen nicht gegeben, im Gegenteil er hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht ihn zu beschützen. Seine Mittel waren fragwürdig aber seine Absichten unbestritten. Erst als ich wieder klar dachte wurde mir bewusst was ich gesagt hatte. Oh mein Gott, ich hatte gesagt wie bei Becky und sie war...

Erschrocken korrigierte ich mich „Nein er ist nicht tot". Ich konnte sehen wie eine Last von ihm abfiel. Ich Idiot, wie hatte ich ihn auch nur für eine Minute glauben machen können es wäre so. „Sie haben ihn wiederbelebt. Zwei Mal. In seiner Tasche war eine List von Dingen und Dosen die er sich selbst verabreicht hatte. Das hat ihm das Leben gerettet."

Müde setzte ich mich neben die britische Regierung. Er begann mir zu erzählen. Von Sherlock, wie sie sich nahe gewesen waren als Kinder aber wie ihre Beziehung zerbrach als er wegging um zur Universität zu gehen. Wie er Weihnachten zurück kam nur um festzustellen das sein kleiner Bruder alles Gute zu vergessen haben schien was sie verbunden hatte.

Wie er wenig später das erste Mal Drogen genommen hatte und wie Mycroft nicht anders gekonnt hatte als sich dafür die Schuld zu geben. Wie er einen Deal mit ihm gemacht hatte, nachdem er beinah gestorben wäre weil niemand ausmachen konnte was seine Überdosis beinhaltet hatte. Der Ursprung der Liste. Ein Testament dafür dass die Holmes Brüder in der Tat eine komplizierte Beziehung hatten, denn auch wenn Sherlock so tat als würde er seinen Bruder nicht ausstehen können, nicht einmal in all diesen Jahren war er zusammengebrochen ohne die Liste in seiner Tasche.

Mit jedem weiteren Wort wurde mir klarer dass ich mich nie bemüht hatte hinter die Fassade des Eismannes zu sehen oder zu hinterfragen warum er tat was er tat. Das würde sich nun ändern. Ich wünschte mir nur diese Erkenntnis hätte nicht zu so einem hohen Preis kommen müssen.


*


„Sieh ihn dir an" sagte Molly leise, ihr Blick voller Trauer aber auch etwas belehrendes als wöllte sie mir sagen das es eine unnötige Tragödie war, etwas das man hätte verhindern können.

Dabei wusste sie doch, sobald sie zu Rate gezogen wurde war alle Hoffnung dahin. Sie konnte nur noch Beweise sammeln um festzustellen ob und welches Verbrechen stattgefunden hatte damit ich im Gegenzug die Kriminellen jagen konnte.

Aber zumindest sah sie mich nicht mehr schmachtend an, kurz flackerte sie zu dieser Frau aus meinem Büro, ein Trick des Lichtes. Ich gab es nicht gerne zu aber John hatte recht mein Transport brauchte ruhe. Aber ich konnte nicht schlafen. Warum nicht? Es war langweilig aber ich hatte nie Probleme gehabt einzuschlafen. Was war los?

Das metallische Klappern der Instrumente auf ihrem Tisch brachte mich aus meinen Gedanken zurück. Doch plötzlich veränderte sich die Szene. Statt ihr Gegenüber zu stehen lag ich nun auf Mollys Seziertisch. Mein Körper war schwer wie Blei, ich konnte mich nicht rühren, wie Tod lag ich auf dem kalten Stahltisch.

„Warum hast du das getan Sherlock?" ihre Augen waren merkwürdig, voller Trauer aber nicht wie ich erwartet hätte, sie wirkte so weit weg, so passiv in ihrer Art. Eine Art Abbild von Molly Hooper. Durch den Nebel in meinem Hirn wurde mir klar das auch dies nur eine Halluzination war, ein Bild in meinem Gedächtnispalst erschaffen durch die Drogen in meinen Venen.

„Ich wollte sie sehen" antwortete ich, unfähig zu lügen oder zu schweigen aber Molly schien mich nicht zu hören, zu meinem Horror wollte sie nunmehr beginnen mich zu sezieren, mein innerstes offen zu legen dabei war ich nicht Tod. Was sollte das?

„Warum hast du dich umgebracht Sherlock?" fragte sie weiter, einen Moment inne haltend. Geschockt sah ich sie an, dies war nicht der Plan gewesen.


*

(26.07.2015 – London, England)


Die Ärzte hatten sein Leben gerettet aber sein Zustand war weiterhin alles andere als ideal. Um seinem Körper so viel ruhe wie möglich zu verschaffen hatten sie beschlossen Sherlock in ein künstliches Koma zu versetzen. Müde rieb ich mir übers Gesicht als ich neben seinem Bett saß und mir sein blasses Gesicht ansah, es war wahrscheinlich das Beste das er nicht wach war. Innerlich wusste ich das es nur schlechtes bringen würde sollte ich wenige Stunden nach seinem Rückfall mit ihm sprechen, noch hatte ich nicht verarbeitet was passiert war und meine Emotionen lagen noch verstreut in alle Richtungen.

