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Beverly
„Was Brikeena getan hat, ist Hochverrat", erinnerte Corona zum bestimmt zwanzigsten Mal. „Und Hochverrat bestrafen wir mit dem Tod. Warum sollte sie die Ausnahme sein?"
Iona rieb sich die Schläfen.
Kurz nachdem ich Brikeena entlarvt hatte, hatte Corona mich am Arm gepackt und zu Iona's Arbeitszimmer gezogen. Es hatte nicht lange gedauert, da waren auch Arthur, Lorcan und Finley dazu gestoßen und als Corona zum ersten Mal eine Hinrichtung angesprochen hatte, hatte Acacia den Raum betreten. Iona hatte versucht, Innis zu erreichen, da sie bei einer so großen Entscheidung alle fünf Erstgeborenen hier haben wollte, aber bis jetzt war die mysteriöse Fünfte im Bunde, die ich noch nie kennen gelernt hatte, noch nicht aufgetaucht. Aber Lorcan hatte sie als liebevollen Familienmenschen bezeichnet -sie hier zu haben wäre vermutlich also gar nicht so schlecht gewesen.
Seit einer guten halben Stunde diskutierten wir, was nun mit Brikeena geschehen sollte. Das heißt, die anderen diskutierten. Ich hielt mich zurück und hörte zu, denn ich glaubte, alles was ich sagen würde, könnte nur noch mehr Schaden anrichten.
Natürlich sollte Brikeena nicht weiter frei herumlaufen, wenn sie auf Cillian's Seite stand -keine Frage. Sie hatte die ganze Zeit über ein falsches Spiel mit mir, meinen Freunden und ihren Geschwistern gespielt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mit einer Hinrichtung einverstanden war. Nein, eigentlich war ich es so ganz und gar nicht. Aber Corona liebte es, mir die Worte im Mund herumzudrehen, deshalb hielt ich die Klappe, bevor aus einem „Ich will auf keinen Fall, dass Brikeena hingerichtet wird" ein „Holt die Fackeln und Mistgabeln raus, wir verbrennen die Hexe!" werden konnte.
„Hochverrat bestrafen wir mit dem Tod", nickte Acacia. „Aber wissen wir wirklich sicher, dass Brikeena uns verraten hat? Hat sie gestanden?"
„Das musste sie gar nicht!", rief Corona. „Ihre Reaktionen haben alles gezeigt."
„Wir können niemanden aufgrund einer Reaktion hinrichten, nur weil du persönliche Probleme mit dieser Person hast", erwiderte Acacia und es war das erste Mal, dass ihre Stimme keinen sanften Unterton hatte. Das konnte natürlich auch überwiegend daran liegen, dass es ihr von Tag zu Tag schlechter ging. Das Mittel, das den Verlauf des Fluches hinausgezögert hatte, tat seine Arbeit nicht mehr, da Acacia den Trank, den sie regelmäßig zu sich hätte nehmen müssen, meinetwegen viel zu spät bekommen hatte. Ich sah dunkle Narben, die an Verbrennungen erinnerten, über den Rand des hohen Kragens ihres Pullovers wachsen. An den Handgelenken waren sie mittlerweile auch zu sehen.
Sie starb, da wäre ich mit meiner Geduld auch am Ende, besonders was Corona betraf.
„Persönliche Probleme?!", rief Corona schrill. „Sie hat uns alle verraten! Uns alle!"
„Sie hat nicht gestanden, es könnte immer noch alles reiner Zufall sein."
„Zufall? Wie viele Zufälle braucht es denn, damit du einsiehst, dass Brikeena ein hinterhältiges Miststück ist? Sie hat nicht gestanden, na schön! Aber sie hat auch nichts verleugnet."
Acacia nickte. „Also sollen wir deiner Meinung nach jeden Hinrichten, der nicht verleugnet, auf Cillian's Seite zu stehen? Toller Plan."
„Du vergisst, mit wem du redest", zischte Corona.
„Nein, du vergisst, mit wem du redest", entgegnete Acacia mit fester Stimme und stand von der Couch auf. Ihr war schwindelig, sie wankte kurz und Arthur wollte sie stützen, aber sie wies ihn ab und musterte Corona. „Du bist nicht meine Königin. Unter anderen Umständen würde ich sagen, dass wir auf derselben Ebene stehen, aber das tun wir nicht. Ich bin das Oberhaupt des Consiliums, ich stehe über dir."
