69
Beverly
Alles lief komplett aus dem Ruder. Einfach alles. Ich wollte auf der Stelle mit Corona sprechen.
„Sie wird nicht auf dich hören", erinnerte Aidan.
„Man kann ja hoffen." Damit betraten wir entschlossenen Schrittes den Thronsaal.
Corona thronte wie so oft auf dem imposanten Stuhl und unterhielt sich leise mit Arthur. Beide hielten irgendwelche Papiere in der Hand, über die sie zu philosophieren schienen. Chase und Finley saßen wieder an einem der Tische und lieferten sich ein Schachduell, umgeben von neugierigen Zuschauern.
„Ich muss mit dir reden", sagte ich barsch, sobald wir auf der untersten Treppenstufe angekommen waren und hinauf zu Corona eilten. Sie hob die Augenbrauen und ich wusste genau, was sie dachte.
Warum glaubt dieses dumme, kleine Mädchen ständig mit mir reden zu können, wann immer es ihr passt?
Sie reichte Arthur die Zettel, die sie in der Hand gehalten hatte, bevor sie sich halb genervt, halb gelangweilt zu mir drehte. „Bitte?"
„Hast du angeordnet Misoa einsperren zu lassen?"
„Ja, das habe ich."
Ich wartete auf eine Erklärung, aber die blieb aus. Ein paar Mal versuchte ich etwas zu sagen, aber ich war sprachlos.
„Wieso?", fragte Aidan schließlich bemüht ruhig. „Misoa hat nichts getan."
„Soweit wir wissen", entgegnete Arthur und ich lachte auf.
„Du wusstest auch davon? Das wird ja immer besser." Sauer schüttelte ich den Kopf. „Corona, du kannst nicht einfach jeden einsperren, der vielleicht etwas mit Cillian zu tun hat. Das kannst du nicht machen!"
„Doch, das kann ich. Wer garantiert uns, dass Misoa nicht auch auf Cillian's Seite steht?"
„Wer garantiert, dass sie es tut?", schoss ich aufgebracht zurück. Corona betrachtete mich einen Augenblick lang.
„Das werde ich schon herausfinden", sagte sie langsam und ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, worauf sie hinaus wollte. Diesmal war Aidan sprachlos. In seinen Augen spiegelte sich jedoch so viel Wut, dass ich fest damit rechnete, dass er Corona gleich an die Gurgel gehen würde. Ich war beeindruckt, dass er die Fassung behalten konnte.
Verdammt, ich war beeindruckt, dass ich die Fassung behalten konnte. Eigentlich war ich nicht der Typ Hexe, der seinen Emotionen ausgeliefert war. Aber, zum Teufel, wenn ich meine Magie nicht mittlerweile unter Kontrolle gehabt hätte, dann wäre vielleicht ein Fenster zersprungen.
„Du wirst Misoa nicht wehtun!", presste ich schließlich so gefasst wie möglich hervor. „Hast du den Verstand verloren?"
„Vielleicht sollte ich sie gleich mit Brikeena zusammen verbrennen lassen."
„Bist du verrückt?!" Jetzt hatte ich meine Stimme laut genug erhoben, dass ich förmlich die Blicke aller Anwesenden auf mir spüren konnte. Corona's Blick verhärtete sich, aber ich ließ nicht locker. Das war entweder sehr mutig, oder hochgradig dämlich. Ich tendiere zu dämlich.
„Ich verlange, dass du sie sofort frei lässt!"
„Du verlangst es?" Corona lachte amüsiert und meine Magie polterte wie verrückt in meiner Brust. „Das finde ich niedlich, wirklich." Sie beugte sich zu mir. „Jetzt pass mal auf. Ich bin hier die Königin und du hast absolut kein Recht, etwas von mir zu verlangen, oder so mit mir zu sprechen. Ich lasse es dir ein letztes Mal durchgehen, weil ich weiß, dass du Brikeena und Misoa magst. Aber solltest du noch einmal so mit reden, werde ich dafür sorgen, dass es das letzte Mal gewesen sein wird." Ihr Blick fiel auf Aidan, bevor er bedeutsam wieder zu mir zurückschwang.
