Opfer der Liebe


(20.12.1999 – Tallinn, Estland)


„Enna ich bitte dich" begann Paavo Kirsipuu nochmals, sie sprachen Englisch, als Übung und für den unwahrscheinlichen Fall das sie jemand belauschte. Die Villa, zumindest dieser Flügel, war zwar Menschenleer der Boss hatte eine große Aktion laufen, er und die meisten seiner Männer waren also beschäftigt. Aber dennoch etwas Vorsicht war angebracht, noch ahnte niemand etwas von ihrem Plan und so sollte es auch bleiben. „Überleg dir.."

„Paavo" wurde er von der sanften Stimme seiner zum Schutz Unterstellten unterbrochen. Sie kannte seine Zweifel, einige waren durchaus berechtigt aber dennoch hatte ihn das nicht abgehalten bei der Organisation ihres Verschwindens zu helfen. „Ich bin mir sicher."

Ihre Flucht aus der Welt des Verbrechens war schon lange in Planung, es bedurfte einiger sehr spezieller Vorbereitungen um einfach zu verschwinden. Er hatte unzählige Gefallen eingelöst, niemals verratend worum es genau ging, wenn er doch Arbeiten durchführen lassen musste bei denen man ihn hätte zurückverfolgen können, tja, sagen wir einfach das Menschen mit einer Kugel zwischen den Augen sehr vertrauenswürdig waren und selten auspackten.

Enna wusste nur zum Teil von seiner Vorgehensweise aber schocken würde es sie gewiss nicht, sie war die Tochter des Bosses, sie kannte die Art wie er Geschäfte machte und mit unliebsam gewordenen Konkurrenten oder Untergebenen umging. Sie hatten Beide genug Blut an den Händen.

„Suvi" begann er aber wurde wieder unterbrochen, sie wurde langsam sauer, sie war eine gute Mutter, alles was sie tat war für ihre Tochter das musste er doch wissen. „Wir tun das für Suvi" ihr Blick fand seinen.

„Sie soll ein besseres Leben haben, fernab von Gewalt, Tod und Schmerz." sie ging zum Kamin und sah in das prasselnde Feuer, die gemütliche Atmosphäre die das Knistern und die Wärme ausstrahlen sollten schien sie zu verspotten. Sie fühlte nur Anspannung und Müdigkeit in sich, sie war das Leben mit dem Verbrechen satt. Seit sie ein kleines Mädchen war hatte ihr Vater sie darauf vorbereitet eines Tages sein Imperium zu übernehmen.

Hatte ihren Körper und Geist auf ein Leben außerhalb des Gesetzes gedrillt. Sie ein ums andere Mal vor gnadenlose Prüfungen gestellt, sie gebrochen und wieder zusammengesetzt. Sie zu einer Verbrecherin, einer Killerin gemacht. Bis sie selbst daran geglaubt hatte das die Welt so war, des es nur das Gesetz des Stärkeren gab und das man sich nehmen musste was man wollte. Das Liebe für Kinder war, dass Schwäche bestraft werden musste egal wer sie zeigte.

Sie glauben lassen das es nur darauf ankam gefürchtet und respektiert zu werden. Das Gnadenlosigkeit und Berechnung alles war was sie brauchte um zu bestehen. In seiner Weltanschauung ging es nur darum an der Spitze zu stehen und Profit aus jedem zu schlagen der es nicht tat.

Enna hatte dies mit sich geschehen lassen, immer auf die Anerkennung ihres Vaters hoffend. Sich nach seiner Liebe gesehnt bis er ihr ausgetrieben hatte sich auf solche lächerlichen Dinge zu konzentrieren. Auf seine Art liebte er sie wohl und das war genug gewesen aber nun streckte er seine Hände nach Suvi aus.

Er wollte das einzig Gute in ihrem Leben nach derselben Methode umformen. An ihrem Fünften Geburtstag sollte ihre Ausbildung beginnen. In nicht einmal zwei Monaten wollte er anfangen aus dem fröhlichen Mädchen das jeden anstrahlte und kaum weinte eine gewissenlose Kriminelle zu formen.

