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Beverly
Am nächsten Tag hielt Trish ihr Versprechen und lenkte Brikeena gleich nach dem Frühstück ab. Wie genau sie das tat, wollte ich nicht wissen, aber sie hatte uns versichert, dass wir etwa eine Stunde Zeit haben würden. Also schlichen Chase und ich uns wie Agent Jay und James Bond durch den Flur zu Brikeena's Zimmer, und öffneten die Türe mit einem supergeheimen Geheimmanöver.
Gut, Trish hatte uns den Schlüssel gegeben.
Ich atmete auf, als wir die Türe hinter uns wieder abschlossen und alleine waren. Soweit, so schlecht.
„Ich fühle mich hier drinnen plötzlich so unwohl", murmelte ich. Es war ein riesiger Unterschied, ob man in jemandes Zimmer hineingelassen wurde, weil man erwünscht war, oder schlicht und ergreifend einbrach. Und genau das taten wir gerade, oder? Wir brachen in Brikeena's Zimmer ein.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, weil ich mir permanent ausmalte, was passieren würde, würde uns hier drinnen jemand beim Schnüffeln erwischen.
Chase sah sich in dem unordentlichen Raum um. Kleider lagen überall verstreut, ihre Schuhe waren in zwei Reihen vor dem Fenster platziert, ihr Bett war ungemacht. Der Schreibtisch war vollgestellt mit Make-up, ein paar Bücher stapelten sich daneben auf dem Boden und eine halbgetrunkene Flasche Cola stand auf Brikeena's Nachttisch.
„Wie findet diese Frau hier drinnen irgendetwas?", murmelte Chase.
„Die bessere Frage ist: Wie finden wir hier drinnen etwas?", entgegnete ich.
„Vielleicht ist das ja eine Strategie von Frauen. Damit einem die..." Er lachte dreckig auf. „Die spannenden Sachen nicht sofort ins Auge fallen. Du weißt schon. Die... ganzen... Na, du weißt schon."
Ich verdrehte die Augen.
„Du bist ein hoffnungsloser Fall." Ich stieg vorsichtig über ein kurzes, schwarzes Abendkleid. „Bring nichts durcheinander."
Er zog die Augenbrauen in meine Richtung hoch. „Du meinst, wir sollen keine Ordnung ins Chaos bringen, richtig?"
„Ganz genau. Ich werde mal versuchen, mit einem kleinen Zauber etwas zu finden, das uns weiterhilft." Ich schloss die Augen, atmete durch und dachte daran, dass ich etwas finden wollte, das Brikeena's Schuld beweisen oder sie zumindest belasten würde. Nur geschah nichts, also machten Chase und ich uns einfach mal so auf die Suche nach brauchbaren Informationen, weil weder er noch ich meiner Magie so recht trauten.
Ich fand folgende Informationen: Brikeena besaß dreizehn Parfümflakons und verwendete den Duft Cherry Blossom am häufigsten. Als ich daran roch fiel mir auf, dass es wirklich genau das war, wonach Brikeena ständig roch. Süßlich, lieblich. Unschuldig.
Diese falsche Hexe...
Außerdem erfuhr ich, dass sie gerne Krimis las. Ich tastete alle Unterseiten des Schreibtisches ab und durchwühlte jede Schublade. Ich hob jedes Kleidungsstück einzelnd hoch, blätterte die Bücher durch, inspizierte die Couch und den Kleiderschrank.
Chase widmete sich natürlich eingehend ihrer Unterwäschesammlung und allem, was sich in Bettnähe befand. Als er die Schublade am Nachtkästchen öffnete lachte er sein bestes Schmutzfinklachen.
„Hey, Bevy! Willst du wissen, was ich gefunden habe?"
„Hilft es uns, Brikeena als schuldig zu betiteln?" Ich warf gerade einen Blick hinter ihren Spiegel, der über der Kommode hing.
„Naja", lachte Chase. „Diese Dinge helfen auf jeden Fall nicht dabei, sie als unschuldig zu bezeichnen, falls du verstehst."
Ich ließ den Kopf hängen und drehte mich zu ihm. „Woher nimmst du deine ganzen versauten Sprüche? Hast du ein Handbuch dabei?"
Er zuckte bescheiden mit den Schultern. „Ist ein Talent."
„Offensichtlich." Ich rückte den Spiegel zurecht.
Chase hatte mich mit seinem Kommentar lediglich an gestern Nachmittag erinnert. Daran, dass ich mit Aidan geschlafen hatte (zwei Mal!) und nun genau das Problem hatte, das ich zu vermeiden versucht hatte: Über uns nachzudenken.
Es war schrecklich mir einzugestehen, dass ich weder mit ihm, noch ohne ihn leben konnte. Aber mit ihm war es besser. Er war das Beste, das mir je passiert war. Wenn ich bei ihm war, fühlte ich mich sicher. Geborgen. Zuhause. Wenn er mich berührte vergas ich die Welt und konnte Ruhe finden, weil es in diesem Augenblick nur mich und ihn gab. Ich liebte ihn, aber nicht so sehr, wie ich ihn hätte lieben können, wenn ich es zugelassen hätte. Doch ich hatte Angst vor den unerträglichen Gefühlen, die in meiner Brust pochten und freigelassen werden wollten.
Aber schlimmer, als meine Unfähigkeit Ordnung in das Gefühlschaos zu bringen war, dass ich Aidan in diesen Hurrikan mithineinzog. Weder gestern beim Abendessen noch heute beim Frühstück hatte ich mich großartig mit ihm unterhalten wollen. Ich hatte es nicht geschafft.