„Du hast völlig den Verstand verloren", zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen und sah zu Arthur. „Weiß Acacia von eurem Plan? Ich frage mich, was sie dazu sagen würde, wenn ihr ein unschuldiges Mädchen in einen Kerker werft und so lange foltert, bis sie gesteht, damit ihr sie hinrichten könnt."
„Sollte Misoa gestehen", begann Corona, bevor Schuldgefühle in Arthur aufkeimen konnten. „Ist es vollkommen egal, was Acacia oder das Consilium sagen."
Ich wollte sie umbringen. Ehrlich. Wenn ich in diesem Augenblick ein Messer in der Hand gehalten hätte, weiß ich nicht, ob es nicht auch ohne mein Zutun in ihrer Brust gelandet wäre. Dabei waren es nicht einmal die Dinge, die sie sagte, die mich so wütend machten, sondern die Art, wie sie es sagte. Sie wusste genau was sie tat, sie verstand das Spiel um Macht besser als jeder andere hier, und sie hatte keine Angst, die Regeln zu brechen. Das machte sie so gefährlich. Und ihre überhebliche Arroganz machte sie unausstehlich.
Sie wollte ein unschuldiges, junges Mädchen so lange foltern, bis es gestehen würde, auf Cillian's Seite zu stehen. Findet den Fehler.
Und dann begriff ich plötzlich, dass wir wirklich völlig machtlos waren. Wenn Acacia schon keinen Einfluss mehr hatte, wie hätten wir ihn dann haben sollen? Corona ließ sich auch von Iona nichts sagen, also verwarf ich diesen Einfall auch sofort wieder.
„Ihr könnt gehen." Corona winkte uns weg und ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder, hielt die Hand in Arthurs Richtung auf und er gab ihr die Papiere zurück. Aidan und ich hatten keine andere Wahl, als wegzugehen, wenn wir nicht alles schlimmer machen wollten. Bevor ich mich umdrehte, warf ich Arthur jedoch einen letzten Blick zu, doch er tat, als würde er ihn nicht bemerken.
„Was machen wir jetzt?", raunte Aidan mir wieder zu, aber ich konnte nur ratlos den Kopf schütteln. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass jemand in den Saal stürmte.
„Ich sage es nicht gerne, aber ich denke nicht, dass wir noch viel tun können."
Aidan hatte die Person auch bemerkt und kniff die Augen zusammen. Ich erkannte nicht, wer es war, der sich vor Chase aufbaute. Dieser sah nun auf und seine Körperhaltung spannte sich sichtlich an.
„Was geht da vor sich?", fragte ich unruhig, als ich Finley's unbehaglichen Blick bemerkte.
„Ich habe eine leise Vermutung", murmelte Aidan, als der Mann ausholte und Chase mit der Faust eine verpasste, sodass er vom Stuhl fiel. Ich atmete erschrocken auf. „Ja, das ist ein wütender Ehemann", nickte Aidan, als habe sich seine Vermutung bestätigt.
Ich drückte mich reflexartig näher an ihn, als Myron um den Tisch herum ging und sich von den anderen, die versuchten, ihn zu besänftigen nicht aufhalten lassen wollte.
Dann trat er nach Chase.
„Wir müssen was tun", meinte ich entgeistert, aber gleichzeitig fand ich, dass Chase es vermutlich verdient hatte. Finley war verheiratet, es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Myron der Kragen platzen würde. Und als er auch noch Chase' Anhänger auf den Boden warf, den er immer um den Hals trug, war ziemlich klar, dass aus den Schach-Duellen der beiden weit mehr geworden war.
„Myron!"
Finley war aufgesprungen, griff nun nach seinem Arm und wollte ihn von Chase wegziehen, doch in einer einzigen Bewegung fuhr er herum und schlug ihr so heftig ins Gesicht, dass sie zu Boden fiel. „Du bist eine Hure!", brüllte er. Corona sprang wie von der Tarantel gestochen auf, schaffte es dabei aber trotzdem irgendwie hoheitlich auszusehen. Einige umstehende Zuschauer wollten eingreifen, aber noch bevor irgendjemand im Saal wirklich reagieren konnte, war Chase aufgesprungen, hatte sich wie die Schlägertypen, die man aus High-School Filmen kennt, auf Myron geworfen und schlug wutentbrannt auf ihn ein.