Über Jahre würde er sie quälen bis aus dem Kind das Mitleid mit verletzten Insekten hatte eine Eiskalte Mörderin würde. Bis in ihren blauen Augen nichts weiter als kühle Gewissenlosigkeit stand, kein freudiges Strahlen oder unbeschwertes Lachen würde mehr über sie kommen, sie wäre genauso kaputt wie ihre Mutter es gewesen war bevor sie einen Engel geschickt bekommen hatte.

Suvi war ihre Erlösung gewesen, ihre zweite Chance, seit dem Moment als die Ärzte sie ihr auf die Brust gelegt hatten, schreiend und voller Leben, hatte Enna das Gefühl wieder etwas Gutes in sich spüren zu können. Sie hatte ihr das Glück und die verlorene Lebensfreude zurückgebracht, sie würde verdammt sein wenn sie zuließe dass ihr Vater ihr etwas antat.

„Ich weiß dass du das auch für sie möchtest." sprach sie versöhnlicher weiter, sie wusste ein Streit würde nichts bringen. Sie brauchte Paavo, ein Kommentar seinerseits hatte den Stein erst ins Rollen gebracht. Er hatte gesagt *Erst im Tod werden wir frei sein* oder etwas in der Art. Das hatte ihr die Idee in den Kopf gesetzt. Vorsichtig hatte sie ihren Aufpasser darauf angesprochen, er war ein ruhiger Mann, doch mit Suvi war er immer liebevoll umgegangen, zumindest wenn er dachte dass es niemand sah.

Und ihr Kind hatte ihn im Gegenzug ebenso in ihr Herz geschlossen. Sie malte ihm Bilder um sie ihm heimlich zuzustecken wenn niemand hinsah oder ließ ihn ihr liebstes Stofftier streicheln, glaubte sie doch dass dies Glück brachte. Er war nicht ihr Vater aber er würde es sein, sie hatte die Papiere für Suvi gesehen. Dort stand sein neuer Name Jack Kingsley unter der Spalte Vater in der neuen Geburtsurkunde.

„Natürlich will ich das aber du weißt was passiert wenn er uns findet." seine Stimme war fest, er hatte keine Angst vor dem Tod, in seinem Berufsfeld war es ein Wunder das er noch Lebte. Das einzige was ihm schwer im Magen lag war die Aussicht dass der Alte seine Wut auch an der Kleinen auslassen würde. Er hatte versucht es zu unterbinden aber er hatte eine Schwäche für das Kind entwickelt, sie passte nicht in das Leben in das sie geboren worden war.

Enna sah ihn lange an, er hatte nicht unrecht in seiner Angst. Ihr Vater zeigte niemals Gnade oder hatte Mitleid, auch wollte er für Versagen keine Gründe hören. Seine Wut und seine Strafen waren gefürchtet. Er war ein knallharter Bastard. „Ja aber ich weiß auch was passieren wird sollten wir bleiben." sagte sie, ihr Blick glitt von den Flammen zu ihrem Beschützer. „Ich habe meine Wahl getroffen." sie klang ebenso entschlossen und sie fühlte es in ihrem Herzen, dies war die richtige Entscheidung.

„Ich bin gewillt alles zu riskieren, alles aufzugeben für den Menschen den wir Beide mehr lieben als alles andere auf der Welt." langsam ging sie auf ihn zu, er beobachtete sie mit wachsamen Augen aber rührte sich keinen Millimeter aber hielt sie auch nicht auf als sie seine Hände in ihre nahm. Ihre Blicke fanden sich, fingen einander ein, die turbulente Welt außerhalb der Mauern verschwand und sie kommunizierten mehr über ihre Augen als sie es mit Worten jemals gekonnt hätten.

In Paavo starb auch noch das letzte bisschen Wiederstand, sie taten das richtige. Er nickte geschlagen und küsste mit sich schließenden Augen ihre zusammengefalteten Hände.