Addie's Babies und die Tatsache, dass er jedes Mal aufblühte und seine Augen zu leuchten begannen, wenn von den zwei kleinen Böhnchen die Rede war, machte mich ganz fertig. Er freute sich darauf, Onkel zu werden. Er freute sich darauf, die Babies in seinen Armen zu halten. Und er wollte irgendwann Vater werden. Das wusste ich.
Addie's hoffentlich baldiges Mutterglück erinnerte mich lediglich daran, dass eine Beziehung zwischen Aidan und mir auf kurz oder lang nicht funktionieren konnte. Zumindest nicht, wenn ich nicht bereit war, selbst Kinder zu bekommen. Und das war ich nicht. Und so wie es aussah, würde ich das auch nie sein. Aber ich wollte es Aidan auf keinen Fall vorenthalten.
Gott, Fabiana wäre für ihn so viel besser gewesen. Herzkrank hin oder her, sie hätte ihm all seine Wünsche erfüllen können.
„Hast du schon was gefunden?", fragte Chase und riss mich aus meinen triezenden Gedanken.
„Abgesehen von einem völlig neuen Maß an Frustration?"
Er stieß angestrengt den Atem aus und sah sich in dem Zimmer um. „Sieht alles unauffällig aus, wenn du mich fragst."
„Das kann nicht sein..." Ich war noch immer nicht bereit aufzugeben, aber für Chase schien das auffällig unauffällige Zimmer ein Beweis für Brikeena's Unschuld zu sein. „Vielleicht hat sie alle verdächtigen Dinge in Irland?"
„Bevy..." Er schüttelte müde den Kopf.
„Warte, vielleicht fällt mir noch ein Zauber ein!"
„Das haben wir doch schon versucht."
„Naja, beim ersten Mal wusste ich nicht genau, wonach ich suchen soll. Vielleicht hat es deshalb nicht geklappt. Was würde beweisen, dass Brikeena etwas mit all dem zu tun hat?"
Angestrengt atmete er aus und ließ den Blick nachdenklich durch den Raum schweifen. „Das Messer, mit dem du abgestochen wurdest?"
Ich schüttelte den Kopf. „Ich kenne den Gegenstand nicht, das würde nicht klappen. Zumindest nicht mit Imaginationsmagie."
„Okay... was ist mit dem Hexenbeutel? Erinnerst du dich an dessen Inhalt?"
Ich nickte. „Gute Idee! Das kann ich versuchen." Also schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf die Zutaten des Hexenbeutels.
Hasenzahn, getrocknete Rosenblüten, Erde, eine antike Münze, ein Holzstück... Ich versuchte, all diese Gegenstände zu visualisieren. Wie hatten sie ausgesehen? Hatte ich etwas davon angefasst? Wie würde es sich anfühlen, sie in den Händen zu halten?
„Dauert es noch lange?", fragte Chase irgendwann.
„Willst du es versuchen?", brummte ich verärgert und versuchte mich noch ein bisschen mehr zu konzentrieren. Diesmal stellte ich mir auch kein witziges Geräusch vor, sondern lediglich ein Rascheln oder Poltern. Mir war nicht nach scherzen zumute.
Ein Teil von mir wünschte sich, einen Beweis dafür zu finden, dass Brikeena die Schuldige war, weil ich recht haben musste.
Ein Teil von mir wünschte sich, nichts Belastendes zu finden, weil ich mich irren musste.
Doch dann hörte ich ein Poltern und atmete erschrocken auf. Chase sah mich ernst an.
„War es das?"
Ich nickte und sah mich um. Es hatte hinter ihrem Schrank gepoltert. „Sollen wir ihn zur Seite schieben?", fragte Chase.
„Nicht nötig", erwiderte ich trocken und mit starrem Blick auf den Schrank, der sich noch im selben Moment einen guten Meter von der Wand wegbewegte.
Anerkennend hob Chase die Augenbrauen und pfiff leise. „Bevy, Bevy, Bevy. Da hat wohl jemand geübt in den letzten Monaten." Wenn mich nicht alles täuschte, konnte ich einen Anflug von Stolz in seinen Augen erkennen.
Tatsächlich war Objekte bewegen so ziemlich der Grundbaustein von Imaginationsmagie und da mir alles andere noch zu hoch war, um es alleine in meinem Zimmer zu üben, hatte ich die letzten Wochen an der Genauigkeit und der Kontrolle beim Bewegen verschiedener Objekte gefeilt. Diesen Schrank zu verschieben, war aus mir herausgeschossen wie ein ganz natürlicher Impuls, weil der Gegenstand groß war und es nicht auf die Genauigkeit angekommen war.
Vielleicht wurde ich ja doch langsam zu einer waschechten Hexe.
Mit Unbehagen schlichen Chase und ich um den Schrank herum. Einer der Steine, die die Wand bildeten, schien recht locker zu sein. Ich umfasste die leicht ausstehenden, rauen Kanten mit beiden Händen und zog ihn heraus. In dem dahinterliegenden Hohlraum befand sich eine kleine Holztruhe, die Chase herausnahm, während ich den Stein wieder in die Luke schob. Wir zwängten uns wieder zwischen dem Regal hervor, er stellte die kleine Box auf den Couchtisch und bedeutete mir, sie zu öffnen.
Ich atmete ein letztes Mal tief durch und betete zu allen Göttern dieses Universums, dass sich darin nur weitere Sexspielzeuge befanden, die zwischen meine Vorstellungen von Dreck und Hasenzähnen gerutscht waren.
Dann klappte ich den Deckel auf.
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