„Was für ein Tag", murmelte ich und um ehrlich zu sein war mir schon beinahe egal, wie das ganze hier enden würde. Ich wollte mich in meinem Bett verkriechen, an meinen Nägeln kauen und einen Plan erarbeiten, wie ich Misoa aus dem Verließ holen konnte.
Aber als Aidan sich von mir löste, auf das Geschehen zu sprintete und Chase von Myron zerrte, erinnerte ich mich daran, dass Chase, so viel Scheiße er auch bauen mochte, immer noch ein Freund war.
Während Aidan auf Chase einredete, dass er sich beruhigen sollte, gesellte ich mich dazu und drückte halbherzig seinen Unterarm. Erin half Myron auf die Beine, und Chase wäre vielleicht noch einmal auf ihn losgegangen, wenn Corona's Schritte nicht durch den Saal gehallt wären, als sie entschlossen auf die beiden Alpha-Männchen zukam.
Ich hatte noch nie gesehen, dass Chase jemanden so zugerichtet hätte. Myron's Lippe war aufgeplatzt, seine Nase blutete und ich war mir sicher, dass ein hübsches Veilchen in seinem Gesicht aufblühen würde. Dafür hatte Chase gerade Mal eine kleine Platzwunde auf der Wange und vermutlich ein oder zwei Blutergüsse auf den Rippen.
Er war ein zäher Kerl. Das jahrelange Jägertraining hatte sich bewährt.
Ich wusste nicht, was Corona genau mit Myron anstellte, während sie den Blick nicht von ihm nahm, aber etwas machte sie, denn ihre Augen glänzten in dem verräterischen Goldton und Myron stand nicht nur gebeugt da, sondern begann nun auch noch zu zittern, als wolle er sich aus einem unsichtbaren Griff befreien und ich konnte die Magie spüren, die aktiv in der Luft knisterte.
Sie hob den Kopf und sah auf ihn herab. „Du wirst meine Schwester nie wieder schlagen, hast du mich verstanden?" Er antwortete nicht. „Nie wieder. Ansonsten kannst du der Hilfe, die meine Mutter und ich deiner Familie zukommen lassen ein Luftküsschen hinterherschicken und deinen Kopf ganz nebenbei auf einem Pfahl suchen, habe ich mich klar ausgedrückt?"
„Ja", krächzte er nun. Corona blinzelte kurz, das goldene Schimmern verschwand, Myron fiel nach vorne und stützte sich an den Knien auf.
„Gut." Sie sah sich um. „Und jetzt verschwindet. Alle! Ich hab genug von Menschen für heute." Sie wandte sich noch an Finley, die sich mitgenommen gegen Lorcan lehnte der seine Arme um sie geschlungen hatte, und stellte leise sicher, dass es ihr gut ging.
„Alles okay?"
„Ja..."
„Hat er das schon mal gemacht?"
Sie schüttelte den Kopf und Aidan und ich versuchten Chase aus dem Saal zu ziehen, der natürlich viel lieber bei Finley geblieben wäre.
„Du Idiot!", knurrte ich, als wir die Treppen nach oben gingen. Er gab sich nicht einmal die Mühe, sich zu verteidigen. „Du Vollidiot!" Ich schlug ihm kräftig auf den Hinterkopf und auf die Brust, aber er wehrte diese Angriffe nur halbherzig ab. „Als hätten wir nicht schon genug Probleme! Die Scheiße dampft dir noch nicht genug, nein, du musst auch noch mit Finley schlafen, die Frau, deren Mann es tatsächlich interessiert, mit wem sie ihre Zeit verbringt! Du Dämlack! Ich könnte dich erwürgen."
„Tu dir keinen Zwang an", entgegnete er mürrisch.