*

(04.07.2015 – London, England)


Das Gebäude lag einsam und verlassen an den ungenutzten Bahnschienen. Der rostige Bauzaun, der Eindringlinge fernhalten und Passanten darauf hinweisen sollte das es einen Wachschutz gab war zur Seite geschoben worden. Es war also definitiv jemand hier, ich glaubte Fingerspuren im Schmutz auf der Höhe zu sehen auf welcher Rebecca sie hinterlassen hätte. War sie doch kleiner als der Durchschnitt der Frauen in England.

Auch die Fußspuren auf dem sandigen Weg passten zu meiner Theorie dass ich am richtigen Ort war. Es waren nur einzelne Abdrücke von kleinen Frauenfüßen in Turnschuhen zu sehen, das Sohlenmuster passte zu den Sneakern die sie zum Zeitpunkt ihres Verschwindens angehabt hatte.

Meine Schritte gewannen an neuer Energie, ich lief den Spuren nach, sie führten zur anderen Seite des Gebäudes, als ich nach oben in die leeren Fensteraussparungen sah war mir als würde mein Herz stehen bleiben. Mein Verstand sagte mir was ich sah aber ich brauchte einen Moment um zu begreifen was es bedeutete. Sie musste dort auf dem Boden liegen, nahe dem Abgrund, einer ihrer Knöchel hing über den Betonboden aus einer Aussparung hinaus.

Ich rannte los, mehrere Stufen auf einmal nehmend. Ich hatte sie gefunden aber in was für einem Zustand konnte ich nicht sagen, ich musste zu ihr, in den zehnten Stock. Das Blut rauschte in meinen Ohren und das Adrenalin pulsierte in meinen Adern. Ich war so nahe meine Frau wieder zu haben, ich durfte einfach nicht zu spät sein. Sollte ich sie rufen? Ich hatte Angst, ja panische Angst das sie sich dann aus dem Fenster werfen würde weil sie zu weit entfernt war um gerettet werden zu wollen also sagte ich nichts.

Der Staub unter meinen Füßen knirschte, ich sah alles, doch beobachtete nichts, es wurde für später gespeichert aber in diesem Augenblick war ich nichts weiter als ein Mann auf der Suche nach der Frau die er liebte. Sie war allein, so viel hatte ich festgestellt, doch das wichtigste sie war hier. Nichts würde mich nun davon abhalten sie nach Hause zu bringen.

Logisch wäre es gewesen John zu informieren aber ich hatte keinen klugen Gedanken mehr gehabt seit ich ihren Schuh aus tödlicher Höhe aus dem Gebäude ragen gesehen hatte. Unterbewusst zählte ich die Etagen die ich hinter mir zurückließ, kletterte immer höher die Treppen hinauf. Mit wild pochendem Herzen und Lungen die in Flammen zu stehen schienen. Ich nahm all meine Kraft zusammen als ich zum Endspurt ansetzte.

Ich hatte so viel Schwung das ich beinah gegen eine Wand prallte als ich in der zehnten Etage ankam, doch ich fing mich rechtzeitig. Die Nacht sowie die Tage davor hatten mich ausgezerrt doch erstmal war nur Rebecca wichtig. Sie würde einen Krankenwagen brauchen um das Gift aus ihrem Körper zu spülen oder eventuelle Wunden zu verbinden. Doch dazu wäre noch Zeit wenn....

Meine Schritte und Gedanken starben als ich durch die Tür in den richtigen Raum trat. Sie war das erste was ich sah, ich hatte sie tatsächlich gefunden. Wie angenommen lag sie dicht neben dem Abgrund auf ihrer Seite, doch der Wind der an ihren Kleidern und ihrem Haar spielte war das einzige was ihren Körper bewegte, ihr Brustkorb hob und senkte sich nicht, kein Herzschlag war erkennbar, keine Bewegungen hinter ihren geschlossenen Augenliedern. Ich wusste was das bedeutete doch erst mit einem Moment Verzögerung kam die Deduktion an:


Ich war zu spät gekommen.


Rebecca war tot.





[A/N: Bitte hasst mich nicht. Seit stark. Passt gut auf.]

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