9

Beverly

Insomnia. Das schicke Wort für Schlaflosigkeit und meinen ständigen Begleiter.

Obwohl das Bett unfassbar kuschlig und weich war, konnte ich nicht einschlafen. Ich fühlte mich absolut nicht sicher in dieser neuen Umgebung, voller Hexen und Zauberer. Ich fürchtete, mitten in der Nacht aus meinem Schlaf gerissen zu werden und von Gestalten, mit dunklen Roben und Kerzen in der Hand, in einen Geheimraum geführt zu werden, um dort einen Schwur abzulegen, oder sowas. Den Schwur, alles in meiner Macht stehende zu tun, um ihnen zu helfen. Bis zum Tod.

Nach dem Abendessen hatte ich eigentlich mit Arthur reden wollen, um mir endlich Klarheit zu verschaffen, aber in dem riesigen Gebäude hatte ich mich zig Mal verlaufen (ich war in einem Raum gelandet, der aussah, als gehöre er einem verrückten Wissenschaftler, mit aufgeschlagenen Büchern auf den vielen Tischen, den Glasbehältern, mit den verschiedenfärbigen Flüssigkeiten und den Gläsern mit fragwürdigen Inhalten im Regal) und es schließlich aufgegeben. Ich würde ihn morgen nach dem Frühstück abfangen. Ich hatte während des Essens auch mit Brikeena reden wollen, aber ich mochte sie und wollte diese Sympathie nicht dadurch zerstören, in dem ich sie zwang, mir zu sagen, was hier gespielt wurde.

Gegen Mitternacht schlich ich aus meinem Zimmer. Fast erwartete ich, Wachmänner postiert an allen Ecken vorzufinden. Aber dem war nicht so. Einerseits beruhigte mich das, weil mich so niemand verpetzen konnte, andererseits war es höchst unpraktisch, weil ich so niemanden nach dem Weg fragen konnte. Was ich vermutlich ohnehin nicht getan hätte, ich weiß nicht, warum ich mich darüber ärgerte. Nichts desto trotz lief ich durch das ganze Schloss, in der Hoffnung irgendwann per Zufall Aidan's Zimmer zu finden und mich nicht wieder in Einsteins Labor zu verirren.

Überall standen hohe Halterungen mit Kerzen herum, die die Gänge beleuchteten und ich fragte mich, ob es nicht an der Zeit war, sowas wie Deckenleuchten anzubringen, denn ich fühlte mich in ein anderes Jahrhundert katapultiert. Klar, überall hingen Kronleuchter herum, aber die waren für die Nacht vermutlich zu hell, was sprach also gegen kleine Wandlampen? Die Kerzen vermittelten nicht unbedingt ein schlechtes Gefühl, aber bei der Menge fürchtete ich einen Brand.

Als ich um eine Ecke bog prallte ich mit jemandem zusammen, der einen Kopf größer war als ich.

„Verdammt, was machst du denn hier?", fragte ich Chase und versuchte mein hämmerndes Herz zu beruhigen.

„Na, vermutlich dasselbe wie du", erwiderte er.

Missbilligend zog ich eine Augenbraue hoch. „Das bezweifle ich."

Er kniff gespielt nachdenklich die Augen zusammen. „Ja, ich auch", nickte er schließlich. „Du kannst mir nicht zufällig sagen, wie ich von hier aus weiterkomme, oder?"

„Ich mach es, wenn du es machst." Und so verbrachten wir fast fünf Minuten auf dem Gang und versuchten einander den Weg zu den Zimmern unserer Freunde zu beschreiben.

„Na dann." Er klopfte mir auf die Schulter. „Schlaf gut, Bevy."

„Du auch." Ich folgte seiner Wegbeschreibung, so gut ich konnte und kam nach etwa zehn Minuten wirklich in dem Gang an, in den Brikeena uns heute Vormittag geführt hatte. Ich fragte mich, ob die Statuen, die hier überall herumstanden, die wahren Wachen waren. Ob sie Arthur zuflüsterten, was im Schloss vor sich ging. Gewundert hätte es mich nicht.