Als wir Aidan's Zimmer betraten, sprang Trish sofort erschrocken auf, wohingegen Addie sich mühselig wie ein Walross, das zu viel gefuttert hatte, vom Bett aufrappelte.
„Oh mein Gott, was ist passiert?", rief Trish erschrocken aus und rannte auf Chase zu. Addie watschelte zum Schrank, holte ein Handtuch heraus und goss Alkohol darauf.
„Doch nicht den Scotch!", rief Chase empört.
„Klappe." Addie drückte ihm den Lappen auf die aufgeplatzte Stelle. Chase zuckte zusammen und sog scharf die Luft ein.
„Krieg ich auch Scotch zum Trinken, oder willst du mich nur mit dem verführerischen Duft wahnsinnig machen?"
„Will uns vielleicht mal jemand sagen, was passiert ist?", fragte Trish besorgt und wütend zugleich.
„Chase hat mit Finley geschlafen", erklärte ich und beinahe in derselben Sekunde war die Aufregung aus Trish's Augen verschwunden und auch Addie schien das Interesse verloren zu haben.
„Wie hat ihr Mann Wind davon bekommen?", fragte Trish und musterte Chase abwertend. „Hat sie es ihm erzählt?" Ihrem Tonfall entnahm ich, dass sie ganz genau gewusst hatte, was zwischen Chase und Finley gelaufen war. Oder vielleicht immer noch lief.
Chase hielt seinen Anhänger hoch. „Ich muss ihn in ihrem Zimmer vergessen haben."
Addie lachte auf, während sie sich wieder ins Bett kämpfte. „Zu dumm, um zu vögeln, ich lach mich kaputt."
Ich rieb mir übers Gesicht. Auf solche Dramen konnte ich im Augenblick verzichten. „Okay, neue Regel: Es gibt keinen Sex für Chase, so lange wir hier in diesem Schloss festsitzen, kapiert?"
„Das ist unfair!", rief er wie ein Kleinkind aus. „Was ist mit Trish?"
„Was soll mit mir sein?", fauchte sie.
„Du denkst, ich weiß nicht, dass du dich gestern mitten in der Nacht aus Arlen's Zimmer geschlichen hast?"
„Um Himmels Willen." Aidan schüttelte den Kopf, warf sich neben seine Schwester auf das Bett und ließ mich damit demonstrativ alleine die Diskussion ausfechten.
Trish verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir haben nur geredet. Ich kann ihn gut leiden."
„Mhm!" Chase nickte vielsagend. „Klar. Ich kann mir denken, was du an ihm besonders gut leiden kannst."
Sie atmete ungläubig auf. „Was soll das denn bedeuten?"
„Ach, komm schon, seit die Sache mit Brikeena raus ist veranstaltest du Frustvögeln, gib es zu."
„Stimmt nicht!"
„Okay!", rief ich dazwischen. „Es gibt für euch beide keinen Sex mehr, bis hier alles geklärt ist!"
„Oh, okay." Chase nickte. „Wir dürfen keinen Sex haben, aber dass ihr zwei rumbumst geht klar?" Er deutete zwischen mir und Aidan hin und her.
„Wir haben nicht miteinander geschlafen", verteidigte ich mich und biss mir sofort auf die Zunge, als Trish mit großen Augen empört aufatmete.
„Ihr hattet Sex? Das ist doch ein Scherz!"
„Bevy!" Chase sah mich neckend an. „Das ist aber nicht die feine englische Art."
„Ich-... Also...", stammelte ich. „Wir haben nicht... Es war nur... Aidan!" Hilfesuchend sah ich zu ihm, aber er hatte lediglich die Handballen auf die Augen gelegt.
„Ich halt mich da raus", meinte er gleichgültig und Addie begann zu lachen. Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg.
„Keinen Sex für alle, also", lachte Chase. „Abgemacht."
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Augenbrauen zusammen. „Ich-... Nein, du hast keine Antwort verdient! Ich gehe wieder nach unten und versuche etwas aus Brikeena herauszubekommen."