Es war des erste Mal, dass Corona nicht zurückredete und ich war beeindruckt, dass eine so sanftmütige Person wie Acacia plötzlich eine so autoritäre Machtposition besaß, dass ich mich nicht getraut hätte, ungefragt mit ihr zu sprechen. Bei Corona war mir das eigentlich immer recht egal gewesen, obwohl ich wusste, wie sehr es sie störte.
Vielleicht lag es daran, dass Corona bei jeder Gelegenheit betonen musste, dass sie eine Königin war und wir ihr alle gehorchen mussten. Acacia musste ihre Position nicht jedem aufdrängen, sie erwartete den Respekt einfach und fand Förmlichkeiten innerhalb der Familie vermutlich veraltet. Sie hatte sich mich gegenüber völlig normal verhalten, bevor ich überhaupt gewusst hatte, dass sie eine Königin war.
„Respekt", sagte sie und fixierte Corona. „Respekt gegenüber anderen ist es, das dir nach all der Zeit immer noch fehlt. Respekt deiner Mutter gegenüber, Respekt deinen Geschwistern gegenüber, Respekt mir gegenüber." Ihre folgenden Worte waren wie ein Schlaghammer. „Eine respektlose Königin kann keine respektierte Königin sein." Sie setzte sich wieder hin und ich hielt die Luft an, als ich zu Lorcan hinüber sah, der sich in einer unauffälligen Bewegung die Faust gegen den Mund presste, um sein Grinsen zu verstecken. Mir war nicht nach grinsen zu Mute, denn ich glaubte, dass Corona gleich mit Blitzen um sich schießen würde, oder so.
Aber das tat sie nicht. Sie und Acacia führten noch einige Sekunden einen stummen Machtkampf aus und obwohl Acacia saß und Corona stand und ich immer gedacht hatte, dass stehende Personen mehr Macht ausübten, gewann Acacia den Kampf, denn Corona wandte den Blick ab.
Wieder fing ich Lorcan's Blick auf und er hob amüsiert die Augenbrauen in meine Richtung, bevor er sich räusperte, um die unangenehme Stille zu brechen.
„Was denkst du, Beverly?" Dass ich dich jetzt gerne umbringen möchte. „Du hast noch nichts dazu gesagt."
Corona warf mir einen warnenden Blick zu und ich wusste, ein falsches Wort würde mich in mächtige Schwierigkeiten bringen und vielleicht direkt neben Brikeena auf den Scheiterhaufen transportieren.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich will wirklich nicht viel dazu sagen... Ich will nicht entscheiden, was mit Brikeena passiert. Aber der Tod scheint mir... ziemlich... naja. Drastisch."
„Drastisch?" Corona lachte auf. „Ich frage mich, ob du immer noch so darüber denken würdest, wenn Brikeena deinen Freund wirklich umgebracht hätte."
„Aber genau das ist es ja", erwiderte ich und Corona kniff die Augen zusammen. Einzig und alleine die Tatsache, dass ich nicht alleine mit ihr war und Acacia sie gerade zurecht gewiesen hatte, gab mir Mut weiter zu sprechen. „Sie hat zwar vermutlich den Hexenbeutel zusammengebaut und versteckt, aber sie hätte ihn ja nicht wieder finden müssen. Sie hätte sich weiterhin dumm stellen und Aidan sterben lassen können. Warum hat sie das nicht getan?"
Bestimmt hätte ich anders über all das gedacht, wenn Brikeena Aidan umgebracht hätte. Aber das hatte sie nicht und die Frage nach dem Warum blieb bestehen. Solange ich keine Antwort hatte, würde ich auf keinen Fall meine Stimme dafür verwenden, Brikeena umzubringen.
Aber Corona würde es.
„Und vielleicht... Vielleicht weiß Brikeena ja etwas, das uns hilft."
„Und du bist so naiv zu denken, sie würde es uns sagen?" Wütend drehte Corona sich wieder zu Iona. „Du musst es beenden! Brikeena ist eine Gefahr für uns alle! Das können wir nicht verantworten! Sie weiß alles aus unserer Familie. Wer weiß schon, was sie Cillian erzählt hat oder noch erzählen wird!"
Iona richtete sich auf. Ich hatte sie selten so erschöpft und müde gesehen. War das Einbildung, oder war sie in den letzten Wochen um einiges älter geworden? Ich erkannte graue Haare, die ihr Gesicht umrahmten und die kleinen Fältchen um ihre Augen.
