Dunkelheit

Das hab ich ja mal wieder toll gemacht.

Nach einer ewig langen Ansprache meiner Eltern, einer Verlängerung meines Hausarrest und der Verhängung von Fernseh- und Computerverbot, liege ich endlich in meinem Bett. In gerade einmal drei Stunden muss ich schon wieder auf stehen, um mich für die Schule fertig zu machen.

Doch anstatt zu schlafen drehen sich meine Gedanken im Kreis. Ich bin so verdammt wütend auf mich selbst, dass ich so dumm war, und abgehauen bin. Andererseits bin ich wütend auf meine Eltern, dass sie so streng sind. Zu dem könnte ich Jensen eine reinhauen, dafür, dass er mich zu alle dem bringt. Nur wegen ihm, bin ich gegangen und kam so spät nach Hause. Trotzdem weiß ich, dass ich ihm nicht die Schuld geben darf. Er wollte schließlich nicht, dass ich Ärger bekomme und er hat auch nie etwas von mir verlangt. Ich bin aus freien Stücken abgehauen. 

Frustriert stöhne ich auf. Das alles verwirrt mich so. Ich bin wütend, kann mich aber nicht entscheiden auf wen. Zudem kommen meine Gefühle für Jensen. Ich befürchte, dass ich mich da wieder in etwas reinsteigere. Für ihn bin ich vermutlich nur eine Affäre von vielen, während ich mir schon Gedanken mache, wie es wäre ihn meiner Familie vorzustellen. Von dieser Vorstellung sollte ich mich möglichst schnell trennen. Zum einen würde es sowieso nie soweit kommen, zum anderen, würden meine Eltern mich umbringen. Vor allem nach alle dem jetzt.
Wenn sie erfahren würden, dass ich wegen diesem Mitglied der Eagles Nachts unterwegs wäre, würden meine Sachen schneller vor der Haustür liegen, als ich gucken kann.

Die wenigen Stunden zum Morgengrauen vergehen viel zu schnell, und so schalte ich den Wecker aus, ohne nur eine Minute geschlafen zu haben. 
Kurz blicke ich auf meinen Stundenplan, bevor ich die nötigen Sachen in meinen Rucksack packe. Technik, Deutsch, Mathe, Sport. 

Entsetzt wandern meine Augen von meinem Stundenplan auf meinen Kalender, bevor ich panisch mein Notizbuch raussuche und die letzten Seiten aufschlage, wo ich meine Klausurtermine notiere. Ich habe tatsächlich vergessen für meine Mathearbeit zu lernen, die ich heute schreibe. Eher gesagt, habe ich vergessen, dass ich sie überhaupt heute schreibe. Ich bin tot. Ich bin sowas von tot.

Zwar bin ich nicht sonderlich schlecht in Mathe, aber eine Klausur ohne zu lernen zu schreiben, ist auch für mich beinahe unmöglich. Verzweifelt lasse ich mich auf meinen Stuhl fallen und überlege, ob ich nicht die ersten Stunden schwänzen sollte, um noch mal ein wenig lernen zu können. Von diesem Plan muss ich mich leider schnell verabschieden, da wir in Technik heute unsere letzte Stunde haben, bevor wir auch da unsere Klausur schreiben. Das kann ja was werden.

Mit einem flauen Gefühl im Bauch mache ich mich fertig. Mein Frühstück packe ich mir ein. Jetzt kriege ich garantiert keinen Bissen herunter. Stattdessen kippe ich eilig zwei Tassen Kaffee herunter und verlasse das Haus.
Glücklicherweise spüre ich schon nach wenigen Minuten, wie das Koffein sein Werk verrichtet und die Müdigkeit meinen Körper verlässt. 
Im Bus setzte ich mich möglichst abseits von meinen Klassenkameraden und stecke mir Kopfhörer in die Ohren, ohne Musik anzumachen. Normalerweise bin ich nicht so. Ich unterhalte mich gerne mit den anderen während der Fahrt, aber heute ist mir nicht danach zu Mute. Viel zu viele Gedanken schwirren in meinem Kopf umher.

