Getrennt


(31.08.2015 – London, England)


Wie jeden Tag seit Sherlocks Einlieferung in der Klinik rief ich in eben jener an, seit über einer Woche hatte ich weder mit Sherlock sprechen noch ihn besuchen können, so langsam wurde ich ungeduldig, streichen wir das, ich war ungeduldig und stand kurz davor mir gewaltsam Zutritt zu verschaffen.

Mycroft sah es vielleicht gelassen das die Ärzte uns verboten mit ihm zu sprechen solange er nicht mit ihnen sprach aber ich war sein bester Freund, ich wollte wissen wie es ihm erging und das wollte ich von ihm wissen und nicht von irgendwelchen Fremden.

Meine Finger spielten zur Beschäftigung mit der Kette von Becky die nunmehr durch einen grausamen Schlag des Schicksals in meiner Obhut war, ich hatte es immer ein wenig lächerlich gefunden wie die Beiden sie niemals abgelegt hatten und wie sehr sie darauf achteten aber seit sie bei mir war hatte ich sie ebenfalls kaum abgenommen. Es als meine Pflicht angesehen darauf aufzupassen.

In Sherlocks Koffer hatte ich nichts packen dürfen das ihn an Rebecca erinnern würde oder an das er sich, in den Worten der Therapeutin: ungesund klammern konnte. Mrs Hudson hatte mich missbilligend angesehen als ich an jedem Morgen ohne Sherlock in die Wohnung zurück gekommen war und ihr mit hängenden Schultern erzählte hatte was geschehen war und welche Konsequenzen dies nach sich zog.

Sie hatte auch darauf bestanden das wir zumindest versuchen diese Regel zu umgehen, wie eine Mutter hatte sie um ihren Jungen gebannt und deshalb den Morgenmantel eingepackt den Becky immer gestohlen hatte aber natürlich hatte die britische Regierung uns mit einem Blick durchschaut und das Kleidungsstück umgetauscht. Auch das Foto von ihr das ich in dem Kulturtäschchen versteckt hatte war entdeckt worden, jenes hatte Mycroft jedoch eingesteckt statt es mir zurückzugeben.

Ich hörte dem Freizeichen geduldig zu, wissend das es durchaus einen Moment dauern konnte bis Dr. Mortimer ans Telefon ging. Jeden Tag rief ich an da ich nicht anders konnte, ich musste einfach wissen was mit ihm geschah, ich fühlte mich so schuldig, sein leerer Sessel stand wie eine Anklage in unserem Wohnzimmer, logischer weise wusste ich das ich nicht viele Möglichkeiten gehabt hatte aber dennoch, es war brutal.

Rebeccas Foto auf dem Kaminsims war ein weiterer Nagel in meinem Sarg, was würde sie zu mir sagen könnte sie sehen zu was uns ihr Tod geführt hatte, wie weit wir gegangen waren und wohin ich es hatte treiben lassen. Ich hatte versagt aber dies war ein schmerzlich bekanntes Gefühl.

„Doktor Watson" grüßte mich die Stimme der weiblichen Therapeutin, ich war froh das wir zum professionellen Sie übergangen waren, am Anfang hatte ich noch geflirtet aber nun war mir dies vergangen. Natürlich hatte sie meinen Anruf bereits erwartet, er kam ja jeden Tag zu ungefähr der gleichen Zeit.

„Doktor Mortimer" meine Stimme war gezwungen ruhig, dennoch war es für eine Ärztin des Geistes keine Schwierigkeit meinen Gemütszustand zu erraten. „Ich möchte Sherlock besuchen oder zumindest mit ihm sprechen." Verlangte ich sogleich, was brachte es schon um den heißen Brei herum zu reden.

Sie klang als würde sie zu einem ihrer Patienten sprechen als sie sagte „Mr. Holmes weigert sich immer noch zu sprechen also kann ich ihrer Bitte nicht nachgeben, das wissen sie". Gott ich hasste Therapeuten und ihre Art zu sprechen. Ich hatte wirklich Mitleid und konnte es Sherlock im Grunde nicht verübeln das er lieber Schwieg. Für ein Genie wie ihn musste es schwer sein sich einem Goldfisch mit Doktortitel zu öffnen.