„Du möchtest, dass ich das Todesurteil für meine eigene Tochter ausspreche?", stellte Iona klar und ihre Stimme ließ jeden wissen, wie absurd dieser Gedanke war. Jeden, außer die Königin.
„Ja!"
„Nein."
„Nein? Du willst ihr das einfach so durchgehen lassen? Ohne Konsequenzen? Hast du mal darüber nachgedacht, was-"
„Sie ist meine Tochter!", rief Iona, schlug mit den Händen auf den Tisch und stand auf. „Ich kann sie nicht zum Tode verurteilen! Keinen von euch!" Sie warf allen einen belehrenden Blick zu, bevor sie Corona wütend musterte. „Und das solltest du auch nicht können. Brikeena ist deine Schwester. Keiner von euch sollte so einfach in der Lage sein, für ihren Tod zu stimmen."
Lorcan fixierte einen Punkt auf dem Boden, Finley verschränkte bedrückt die Arme vor der Brust und Arthur zog Acacia näher zu sich. Der Gedanke war allen gekommen. Jetzt schämten sie sich und Schuld überflutete sie.
„Sie steht auf Cillian's Seite", knurrte Corona noch einmal in die Stille hinein. „Da gibt es keine Grauzone."
Ich fragte mich, warum Finley und Lorcan nichts dagegen sagten, obwohl sie ganz offensichtlich gegen eine gottverdammte, barbarische Todesstrafe waren. Arthur durchschaute ich immer noch nicht, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er sich Brikeena's Tod wünschte. Er war ihr Bruder. So kalt und herzlos war er nicht. Aber warum war Corona so wild darauf, ihre eigene Schwester hinzurichten?
Iona ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder und betrachtete Corona, die augenscheinlich kurz vor der Explosion stand, weil ihre Mutter ihre Ansichten nicht teilte. Weil keiner tun wollte, was sie verlangte.
„Schön", sagte sie plötzlich so ruhig wie möglich. „Du willst sie nicht zum Tode verurteilen? Dann mach ich es."
Mir stockte der Atem.
„Corona!", rief Lorcan fassungslos aus.
„Das kannst du nicht ernst meinen", brachte Finley hervor. Selbst Arthur starrte sie mit offenem Mund an.
„Oh doch!", schoss Corona zurück. „Brikeena befindet sich hier in Schottland. Ich habe hier das Sagen." Sie fixierte ihre Mutter überlegen, die einfach nur traurig zurückblickte. Wie war Corona so geworden? Hatte es ein einschneidendes Erlebnis in ihrem Leben gegeben, oder war es einfach eine Reihe von ungünstigen Ereignissen gewesen, die sie zu der Person gemacht hatten, die sie heute war?
Dass Corona's Entscheidung gefallen war, demonstrierte sie, als sie erhobenen Hauptes den Raum verließ und uns in schockiertem Schweigen zurückließ.
~~ ~~
Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass Iona nach der ganzen Sache mit mir würde reden wollen. Sie wollte schließlich immer in den ungünstigsten Augenblicken mit mir reden, nicht wahr? Aber sie hatte uns nach Corona's Abgang nur gebeten, sie alleine zu lassen. Das konnte ich ihr nicht verdenken. In letzter Zeit war hier viel los. Erst war ich verschwunden, dann hatte sie erfahren, dass Gara noch lebte und Brikeena eine Verräterin war, und nun wollte Corona auch noch ihre eigene Schwester umbringen.
Bevor ich in den Flur zu meinem Zimmer abbiegen konnte, fasste Lorcan mich am Arm.
„Hey, geht es dir gut?", fragte er.
Ich blieb stehen und atmete tief durch. Nein, mir ging es nicht gut. Aber ich wollte nicht bemuttert werden. „Mich halten nicht mehr alle für verrückt, also ja. Mir geht es gut." Er nickte und ich betrachtete seinen niedergeschlagenen Gesichtsausdruck. „Kommst du klar?"