Manchmal frage ich mich, ob Gott, oder wer sonst da oben ist, das absichtlich macht. Das Leben gut laufen zu lassen, um dann auf einmal scheinbar alles gleichzeitig kaputt gehen zu lassen. Erst wiegen wir uns in Sicherheit, nur um dann kaputt zu gehen. 

Nach einer ewig langen Busfahrt und noch längeren Unterrichtsstunden, suche ich mir meinen Platz für die Klausur aus. Hinten und am Fenster, so wie immer. Selbst wenn ich nicht spicke, fühle ich mich vorne immer so beobachtet und unter Druck gesetzt. Mit der Zeit füllt sich der Raum, meine Mitschüler stellen aufgeregt ihre letzten Fragen und diskutieren über mögliche Lösungen. Alles kommt mir so fremd vor. Als wäre die letzte Stunde Wochen her, oder als hätte ich das ganze Thema lang nicht aufgepasst. Dabei hatten wir erst Donnerstag noch Unterricht, wo ich alles super verstanden hatte.

Auch als die Aufgabenzettel verteilt werden, erinnere ich mich immer noch an kaum etwas. 
So gut wie möglich  mache ich das, was ich glaube noch zu können. Doch bei der Hälfte der Aufgaben habe ich keine Ahnung was zu tun ist, schreibe also auf gut Glück mögliche Rechnungen hin. Vielleicht kriege ich ja wenigstens ein paar Punkte dafür, hoffe ich.
Als erster gebe ich ab. Was soll ich auch weiter rum grübeln, wenn ich doch sowieso niemals auf die Antworten komme.

Verdutzt sieht meine Lehrerin mich an, als ich meine Tasche nehme, um den Raum zu verlassen. Mit leiser Stimme, hält sie mich auf. "Sind Sie sicher, dass sie fertig sind? Wollen Sie nicht noch einmal nachsehen?" Seufzend verneine ich, während ich gehe. Vermutlich dachte sie, ich hätte Aufgaben übersehen, wenn ich nur so wenig geschrieben habe. Natürlich, sie kennt mich ja ganz anders.

Im Stufenraum sitzen erst wenige aus den anderen Kursen. Alle unterhalten sich aufgeregt über die Klausuren und natürlich werde auch ich gefragt, wie es denn war. Kurz erkläre ich, dass ich einen totalen Blackout hatte, wofür ich von Rachel und Dylan einen mitleidigen Blick ernte.

"Naja nimms nicht so ernst, Jimmy. Jeder verkackt mal eine Arbeit, das kann man alles wieder ausgleichen," versucht Noah mich aufzumuntern. Dass das gar nicht mein Problem ist, sondern eher die Reaktion meiner Eltern, gebe ich nicht bekannt. Muss ja nicht jeder wissen.

Auch im weiteren verlauf des Tages scheint alles nur erdenkliche schief zu gehen. In Sport kriege ich den Fußball direkt ins Gesicht, woraufhin Blut, den Niagarafällen ähnlich, aus meiner Nase strömt. Dann brauche ich noch Ewigkeiten in der Umkleide, um mein Handy wiederzufinden, welches lediglich unten in meinem Rucksack lag, weshalb ich zu spät komme und meinen Bus verpasse. Und natürlich fängt es auch noch an zu regnen, als ich mich zu Fuß auf den Heimweg mache. Wie sollte es auch anders sein, darf ich mir dann noch von meiner Mutter anhören, dass ich doch direkt nach der Schule nach Hause kommen sollte. Mich erklären, darf ich natürlich nicht. Schweigend setze ich mich an den bereits gedeckten Tisch. 