Natürlich war ich froh und erleichtert dass er noch am Leben war. Es würden ein paar harte Wochen werden aber es gab eine Zukunft für ihn und das war im Prinzip alles was zählte und dennoch waren da auch die anderen Gefühle in mir.

Ich war so wütend aber mehr noch war ich enttäuscht. Er hatte zu Drogen gegriffen obwohl er es besser wissen müsste, obwohl er versprochen hatte stark zu sein, er hatte willentlich in Kauf genommen das Leben seiner Freunde noch mehr zu zerstören. Dieser Egoismus in meinem besten Freund machte mich rasend, er hätte doch zu mir kommen können. Ich wäre für ihn da gewesen hätte er auch nur Ansatzweise gezeigt das er das brauchte, das es ihm helfen würde.

Aber ich fühlte mich im gleichen Moment auch schuldig. Ich war Arzt, ich war Soldat gewesen, wie hatte ich die Anzeichen übersehen können? Wie hatte ich es so weit kommen lassen können? Ich hätte da sein müssen für ihn.

Wie oft würde ich noch versagen?

„Ich bin hier" sagte ich leise in die Stille des Zimmers die nur durch das Regelmäßige Piepsen der Maschinen unterbrochen wurde. Meine Hand fand seine und ich drückte sie kurz. Hoffend das er spürte das er nicht alleine war.


*

(??.??.???? - ???, ???)


Keuchend nahm ich einen Atemzug, meine Lungen brannten als wäre schmelzendes Glas in ihnen und mein Körper fühlte sich fremd an. Die Farben und das Licht um mich herum wirkten falsch als ich mich müde umsah. Ich lag in dem kargen Zimmer aus kaltem Beton in dem meine Rebecca gestorben war, jedoch war ich das nicht wirklich, dies war mein Gedächtnispalast, nicht die Realität.

„Diesmal erkennst du es schneller" drang eine bekannte Stimme an mein Ohr, ein Lächeln trat mir aufs Gesicht, wenn ich aussah wie ich mich fühlte war das wahrscheinlich kein schöner Anblick aber sie hatte das nie interessiert, sie hatte mich immer genommen wie ich war.

„Rebecca" murmelte ich mit schwerer Zunge, meinen schmerzenden Kopf in ihre Richtung drehend. Jedoch ergriff mich Verwirrung und ein dumpfes Stechen in der Brust als ich meine Augen auf sie richtete.

„Nicht wirklich" bestätigte sie was ich sah, wie in meiner vorherigen Halluzination war ihr Äußeres verändert. Die Haut auf ihren Armen war makellos und ihre Haare waren kürzer, gebleicht zu einem hellen Blond. Doch noch mehr als das, ihre Gesichtszüge und ihre Bewegungen hatten nichts von ihrer lieblichen Lebensfreude. Selbst ihre einzigartigen dunkelblauen Augen strahlten nicht wie der Nachhimmel mit seinen diamantenen Sternen.

Suvi setzte sich an eine der Wände, ihre Schritte und ihre Mimik waren ohne Mitgefühl, lieblos sah sie auf mich herab.

„Ich will dich nicht sehen" meine Worte hörten sich nicht deutlich ausgesprochen an doch sie verstand. Warum zeigte mir mein Verstand nicht die eine Person die ich sehen wollte, warum war alles was ich bekam ihr kalter Kontrapart. Sie lachte nur als Antwort auf meine Worte.

„Wir wissen alle wenn du sehen willst" hörte ich unerwartet die Stimme meines großen Bruders neben mir. Er stand im Türrahmen, dunkler dreiteiliger Anzug, Regenschirm und auf seinem Gesicht derselbe arrogante Ausdruck wie immer. Jedoch in seinen Augen stand Enttäuschung.

„Warum verschwindet ihr dann nicht und lasst sie erscheinen." murmelte ich geschlagen, meine Augen schließend, keinen Moment länger ihre Gesichter sehen wollend. Ich hatte Frieden gewollt und vielleicht einen Blick auf meine Frau, einen Moment lang hatte ich vergessen wollen das sie fort war, mich ihr nahe fühlen. Doch nun war ich ihr ferner denn je.

„Dies ist deine unterbewusste Vorstellung, Sherlock" er klang wieder so belehrend, es erinnerte mich an unsere Kindertage. Gott wie hasste ich diesen Tonfall.