Er schüttelte den Kopf und ich bewunderte ihn für seine Ehrlichkeit. „Brikeena... Das will nicht in meinen Kopf rein. Weißt du, von all meinen Schwestern war sie immer..." Er stieß halb amüsiert, halb traurig den Atem aus. „Sie war meine Lieblingsschwester. Es klingt gemein, es auszusprechen, aber ich hab mich um sie gekümmert, als sie klein war und unsere Mutter nicht da war und unser Vater keine Zeit hatte. Sie war immer so lebhaft und aufgedreht. Sie hat sich von niemandem herumkommandieren lassen und allen die Stirn geboten. Sie hat immer gesagt, was sie dachte. Es ist einfach so schwer vorstellbar, dass sie uns allen etwas vorgelogen hat."
Ich hatte mich auch in Brikeena getäuscht und ich wusste, wie er sich fühlte. Bevor Dentalion mir die Fähigkeit des Gedankenlesens geschenkt hatte, hatte ich auch immer gedacht, meine Schwester würde mich lieben und auf mich aufpassen wollen. Einen solchen Verrat steckt man nicht so einfach weg. Aber bei Brikeena war das anders.
„Nur weil sie für Cillian arbeitet, heißt das nicht, dass sie dich nicht mehr liebt."
Er nickte, obwohl er mir offensichtlich nicht ganz glaubte. „Ich werde mit ihr reden."
„Denkst du, das bringt etwas?"
„Das ist mir egal." Er sah mich ernst an. „Corona will sie hinrichten, wenn Brikeena nicht mit einer guten Entschuldigung für das alles ankommt, dann... Ich weiß einfach nicht, wie viele Gelegenheiten mir noch bleiben, mit ihr zu reden."
Das verstand ich natürlich.
„Ich werde dann mal an einem supergenialen Plan arbeiten, der alle umhauen und uns aus dieser Scheiße holen wird, und natürlich würde ich das ganz alleine schaffen, weil ich so grenzenlos brillant bin, aber...", begann ich und Lorcan lächelte amüsiert. „Wenn du später vorbeikommen und mir helfen könntest, den Expertenzauberer zu spielen, würde mich das echt freuen."
Wenn ich an einem Plan arbeiten wollte, dann brauchte ich jemanden, der den Magiepart mithineinbrachte, denn mein Wissen beschränkte sich auf einen Sandkorn auf einer zwei Kilometer langen Insel.
„Ich komm nachher vorbei", versprach er und lief dann die Treppen nach unten.
Als ich meinem Zimmer betrat fand ich nur Chase und Aidan auf der Couch vor. „Wo sind Addie und Trish?"
„Trish ist ziemlich fertig", erklärte Aidan. „Addie ist bei ihr. Mädchengespräch, du weißt schon."
Nein, wusste ich nicht. Es hatte sich jedenfalls noch nie herausgestellt, dass meine bisexuelle Freundin eine Anhängerin des mit Abstand bösesten Zauberers aller Zeiten war. Zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern, dass mir sowas passiert wäre, aber das musste ja nichts heißen. Sowas Abgedrehtes hätte ich bestimmt verdrängt.
Obwohl Trish mich mit ihrem Misstrauen ziemlich verletzt hatte, empfand ich Mitleid für sie. Sie war zum ersten Mal so richtig verliebt gewesen. Wirklich richtig verliebt, das konnte einem schon mal den Kopf verdrehen. Ich hatte während der Anfangsphase meiner Verliebtheit auch dumme Sachen getan. Ich hatte mit Aidan rumgemacht, obwohl er eine Freundin gehabt hatte, zum Beispiel. Ich wusste gut, wie sich das anfühlte. Sie hatte Brikeena einen Vertrauensvorschuss geben wollen. Den hatte sie sich verdient, sie hatte ihre Rolle als Verbündete perfektioniert. Ich hatte selbst keinerlei Zweifel an ihrer Loyalität gehabt. Sie war zu gutmütig, zu hilfsbereit und zu selbstständig. Und sie und Trish hatten viel Zeit miteinander verbracht. Und was Brikeena auch getan oder gesagt haben mochte: Trish hatte sich gehörig in sie verliebt.
„Was hat Iona gesagt?", wollte Chase wissen.
Ich schüttelte den Kopf und ließ mich zwischen den beiden fallen. „Nicht viel. Sie hat ziemlich fertig gewirkt, wenn ihr mich fragt und ich glaube eher, dass sie langsam dazu neigt, sich einfach aus allem rauszuhalten. Wer kann ihr das verübeln? Sie schlägt sich schon seit Ewigkeiten mit dieser Sache herum. Und bei so einer Tochter wie Corona würde ich auch irgendwann das Handtuch schmeißen."