So schnell wie möglich leere ich meinen Teller und könnte den durchdrehen, als meine Eltern scheinbar ewig brauchen um fertig zu bleiben. Aber natürlich beherrsche ich mich und warte, bis auch sie beiden aufgegessen haben, bevor ich mein Geschirr weg räume und im Zimmer verschwinde.

Da ich sowieso nichts anderes zu tun habe, setzte ich mich an meine Schulsachen. Doch auch dies beschäftigt mich nicht all zu lange. Also geselle ich mich wohl oder übel um 20 Uhr zu meinen Eltern, in der Hoffnung, dass sie vergessen haben, dass ich eigentlich auch Fernsehverbot habe. Aber natürlich ist dies nicht der Fall. Gerade als ich mich auf die Couch setzen möchte, weist mein Vater mich daraufhin und schickt mich wieder heraus.

Super. Soll ich jetzt etwa einfach den ganzen Abend lang in meinem Zimmer sitzen und nichts tun? Ohne Handy, Laptop, Fernseher oder raus zu gehen, bleibt mir ja nichts mehr übrig. Seufzend sehe ich durch meine Regale und Schubladen, in der Hoffnung irgendwas interessantes zu finden. Und als ich gerade aufgeben will, finde ich meinen alten Nintendo wieder. Besser als nichts, denke ich mir, und schalte ihn an. Mario Kart steckt noch drin, weshalb ich dies dann einfach spiele.

Einige Stunden lang spiele ich meine ganze Sammlung durch, bis meine Mutter hereinkommt und verlangt, dass ich endlich schlafe. Sind wir jetzt etwas zehn Jahre in der Zeit zurück gereist, wo noch kontrolliert wurde, wann und ob ich schlafen gehe? Am besten liest sie mir noch eine Geschichte vor. Damit sie nicht weiter nervt, lege ich den Nintendo weg und sage ihr, dass ich mich sofort fertig machen würde. Zufrieden verlässt sie mein Zimmer. 

Seufzend suche ich meinen Schlafanzug auf dem Boden zusammen, bis ich inne halte. Wie absurd ist das ganze hier?
Ich bin 17 und lasse ich von meinen Eltern herum kommandieren wie ein kleines Kind. Bald bin ich volljährig und kann tun und lassen was ich will und so sollten sie mich auch behandeln. Mein ganzes Leben schon, lasse ich mir vorschreiben was ich zu tun und zu lassen habe. Sie haben entschieden, welchen Abschluss ich mache. Dass ich auf die Universität gehen werde. In welchen Badminton Verein ich sollte und welches Instrument ich lerne. Sie haben mir mein Handy ausgesucht und vorgeschrieben wie meine Schulnoten zu sein haben.
Alles was ich getan habe, haben sie bestimmt. Aber ab sofort nicht mehr. Ich lasse mich nicht länger herumschubsen.

Vorsichtig öffne ich meine Zimmertür und versichere mich, dass der Flur leer ist, bevor ich mich zum Telefon schleiche und es in mein Zimmer nehme. Hinter mir verschließe ich die Tür wieder und wähle die Nummer von dem Zettel auf meinem Schreibtisch. Einige Male tutet es und ich befürchte schon, dass es die falsche ist, oder er einfach nicht ran geht, doch dann ist für ein paar Sekunden Stille. Hat er vielleicht keinen Empfang?

"Ja?" Erleichtert Jensens Stimme zu hören, lächle ich und antworte ihm. "Jensen? Hier ist Jimmy, ich wollte fragen, ob du irgendwie, uhm... Zeit hättest?" Vielleicht hätte ich mir vorher überlegen sollen, was ich ich sage und nicht einfach planlos anrufen. 
Von der anderen Seite kommt eine Zusage und eine Adresse zu der ich kommen soll. Ohne uns zu verabschieden, legt er auf.

