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Beverly 

Meine Hand begann zu zittern, als ich das warme Blut auf meinen Fingern sah. Zwei Dinge wurden mir in diesem Augenblick klar.

Erstens: Jemand musste gerade versucht haben, Aidan zu verletzen und war somit in der Lage, mich umzubringen, solange Lorcan's Zauber noch wirkte, egal wo ich mich befand.

Zweitens: Sobald der Zauber nicht mehr wirkte, konnte die Person, die mich eben verletzt hatte, Aidan umbringen.

Was für eine riesengroße, verdammte Scheiße!

„Bevy!", rief Chase nun zum dritten Mal. Jetzt stampfte er auch auf mich zu und rüttelte mich an dem Armen. „Was ist passiert?"

„Aidan", hauchte ich und spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen.

Chase betrachtete das Blut, dann den Schnitt auf meinem Dekolletee. „Der Zauber wirkt noch?"

Ich schnappte nach Luft. Mir wurde ganz schwindelig. Jede Sekunde, ich könnte jede Sekunde mit aufgeschlitzter Kehle, oder einer Wunde im Bauch umkippen. Ohne, dass irgendjemand hier war. Aidan könnte sterben, ohne, dass ich davon wusste, sollte der Zauber seine Wirkung verlieren.

„Ich muss ihn sofort suchen!"

„Bist du wahnsinnig?" Trish stand vom Bett auf und Addie sah mich erschrocken an. Vor nicht einmal zwei Minuten war entweder ihre Fruchtblase geplatzt oder sie hatte sich unkontrolliert angepinkelt. In ihren Schmerzen verstand sie also nicht so recht, was vor sich ging.

„Was soll ich denn machen?", gab ich zurück. „Ich muss ihn suchen, jetzt, sofort!"

„Wenn du ihn suchen gehst und sie dich erwischen, dann stirbst du", erwiderte Chase eindringlich.

„Wenn ich hier bleibe, sie Aidan aber haben und ihm ein Messer in den Bauch stoßen, sterbe ich auch!", entgegnete ich und riss mich los. „Ich bin so gut wie tot." Meine Stimme brach ab, aber ich zwang mich, weiter zu reden. „Und wenn der Zauber aufhört zu wirken, dann ist es Aidan auch, ich muss ihn suchen!"

Plötzlich riss jemand die Türe auf, kam ins Zimmer gestürmt und ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen. Chase versteifte sich und Trish stellte sich schützend vor Addie. Einen Augenblick dachte ich, dass die dunklen Haare zu Odilia gehörten.

Nein, es war Finley, die uns alarmiert ansah und die Türe wieder schloss.

„Was zum Teufel macht ihr noch hier?!", zischte sie und kam zu uns. „Odilia ist hier, sie hat-" Sie bemerkte meine Wunde und seufzte.

„Verdammt."

„Sie haben Aidan", erklärte ich, aber sie nickte nur, als wüsste sie davon. Also erzählte ich ihr etwas Neues. Ich deutete zu Addie. „Sie kriegt gerade ihre Babies."

Finley legte den Kopf schräg, als hätte ich nichts Ungünstigeres sagen können. „Ach, komm schon. Wirklich?"

„Wir sind total am Arsch", nickte Chase.

„Sind wir nicht", erwiderte Finley streng. „Okay? Sie haben die meisten unten im Thronsaal versammelt. Aidan ist auch unten. Corona und die anderen wissen von dem Zauber. Sie werden nicht zulassen, dass Odilia ihm etwas tut, das dich umbringen könnte."

Ich schluckte und nickte tapfer.

„Woher weißt du das?", fragte Chase, beinahe misstrauisch. „Dass sich die ganze Action im Thronsaal abspielt."

