56
Aidan
„Brikeena!", rief Trish aufgeregt aus, als wir nach einer guten Stunde voller Pausen und Unterbrechungen, weil das Reisen mit dem Ataria für Addie völlig neu und für Chase, Trish und mich immer noch anstrengend war, endlich in Blackvalley angekommen waren und von dort aus, wie damals mit Arthur, durch den Steinernen Bogen gegangen und auf der Insel in Schottland gelandet waren. Es war viel grüner, lebendiger und wärmer, als in den grauen Wintertagen, in denen wir das erste Mal hier angekommen waren.
Addie war trotz ihrer Übelkeit völlig aus dem Häuschen gewesen. Sie liebte Irland und Schottland. Ein Teil von ihr fühlte sich hier seit einiger Zeit wie zu Hause und sie hatte die ganze Zeit davon geredet, Shae unbedingt besuchen zu wollen. Und seit wir durch den kuppelartigen Schutzzauber getreten waren und das imposante Schloss aus dem Nichts aufgetaucht war, war sie sowieso hin und weg.
Ziemlich geschafft standen wir nun im Schloss und Trish schüttelte sich alle Müdigkeit vom Leib, als sie Brikeena in einer kleinen Gruppe von Leuten im Flur entdeckte. Brikeena drehte den Kopf, begann zu strahlen und kam sofort auf uns zugelaufen und rannte dabei beinahe Trish über den Haufen, ließ sie aber sofort wieder los, um uns alle anzustrahlen.
„Ihr seid schon hier? Es tut so gut, euch zu sehen!"
Trish rückte verhalten ein Stück von ihr ab, aber ihre Ohren wurden rot und sie konnte ihre Freude nicht unterdrücken. Dafür, dass sie sich vor wenigen Stunden noch darüber beschwert hatte, dass Brikeena kein einziges Mal aufgetaucht war, schien sie jetzt ganz und gar auf dem Pfad der Vergebung zu wandeln.
„Es ist auch schön, dich zu sehen." Ich lächelte gezwungen. Vielleicht hätte ich mich mehr über das Wiedersehen gefreut, wenn mir der Gedanke an Beverly nicht wie eine Bowlingkugel im Magen gelegen hätte.
Obwohl es über drei Monate her war, seit wir Schottland verlassen hatten, um nach Irland aufzubrechen, fühlte es sich so an, als hätte ich das Schloss und die Insel nie verlassen. Als hätte ich nicht versucht, mir wieder ein normales Leben aufzubauen, das ich ohne nachzudenken wieder einmal für Beverly in den Wind gestoßen hatte.
Und etwas sagte mir, dass ich es diesmal nicht mehr zurückbekommen würde.
„Die Umstände könnten besser sein", meinte Chase mit ernstem Blick.
„Da stimme ich dir zu." Jetzt entdeckte sie meine Schwester. „Hey, du bist sicher Addie. Ich bin Brikeena. Das Mädchen, das das Gingermädchen flachlegen will? Du erinnerst dich?"
Addie nickte langsam und musste lachen. „Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen."
„Das kann ich nur zurückgeben."
Ich beschloss, das Thema so schnell wie möglich auf Beverly zu lenken. „Was genau ist passiert? Finley hat uns nur erzählt, dass ihr beide nach Schottland aufbrechen wolltet, aber nur du hier angekommen bist."
Sie nickte. „Mehr gibt es zu dieser Geschichte wohl auch nicht zu sagen... Wir haben das Unterwasserportal verwenden wollen. Ich hab sie vorgeschickt, weil ich wollte, dass sie lernt, das Wasser zu teilen. Nach ein paar Sekunden bin ich ihr gefolgt, aber im Wasser gelandet. Also habe ich den Zauber schnell durchgeführt. Als ich mich umgesehen habe, war sie nirgends zu sehen." Sie sah zu Trish, die sie besorgt musterte.
„Was, wenn sie einfach von den Strömungen hin und her gerissen wurde und nicht auf dem Trockenen gelandet, sondern einfach ertrunken ist?", hakte sie nach, doch Brikeena schüttelte den Kopf und griff beiläufig nach ihrer Hand. Jetzt war Trish so rot wie eine Erdbeere und starrte auf die ineinander verschränkten Hände, als würden Maden darauf herumkriechen. Ich konnte das Zucken meiner Mundwinkel nicht unterdrücken, als meine übersensibilisierten Sinne ihren Herzschlag wahrnahmen, der mit einem Mal in die Höhe geschossen war.