Unsicher starre ich auf die Wörter, die ich mir eilig notiert habe. Soll ich etwa zu ihm nach Hause kommen? Plötzlich schwindet mein Tatendrang und ich denke ich wirklich darüber nach, hier zu bleiben. Doch dann überwinde ich meinen Schweinehunde und ziehe mir meine Jacke über. 
Da es ziemlich dumm wäre, das Haus durch die Vordertür zu verlassen, öffne ich mein Fenster. Glücklicherweise habe ich mein Zimmer direkt über unserer Terrasse, welche ein kleiner Vordacht hat. Trotzdem kostet mich es einiges an Überwindung, mich auf das Fensterbrett zu setzen und mich leicht abzustoßen. Während des Falles denke ich mir ich sterben würde, bis ich endlich auf dem knarrenden Dach lande. Von da aus lasse ich mich runter hängen und kann über einen Stuhl sicher herunter klettern. Zum Glück sind die Rollläden an den Fenstern und der Tür bereits unten, so dass meine Eltern mich nicht entdecken können.

Durch unsere Hecke schleiche  ich mich auf das Feld, hinter unserem Haus. Möglichst schnell versuche ich möglichst weit von unserem Haus weg zu kommen, bis ich versuche mich zu orientieren und nochmals auf die Adresse in meiner Jackentasche sehe. Wenn ich mich nicht irre, kenne ich den Straßennamen. Einige Industriehallen sind dort ansässig, sowie Werkstätten und kleinere Läden. Aber vor allem steht der Name andauernd in der Zeitung, weil da häufig Schlägereien oder Unfälle sind. Blechecke, nennen wir die Kreuzung dort nur liebevoll.

In der Hoffnung, dass ich die Straßennamen nicht irgendwie vertauscht habe, gehe ich dort hin. Über eine halbe Stunde bin ich unterwegs, bis ich die wohlbekannte Blechecke erreicht habe. Von dort aus laufe ich die Straße entlang, auf der Suche nach der Hausnummer 67. Trotz der guten Straßenbeleuchtung ist es mir ziemlich unangenehm hier entlang zu laufen. Die Gegend hat keinen guten Ruf und die zwielichtigen Gestalten, die mir hin und wieder entgegen kommen, bestätigen dies nur. Wenn ich wenigstens mein Handy dabei hätte.

Vor einer großen Werkstatt bleibe ich stehen, neben der Tür prangt eine große 67. Immerhin nicht Jensens zu Hause. Unsicher, ob ich einfach rein gehen kann, klopfe ich an die angelehnte Tür. Laute Stimmen und Musik dringen nach außen. Es kommt mir vor wie Ewigkeiten, bis die Tür geöffnet wird und ein bekanntes Gesicht vor mir steht. 

"Da bist du ja. Komm rein." Grinsend macht der Brünette mir Platz, damit ich eintreten kann. Nur schwer kann ich meinen Blick von ihm lösen. Nur in einem halb aufgeknöpften Flanellhemd und einer engen, schwarzen Hose, steht er vor mir. Öl an Händen und Körper. Doch dann gewinnt die große Halle meine Aufmerksamkeit. Von Innen wirkt sie um einiges Größer, als die Fassade den Anschein erweckt.

Während im vorderen Bereich anscheinend neue Motorräder stehen,  erstreckt sich nach hinten eine riesen Fläche an Werkstatt, in der einige Männer und Frauen an ihren Gefährten herumtüfteln. In der hinteren Ecke entdecke ich auch eine Musikanlage, aus  der klassischer Rock dröhnt und ein Billardtisch, um den sich einige Gestalten drängen. An der Wand darüber hängt ein großes Banner mit einem Adler drauf gedruckt und langsam wird mir klar, wo wir hier sind. Im Hauptquartier der Eagles. 