„Ich war nicht im Saal, als sie ins Schloss eingedrungen sind", erklärte sie. „Ich bin gegangen, weil Arthur mich gebeten hat, nach Acacia zu sehen. Sie wollte sich hinlegen und ausruhen. Aber sie war nicht in ihrem Zimmer und als ich zurück in den Thronsaal gehen wollte, habe ich durch den Türspalt gesehen, was los ist. Mindestens dreißig von Odilia's Handlangern plus Odilia."

Sie wandte sich an Addie. „Wenn du mich lässt, kann ich nachsehen, ob du wirklich in den Wehen liegst."

Addie biss die Zähne zusammen und nickte tapfer. Trish ging wieder um das Bett herum und griff nach Addie's Hand, während Finley sich zwischen ihren Beinen platzierte und weiter erzählte.

„Acacia war nicht im Thronsaal, aber Aidan, deshalb wusste ich, dass ihr auch noch hier seid. Eigentlich hätten Arlen und Davina euch längst von hier wegschaffen sollen, aber sie konnte ich auch nicht finden und jetzt stecke ich mit meinen Fingern in der Vagina einer Frau, mit der ich persönlich vielleicht drei Sätze gewechselt habe. Ich liebe mein Leben." Sie sah zu Addie auf. „Nichts für ungut."

Addie winkte ab und drückte Trish's Hand fester.

„Denkst du...", begann ich vorsichtig. „Davina und Arlen und Acacia ist etwas passiert?" Darauf antwortete sie nicht, sie wandte sich lediglich wieder an Addie.

„Diese Babies wollen raus. Und zwar jetzt."

„Was? Jetzt?", keuchte Addie und augenblicklich rannten ihr die Tränen übers Gesicht. „Nein, das kann nicht sein, es ist zu früh. Es ist viel zu früh. Trev ist nicht hier. So sollte das nicht passieren. Das war so nicht geplant!"

Trish nahm sie in die Arme.

„Dass die Babies früher kommen, kann am Stress der letzten Tage liegen", erklärte Finley. „Wie weit bist du?"

„In der... dreißigsten Woche, glaube ich", weinte sie. „Seit ich hier bin hab ich irgendwie das Zeitgefühl verloren..."

Finley nickte. „Das überleben sie schon. Es sind Halbdämonen. Die lebenswichtigen Organe haben sich bereits gebildet. Vielleicht können sie sogar schon selbstständig atmen."

„Vielleicht?!", rief Addie.

„Sie überleben das", versicherte Finley noch einmal und drehte sich zu mir. „Es wird eine ganz schöne Sauerei, habt ihr Handtücher?"

Ich zeigte auf den Schrank und Chase holte welche, die Finley kunstvoll um Addie drapierte, die versuchte, sich mit der Situation anzufreunden.

„Du könntest ihre Hand halten", bemerkte Finley dann und sah zu Chase. „Das wird nämlich harte Arbeit für sie."

„Könnte ich", nickte er zustimmend und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber sie ist mit einem Dämon verbunden, liegt gerade in den Wehen und ich brauche meine Hand noch. Aber du kannst ja ihre Hand halten, wenn du auf Knochenbrüche stehst." Er tätschelte Addie's Kopf und ich begann an meinem Daumennagel herum zu kauen.

Addie stieß einen kurzen Schrei aus.

„Verdammte Scheiße!" Sie pustete den Atem aus und verzog das Gesicht. „So hab ich mir das alles nicht vorgestellt..."

„Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, Süße, aber die Dinge laufen selten so, wie man es sich vorstellt", erwiderte Finley. „Habt ihr Wasser?"

„Vielleicht noch einen Schluck", erwiderte Trish und zeigte ihr die beinahe leere Flasche. Finley betrachtete sie und sah dann fast schon enttäuscht zu mir.

„Ich dachte, du hättest in den letzten Monaten dazugelernt." Sie nahm Trish die Flasche aus der Hand. „Das vervielfachen von Flüssigkeiten ist viel leichter, als das vervielfachen von Gegenständen."

Sie sah die Flasche erwartungsvoll an, doch nichts passierte. Sie schüttelte die Flasche irritiert, aber es tat sich nichts.

