Sonnenaufgang

Ein stoß in meine Rippen reißt mich unsanft aus meinem Schlaf. Unsicher hebe ich den Kopf, bis meine Augen auf die von Ms. Stilinski treffen. "Erst schreiben Sie eine miserable Klausur und dann schlafen Sie während meines Unterrichts. Langweilen wir Sie etwa, Mr. Novak?"

Hilfesuchend sehe ich zu meinem Sitznachbarn Jason, welcher aber anscheinend auch nicht weiß, wie er mich retten kann. Ich räuspere mich, um mir etwas Zeit zum nachdenken zu verschaffen. "Tut mir leid, Ms. Stilinski. Das wird nicht mehr vorkommen."

"Das will ich doch auch hoffen." Mit einem wütenden Blick schmeißt sie mir meine Arbeit auf den Tisch, bevor sie weiter durch die Reihen geht. Noch immer spüre ich die Blicke der anderen auf mir. Meine zitternden Finger öffnen die Klausurbögen und blättern diese durch, bis ich die Seite mit der Note gefunden habe. Fünf plus, na super, das darf ich heute erstmal meinen Eltern erklären, die nach den letzten Tage sowieso nicht gut auf mich zu sprechen sind. Ich weiß nciht mal, ob sie herausgefunden haben, dass ich letzte Nacht abgehauen bin, da ich von Jensen aus direkt zur Schule bin. Seit Tagen habe ich nicht mehr richtig geschlafen, weshalb es mir glaube ich nicht zu verübeln ist, dass ich hin und wieder im Unterricht einnicke. Glücklicherweise habe ich den Schultag gleich überstanden und kann nach Hause in mein Bett. 

Als Jessica mir auf dem Weg nach Hause von ihren Wochendplänen erzählt, schalte ich auf Durchzug. Heute scheint mich so gar nichts zu interessieren und alles zu nerven, liegt vermutlich am Schlafmangel. 

Purste Erleichterung überfällt mich, als ich endlich durch die Haustür trete und nur noch wenige Meter von meinem rettenden Bett entfernt bin. Doch soweit soll es gar nicht kommen. 
"Du bist ja auch mal wieder zu Hause." Erstarrt bleibe ich auf der Treppe stehen und traue mich nur langsam mich zu meinem Vater umzudrehen.

Kein Wort kann ich herausbringen, bevor er fortfährt. Sein Blick voller Wut und Enttäuschung. "Ich wusste gar nicht, dass man mittlerweile mitten in der Nacht los muss, um pünktlich zum Unterricht zu erscheinen." "Ich-" "Keine Ausreden. Wo warst du?"

Während ich die wenigen Stufen wieder nach unten nehme, versuche ich verzweifelt mich zu erklären, doch ehrlich gesagt, fällt mir keine plausible Lüge ein. Andererseits kann ich auch niemals die Wahrheit erzählen, das geht nicht. Also entschließe ich mich dafür einfach zu schweigen. 

"Jimmy! Wo warst du letzte Nacht verdammt nochmal?! Was ist bloß in den letzten Tagen in dich gefahren?! So kennen wir dich doch gar nicht!" Schwer schluckend reibe ich mir über den Nacken. Was soll ich schon sagen? 
Nach einigen Momenten des Schweigens scheint mein Vater zu merken, dass er nichts mehr aus mir herausbekommt. Seufzend macht er mir deutlich, dass das alles noch nicht geklärt wäre. 

"Ach, und müsstest du nicht langsam deine Mathearbeit wiederbekommen?" 
Fuck. Ohne nur ein Wort zu sagen, ziehe ich sie aus meinem Rucksack heraus und drücke sie in die Hände meines Vaters. Zum Selbstschutz warte ich nicht auf seine Reaktion, sondern nutze die Zeit, in der er durch die Bögen blättert, um mich auf meinem Zimmer zu verziehen.

Ich bin sowas von am Arsch. Wie erwartet dauert es nicht lange, bis das Geschrei von neuem anfängt. Als ich die schweren Schritte auf der Treppe höre, schließe ich schnell meine Tür ab. Ich hab jetzt alles andere als Lust darauf, mit meinem Vater weiter zu diskutieren.
Er würde nur noch mehr Fragen stellen, auf die ich keine Antwort geben kann. 
Sein Klopfen und sein Rufen versuche ich mit einem Kissen auf den Ohren auszublenden. Und ich weiß nicht, ob das erfolgreich war, oder er es aufgegeben hat, aber nach einigen Minute schaffe ich es endlich einzuschlafen.