Verunsichert folge ich Jensen durch die Halle, spüre die brennenden Blicke auf meinem Rücken. "Ich war gerade dabei einen neuen Motor in mein Baby einzubauen, aber ich glaube, ich stelle dich erstmal den anderen vor, bevor die skeptisch werden."
Mich vorstellen? Denen? Ich merke doch jetzt schon, dass die mich am liebsten bei lebendigen Leibe zerfleischen wollen. Und die sind doch bereits mehr als nur skeptisch. Eindeutig gehöre ich nicht an einen Ort wie diesen und eindeutig bin ich hier auch nicht erwünscht.

"Meinst du dass das eine gute Idee ist?" Jensens Lachen zu urteilen nach, hört man meine Verunsicherung deutlich heraus. "Keine Sorge, die beißen nicht, J." Vielleicht nicht beißen, aber es gibt auch garantiert andere Wege. Wie ein Entenküken laufe ich dem Älteren nach, bis wir in der hinteren Ecke angekommen sind, wo sich die meisten aufhalten. Augenblicklich fallen alle Augen auf uns, oder eher auf mich. Da ich Angst habe ein falscher Blick könnte mich gleich umbringen, sehe ich auf den Betonboden unter mir. 

"Leute, darf ich vorstellen? J. Ein.. guter Freund von mir."
Eine Weile ist es still, weshalb mich mich traue aufzusehen und mitkriege, wie einige sich von ihren Barhockern und Sesseln erheben. Einer nach dem anderen kommen sie auf mich zu und ich befürchte schon das schlimmste. Ich muss sichtlich überrascht aussehen, als der erste, ein großer, bulliger Mann, mit Glatze und Vollbart, mir seine Hand hin hält und sich als Will vorstellt. 
Überrumpelt erwidere ich den Hände Gruß und kenne so mit der Zeit so einige neue Leute kennen.

"Siehst du, war doch halb so schlimm," stellt Jensen grinsend fest, als er mir und sich ein Bier öffnet. 
Wir setzen uns zu den anderen in die Sessel. Interessiert lausche in den Gesprächen über Motorräder, Frauen und Kinder, die Arbeit oder Fußball. Zugegeben bin ich ziemlich überrascht, habe ich die Leute hier doch alle falsch eingeschätzt.

Meine Aufmerksamkeit wendet sich von Will's kleiner Tochter zu Jensen und Anastasia. Sie scheinen stark in eine Diskussion vertieft zu sein. So unauffällig wie möglich, möchte ich mitbekommen worüber.

"Natürlich war das dumm von Nathan, aber es ist passiert. Was willst du machen, ihn denen zum Fraß vorwerfen? Er ist und bleibt einer von uns, verdammt!" Die blonde Frau, mit den vielen Piercings, scheint ziemlich wütend auf Jensen zu sein, welcher anscheinend schwer am nachdenken ist. 

"Natürlich lassen wir ihn da nicht alleine. Aber was erwartest du jetzt von mir? Soll ich alle anderen aufs Spiel setzen, nur damit er seine Scheiße nicht ausbaden muss? Die werden jemanden dafür büßen lassen wollen, und das wird einer von uns sein. Wo zur Hölle ist Nathan überhaupt." Wütend sieht Jensen sich um und ich muss zugeben ein wenig Angst zu bekommen.

Er scheint ziemlich aufgebracht zu sein und auch wenn ich nicht alles verstehe, geht es scheinbar um ein ziemlich ernstes Thema. Jetzt fühle ich mich schlecht, weil ich gelauscht habe. Das alles war sicherlich nicht für mich bestimmt und ehrlich gesagt, will ich auch nicht wirklich wissen, in was die hier alle verstrickt sind, andererseits irgendwie schon. 

Aber anscheinend hat die Diskussion vorerst ihr Ende gefunden, als keiner besagten Nathan sehen kann. Frustriert fährt sich Jensen übers Gesicht, bevor er sich mir zu wendet. " 'Schuldigung, das war wichtig. Verstehst du dich gut mit den anderen?" Ich nicke leicht, versichere ihm, dass alle wirklich nett sind. Zufrieden lächelt er.
"Gut. Das ist nämlich quasi meine Familie, weißt du."