„So stark sind die Strömungen nicht", erklärte Brikeena. „Und der Zauber hätte sie ins Trockene gezogen, sie wäre nicht im Wasser geblieben. Außer ich wäre eine miserable Hexe, was ich nicht bin. Ich bin brillant."
Finley stieß halb genervt, halb amüsiert den Atem aus und schüttelte leicht den Kopf, aber Brikeena tat, als hätte sie nichts bemerkt. „Wir glauben, dass jemand das Portal verzaubert hat, damit Beverly wo anders landet. Und zwar nur sie."
„Und das ist wie lange her?", hakte Chase nach.
„Etwa vier Tage."
„Warum hören wir erst jetzt davon?"
„Wie du dir sicher vorstellen kannst, waren wir ein bisschen zu sehr mit der Suche nach Beverly zugange, bevor wir auf die Idee gekommen sind, dass Cillian vielleicht versuchen könnte, sie auf seine Seite zu ziehen", knurrte Finley.
„Gibt es etwas, das wir tun können?", meldete sich Addie zu Wort, um die Spannungen ein wenig zu lockern.
„Ja!" Brikeena nickte heftig. „Geratet nicht in Schwierigkeiten und passt auch hier höllisch auf euch auf. Geht nicht alleine in Zauberlabyrinthe und versucht euch nicht mit Hexenbeuteln verzaubern zu lassen." Sie sah mich vielsagend an. Als hätte ich Einfluss darauf gehabt. „Geht gefälligst nirgendwo alleine hin und seht zu, dass immer einer von uns weiß, wo ihr euch befindet. Wir wissen immer noch nicht, wer-" Sie brach ab.
„Der Verräter ist?", bot ich an. Brikeena's Blick verfinsterte sich.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich ein Mädchen und ein Mann aus der Gruppe lösten, bei der Brikeena vorhin gestanden war. Ich brauchte einen Moment, um mich an den Namen des Mädchens zu erinnern.
„Davina, richtig?", kam Trish mir zuvor und das blonde Mädchen nickte. Der Mann ging geradewegs auf Finley zu, führte sie am Arm einige Meter von uns weg und redete leise auf sie ein, während er immer wieder zu uns rüber sah.
„Ich will ja nichts sagen, aber wir hätten den ganzen Schlamassel jetzt nicht, wenn die paranoide, dumme Kuh sich dazu bereit erklärt hätte, einem der Hexenzirkel beizutreten", meinte Davina und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ein kleiner Zauber und wir wüssten in null Komma nichts, wo sie steckt."
Obwohl ich mich überwiegend auf das zu konzentrieren versuchte, was Brikeena und Davina von sich gaben, entgingen mir die feindseligen Blicke nicht, die Finley's Mann, Myron, Chase aus der Ferne zuwarfen. Und Chase entgingen sie auch nicht, denn er starrte unverwandt zurück. Worum auch immer es bei der Diskussion ging -Finley schien nicht beeindruckt, sondern verschränke die Arme und ihr Blick wirkte widerspenstig. Vielleicht reizte sie Chase deshalb. Sie ließ sich eindeutig nichts vorschreiben.
Brikeena verdrehte die Augen. „Ich bitte dich, mit der Hexenzirkelsache ist mir Arlen auch schon auf den Geist gegangen."
„Bist du auch in so einem Hexenzirkel?", fragte Trish neugierig und Brikeena nickte, während Davina einen Arm um ihre Schultern legte.
„Wir sind Mitglieder in demselben Zirkel", lächelte sie stolz. „Beverly hätte es bei uns wirklich gut gehabt. Wir sind alle sehr freundlich." Sie vermarktete ihren Hexenzirkel wie eine Selbsthilfegruppe. Doch mein Magen verkrampfte sich, weil sie die Vergangenheitsformen gewählt hatte.