Ich konnte Chase, Trish und Addie noch lachen hören, als ich bereits auf dem Flur war.
~~ ~~
Auf dem Weg nach unten hatte ich geschmunzelt. Es war so lächerlich, in den Zeiten, in denen wir lebten, über so normale Dinge zu streiten und uns gegenseitig aufzuziehen.
Aber sobald ich vor Corona's Statue stand, die den geheimen Eingang zu den Verließen preisgab, verging mir das Lachen wieder. Corona hatte mich natürlich nicht bei Brikeena wissen wollen. Eigentlich durften nur die Fünf und Iona nach unten, so wie ein Haufen Wachen. Aber Lorcan hatte mir verraten, wo der Eingang zu den Kerkern lag und auch, mit welchem Zauber ich dorthin gelangen konnte. Und mittlerweile wusste Corona bestimmt auch, dass ich, Trish und Aidan versucht hatten mit Brikeena zu reden und nun auch mit Misoa sprechen würde.
Aber als ich den kleinen Zauber murmelte, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass sie die Sicherheitsvorkehrungen nicht geändert hatte. Der Spruch war derselbe und der Eingang war auch am selben Platz. Lorcan hatte mir erzählt, dass Corona den Eingang beinahe jährlich änderte, damit Unbefugte nicht in die Verließe eindringen konnte. Die riesige Statue schob sich zur Seite und gab den Weg zu einer unsichtbaren Türe frei, nach dessen Knauf ich erst einmal tasten musste.
Ich trat in den dunklen Treppengang, schloss die Türe hinter mir und hörte, wie sich die schwere Statue wieder vor den Eingang schob.
Sobald ich unten ankam, sah ich, dass Misoa etwa fünf Zellen von Brikeena entfernt eingesperrt worden war. Als ich an Brikeena's Zelle vorbei ging, warf sie mir den grauenhaftesten Blick zu, der mir jemals zugeworfen worden war. Sie machte mich dafür verantwortlich, dass Misoa hier eingesperrt war. Es war das erste Mal, dass sie mich direkt ansah, seit ich hier heruntergekommen war.
„Beverly!" Misoa klammerte sich an den Gitterstäben fest. Ihre Augen waren ganz rot, ihre Stimme ganz schrill und verängstigt. „Bitte, bitte, hol mich hier raus! Meine Eltern machen sich bestimmt wahnsinnige Sorgen, wo ich bin und-..." Ihre Stimme brach und sie begann wieder zu weinen. „Warum ist Brikeena hier? Warum bin ich hier?" Sie kehrte mir den Rücken zu, nahm ihre Haare zusammen und präsentierte mir den Schnitt ihn ihrem Nacken. Reflexartig griff ich an die Narbe, die sich knapp unter meinem Haaransatz eingenistet hatte. „Ich kann nicht mehr zaubern, Beverly! Weißt du, was das für ein Gefühl ist?"
Ich setzte mich auf den Boden vor die Zelle und bedeutete ihr, sich ebenfalls hinzusetzen.
„Ich habe nichts falsch gemacht", weinte sie und ließ sich vor mir nieder.
„Ich weiß", flüsterte ich. „Ich hol dich hier raus, versprochen."
Ich warf Brikeena einen kurzen Seitenblick zu. Sie ließ mich nicht aus den Augen.
„Was ist los, keiner will mir etwas sagen."
Ich schluckte. Ihr verschreckter Blick machte mich ganz krank. Sie zitterte und ich bemerkte die Gänsehaut auf ihren Armen. Kein Wunder. Sie trug ein kurzes Sommerkleid und es war ziemlich frisch hier unten. Außerdem roch es nach Staub und einem anderen abgestandenen Geruch.
Ich drehte mich um und wandte mich an einen der Männer, die stumm vor Misoa's Zelle standen.
„Wir brauchen hier eine Decke."
„Die Königin hat gesagt-"
„Es ist mir absolut scheißegal, was die Königin gesagt hat!", fauchte ich. „Sofort!"
Einen Augenblick lang zögerte er und warf dem anderen Kerl einen unsicheren Blick zu, aber der zuckte nur mit den Schultern. Endlich bewegte sich der Kerl und verschwand aus dem Kerker.