"Und was ist mit deinen Eltern? Oder Geschwistern?" Kurz und höhnisch lacht der Brünette auf. "Blut sagt doch nichts über Familie aus. Familie ist, wer für dich da ist, egal worum es geht. wer dich akzeptiert, wie du bist und dich unterstützt. Und nicht wer sich gezwungenermaßen mit dir abgibt."

Da er eindeutig nicht besonders gut auf dieses Thema anzusprechen ist, lasse ich weitere Fragen unausgesprochen. 
"Aber lass uns nicht über sowas reden. Wieso bist du hier? Mitten in der Nacht, mitten in der Woche?" Mit einem Blick voll Skepsis uns Besorgnis mustert er mein Gesicht. Ich schlucke und schüttelt den Kopf, sage, dass ich nicht drüber reden will. Ich habe keine Lust, daran zu denken, wie sehr meine Eltern mich aufregen und erst Recht, will ich ihn nicht mir solchen Nichtigkeiten belasten. Verständnisvoll nickt mein Gegenüber, versichert mir aber, dass ich immer darüber reden kann, wenn ich möchte.

Kurz herrscht Stille, bis Jensen aufsteht und mit dem Kopf in Richtung Hinterausgang zeigt. "Ich will eine rauchen, kommst du mit?" Ich nicke und folge ihm durch die schwere Metalltür hindurch in den Hinterhof. Da, wo normalerweise ein Grünstreifen sein sollte, häuft sich Metallschrott, dahinter erstreckt sich eine mindestens drei Meter hohe Mauer. Bis auf Jensen und mir ist es hier leer. Die Musik von drinnen ist durch die dicken Wände nur noch ein dumpfes Geräusch.

Erst jetzt merke ich, wie laut es dadrin eigentlich war. Wieder bietet mir der Ältere eine Zigarette an und wieder lehne ich ab. Ich riskiere mein Leben schon, indem ich von zu hause weg renne, da brauche ich nicht noch Lungenkrebs. Schulter zuckend lehnt er sich neben mir an die Wand und pustet genüsslich den Rauch aus. Bewundernd mustere ich ihn.

In diesem Moment wirkt er so enspannt, so ruhig und harmlos. Sein Kopf lehnt leicht in seinem Nacken, während er immer wieder kleine Wolken auspustet. Leichte Sommersprossen zieren sein Gesicht, lassen ihn fast Jungenhaft wirken. Doch die Fältchen um seine Augen, verraten dass er längst kein Kind mehr ist. Mein Blick wandert weiter runter. Über seine entblößte Brus und breiten Schultern. Durch das offene Hemd erkenne ich die Ansätze von unzähligen Tattoos, die seine muskulösen Arme zieren müssen. Enttäuscht stelle ich fest, dass die Knöpfe am Bauch geschlossen sind. Zu gern wüsste ich, wie es dadrunter aussieht. 

"Hat dir nie jemand beigebracht, dass Starren unhöflich ist?" Erschrocken und peinlich berührt sehe ich wieder in sein Gesicht, welches ein amüsiertes Grinsen ziert. Seine Finger umfassen mein Handgelenk und ziehen mich vor ihn. "Aber wer kann dir das schon übel nehmen, bei so einem Anblick?" Rauchiger Atem schlägt mir ins Gesicht, als uns beide nur noch wenige Zentimeter trennt. "Du bist ziemlich selbstverliebt," kontere ich grinsend, lege meine Hand auf seine Brust.

Kurz streifen seine Lippen meine, wandern dann aber über meine Kieferknochen herunter an meinen Hals. Überrascht keuche ich auf, als warmer Atem über die empfindliche Stelle streift und dann leichte Küsse dort verteilt werden. Ich schließe die Augen, genieße jede Berührung, jedes Saugen, jeden leichten Biss. Seine Hände wandern unaufhörlich über meinen Körper, machen mich vollkommen verrückt.