Brikeena hatte mir beim Abendessen erzählt, dass die Statuen die Kinder von Iona und Theodoric präsentierten. Seitdem betrachtete ich sie genauer, wenn ich an ihnen vorbei kam und überlegte, ob mir die Gesichter bekannt vorkamen. Brikeena hatte ich noch nicht entdeckt und Arthur auch nicht. Und die anderen kannte ich nicht gut genug, um sie einordnen zu können.

Ich hoffte sehr, nicht auch eines Tages in Stein gemeißelt verewigt zu werden. Es musste sich seltsam anfühlen, zu wissen, dass eine verdammte Statue in dem Schloss in dem man wohnte herumstand. Aber wahrscheinlich empfanden es meine Geschwister als selbstverständlich.

Ich betete, vor dem richtigen Zimmer zu stehen, klopfte ganz leise an und drückte die Türe auf. Als ich meinen Kopf durch den Spalt steckte und Aidan sah stieß ich erleichtert den Atem aus. Die Peinlichkeit, einen Fremden zu erwischen, hätte ich heute nicht mehr ertragen.

„Du hast mich erschreckt", meinte er und ließ sich zurück in die Kissen fallen, als ich die Türe wieder schloss. Als ich die Türe geöffnet hatte, war die Kerze auf seinem Nachttisch wie von selbst angegangen. Das fand augenscheinlich nicht nur ich gruselig, aber keiner von uns kommentierte es.

„Ich kann nicht schlafen", sagte ich leise und ging auf sein Bett zu.

„Warum?" Er hob die Decke an der linken Seite an und ich schlüpfte neben ihn. Dann legte er einen Arm um mich und zog mich an seine Brust. Die Kerze erlosch langsam wieder.

„Wenn Glas aus Sand gemacht wird und Sand kleine, zerriebene Steine sind, dann ist Glas durchsichtiger Stein, oder?"

„Das nenn ich mal eine berechtigte Frage", bemerkte er hörbar verwirrt.

„Und warum bekommen wir vom Mond keinen Sonnenbrand, wenn er Sonnenlicht reflektiert? Kann man einen Mondbrand bekommen?" Ich heftete meinen Blick auf die Schatten, die das Fenster warf, durch die der Mond schien. Die Wolken hatten sich verzogen. Es war sternenklar. „Und warum liegen wir nachts in unseren Betten und tun so, als würden wir schlafen, bis wir wirklich einschlafen? Und warum hat eine Minute nicht hundert Sekunden? Wer entscheidet das? Können Fliegen eigentlich hören? Und warum werden Eier beim Kochen hart und Kartoffeln weich?"

„Willst du mir damit sagen, dass dich die sinnlosesten Fragen der Welt wachhalten, oder willst du auf was Anderes hinaus?"

Ich seufzte und veränderte meine Position unter der Decke. „Keine Ahnung." Dann hob ich den Kopf an, um ihm in die Augen schauen zu können. „Wie sehen die Autokennzeichen in Asien aus?"

„Bev, geht es dir gut?", fragte er halb belustigt, halb besorgt. Ich legte meine Wange wieder auf seine nackte Brust und zog mir die Decke bis zum Kinn. „Was ist los?"

„Ich fühle mich... nur so leer. Wie soll ich mich auch fühlen, wenn es nicht viel gibt, für das ich Gefühle auspacken kann?"

„Hey", machte er beleidigt, woraufhin ich die Augen verdrehte.

„Du weißt, was ich meine. Ich weiß immer noch nicht, was hier los ist, also wie soll ich mich fühlen? Ich weiß nicht, wie ich zu all dem stehen soll." Vielleicht passiert genau das mit einem Menschen, der nichts weiß. Taubheit, die in der Brust beginnt und sich langsam über den Körper ausbreitet, bis sie das Gehirn erreicht und einem alles egal ist. Zumindest fühlte ich mich so.

„Hättest du manchmal nicht gerne ein anderes Leben?", fragte ich. Er sah mich nachdenklich an und atmete tief ein.

„Manchmal."