„Deshalb sollten sie mich zu ihm lassen." Versuchte ich es anders, wissend das reines bitten mich nicht weiter gebracht hatte und auch das Geduldspiel mich nicht zum Sieger machte. „Mit mir wird er sprechen." Wie sehr ich doch hoffte das dies wahr war. Allein der Gedanke das er mich lediglich ansehen und mit Schweigen strafen würde brachte mein Herz zum Bluten. Auch wenn ein Teil von mir glaubte das ich genau das verdient hatte.

„Das ist gut möglich Doktor Watson" sagte sie unverändert. „Aber Ziel der Therapie ist es das er sich auch mir gegenüber öffnet, damit ich ihm helfen kann. Ihn in alte Verhaltensmuster fallen zu lassen wird ihm auf lange Sicht nicht helfen."

„Eigentlich war das Ziel seines Aufenthalts das er sich wieder fängt und fähig ist weiter zu machen. Es wird weder ihm, noch ihnen etwas bringen wenn er schweigend dasitzt und sie sich weigern alles Mögliche zu tun damit er sich öffnet. Ich bin ihre beste Chance."

„Ich verstehe ihre Sorge um Mr Holmes, sie beide haben etwas traumatisches erlebt aber ich kann nicht zulassen das er sie wie gewohnt manipuliert um zu bekommen was er will"

„Was bitte schön wollen sie damit andeuten"

„Ich deute nichts an, ich sage ganz offen das ich denke das sie Teil des Problems sind. Sie erlauben ihm sein Verhalten unverändert fortzuführen solange es nur das Minimum der Norm erreicht."

„Teil des Problems?!?! Alles was ich tue, tue ich damit es ihm besser geht. Niemals habe ich etwas anderes gewollt als sein Bestes" ich hatte alles versucht was in meiner Macht gestanden hatte.

„Ich bestreite nicht das sie tun was sie als das beste erachten aber Mr. Holmes muss fähig sein ohne ihre Zuneigung und ihren guten Willen wie eine Krücke nutzend zu leben."

„Sie haben ja keine Ahnung von was sie sprechen" mein Tonfall war patzig aber ich war außer mir, sie sprach als wüsste sie alles über uns, dabei war sie nicht mehr als eine Fremde der Mycroft einige Geschichten erzählt hatte.

„Doch das habe ich und das war mein letztes Wort in dieser Sache, sie können sich gerne weiterhin nach seinem Zustand erkundigen aber bis ich es gestatte werden sie nicht mit ihm sprechen." Die Endgültigkeit mit der sie ihre Worte verklingen ließ brachte meinen Kiefer zum Fallen. Sherlock war doch kein Häftling und sie nicht sein Wärter.

Doch noch bevor ich ihr ein großes Stück meiner Meinung zu ihrem Verhalten und ihren Methoden in den Hals rammen konnte hörte ich das bekannte tuten eines beendeten Gespräches. Sie hatte einfach aufgelegt. Meine Finger drückten in einem Versuch mich zu beruhigen das Telefon bis ich ein knacken vernahm. Erschrocken über die Intensität meiner Gefühle und meines Griffs ließ ich locker, nahm einen tiefen Atemzug und legte mir die nächsten Schritte zurecht.

In die Klinik zu stürmen durfte nicht das nächste sein was ich tat, eine letzte Option definitiv aber vorher sollte ich versuchen vernünftig zu sein. Die Schuld an Sherlocks Einlieferung durfte nicht mein Handeln bestimmen. Sie sollte mich jedoch auch nicht betäuben, irgendetwas musste ich tun. Sherlock nochmals hängen zu lassen stand nicht zur Debatte.

Ich legte meinen Kopf in den Nacken und dachte nach. Neben mir konnte ich Rebecca beinah hören wie sie von mir verlangte ihn da raus zu holen, ich konnte sie mir bildlich vorstellen und das obwohl ich sie nie wirklich sauer gesehen hatte. Sie hatte immer so viel Geduld und liebe für uns übrig gehabt, doch ich zweifelte keine Minute daran das sie wie eine Löwin vor uns gestanden hätte wäre es nötig gewesen.

So wie es aussah gab es jedoch nur einen an den ich mich wenden konnte und der vielleicht etwas tun konnte um unserem Lockenkopf zu helfen.

Mycroft Holmes musste einfach einsehen das dies nicht der richtige Weg war.


*

(02.09.2015 – London, England)


Es war nicht einfach gewesen die britische Regierung zu fassen zu bekommen aber am Ende hatte ich einfach so lange auf allen Kanälen nach ihm gerufen bis es ihm wohl einfacher vorkam sich meine Bedenken anzuhören anstatt sie zu ignorieren, das hieß jedoch nicht das er einsichtig oder gar offen war.