Nach einer Weile lässt Jensen von meinem Hals ab, mustert sein Werk kurz selbstzufrieden, bevor er mich wieder küsst. Heute ist er verlangender, fordernd. Der Größere dreht uns, drückt mich gegen die kalte Steinmauer, ohne dass sich unsere Lippen nur eine Sekunde voneinander trennen. Meine Hände lege ich auf seine Hüften, spiele mit dem Stoff seines Hemdes, bevor ich dadrunter fahre und seinen Körper erkunde. Jensens eines Bein positioniert er mit der Zeit zwischen meinen, drückt mit dem Oberschenkel leicht gegen meinen Schritt, welcher nicht unbeeindruckt davon bleibt.

Unsere Handlungen werden immer hitziger, so dass auch die letzten Knöpfe des Flannellhemdes geöffnet sind und ich meine Hände über meinen Kopf wiederfinde, wo Jensen sie festhält. 
Und als mir klar wird, wie weit wir bereits sind, halte ich kurz inne und ernte dafür einen verwirrten Blick seinerseits. "Wirklich? Hier?" Unsicher sehe ich mich um. Das ist so gar nicht meine Art. Draußen, in der Öffentlichkeit, einfach im stehen an irgendeiner Mauer. 
Jensen scheint eine Weile zu brauchen um mich zu verstehen. Vermutlich ist das für ihn nichts besonderes. Doch er scheint Verständnis zu haben. 
"Wir können nach oben, da ist nur ein Lagerraum und noch eine alte Couch glaube ich."

Auch wenn es immer noch nicht das ist, was ich eigentlich gewohnt bin, stimme ich zu. Ich will und ich kann nicht länger warten. Eilig schließt der Brünette einige seiner Knöpfe, bevor er mich an der Hand wieder in die gefüllte Halle zieht. Wir schenken keinem dort nur einen Blick, sondern gehen zielstrebig auf die Wendeltreppe in der Mitte zu. Oben angekommen stehen wir im dunkeln und es dauert einige Zeit, bis ich endlich den Lichtschalter gefunden habe.
Überall stehen verstaubte Motorradteile, Kisten und Regale herum. Und tatsächlich, zwischen all dem Müll steht eine Couch. Nicht besonderes, nicht wirklich groß und erst recht nicht sauber. Aber es sollte genügen.

Wieder küssen wir uns, während Jensen mich in Richtung Couch drückt und sich dort über mir abstützt. 
Mittlerweile ziemlich ungeduldig, zieht er mir mein Shirt und meine Hose gleich mit aus. Ich atme schwer, als der Brünette sich seinen Weg von meinem Hals, über meine Brust, hinzu meiner Hüfte küsst. Kurz über meiner Boxershorts stoppt er und sieht zu mir auf. "Du bist doch keine Jungfrau oder? Das mach ich nämlich nicht. Ich entjungfere niemanden."

Ich lache leicht und verneine. "Hältst du mich wirklich für so unerfahren? Na los, mach schon." Doch auch wenn ich ziemlich sicher wirke, beschleicht mich nun ein ungutes Gefühl. Die ganze Zeit habe ich den Gedanken zur Seite geschoben, doch jetzt kommt er wieder auf. Ich bin wahrscheinlich nichts besonderes für ihn. Vermutlich werden wir es ein, zweimal tun und dann sucht er wen sich neues. Ich werde nur einer auf einer unendlich langen Liste von Namen sein. Während er bei mir einer von wenigen ist. Ist es richtig das hier zu tun, wenn ich so viel mehr für ihn empfinde als er für mich? Für mich ist das alles, ist er, was Besonderes und Einzigartiges, während ich.. Alltag für ihn bin. In wenigen Wochen wird er meinen Namen vergessen haben und ich werde immer noch an die Nacht zurück denken, in der ich mit ihm geschlafen habe. Weil es für mich eben nicht so selbstverständlich ist mit jedem in die Kiste zu steigen. Es soll etwas schönes sein. Etwas was man miteinander teilt, wenn man sich liebt. Wenn beide sich liebe.