„Ich will... Einfach nicht mehr denken müssen, verstehst du? Ich will einfach diese permanenten Fragen abstellen und einfach irgendwas tun, ohne nachdenken zu müssen, ob es nun richtig oder falsch ist. Ich hab es so satt, dass alles was ich tue, Konsequenzen hat, die schwerwiegendere Auswirkungen haben, als die Entscheidungen anderer Menschen."

„Hör auf, so zu reden", sagte er. „Ich weiß, dass es anstrengend ist, aber sobald du aufhörst, deine Gedanken so zu zerlegen wie bisher, hörst du auf, eigenständig zu sein. Gerade jetzt kannst du dir das nicht leisten."

Mir war klar, dass er recht hatte. Aber seine Worte gaben mir trotzdem nicht die nötige Energie, um weiterhin allem und jedem gegenüber so kritisch zu sein wie bisher. „Werde bloß nicht zu ihrer Marionette."

„Ich bin einfach so müde", murmelte ich an seine Brust. „Kennst du das Gefühl, wenn plötzlich alles besser scheint, als so weiterzumachen wie bisher?"

Er drückte mich fester an sich und drückte mir einen Kuss in die Haare. „Ja. Ja, das Gefühl kenne ich sogar sehr gut."

~~ ~~

Obwohl es laut Brikeena verboten war, schlief ich bei Aidan. Ich war einfach zu müde gewesen, um mich noch glatte dreißig Minuten durch das Schloss zu schleppen, in der Hoffnung, wieder auf mein Zimmer zu finden. Dafür rächte sich jedoch Karma, als ich am nächsten Morgen dadurch geweckt wurde, dass die Türe aufgerissen wurde und Chase hereinspazierte.

„Guten Morgen, meine Sonnenscheinchen!", rief er gut gelaunt.

Ich fuhr mit hämmerndem Herzen hoch und musste mich erst orientieren. „Chase!", rief ich dann sauer.

„Bist du verrückt geworden?", fragte Aidan und setzte sich aufgebracht auf.

„Tut doch nicht so, als wärt ihr nackt", meinte Chase mit zusammengezogenen Augenbrauen.

„Hätten wir aber sein können!", erwiderte ich ungläubig.

„Und wenn schon. Ich hätte euch in keiner Stellung erwischen können, in der ich vor ein paar Monaten nicht schon Addie und Trev erwischt hätte."

Ich warf Aidan einen verstörten Blick zu und wollte etwas sagen, aber Chase kam mir zuvor. „Auf, auf, raus aus den Federn, es ist ein wundervoller Tag!" Er machte eine Handbewegung, als wolle er uns aus dem Bett scheuchen. Dann warf er einen Blick aus dem Fenster. „Nein, doch nicht. Es regnet." Dann warf er mir etwas zu, was ich im nächsten Moment als eine meiner Jeans und einen Pulli identifizieren konnte. Meine Schuhe landeten keine zwei Sekunden später neben meinem Bett.

„Du warst in meinem Zimmer?", fragte ich sauer.

„Ich hatte den leisen Verdacht, dass du noch hier bist und wollte dir die Peinlichkeit ersparen, um zehn Uhr vormittags halb nackt zwischen deinen Geschwistern durch die Gänge bis zu deinem Zimmer zu rennen."

„Du wolltest mir eine Peinlichkeit ersparen?", hakte ich nach.

„Gewöhn dich bloß nicht dran. Das nächste Mal lasse ich dich auch in Unterwäsche durch das Schloss laufen."

„Die du dir hoffentlich nicht angesehen hast, als du meinen Koffer durchwühlt hast", gab ich mit mahnendem Unterton zurück. Ich hatte meine Sachen noch nicht ausgepackt, dafür hatte ich gestern keine Energie mehr gehabt.

„Ob du es glaubst oder nicht, Bevy, aber es gibt gewisse Dinge, die selbst ich mir nicht vorstellen möchte. Und dazu gehört eine Kanalratte im String Tanga und D-Körbchen."

Er kehrte uns den Rücken zu und Aidan begann sich umzuziehen, während ich noch überlegte, ob ich etwas auf Chase' bissigen Kommentar geben sollte, aber mir wollte nichts Kreatives einfallen. Also faltete ich meine Jeans auseinander und zog mir die Schlafhose unter der Decke aus.