„Ja" stimmte ihm Suvi zu, sie klang weniger ergriffen von der ganzen Situation, mehr als wäre sie eine unbeteiligte Kommentatorin. „Warum erlaubst du dir nicht sie zu sehen."

„Sie ist ganz eindeutig hier drin." übernahm nun wieder ihr neu gefundener Freund, ich öffnete rechtzeitig meine Augen um zu sehen wie er einen angeekelten Blick über seine Schulter nach hinten warf, er mochte wohl meine Räume nicht die bis zum Rand mit Erinnerungen an Rebecca gefüllt waren.

Genervt von dieser Szene versuchte ich mich zu konzentrieren. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen um die Beiden möglichst schnell verschwinden zu lassen um wenigstens einen kurzen Blick auf meine Frau erhaschen zu können bevor ich zwangsläufig aufwachen würde. Doch es nützte nichts.

„Liegt es vielleicht daran das du dich selbst bestrafst." schlug Suvi vor, sie beugte sich etwas nach vorn und genoss wahrscheinlich als ich meine Augen rollte und ihr antwortete, trotz meines Vorhabens die Beiden zu ignorieren um ihre Anwesenheit nicht weiter zu unterhalten.

„Für was?" spuckte ich ihr vor die Füße, wann hatte ich mich aufgerichtet? Kraftlos lehnte ich nun auch gegen eine der Wände, meine Finger langen schwer in meinem Schoß, die Nägel kurz und dreckig. Meine Locken hingen mir glanzlos vor den Augen als ich zu ihr sah.

„Du hast ihren letzten Wunsch missachtet" deutete mein Bruder auf das offenkundige hin. Er allein stand noch, typisch nicht einmal in meinem Kopf konnte ich mir vorstellen das er auf so einem dreckigen Boden sitzen würde.

„Oh ja" lachte nun Suvi, ihre so bekannten Gesichtszüge verzogen sich zu einer unbekannten Grimasse. Was war aus der neutralen Beobachterin geworden. Sie war ein Mysterium aber eines der wenigen dass ich nicht lösen wollte. Sie sollte einfach verschwinden. „Sei stärker als ich" zitierte sie spottend einen Teil von Rebeccas Abschiedsbrief an mich.

Ich grummelte noch bevor ich es verhindern konnte, ich fühlte mich schwach und hilflos meinem eigenen Unterbewusstsein gegenüber ausgeliefert. Das hatte ich nicht gewollt. Es sollte aufhören. Ich wollte doch nur meine Frau wiedersehen. Ihr sagen das ich sie liebte, sie vermisste und wenigstens den Schatten ihrer Liebe spüren.

„Verschwindet" schrie ich hilflos, mein Gesicht in meinen Händen versteckend, erschrocken feststellend das ich weinte. „haut ab" brachte ich mit schriller Stimme hervor bevor ich weitere Tränen fallen ließ, meine Schultern bebten unter meinen aufgewühlten Emotionen.

„Sherlock" hörte ich plötzlich ihre leise Stimme flüstern, ich roch Kokosnuss und Vanille und fühlte die Wärme ihrer Berührungen an meinem Körper. Ungläubig hob ich langsam den Kopf aus meinen Händen, immer in der Angst sie würde verschwinden sollte ich zu hastig reagieren. Als sich unsere Blicke trafen war es als würde mir alle Luft aus dem Lungen getrieben. Ihr Lächeln in meinem Kopf war beinah so schön wie sie es in der Realität gewesen war.

Ich versuchte zu sprechen aber nur Gestammel brach über meine Lippen in die Stille zwischen uns. Sie legte mir einen ihrer Finger auf die Lippen, ihr Blick voller Mitgefühl, Sorge in ihrem Ausdruck. Mein Herz schlug schmerzhaft schnell in meiner Brust und ich fühlte Elektrizität in meinen Adern.

Mein Körper gehorchte mir nicht, alles was ich tun konnte war sie anzusehen, dabei wollte ich nichts lieber als sie an mich zu drücken. „Was hast du dir nur dabei gedacht?" wenn möglich hasste ich mich nun noch mehr als ich ihre traurigen Worte hörte. Ich wollte mich erklären, ihr sagen was passiert war, warum ich es getan hatte und das es mir Leid tat aber noch immer unterlag ich dem Bann den sie über mich geworfen hatte.

Mit einer Hand strich sie mir liebevoll durch das Haar, wie lange konnte ich nicht sagen. Danach platzierte sie mir den zartesten Kuss auf die Stirn, wohlige Wärme ging von dieser Stelle aus. Es fühlte sich nach Vergebung an.

„Halte durch" bat sie mich bevor sie mir erneut entrissen wurde.

Die Welt wurde schwarz ohne sie und ich war dankbar dafür.

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