„Beverly", winselte Misoa und ich streckte meine Hand durch die Gitterstäbe. Sie hatte ganz kalte Finger.
„Es ist okay, ich hol dich raus, versprochen. Es ist nur ein Missverständnis."
„Ein Missverständnis, wegen dem plötzlich zwei fremde Männer bei mir zu Hause aufgetaucht sind und mich mitgenommen haben? Ich muss für meine Abschlussprüfungen lernen, die sind nächste Woche, ich..."
„Beruhige dich", bat ich so sanft wie möglich. Der Wächter kam mit einer dicken Wolldecke zurück und hielt sie mir hin.
„Danke", grummelte ich, nahm sie entgegen und reichte sie Misoa durch die Stäbe. Sie faltete sie auseinander und legte sich den Stoff um die Schultern.
„Also...", begann ich. „Es... Es sieht so aus, als... ob Brikeena etwas mit Cillian zu tun hat."
„Was?!", rief Misoa empört aus. „Das ist doch völliger Schwachsinn! Brikeena!" Sie sah zu der anderen Zelle hinüber, aber Brikeena antwortete nicht, sondern sah sie stumm an. Misoa schüttelte den Kopf erst in Verleugnung, dann Unglaube und schließlich Enttäuschung. „Das kann nicht sein, das... Nein... Das... Brikeena..."
„Hör zu." Erschrocken drehte sie sich zu mir und Tränen kullerten ihr über die Wange. Ich sah ihr eindringlich in die Augen. „Corona denkt, dass du auch etwas mit ihm und Odilia zu tun hast."
„Aber das habe ich nicht! Nein, nein, nein!" Sie wollte sich die Ohren zuhalten, aber ich hielt sie an den Handgelenken fest und zwang sie, mich anzusehen. Ihre dunklen Augen flackerten nervös hin und her. „Du musst mir versprechen, dass du auf gar keinen Fall sagst, dass du etwas mit den beiden zu tun hast, verstanden? Versprich mir das."
„Wieso?" Ihre Stimme zitterte. „Wieso sollte ich das sagen?"
Ich musste es nicht aussprechen, denn sie deutete meinen reumütigen Blick. Sie gab einen erstickten Laut von sich. „Oh Gott..."
„Ich verspreche dir, dass ich dich hier rausholen werde", wiederholte ich schnell und mit so viel Überzeugung in der Stimme, wie ich zu Stande brachte. „Sie können dich nicht hinrichten, wenn sie keine Beweise gegen dich haben und du nicht gestehst."
„Hinrichten?" Sie begann am ganzen Körper zu zittern und ihre Stimme verrutschte. „Sie werden mich töten?"
Ich war wirklich kein Ruhepol...
„Werden sie nicht, aber sie werden vielleicht versuchen, dich dazu zu bringen, ein Geständnis abzulegen. Das darfst du nicht zulassen. Ich brauche noch etwas Zeit, um dich hier rauszuboxen."
„Wie lange?"
„Ich..." Unbeholfen blinzelte ich. Beinahe wären mir selbst die Tränen in die Augen gestiegen. Selten hatte ich mich so hilflos gefühlt. Nicht meinetwegen, sondern weil ich unfähig war, Misoa zu helfen. Mir waren die Hände gebunden.
„Ich weiß es nicht. Aber ich verspreche dir hoch und heilig, dass du lebend hier raus kommst, okay? Das musst du mir glauben." Sie musste es mir glauben, wenn ich es schon nicht tat. „Egal, was sie machen, du musst durchhalten und mir vertrauen, okay?"
Sie presste die Augen zusammen und ließ den Kopf hängen. Ihre Schultern begannen zu beben und ich wollte nichts lieber, als die Gittertüre aus den Angeln zu heben und Misoa in den Arm zu nehmen.