"Hey, alles okay?" Jensen scheint meine Unsicherheit zu merken, als er zu mir sieht. Ich schüttel leicht den Kopf, "nicht wirklich". Seufzend setzte ich mich auf, während er sich am anderen Ende der Couch niederlässt. "Ich - ich geh nicht mit jedem ins Bett. Das bin nicht ich und das will ich auch nicht sein. Für mich - für mich soll das was besonderes sein. Was, das ich mit jemanden teile, den ich mag." "Und du magst mich nicht? Nicht auf die Art und Weise?", Verunsicherung schwingt in seiner sonst so sicheren Stimme mit.

"Doch. Das ist es ja. Ich mag dich, Jensen. Wahrscheinlich viel zu sehr. Ich weiß, dass du das nicht erwiderst, das sollst und kannst du auch gar nicht. Ich.. weißt du, ich steigere mich immer in Sachen so schnell rein."

Beruhigend nimmt er meine Hände in seine, während er spricht mal er kleine Kreise auf meine Handrücken. "Ganz ruhig, J. Das ist doch alles okay. Wir müssen das hier nicht tun. Aber du solltest wissen, dass du jetzt auch nicht ganz unbedeutend für mich bist. Ich mein, ich will hier jetzt keine falschen Hoffnungen machen oder sonst was, aber irgendwelchen dahergelaufenen Nummern gebe ich weder meine Handynummer, noch lade ich sie hier her ein."
Ich lasse mir das Gesagte durch den Kopf gehen, aber meine Unsicherheit kann es nicht vollkommen nehmen. "Du bist acht Jahre älter als ich, was kannst du an mir finden? Du könntest Jeden und Jede haben, den du haben willst. Wieso ich?"

Schulter zuckend lächelt er leicht, "Es gibt Dinge, die kann man nicht immer erklären, J. Ich mag dich genug, um meine Zeit mit dir zu verbringen und dich meiner Familie vorzustellen, reicht das nicht?" Seiner Familie vorzustellen. Erst jetzt wird mir bewusst, was für ein großes Ding das für ihn sein muss, jemanden hier ehr zu bringen. Das hier ist sein zu Hause, seine Familie und zu denen bringt er mich. Er würde nicht irgendwen hierher bringen, der ihn so rein gar nichts bedeutet. Nicht, dass ich gleich seine große Liebe sein muss oder was weiß ich, aber vielleicht steckt da ja dann wirklich was hinter, wenn er sagt, dass ich nicht irgendeine daher gelaufene Nummer bin und er mich mag? Vielleicht..

Ich nicke leicht, bevor ich ihn wieder küsse. Kurz und vorsichtig. "Ich mag dich echt," hauche ich, während ich meine Stirn an seine lehne. "Ich mag dich auch echt," schmunzelnd sieht mir Jensen in die Augen. 




Ein Kapitel mit vielleicht etwas weniger Spannung, aber auch sowas muss mal sein.
Ich weiß, dass ich selbst entschieden hatte, dass das hier nur ein kurzes Buch wird, aber wenn ich jetzt überlege, dass nur noch 2-3 Kapitel kommen werde, kriege ich ja schon fast Herzschmerz. Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Motivation zu schreiben, wie hier und freue mich, dass die Geschichte auch bei euch gut ankommt.

Aber jetzt so kurz vor Ende und quasi in der Halbzeit, kommt natürlich eine Frage auf. 
Wie könnte es mit den Beiden weiter gehen? Glaubt ihr die Beiden mögen sich vielleicht wirklich "echt" oder war das nur so eine Phrase?
Bekommen Jimmy's Eltern ihre Kontrolle über ihren Sohn wieder zurück, oder schafft er es sich, endgültig aus ihrer Hand zu lösen?

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