Erst Abends wache ich wieder auf, fühle mich erschöpfter als je zuvor. Am liebsten würde ich für immer in meinem Bett bleiben, doch das laute Knurren meines Magens zwingt mich zum aufstehen. In der Hoffnung, dass meine Eltern mich nicht bemerken, schleiche ich in die Küche. Um Zeit hier unten zu sparen, schnappe ich mir einfach die Packung Toast, ein Messer und das Nutellaglas, womit  ich mich möglichst unauffällig wieder nach oben verziehen möchte. Kurz wage ich einen Blick ins Wohnzimmer, wie so oft sind meine Eltern auf der Couch eingeschlafen. Auf dem Weg nach oben, sehe ich wie die Arbeitszimmertür offen steht, auf dem Schreibtisch liegt mein Handy. Einige Augenblicke hadere ich mit mir, bevor ich all meinen Mut zusammen nehme und es mir schnappe. Als würde ich verfolgt werden sprinte ich in mein Zimmer und schließe mich wieder ein.

Während mein Handy wieder hochfährt schmiere ich mir zwei Brote. Gleichzeitig esse ich und scrolle durch die etlichen ungelesenen Nachrichten. Das meiste in Gruppen, was mich konkret nichts angeht. Die meisten werden wohl meinen Status gesehen haben und mich nicht angeschrieben haben. Eilig ändere ich diesen wieder zu 'erreichbar'.

Nach meinem vierten Nutellatoast habe ich auch Instagram, Facebook und Co durch, also speichere ich noch Jensen's Nummer ein und entscheide mich dazu ihn anzuschreiben.

Immer wieder tippe ich einen Text und lösche ihn wieder, bis ich einfach das schreibe, was ich als erstes gedacht hatte, auch wenn es ziemlich stumpf wirken muss.

Hey, habe mein Handy wieder.
- J 

Überrascht stelle ich fest, dass Jensen die Nachricht nach nur wenigen Sekunden gelesen hat und auf der Stelle antwortet.

Ist also wieder alles mit deinen Eltern geklärt?

Kurz erkläre ich ihm, dass es eigentlich nur noch mehr Stress gab, ich mir mein Handy einfach zurück genommen habe und mir die Decke auf den Kopf fällt. Ein einfaches Komm doch heute wieder in der Werkstatt vorbei , ist sein Vorschlag. Ich hadere mit mir, wenn ich daran zurückdenke, wie müde ich doch den Tag war und noch bin und wie viel Stress ich noch mit meinen Eltern bekommen würde. 
Andererseits: Kann es wirklich noch schlimmer kommen?
Was wollen die schon tun, außer mir noch mehr Hausarrest zu geben, aus dem ich mich raus schleichen kann. Klar würden weitere Ansprachen folgen, aber wirklich zu Herzen nehme ich mir die sowieso nicht mehr. 

Ich antworte ihm, dass ich mich nochmal aufs Ohr haue und dann vorbei kommen werde. 
Also tanke ich noch einmal ein wenig Schlaf, bevor ich mich, so wie gestern, aus dem Haus schleiche. Leider hatte ich etwas länger geschlafen als geplant, weshalb es schon vier Uhr Nachts ist. Als ich an der Werkstatt ankomme, ist es schon nicht mehr stockdunkel, auch wenn die Sonne noch nicht zu sehen ist.

Ich will gerade die sowieso schon halb offene Tür öffnen, da höre ich lautes Geschrei. Neugierig wie ich bin, luke ich durch die Öffnung. Jensen und ein anderer Mann, den ich noch nie gesehen habe, stehen sich gegenüber, um sie herum einige der Eagles und weitere Fremde. 

"Hör zu Mann! Wir wollen keinen Stress ja? Der Junge hat einen Fehler gemacht. Er ist noch neu und wusste nicht wo die Grenzen sind. Das wird nicht mehr vorkommen, ja?", redet Jensen beschwichtigend auf seinen Gegenüber ein. Ein groß gebauter Mann, mindestens einen Kopf größer als der Eagle. Doch dieser scheint sich nicht beruhigen zu lassen. Einen Raunen geht durch die Masse, als er ausholt und mit seinem Schlag Jensen ins Taumeln geraten lässt. Mein Magen krampft sich zusammen, als ich zu sehen muss, wie er, als er nochmal versucht die Situation zu schlichten, wieder einen Schlag abbekommt. Doch diesen lässt er nicht so einfach auf sich sitzen und teil nun selber aus.

Schnell artet alles aus. Die beiden Anführer liegen auf den Boden, schlagen unbarmherzig aufeinander ein und nun greifen auch die anderen ins Geschehen ein und gehen aufeinander los. Jetzt kann ich auch die Fremden erkennen. Rote Flammen leuchten auf ihren Rücken auf, eine verfeindete Bikergang der Eagles.

Unsicher, ob ich die Polizei rufen sollte oder den anderen helfen, stehe ich weiter in der Tür und beobachte das Geschehen. Ich muss ihnen helfen, denke ich mir immer wieder, aber ich kann nicht. Was soll ich auch schon ausrichten? Aber ich kann ihnen auch nicht die Polizei auf den Hals hetzen, das würde niemanden etwas bringen. Also gucke ich einfach weiter zu.