„Ihr habt das Frühstück verpasst", meinte Chase nun. „Echt eine Schande. Die kochen hier wirklich gut. Und weißt du was? Du hast wirklich ein paar scharfe Schwestern, Bevy." Er pfiff durch die Zähne. „Diese Gene müssen an dir verloren gegangen sein." Ich rollte mit den Augen, aber sparte mir auch diesmal jeglichen Kommentar und kämpfte mich stattdessen umständlich in meine Hose bevor ich sie zuknöpfte. „Arthur hat gefragt, wo du bist."

„Und was hast du ihm gesagt?" Ich zog mir das weite Shirt über den Kopf, warf es auf den Boden und schlüpfte in den grauen Pullover.

„Dass du mit deiner Morgengymnastik beschäftigt bist." Ich warf Aidan einen weiteren entnervten Blick zu, aber er zuckte nur kopfschüttelnd mit den Schultern und zog sich ebenfalls einen Pulli über. Es machte Chase viel zu viel Spaß, sich auf meine Kosten zu amüsieren.

„Und was wollte Arthur?"

„An der Morgengymnastik teilhaben."

„Chase", seufzte ich genervt. Es war viel zu früh für sowas.

„Der Junge war drauf und dran, seine Yogahosen auszupacken!"

„Das Tageslimit meiner Toleranz deiner dummen Witze gegenüber ist schon fast erreicht, und es ist noch nicht mal Mittag", informierte ich ihn. „Aber, hey, wenn du willst, dass ich all meinen heißen Schwestern erzähle, dass sie sich bei dir Chlamydien und Gonorrhö holen, dann nur weiter so."

Chase sah mich über seine Schulter hinweg an und grinste, bevor er sich wieder umdrehte, obwohl ich längst umgezogen war und nur noch in meine Schuhe schlüpfte und die Bänder zuband. „Er hat nur gemeint, dass er und die anderen sich überlegen werden, was der nächste Schritt ist, und dass du dabei sein solltest."

Ich seufzte angestrengt. Nicht einmal ein Tag Ruhe war mir vergönnt. Ich warf meine Haare nach vorne, nahm sie zusammen und band sie mit dem Haargummi, das ich an meinem Handgelenk trug, zu einem Pferdeschwanz.

„Und wehe, du lässt auch nur ein Detail aus", meinte er dann und ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.

„Was meinst du? Kommst du nicht mit?"

Er drehte sich um und sah mich mit einem undefinierbaren Blick an. „Als Arthur gesagt hat, dass du dabei sein sollst, hat er nur dich gemeint, Bevy."

Ich stieß einen gequälten Seufzer aus. Na toll. Wofür hatte ich meine Freunde dabei, wenn sie in den entscheidenden Momenten nicht bei mir sein durften?

„Wow", meinte Aidan, ebenfalls wenig begeistert. „Sie versuchen wirklich, dich uns wegzunehmen."

Ich legte den Kopf schräg. „Ich glaube nicht, dass es darum geht. Wahrscheinlich nur eine Art von supergeheimen Hexenstrategien, über die nur Familienmitglieder Bescheid wissen dürfen." Schnell kletterte ich über das Bett zu Aidan und gab ihm einen Kuss. „Wartet ihr hier auf mich?"

„Addie wollte Trish anrufen", sagte Chase, bevor Aidan mir eine Antwort geben konnte. „Wir sind bei ihr im Zimmer."

Ich nickte, fast ein bisschen enttäuscht. Natürlich hätte ich auch gerne mit Addie geredet, aber durch die Zeitverschiebung war das nicht ganz so einfach. Ich hatte sie seit knapp drei Wochen nicht mehr gesprochen, weil ich ihre Anrufe wegen der Grippe immer verschlafen hatte.

„Dann... richtet ihr alles Gute von mir aus."

Chase sagte mir, dass ich nach unten in den Thronsaal gehen sollte, und ich versuchte, vor meinem inneren Auge den Weg zu rekonstruieren.