„Sie ist nicht tot", sagte Brikeena sofort, als sie meinen Blick sah, der wahrscheinlich vermuten ließ, dass ich mich gleich übergeben würde. So fühlte ich mich auch.
„Woher willst du das wissen?", fragte ich tonlos.
Sie lächelte mich aufmunternd an. „Es ist Beverly. Du weißt doch selbst, was sie schon alles überlebt hat. Die Frau bringt nichts so schnell um. Und sie ist ziemlich schlau, auch, wenn sie das nicht von sich selbst denkt." Ich war noch nicht überzeugt, also fügte sie schnell hinzu: „Und in den letzten Monaten hat sie Fortschritte gemacht. Ihr wärt überrascht. Und stolz! Ihre Magie ist stark, sie kann sich zur Wehr setzen. Und selbst, wenn sie auf ihre Magie nicht zugreifen kann, wie ich: Sie wird sich schon einen Plan überlegen."
Chase schnaufte. „Ja, klar, weil wir alle wissen, dass Strategien auf ihrem Lebenslauf unter ausgeprägte Stärken fallen würde."
Brikeena hatte recht. Nur Beverly brachte Beverly um. Allerdings fragte ich mich, was sie mit ihr anstellten, wenn sie nicht tot war. Was ihre Psyche und ihr Körper mitmachten, das ich vielleicht nicht würde reparieren können. Ich fühlte, wie meine Beine zu zittern begannen, wusste aber, dass ich mich zusammenreißen musste.
„Ihr habt doch hoffentlich einen Plan, oder so, nicht wahr?", fragte Trish.
Davina schüttelte den Kopf, während Brikeena kräftig nickte.
Wie beruhigend!
„Viele Mitglieder des Consiliums sind hier und in Irland", erklärte Brikeena zuversichtlich. „Sie, Acacia und unsere Mutter sind schon seit Tagen dabei, Beverly mit Zaubersprüchen ausfindig zu machen. Sie versuchen auch den Weg zu rekonstruieren, den das Portal Beverly entlanggeschickt hat, aber der Zauber ist ziemlich stark. Wenn Cillian und Odilia ihn zusammen gesprochen haben, ist es ziemlich schwer, den Weg herauszufinden, geschweige denn, den Pfad dorthin wieder zu öffnen."
„Praktisch unmöglich", erläuterte Davina. „Aber dafür gibt es ja uns!" Sie strahlte stolz. „Die kleinen Suchtrupps, die innerhalb weniger Sekunden ans andere Ende der Welt reisen können. Klingt doch super, oder?"
„Ihr könnt nicht die ganze Welt absuchen", erwiderte ich matt und spürte Addie's Hand an meinem Arm.
„Wir haben schon gut zweihundert Hexen und Zauberern von Beverly erzählt und davon, dass sie sich umhören sollen, ob jemand weiß, in welchem Land Cillian sich befindet."
„Land?!", rief Chase aufgebracht aus und Davina zuckte zusammen. „Soll das ein Witz sein? Die Erde ist riesig. Ihr wisst nicht einmal, in welchem Land Beverly sich befindet? Könnt ihr denn zumindest den Kontinent eingrenzen oder habt ihr offiziell den Orden für die inkompetenteste Hexenfamilie beansprucht?"
Davina zog die Augenbrauen zusammen, dann sah sie verständnislos zu Finley, die eben ihren Mann stehen gelassen hatte und wieder zu uns stieß. Myron stampfte wütend den Gang hinunter.
„Können wir sie wieder zurückschicken?" Davina zeigte mit dem Daumen auf Chase. „Ich mag ihn nicht mehr."
Finley seufzte. „Kommt mit, ich bringe euch zu euren Zimmern."
Es waren dieselben Zimmer, die wir schon einmal bewohnt hatten, nur waren wir diesmal alle auf demselben Flur untergebracht, dem der Männer, und wir wurden aus Sicherheitsgründen immer zu zweit in ein Zimmer gesteckt. Addie und ich würden uns mein ehemaliges Zimmer teilen und ich fühlte mich irgendwie sofort in meine Kindheit zurückversetzt. Obwohl wir immer unsere eigenen Zimmer gehabt hatten, hatte Addie oft bei mir im Zimmer geschlafen, weil sie nachts Angst bekommen hatte.