„Ich hol dich hier raus", versprach ich, stieß mich von den Metallstäben weg und lief die Treppe wieder nach oben, ohne Brikeena noch einmal anzusehen. Vor der Türe vergewisserte ich mich, dass niemand den Gang entlang ging, und sprach dann den Zauber, der die Statue wieder zur Seite schob und mich aus dem unheimlichen Verließ ließ.
Auf dem Weg in mein Zimmer lief ich Cash über den Weg, der sofort wütend meine Richtung ansteuerte.
„Nur deinetwegen sitzt Misoa jetzt fest!", rief er und stand im Nu direkt vor mir. Fehlte nur noch, dass er mir mit jedem Wort auf die Brust getippt hätte.
„Meinetwegen? Warum ist das meine Schuld?"
„Du hast doch jedem erzählen müssen, dass Brikeena für Cillian arbeitet! Warum konntest du das nicht für dich behalten?"
„Weil Brikeena eine konstante Gefahr für uns dargestellt hat!", entgegnete ich ein bisschen perplex, weil Cash doch klar sein musste, dass ich keine andere Wahl gehabt hatte, als Brikeena vom Feld zu räumen. Er war ein kluger Teenager.
Er ist ein verliebter Teenager, erinnerte ich mich selbst. Er ist verliebt in Misoa und sie sitzt in einer Zelle fest und er hat keine Möglichkeit, sie zu sehen.
Oder hatte ich wirklich einen Fehler begangen? Hätte ich es für mich behalten und meine Vorteile daraus ziehen sollen? Misoa wäre in so einem Fall dann bestimmt nicht hier eingesperrt, sondern würde zu Hause vor ihren Büchern sitzen und lernen.
„Du hältst alle Karten in der Hand und tust nichts!", schrie Cash zornig. „Du ziehst den Schwanz ein wie ein feiger Hund! Du bist-"
„Cash!" Ivera kam auf uns zu, trat hinter ihren Sohn und legte ihm die Hand auf die Schulter. Ich wollte es nicht, aber mein Blick blieb für den Bruchteil einer Sekunde an ihrer Narbe hängen. Ihre kühlen Augen musterten mich. Ivera hatte etwas an sich, das mich mehr verunsicherte, als Corona es je geschafft hätte. Sie war fast nie präsent, aber wenn sie es war, ließ sie mich spüren, wie wenig sie von mir hielt.
„Tut mir leid, mein Sohn ist ein wenig aufgewühlt."
„Das ist nicht überraschend", entgegnete ich und weigerte mich, ihrem Blick auszuweichen, so bedrohlich er auch sein mochte. Seit Cash mir verraten hatte, dass Ivera ebenfalls bei der Mission dabei gewesen war, bei der Brikeena entführt worden war, riet mir mein Bauchgefühl davon ab, ihr zu vertrauen.
„Du scheinst nicht besorgt", bemerkte ich.
„Sollte ich das?" Sie hob die Augenbrauen. „Brikeena ist doch nun keine Gefahr mehr, oder irre ich mich?"
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, kein Grund zur Sorge."
Gott, ich hatte mir selten so sehr gewünscht, wieder auf die Gedanken eines Menschen zugreifen zu können, wie in diesen Augenblick.
Plötzlich schoss mir ein Gedanke in den Kopf.
Vielleicht... Nein... Oder? In ein paar Monaten oder Jahren verstehst du vielleicht, wie das mit dem Zauber schreiben klappt... Was, wenn...?
Ivera nickte mir noch einmal zu, bevor ich meine Gedanken zu Ende denken konnte, und schob ihren Sohn vorwärts. Ich blieb noch einen Augenblick stehen, so hörte ich, wie sie Cash wieder befahl, sich von Misoa fernzuhalten. Sie sei nicht gut für ihn und stünde nicht auf derselben Seite wie er.
Kopfschüttelnd fragte ich mich, ob irgendjemand in dieser Familie mit offenen Karten spielte.
Du hältst alle Karten in der Hand.
Cash's Worte wollten mir nicht aus dem Kopf gehen. Was er damit wohl gemeint hatte? Wusste die Rotznase etwas, das ich nicht wusste? Sah er einen Ausweg aus der ganzen Sache, den ich nicht sah?
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