„Doktor Watson, ich verstehe das sie sich Sorgen um meinen Bruder machen. In gewisser Hinsicht weiß ich dies auch zu schätzen aber sie müssen mir glauben das ich die besten Ärzte des Landes mit seiner Behandlung beauftragt habe. Wir müssen auf ihre Methoden vertrauen." Waren seine Worte nachdem ich ihm von meinem Gespräch mit Doktor Mortimer erzählt hatte.

Ich schloss frustriert einen Moment lang meine Augen um mich zu sammeln, das durfte doch nicht wahr sein, nicht er auch noch. Warum war er nicht angespannter im Angesicht der Tatsache das sein Bruder nicht sprach, seine Therapie verweigerte und es uns nicht erlaubt war ihn zu besuchen oder einfach nur mit ihm zu sprechen, ein Telefonat wäre doch bereits ausreichend.

Auf der anderen Seite, was hatte ich erwartet von einem Mann der als Eismann Karriere gemacht hatte. Es ärgerte mich das ich beinah auf seine -ich habe ein Herz und tiefere Gründe- Nummer im Krankenhaus reingefallen war. Denn bis jetzt hatte ich nichts gesehen was diese Behauptung bewies. Stattdessen hatte er sich erst von uns zurückgezogen (wegen der Liebe aber dennoch war es hart seinen Bruder einfach fallen zu lassen) und dann hatte er kein einziges tröstendes Wort gehabt als Sherlock ihn am meisten gebraucht hatte. Stattdessen hatte er mich erpresst einzuwilligen ihn einweisen zu lassen.

„Ich will doch auch nicht in seinen Therapieplan eingreifen" versuchte ich ihm begreiflich zu machen worum es mir ging. „Alles was ich will sind ein paar Minuten mit ihm am Telefon, selbst wenn er es wöllte könnte er mich nicht beeinflussen etwas zu tun oder wovor auch immer diese Frau Angst hat was passiert wenn er mit mir spricht."

„Ihre Sicht der Dinge ist mir durchaus klar." Er sprach die Worte als hätte er bereits jeden meiner, für ihn unterentwickelten, Gedanken begriffen, durchgedacht und abgelehnt. Als sagte ich ihm nur was er bereits von mir erwartete, ich schluckte die glühende Wut die sich darauf in meinem Bauch sammelte nach unten, ihm eine reinzuhauen, so verlockend und befriedigend dies auch wäre, würde mir nichts bringen, in weiterer Sicht zumindest.

„Ist ihnen auch klar" sprach er weiter, eine Augenbraue nach oben ziehend als hätte er meine Gedanken gehört „das ich sie immer noch wegen des Einbruchs und des Diebstahls meines Wagens anzeigen könnte?"

Meine dumme Sucht nach Gefahren schnappte in den Vordergrund meiner Gedanken als ich diese kaum versteckte Drohung hörte. „Ich glaube langsam Sherlock wäre im Gefängnis mit mir besser aufgehoben als unter ihrer Fürsorge" das letzte Wort spuckte ich ihm wie eine Beleidigung entgegen.

Ein Geräusch das nicht von einem von uns verursacht wurde riss uns aus unserem, meinen Worten folgenden, Starrwettbewerb. Es war ein knacken von dem alten Parkettboden wie der unter unseren Füßen aber es war niemand sonst im Zimmer, war Anne hier? Musste er deshalb den starken Mann heraus hängen lassen? War er deshalb so kurz angebunden in letzter Zeit?

Ich glaubte etwas in seinem Gesicht flackern zu sehen aber bevor ich greifen konnte was es war richtete er sich wenn möglich noch weiter auf und sein Gesicht glich derselben ausdruckslosen Miene wie immer.

„Wir beide haben uns in Rage geredet und ich denke es wäre das beste wir setzen dieses Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt fort." Noch bevor ich fassen konnte was geschah hatte er mich buchstäblich vor die Tür komplimentiert, höfflich, kühl und ohne auf eine Antwort zu warten. Erst als das Schloss hinter mir einrastete begriff ich das ich vor die Tür gesetzt worden war. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, gut dann würde ich es eben auf meine Art durchziehen. Immerhin verbrachte man nicht zwei Jahre an Sherlock Holmes Seite ohne das ein oder andere zu lernen.

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