Eigentlich hatte ich immer gedacht, Thronsäle seien Räume, in denen Könige und Königinnen den ganzen Tag auf ihren prächtigen Sesseln saßen und grimmig durch die Gegend starrten, die Ernte des Monats kommentierten und Hinrichtungen aussprachen. Aber tatsächlich schien es hier sowas wie das Wohnzimmer oder der gemütliche Gemeinschaftsbereich der Hexen und Hexer zu sein, denn genau wie gestern, hatten es sich alle hier bequem gemacht. Jedoch waren -wie ich es erwartet hatte- nur meine „Geschwister" anwesend. Nahm ich an, da ich einige Gesichter wiedererkannte, die beim Abendessen am selben Tisch gesessen hatten und übrig geblieben waren, nachdem Arthur alle Außenstehenden rausgeschickt hatte, als wir hier angekommen waren.

Ich fühlte mich wie eine kleine Ameise. Nein, eher eine Fliege. Oder ein Käfer. Kennt ihr diese ekelhaften Käfer, die stinken, wenn man sie zerschlägt? Deshalb zerschlage ich keine Käfer. Und vielleicht wurde auch ich deshalb nicht zerschlagen.

Jedenfalls wurde ich genauso angestarrt, als ich den Saal betrat und sich alle vor dem Kamin auf den Sofas und Divans zusammengefunden hatten. Ein bisschen unschlüssig stand ich ein paar Sekunden wie versteinert in der Türe.

„Gott, hat man euch keine Manieren beigebracht?", fragte Brikeena und warf ihren Geschwistern entnervte Blicke zu. Dann stand sie auf und kam zu mir. „Starrt sie doch nicht so an, als wäre sie ein Fossil." Daraufhin wandten zumindest die meisten den Blick ab. Sie machte eine flotte Handbewegung und die schwere Flügeltüre knallte zu. Ich zuckte zusammen. Es war das erste Mal, dass ich irgendjemanden hatte zaubern sehen. Es war zwar nicht unbedingt das, was ich mir unter Magie vorgestellt hatte, aber es war auf jeden Fall Magie gewesen. Ich ging jedenfalls nicht davon aus, dass ihre Handbewegung eine Luftstoß erzeugte hatte, der so stark gewesen war, dass er zwei Türen hätte zuschlagen können.

Brikeena zog mich zu den anderen und platzierte sich neben mir.

„Fossil trifft es doch ganz gut, findest du nicht?", fragte das braunhaarige Mädchen, das nicht Canna war, mich aber nicht minder zu verabscheuen schien. Canna erkannte ich mittlerweile. Erstens, weil sie blond war, und zweitens, weil sie beim Abendessen gegenüber von mir gesessen und mich provokant gefragt hatte, was ich denn bisher über Magie wusste. Irgendwann hatte Brikeena mich gerettet und Canna mit einer boshaften Bemerkung zum Schweigen gebracht.

„Sei nicht so verbittert, nur weil Beverly ist, worauf unsere Eltern hingearbeitet haben", hatte sie gesagt.

Wenn ich ehrlich war, hatte ich keine allzu große Lust, in irgendwelche Familiengeschichten hineingezogen zu werden. Sie brauchten mich und ich würde ihnen helfen, weil ich vermutlich keine Wahl hatte, aber danach würde ich einfach nach Hause fliegen. Nicht mehr daran denken. Vergessen. Und das würde nur funktionieren, wenn ich mich emotional distanzierte und keine Anteilnahme zuließ. Jawohl. Das war doch mal ein Plan, der gerade mir nicht sonderlich schwer fallen sollte, oder?

„Immerhin ist sie die letzte Schreiberin von der wir wissen", fuhr das Mädchen fort und wieder fragte ich mich, warum niemand Theodoric zur Sprache brachte.

„Ich hoffe ihr habt einen grandiosen Zehn-Schritte-Plan ausgearbeitet", meinte ich mit trockener Kehle, ohne jemanden anzusehen.

„Naja, der Plan ist nach wie vor der alte", erwiderte Brikeena ruhig. „Dich mit Magie vertraut machen, damit du einen Zauberspruch schreiben kannst, der Cillian umbringt." Das war jetzt also mein Leben. Wie zur Hölle war das passiert?