„Was meinst du damit?"
„Corona will Brikeena's Tod."
„Du machst Witze!" Schockiert setzte Aidan sich auf. „Das kann sie doch unmöglich ernst meinen."
Ich rieb mir die Nasenwurzel. Es war gerade Mal Mittag aber ich hätte mich in meinem Bett verkriechen und schlafen können. Was für ein abscheulicher Tag. Und es war doch praktisch ein Naturgesetz, dass Tage, die scheiße anfingen, nicht gut enden würden, oder?
„Brikeena hat uns alle hintergangen und sie frei herumlaufen zu lassen, bis die Sache geklärt ist, ist keine Option, das verstehe ich. Aber ist das ein Grund, sie umzubringen?" Ich sah geknickt zwischen Chase und Aidan hin und her, die selbst genauso ratlos schienen. „Was machen wir jetzt? Wir können sie doch nicht einfach sterben lassen. Das hat sie nicht verdient. Oder? Hat sie das verdient? Ach, ich weiß nicht." Ich seufzte angestrengt und ließ mich tiefer in die Couch sinken.
„Ich weiß, was wir jetzt machen!", meinte Chase, sprang auf und begann suchend im Zimmer umher zu springen.
„Der Alkohol steht neben dem Fenster", ließ ich ihn wissen und zeigte mit dem Zeigefinger hin. „Bedien dich."
Er legte den Kopf schräg. „Ob du es glaubst oder nicht, ich habe nicht nach Alkohol gesucht."
Aidan und ich tauschten einen misstrauischen Blick. „Sondern? Nutten zum halben Preis wirst du hier nicht finden." Ich drehte mich um und legte einen Arm über die Couchlehne. Chase nickte grinsend und kniff die Augen zusammen.
„Und ich soll derjenige mit dem Handbuch für dämliche Sprüche sein?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Was hast du erwartet? Ich lebe seit einem knappen Jahr in einem Bootcamp für bescheuerte Sprüche. Das färbt eben ab."
„Wenigstens das konnte ich dir beibringen, bevor ich abdanken gehe und mit meinen Flügelchen in den Scotchhimmel flattere."
„Pass lieber auf, dass du dir deine Hörner nicht an deinem Heiligenschein stößt." Ich verdrehte die Augen und Chase zog Stifte und Papier aus der Schreibtischschublade.
„Willst du Stadt, Land, Fluss spielen?", fragte Aidan verwirrt.
„Die Hochzeitsreden, ihr Armleuchter!" Er drückte mir und Aidan jeweils einen Zettel und einen Stift in die Hand und setzte sich unternehmungslustig wieder zu uns. „Wir müssen Reden vorbereiten, sonst vergessen wir noch drauf."
„Hab ich was verpasst?", fragte Aidan und legte ungläubig zwei Finger an die Schläfe. „Wir sitzen auf dem Plant der Affen fest und du willst Hochzeitsreden schreiben?"
„Kommt schon, Leute, wir können ohnehin erst bereden, wie es weitergeht, wenn Addie und Trish dabei sind, alles andere wäre Unsinn."
Ich stieß den Atem aus. „Ich bin nicht gut, beim Reden schreiben..."
„Ich auch nicht", lachte Aidan. „Meine Abschlussrede auf dem Schulball lässt sich etwa so zusammenfassen: Wenn Idioten fliegen könnten, wäre dieser Ort hier ein Flughafen und die Lehrer ein Haufen Fluglotsen, die einen Scheißjob machen."
Ich lachte. Diese Rede hätte ich gerne gehört.
„Es muss ja keine perfekte Rede sein", erwiderte Chase. „Wir helfen uns gegenseitig. Wie wäre es damit: Als Addie und Trev zusammengekommen sind, hätte ich nicht erwartet, die beiden jemals am Altar stehen zu sehen."
„Das klingt ziemlich fies", bemerkte Aidan skeptisch.
Chase zuckte mit den Schultern. „Ich schreibe garantiert nichts Schnulziges. Addie wird auch so schon genug heulen. Meine Hochzeitsrede wird lustig." Er grinste von sich selbst überzeugt. „Und ihr müsst mir eins versprechen."
„Was denn?", fragte ich amüsiert.
„Sollte ich aus irgendeinem Grund nicht bei der Hochzeit anwesend sein, weil mir ein Bein fehlt, eine Rippe heraussteht oder die Milz herausgerissen wurde, müsst ihr meine Rede vortragen."