Ein lautes Knallen lässt mich und alle anderen zusammen zucken. Der Anführer der Gegner hält seine Pistole in die Luft, während er über Jensen steht, welcher gerade versucht sich vom Boden zu erheben. Doch als die Waffe auf ihn gerichtet wird, erstarrt er und alle anderen. Keiner scheint sich zu trauen, sich zu bewegen, oder gar zu atmen, als der Brünette in den Lauf einer Pistole starrt.

Ich muss etwas tun. Ich muss das verhindern. Ich kann nicht zulassen, dass sie ihm was antun. Verzweifelt sehe ich mich um, als mir ein Licht auf geht. Es muss einfach funktionieren. Ich löse mich von meinem Platz und schleiche mich um das Gebäude herum, bis ich in dem Hinterhof angelangt bin. Von dort aus quetsche ich mich durch die Tür, in die Halle herein. Noch unbemerkt von allen anderen, da alle Augen auf die beiden Männer in der Mitte gerichtet sind. 
Meine Hände zittern, als ich die Kabel einstecke.  Immer wieder huscht mein Blick rüber, um sicher zu gehen, dass ich unbemerkt bleibe. Nur noch wenige Tastendrücke und laute Polizeisirenen erfüllen die Werkstatt. Ich verstecke mich hinter einem Sessel, während ich beobachte, wie alle in Panik ausbrechen. Den Moment der Aufregung nutzt Jensen um seinem Gegenüber die Waffe aus der Hand zu schlagen, bevor er und die anderen Eagles durch den Hinterausgang flüchten. Auch die verfeindeten Biker nehmen Reißaus. Ich mische mich unter das Getümmel, folge so allen unbemerkt aus der Halle.

Im Hof warte ich auf Jensen, welcher als letzter das Gebäude verlässt. Ebenso wie die meisten anderen, sieht er ziemlich zugerichtet aus. Blut läuft aus einer Platzwunde auf seiner Stirn über sein Gesicht. Sein Auge und seine Lippe sind angeschwollen. Erschrocken sieht er mich an, als er mich bemerkt. "Oh Gott, J. Was machst du hier? Du musst hier weg, schnell. Die Bullen kommen. Die dürfen dich nicht mit uns sehen." Grob schubst er mich in die gegengesetzte Richtung, wie alle anderen rennen. Kopfschüttelnd bleibe ich stehen, ein Grinsen schleicht sich auf meine Lippen.

"Hier kommt keine Polizei. Ich hab eine App, die alle möglichen Geräusche nachmachen kann. Auch Polizeisirenen. Und ihr habt eine große Anlage," erkläre ich.

Ungläubig schüttelt Jensen den Kopf, bevor er auflacht. "Du kleines Genie." Mit einem lauten Pfiff, hält er seine Leute auf, währenddessen schalte ich die Sirenen  aus.

Einige der Eagles verriegeln alle Ein- und Ausgänge der Werkstatt, um zu verhindern, dass die anderen noch einmal ungewünscht zu Besuch kommen. Ich hingegen zwinge Jensen dazu, sich hinzusetzen, bevor ich ein paar Lappen und Verbände finde. Vorsichtig säubere ich seine Wunden, doch als ich einen Verband um seinen Kopf wickeln will, drückt er meine Hand weg. "Es geht schon, J. Ist halb so schlimm." "Aber-" "Es geht." Bestimmend sieht er mich an, weshalb ich seufzend aufgebe. Er ist ein Sturrkopf. Vermutlich sieht ihm ein Verband nicht cool genug aus. Auch meine Überredungsversuche ihn in ein Krankenhaus zu bekommen, scheitern.

"Wir sollten wegfahren." Schlage ich nach einer weile aus dem Nichts vor. "Einfach weg. Weg von diesen Typen mit der Waffe, weg von meiner Familie."
Überrascht mustert mich der Ältere, bevor er den Kopf schüttelt. "Ich kann hier nicht weg. Ich weiß, dass du es zu Hause momentan nicht leicht hast, aber ich hab ihr meine Familie gefunden, J. Ich kann die alle nicht einfach zurücklassen."

Enttäuscht sehe ich auf den Boden vor mir. 

"Aber für ein paar Wochen, würde das vielleicht schon gehen." Seine Finger fahren über meine. "Ein paar Wochen an den Strand, was hältst du davon?" Lächelnd stimme ich zu. Besser als gar nichts.

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Ich mache mit dem Buch beim " Dream Award " von @xXRaven12Xx mit. In einiger Zeit könnte ich dort eure Unterstützung gebrauchen, aber bis dahin werden dort noch Teilnehmer gesucht. Seht doch mal vorbei. 


Und nun zu einem etwas anderem Thema.

So langsam ist das Ende des Buches in Sicht, aber nicht das Ende von Jensen und Jimmy, oder? Was denkt ihr, werden die Beiden wirklich einfach durchbrennen?


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