„Wenn das so leicht wäre", erwiderte wieder die Brünette von vorhin.

„Finley", meinte Arthur müde.

„Nein!" Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Wie lange wird es dauern, bis sie es schafft, irgendeinen Zauberspruch zu schreiben? Und wir erwarten, dass eine Hexe, die unter Menschen aufgewachsen ist, einen Zauberer mit Phönixblut töten kann? Wir -die, die in dieser Welt seit Jahrhunderten und Jahrzehnten leben- haben doch selber keine Ahnung, wie so ein Zauberspruch rein theoretisch aufgebaut sein müsste."

Erin, der honigblonde Kerl, der mich auch nicht unbedingt zu mögen schien, aber das Mädchen nun unterbrechen wollte, wurde von ihr mit einer schroffen Handbewegung daran gehindert.

„Ich bin noch nicht fertig", fauchte sie und Erin griff tiefseufzend nach den dunklen Trauben, die in einer großen Schale auf dem niedrigen Glastisch in der Mitte standen, bevor er sich seufzend zurück lehnte, um die Show zu genießen. „Sollen wir ihn töten und seine Seele einfangen und die dann auslöschen? Sollen wir das Phönixblut verpuffen lassen, was nie und nimmer funktionieren wird? Und wie zur Hölle wollen wir überhaupt nahe genug an ihn rankommen, um ihm auch nur einen Kratzer zuzufügen, ohne dabei selbst draufzugehen?"

„Bist du jetzt fertig?", fragte Erin, warf sich eine Traube in den Mund und setzte sich wieder auf. „Wir sind nämlich schon jede denkbare Möglichkeit durchgegangen. Du musst nicht erwähnen, dass wir keine gefunden haben."

„Moment...", schaltete ich mich ein. Für mich lag die Lösung auf der Hand, aber vermutlich war es nicht so simpel, deshalb wollte ich sie zur Sprache bringen, um verbessert zu werden. „Warum tötet ihr ihn nicht, transferiert seine Seele in einen anderen Körper und verbrennt dann den?"

Das brünette Mädchen rieb sich verzweifelt und sauer übers Gesicht. „Gott, kann ihr jemand erklären, dass der Körper der Seele verbrennen muss, und nicht einfach irgendeiner?"

„Hör auf so eklig zu sein!", meinte Brikeena abschätzig und drehte sich zu mir. „Du hast es gehört. Der Körper, in den die Seele hineingeboren wird muss verbrennen, damit eine Hexenseele für immer verschwindet. Und da in Cillian's Körper Phönixblut fließt..."

Sie wollte, dass ich ihren Satz beendete und ich nickte langsam. „Ist es praktisch unmöglich, ihn endgültig zu töten."

„Und das Phönixblut ist es auch nicht, das ihn so stark macht", fuhr Canna fort, die neben Finley und mir gegenüber saß. „Sondern eben die Tatsache, dass er ein Zauberer ist. Und selbst wenn wir seine Seele in einen anderen Körper transferieren, wäre er genauso stark und gefährlich."

„Und was soll ich da ausrichten?", fragte ich und sah binnen Sekunden erstmals jedem in der Runde in die Augen, was ein Kunststück war, denn es waren bestimmt an die fünfzehn Personen anwesend. „Wenn ihr nicht einmal einen theoretischen Plan habt, wie soll ich dann auf den praktischen kommen?"

Arthur neigte den Kopf hin und her. „Bisher konnten wir nur mit bereits gegebenen Mitteln denken. Du kannst völlig neue Zaubersprüche schreiben. Das erweitert unsere Möglichkeiten maßgeblich."

Ich lachte ungläubig auf. „Ja, weil ich schon zehn Pokale und sieben Medaillen für die Entwicklung der einfallsreichsten Zaubersprüche abgestaubt habe." Dieser Kommentar war mir nur rausgerutscht, aber er brachte einige zum Schmunzeln.