„Wolltest du uns gerade etwas demonstrieren, oder...?", fragte Chase. Finley sah auf.

„I-Ich kann nicht zaubern... Wieso kann ich nicht zaubern?!" Es war das erste Mal, dass ich Panik in ihrer Stimme mitschwingen hörte und es machte mir lediglich noch mehr Angst, denn Finley war stark. Und sie verlor gerade ihre... nennen wir es Coolness, weil sie nicht zaubern konnte. Finley schloss mutlos die Augen und stieß den Atem aus. „Sie wussten, dass wir auf sie warten...", murmelte sie. „Es war geplant. Deshalb war es so leicht für sie, alle zu überrumpeln."

„Aber wie?", fragte Trish.

„Ich weiß es nicht..." Hoffnungslos rieb sie sich die Stirn.

„Moment, soll das heißen...", keuchte Addie. „Dass wir jetzt absolut schutzlos sind?"

„Es heißt, dass du kein Wasser mehr trinken kannst", erwiderte Finley und spielte den Ernst der Situation herunter.

Schnell versuchte ich den Kerzenhalter auf dem Tisch mit Imaginationsmagie zu bewegen. Sofort rutschte er ein paar Zentimeter nach rechts.

„Ich kann noch zaubern", ließ ich Finley wissen und sie starrte überrascht auf den Kerzenhalter, fing sich jedoch schnell, nickte und hielt mir die Flasche hin.

„Füll sie."

„Wie?"

„Imaginationsmagie, du Armleuchter."

Ich nahm die Flasche entgegen, konzentrierte mich auf das Wasser und stellte mir vor, wie sich der Wasserspiegel hob. Tatsächlich dauerte es nur ein paar Sekunden, bis die Flasche rasant an Gewicht zunahm und bis zum Anschlag gefüllt war.

„Wir müssen Brikeena und Misoa aus den Kerkern holen", sagte ich und gab Finley die Flasche zurück. Alle drei starrten mich an, als hätte ich gerade ihre ganze Familie abgeschlachtet.

„Bist du verrückt?", fragte Addie.

„Du willst dein Leben riskieren für die beiden?", hakte Chase ungläubig nach und Finley schüttelte entschieden den Kopf.

„Kommt gar nicht in Frage, wir bleiben alle hier."

„Aber Brikeena hat mir geholfen", meinte ich, ging zum Schrank, nahm das letzte Tuch heraus, das sich darin befand, und marschierte wieder auf die andere Seite des Zimmers zu den ganzen Alkoholkaraffen. „Wenn Odilia das herausfindet, werden sie sie vielleicht töten. Oder schlimmeres. Und Misoa... sie würden sie bestimmt auch mitnehmen, wenn sie sie finden. Oder in ihrer Zelle abstechen." Meine Hände zitterten als ich den Lappen mit dem Alkohol tränkte. Dass Chase sich nicht einmal über diese maßlose Verschwendung beschwerte, war für mich Beweis genug, dass er den Ernst der Lage begriff. Vielleicht mehr als ich.

Ich biss die Zähne zusammen und drückte den nassen Lappen gegen mein Dekolletee, da wo die Schnittwunde saß und sog scharf die Luft ein, erlaubte mir aber nicht, auch nur einen Ton von mir zu geben, egal wie sehr es schmerzte.

Mit dem Lappen gegen die Brust gedrückt drehte ich mich wieder um. „Außerdem ist Brikeena unser einziger Triumph. Sie werden nicht aufhören, bis sie sie haben. Wenn wir Brikeena hier raus schaffen, dann lassen sie vielleicht alle anderen in Ruhe, um uns zu folgen."

Finley verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wie willst du das anstellen? Wie willst du unbemerkt in das Verließ, Brikeena und Misoa rausholen und dann zum Ataria laufen? Sie erwischen und töten dich zehn Mal, bevor du Brikeena auch nur erreichen könntest."

