Tag - Epilog

Nur halb zufrieden lehne ich mich in meinem Schreibtischstuhl zurück. Immer wieder lese ich über die letzten Seiten. Eigentlich sollte es doch anders werden. Es sollte real sein. Doch der Verlag hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Happy Ends kämen besser an, sagten sie. Die Leuten wollen so etwas nicht lesen, meinten sie.

Dabei finde ich, dass jeder die Wahrheit erfahren sollte. 
Mit dem Buch wollte ich doch nicht zeigen, wie perfekt alles sein kann. Ich wollte den Menschen die Augen öffnen und die Realität zeigen. Dazu gehört nun mal auch, dass es im echten Leben nie ein Happy End gibt. Denn zwangsläufig endet es immer mit dem Tod. Egal wann, egal wie, aber der Tod als das Ende jeder Geschichte ist unvermeidbar.

Denn in Wahrheit ist nicht immer alles rosa rot. Oft ist es dunkel und schwer, manchmal hell und voller Hoffnung, und dann auch wieder blutrot. So schwarz wie die Schuld an meinen Händen, so schwer wie die Last auf meinen Schultern.

Drei Jahre ist es her und noch immer verfolgen mich die Bilder. Noch immer spüre ich das Entsetzen in mir, wie mein Herz kurz aufhörte zu schlagen, all meine Luft mir aus den Lungen wich. Jeden Abend höre ich die panischen Schreie und das elendige Geräusch, wie Blut den Rachen eines Mannes füllt, welcher langsam und unabwendbar daran erstickt. In der Stille höre ich den ohrenbetäubenden Knall, der Haut, Knochen, Nerven und mein Herz zerfetzte. 

Und wenn ich in meinem Bett liege, alleine, und die Augen schließe, nach Ruhe und Erholung suche, sehe ich es, als würde es in diesem Moment passieren.

Jeden Tag frage ich mich wann die Schuld mich verlässt. Ist es überhaupt möglich jemals wieder ohne sie zu leben?

Denn in Wahrheit, bin ich kein Held. Kein Retter. Ein Feigling. Tatenlos habe ich zugesehen. Ich hätte die Polizei rufen können. Dazwischen gehen können. Ich hätte irgendwas tun können. Tun müssen. Aber ich stand einfach so da. Es war, als wäre ich betäubt. Mein Körper gehorchte mir nicht, meine Sinne waren eingeschränkt. Alles um mich herum habe ich ausgeblendet, außer diese schreckliche Szene. Einfach beobachtet habe ich das ganze. Zugesehen. 

Ich hab einfach zugesehen, wie er hingerichtet wurde. 

Ich hab einfach nur mit angesehen, wie er hilflos in den Lauf der Pistole starrte. Als niemand etwas tat, außer zu hoffen, war ich dabei. Doch auch wenn die Hoffnung zu letzt stirbt, stirbt sie. Und mit ihr ein Unschuldiger.

Noch immer wird mir schlecht, als ich mich erinnere, wie er da lag. Einige qualvolle Sekunden, wenn nicht sogar Minuten, kämpfte er noch um sein Leben. Doch das Blut war überall. Auf dem Boden, in seinem Gesicht, in seinen Lungen. Nach unendlich langen Momenten verstummte das elendige Würgen. Alles verstummte und die Stille nahm die Werkstatt in ihren Bann. Doch lange hielt es nicht an. Die ersten rissen sich aus ihren Starren, rannten auf die anderen zu und schlugen wieder auf einander ein. Die nächsten schrien und weinten, versammelten sich um den Toten. Und ich?


Feige wie ich war, rannte ich. Weg, so weit weg wie möglich. Ich blickte nicht zurück. Ich sah ihn nie wieder.

Ohne Verabschiedung, ohne ihm die letzte Ehre zu erweisen, bin ich weg gerannt. 

Weg, von dem Ort, an dem er starb. Weg, von dort, wo er mich verlassen hat. Weg, von zu Hause. Weg, von meiner Familie und meinen Verpflichtungen. Hinein, in ein armseliges Leben. Allein und einsam. Arm und ohne Schulabschluss. Weiter zum Alkohol. Dann ging es aufwärts. Von den zweitklassigen Romanen kann ich leben. Eine große Wohnung, schicke Kleidung. Doch noch immer bin ich allein mit meiner Schuld.

Ich hätte etwas unternehmen müssen. Ihn retten. So wie in dem Buch, so wie ich es geschrieben habe. Doch es ist eben nur eine Geschichte, reine Fiktion. Denn in Wahrheit gibt es keine Happy Ends. Und auch wenn die Nacht zum Tag wird, geht die Sonne doch immer wieder unter. Niemals bleibt es auf ewig hell, die Dunkelheit gewinnt jedesmal. 


Denn in der Realität, wird der Tag zur Nacht, und jede Geschichte endet mit dem Tot. 


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