„Wow." Aidan grinste. „Das ist dir ja wirklich ernst."
„Da kannst du Gift drauf nehmen." Er grinste aufgeregt. „Hey, Addie heiratet. Die kleine, süße Addie heiratet. Trev! Addie und Trev heiraten. Diese Kombination ist zum Schießen komisch. Mann... selbst wenn von mir nur noch mein Kopf übrig wäre, würde ich das nicht verpassen wollen. Könnt ihr euch Trev am Altar vorstellen? Addie, ja. Aber den alten Miesepeter? Und stellt euch erst vor, wie witzig es wäre, wenn die Babies dort beschließen, geboren zu werden." Er lachte. „Es gibt zu viele Wege, wie dieser Tag den Bach runter gehen könnte und ich will dabei sein und mir einen Ast ablachen!"
„Also schön", kicherte ich und ließ mich auf das Redenschreiben ein. Ein bisschen Ablenkung würde bestimmt keinen Schaden anrichten.
„Oh und Bevy!", rief Chase. „Du musst vor der Hochzeit unbedingt irgendeinen Luftstoßzauber oder sowas in der Art lernen."
„Wie bitte?"
„Ja! Du weißt schon, irgendwas, um die Kleider von allen möglichen Frauen hochfliegen zu lassen." Er grinste, Aidan schüttelte den Kopf und ich konnte kaum noch aufhören zu lachen.
Die nächste Stunde verbrachten wir ausschließlich damit, bescheuerte Sprüche aufzuschreiben und aus denen akzeptable Hochzeitsreden zu basteln, die von Herzen kamen. Ob diese beiden Dinge zu vereinen waren, war noch unklar, aber wir würden unser Bestes tun.
„Wie wäre es mit: Glückwunsch, jetzt tragt ihr die teuersten Froot Loops der Welt auf euren Fingern", schlug Chase vor. „Oder: Wie sagt man so schön? Hauptgrund einer Scheidung ist die Ehe? Cheers, Leute!" Ich musste lachen, weil ich mir vorstellen konnte, dass Chase sowas tatsächlich sagen würde, nur mit so viel Sarkasmus in der Stimme, dass er damit alle Gäste zum Lachen bringen würde. Addie und Trev eingeschlossen.
„Hey..." Trish's sanfte Stimme drang ins Zimmer und ich sah auf. Ziemlich bedrückt stand sie in der Türe.
„Hey", erwiderte ich und spürte die brennenden Blicke von Chase und Aidan auf mir. Was erwarteten sie? Dass ich nachtragend sein und sie rauswerfen würde? Über die letzten Monate hatte ich gelernt, dass Freundschaften und zwischenmenschliche Beziehungen generell nicht nur schwarz oder weiß waren. Es gab durchaus Grauzonen und ich fand, das hier war eine. Ich hatte auch schon Scheiße verzapft. Das letzte Mal, als ich sie zurück nach Hause geschickt und ihr gesagt hatte, dass unsere Freundschaft vorbei war, auch, wenn ich es nur getan hatte, um sie zu beschützen.
Sie hatte mich auch nicht im Stich gelassen oder war maßlos nachtragend.
Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und sah mich unsicher an. „Addie telefoniert mit Trev wegen der Gästeliste, ich dachte... Ich schau mal, was ihr so macht..."
Trish sah so gedemütigt und voller Reue aus, dass ich sie am liebsten einfach nur gedrückt hätte. Die hängenden Schultern, der gesenkte Blick, die glasigen Augen. Das war nicht die Trish, die ich kannte und es machte mich wütend, dass Brikeena sie so verletzt hatte, nachdem Trish sich nach so langer Zeit getraut hatte, jemanden in ihr Herz zu lassen.
„Wir feilen an ein paar Hochzeitsreden für Addie und Trev", lächelte ich. „Als Ablenkung. Bevor Addie und Lorcan später dazu stoßen und wir überlegen, wie es weiter geht. Machst du mit? Wir bräuchten noch jemanden, der ein paar brauchbare Ideen reinwirft, denn Chase macht aus Addie's und Trev's Hochzeit gerade eine Comedy-Show."
Trish kicherte, betrat das Zimmer, griff nach einem Blatt Papier und einem Stift, setzte sich auf den Boden vor den Couchtisch und sah in die Runde.
„Also... was habt ihr bis jetzt?"
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