„Aber bevor wir anfangen, diesem absolut planlosen Mädchen etwas über die verschiedenen Arten von Zaubersprüchen beizubringen", begann Erin, warf ein Traube in die Luft und fing sie gekonnt mit dem Mund auf, bevor er weiterredete. „Sollten wir vielleicht beim kleinen Hexen Ein-mal-eins anfangen, oder? Wir sind weit davon entfernt, irgendetwas Effizientes zu versuchen."

Brikeena reckte aufgeregt einen Arm in die Luft. „Das mach ich! Ich kann ihr alles beibringen." Ihre Augen leuchteten wie die, eines Kleinkindes an Weihnachten.

„Das glaube ich nicht", erwiderte Arthur und fing sich einen irritierten Blick von ihr ein.

„Warum nicht?"

„Sie ist eine Schreiberin. Deine Magie unterscheidet sich viel zu sehr von ihrer. Du wirst ihr nicht viel beibringen können." Brikeena verschränkte die Arme vor der Brust, und auch ich war ziemlich enttäuscht darüber. Sie war nämlich die Einzige, mit der ich mich wirklich verstand. Ja, Arthur war auch okay, aber irgendetwas hatte er an sich, dass mich immer noch misstrauisch machte.

Und vom Rest muss ich ja wohl gar nicht erst anfangen.

„Corona und ich werden das machen. Ivera und Dolan können es auch versuchen, aber du bist die Letzte, die-"

„Sekunde." Brikeena hob die Hand und sah ihren Bruder fast warnend an. „Corona? Du willst Corona erzählen, dass sie hier ist?" Sie deutete auf mich.

„Und unserer Mutter, natürlich."

Sie schüttelte den Kopf, während ich wie ein verwelktes Blatt im Herbst daneben saß und keine Ahnung hatte, was abging. „Du elender Verräter!"

„Eure kindischen Streitereien tun hier nichts zur Sache", mischte sich nun auch Finley ein.

„Kindische Streitereien?", hakte der Teenager wütend nach, dessen Namen ich schon wieder vergessen hatte. War es Arlen gewesen?

„Stopp!", rief Arthur und stand so plötzlich auf, dass ich zusammenzuckte. „Bevor das Ganze in einem weiteren Corona-Brikeena-Streit endet."

Ich hatte nicht das Gefühl, dass der richtige Zeitpunkt war, um nachzufragen, worum es ging, also hielt ich den Mund. Arthur warf Brikeena einen halb verärgerten, halb bedauernden Blick zu.

„Du weißt, dass Corona es erfahren muss", sagte er schließlich. Stumm trugen die beide einen Kampf aus, den Arthur gewann, denn irgendwann schüttelte Brikeena bitter den Kopf.

„Du kannst mich mal!" Dann stand sie abrupt auf und verließ den Saal, nicht jedoch, ohne die Türe so kräftig hinter sich zuzuschlagen, dass ich überrascht war, sie nicht aus den Angeln fallen zu sehen.

Unbehagliches Schweigen breitete sich aus. Irgendwann beschloss ich, die Frage zu stellen, die mir schon lange auf der Zunge brannte.

„Warum fragt ihr eigentlich nicht Theodoric?" Wenn er doch selbst ein Schreiber war, begriff ich nicht ganz, warum ich da hinein gezogen wurde. Außerdem fragte ich mich, warum er noch nicht hier aufgetaucht war, um mich zu sehen. War er auch in Irland? Aber davon hatte Arthur nichts gesagt.

Vielleicht macht er ja Urlaub auf Hawaii.

Nur konnte ich mir das bei den plötzlich so verschlossenen Gesichtern nicht vorstellen. Finley's Augenbrauen rutschten noch ein Stück weiter nach unten, Canna sah auf den Boden, der Teenager wirkte bedrückt und Erin hörte auf zu essen.

„Du weißt es nicht?" Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Arthur zu.

„Würde ich sonst fragen?", entgegnete ich, vielleicht eine Spur zu spitz. Er sah mich lange schweigend an. Fast glaubte ich schon, hier keine Antwort zu erhalten. Und seine darauffolgenden Worte ließen mich durchaus wünschen, es wäre so gewesen.

„Er ist tot. Cillian hat Theodoric umgebracht."

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