„Ich bin leise und vorsichtig", war meine einzige Antwort, als ich das blutige Tuch wieder von meiner Haut nahm.

„Du bleibst hier!", wiederholte Finley, tränkte ein Tuch mit dem Wasser und reichte es Chase, der Addie den feuchten Lappen auf die Stirn legte. „Ende der Diskussion."

„Nein. Wir brauchen Brikeena. Wenn Corona und die anderen es nicht schaffen, Odilia einzufangen, dann nehmen sie Brikeena mit und wir haben alles verloren."

„Beverly, wenn dir etwas passiert -dann haben wir alles verloren!", gab Finley sauer zurück. „Du bist die letzte Schreiberin auf der Welt, wenn sie dich in die Finger kriegen, werden sie dich umbringen. Sie werden dich kein zweites Mal gehen lassen, schon gar nicht, wenn sie sehen, dass du immer noch hier bist und gegen sie arbeitest."

Finley mochte ja recht haben, aber jede Zelle meines Körpers drängte mich dazu, nach unten zu laufen, um Brikeena und Misoa zu holen und hier wegzuschaffen. Mein Leben hing im Augenblick ohnehin schon am seidenen Faden. Ihres tat das noch nicht.

„Ich geh runter", beschloss ich.

„Ich komm mit", sagte Chase und folgte mir bis zur Türe, bevor Finley ein empörtes Nein ausstoßen konnte.

Ich blieb stehen und sah ihn ernst an. „Du bleibst hier."

„Nein. Entweder du gehst und ich komme mit, oder wir bleiben beide hier. Eine dritte Option gibt es nicht."

Finley stieß ein wütendes Knurren aus. „Ihr habt beide den Verstand verloren. In jedem Horrorfilm wären die Charaktere schlauer als ihr!"

„Bitte geht nicht", winselte Addie gepresst und zog sich das Tuch von der Stirn. „Bitte bleibt hier. Das ist es nicht wert... Aidan ist schon weg und ich..." Wieder liefen ihr die Tränen übers Gesicht. „Bitte macht das nicht, ich hab kein gutes Gefühl dabei."

Ich sah zwischen Chase und Addie hin und her. Es war mein Leben, das ich in Gefahr bringen würde, würde ich da runter gehen. Aber es war auch Chase' Leben, das auf dem Spiel stehen würde, weil er nicht hier bleiben würde.

Aber ich musste gehen.

„Bitte bleib hier", flehte ich Chase an. „Bleib bei Addie."

„Sie ist hier in guten Händen", erwiderte er. „Ich lass dich nicht alleine gehen. Sonst gehst du noch drauf."

Ich lächelte traurig und gab mich vielleicht schneller geschlagen, als ich hätte sollen. Doch uns lief die Zeit davon und Brikeena und Misoa aus dem Kerker zu holen, war das einzige, das wir im Augenblick tun konnten.

„Okay." Ich sah an ihm vorbei zu Addie, die den Kopf schüttelte. „Wir sind vorsichtig, versprochen. Und wir kommen so schnell wie möglich zurück."

Sie drehte den Kopf zur Seite, als würde es ihr mehr Schmerzen bereiten, uns dabei zuzusehen, wie wir gleich gehen würde, als zwei Babies aus ihrem Körper zu pressen.

„Passt auf euch auf!", bat Trish, kam zu uns und umarmte uns kurz. „Und... bitte lasst nicht zu, dass Brikeena etwas passiert", flüsterte sie gepresst in mein Ohr. Erst jetzt erinnerte ich mich daran, dass Trish Brikeena natürlich nicht einfach so vergessen hatte.

Wir waren schon beinahe aus der Türe draußen, als Finley noch etwas sagte.

„Chase." Er drehte sich um und sie sah ihn besorgt an. Sie kämpfte mit sich, das sah ich ihr an.

„Ja?"

Dann räusperte sie sich. „Seid vorsichtig." Sie meinte uns beide, sah aber nur Chase an. Er nickte.

„Ihr auch."

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