Trish und Chase wurden zusammen in sein ehemaliges Zimmer gesteckt, aber mich beschlich die Vermutung, dass Trish die Nächte ganz und gar nicht in diesem Zimmer verbringen würde. Aber Chase würde bestimmt Gesellschaft finden. Unter Umständen würde Trish's Abwesenheit eine willkommene Ausrede für ihn sein, um sich Finley ab und an in seinem Bett einzuquartieren. Schließlich sollten wir uns hier nie alleine aufhalten, aus Sicherheitsgründen.
Während Addie sich neugierig in dem Zimmer umsah, fiel mir auf, dass wir gar keine Sachen mitgenommen hatten, weil wir so plötzlich aufgebrochen waren. Hoffentlich würde Brikeena uns später ein paar Dinge zaubern.
„Wie geht es dir?", fragte Finley, die immer noch in dem Zimmer stand und mich musterte.
„Ähm..." Ich vergrub meine Hände in den Hosentaschen und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, der sich kein bisschen verändert hatte, bevor er wieder auf ihr landete. „Ich versuche nicht daran zu denken, wo sie gerade ist, oder was mit ihr passiert. Ob sie noch lebt und gerade zu Tode gefoltert wird, oder wie zum Teufel das alles enden wird. Aber ansonsten geht es mir großartig. Wirklich."
Sie seufzte und die Reue stand ihr ehrlich ins Gesicht geschrieben. „Es tut mir leid, dass wir sie verloren haben. Das hätte nicht passieren dürfen."
„Richtig, hätte es nicht!", schoss ich wütend zurück und Addie warf mir einen erschrockenen Blick zu. „Ihr habt sie in den ganzen Mist hineingezogen, ihr hättet darauf achten sollen, dass ihr nichts passiert! Chase hat recht, ihr seid inkompetent. Könnt nicht einmal auf ein Mädchen aufpassen, das offensichtlich in der ganzen Situation nicht auf sich selbst aufpassen kann."
Finley zog die Augenbrauen zusammen. „Los, mach weiter. Lass die Anschuldigungen raus. Ich meins ernst." Sie machte ein paar einladende Handbewegungen. „Wenn es dir hilft, lass deine Wut an mir aus, aber Beverly hilfst du damit nicht."
Ich sah sie verwirrt an und auch Addie ließ von dem Kaminsims ab. „Wovon redest du?"
Finley schlich auf mich zu, während sie mich mit ihrem Blick festnagelte. „Du kannst mir nicht erzählen, dass du noch keine Sekunde daran gedacht hast."
„Woran?"
„Deine Gabe einzusetzen."
Mir stockte der Atem.
Daran hatte ich wirklich nicht gedacht.
„Wenn deine Gabe wirklich ist, was Thomas und ich denken, dann..." Sie sah mich erwartungsvoll an und wollte, dass ich ihren Gedankengang zu Ende brachte.
„Ich soll mir wünschen, dass Beverly das überlebt?"
„Mir ist klar, dass es vielleicht nicht funktioniert", räumte Finley ein. „Selbst wenn du die Zukunft beeinflussen kannst, heißt es nicht, dass es immer klappen wird. Aber es ist ein Versuch wert."
„Vaya war ein Todesdämon", erinnerte Addie. „Wenn Aidan seine Gabe verwendet, wird vielleicht jemand sterben."
„Und?" Finley klang tatsächlich so, als würde sie das Problem nicht erkennen. „Wir brauchen Beverly. Sie ist kein... Vorteil. Sie ist kein Glücksgriff. Wir brauchen sie. Ohne Beverly sinken unsere Chancen, diesen Krieg zu beenden in den Minusbereich." Sie wandte sich wieder an mich. „Ich kann dich nicht zwingen, deine Gabe zu verwenden, denn dann funktioniert sie vermutlich nicht. Aber wenn du sie für etwas verwenden willst, dann dafür." Ihre haselnussbraunen Augen musterten mich so eindringlich, dass die Bowlingkugel in meinem Bauch über die Bahn rollte und alle Kegel auf einmal wegfegte. „Wenn jemand sicherstellen kann, dass Beverly leben da raus kommt -wo auch immer sie sich gerade befinden mag- dann du."
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