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Aidan

„Sie ist weg."

Es waren dieselben Worte, die Rose gewählt hatte, als sie Beverly nach Modoc gebracht hatten. Damals waren die Worte schon kaum auszuhalten gewesen, aber das hatte wohl eher mit dem Dämon zu tun gehabt, zu dem ich mich so hingezogen gefühlt hatte.

Diesmal raubte mir die Vorstellung, dass keiner wusste, wo Beverly war, die Luft zum Atmen, weil ich sie liebte. Ich liebte sie und im schlimmsten Fall war sie in Cillian's Fängen.

Im aller schlimmsten Fall war sie tot.

Wie konntest du sie nur alleine lassen, du Idiot!? Du wirst sie nie wieder sehen.

Aber aus irgendeinem Grund rastete ich nicht aus. Im Gegenteil. Ich war ganz ruhig.

„Was zum Teufel meinst du damit?" Chase war deutlich anzuhören, wie sehr er sich zusammen reißen musste, um nicht zu brüllen.

Finley seufzte unbeholfen. „Was willst du von mir hören, Chase? Dass wir auf sie hätten aufpassen sollen? Dass wir es verbockt haben? Ja, das haben wir!"

„Und ihr habt keine Ahnung, wo Beverly jetzt ist", stellte Trish erschrocken klar.

„Naja, sie und Brikeena wollten zurück nach Schottland kommen. Aber da ist nur Brikeena angekommen. Jemand hat... den Ataria vermutlich verzaubert."

„Sowas geht?"

Finley nickte vorsichtig. „Mit einem sehr, sehr starken Zauber. Ich könnte es nicht, aber..."...Cillian könnte es.

„Wie lange ist sie schon weg?", fragte Chase aufgebracht.

„Ein paar Tage."

„Ein paar Tage?!", rief Trish, sprang von der Couch auf und Chase raufte sich die Haare.

Sie ist tot. Unmöglich ist sie noch am Leben, wenn Cillian und Odilia sie erwischt haben.

„Ihr müsst mitkommen", sagte Finley noch einmal. „Falls sie Beverly haben und sie nicht umbringen, sondern dazu verwenden wollen, uns zu schaden, dann-"

„Das ist doch ein Witz", unterbrach Chase sie. „Ihr denkt doch nicht ernsthaft, dass sie uns als Druckmittel verwenden? Sie kennen uns doch gar nicht! Sie wissen nicht, wer wir sind!"

„Sie kennen bestimmt Leute, die euch kennen", erwiderte Finley. „Beverly darf ihnen nicht helfen. Wir wissen alle, dass ihr ihre Schwachstelle seid, sie wird euch unter allen Umständen schützen wollen."

„Also... um euren Arsch zu schützen, wollt ihr uns beschützen?", stellte Trish richtig.

„Was, wenn sie schon tot ist?", meldete ich mich von der Küchenzeile her zu Wort und alle Blicke ruhten schwer wie Blei auf mir, weil ich ausgesprochen hatte, was keiner auszusprechen wagte.

„Davon gehen wir... noch nicht aus", sagte Finley schließlich.

„Wieso nicht?", bohrte ich weiter. „Wenn sie die einzige Person ist, die Cillian töten könnte, warum sollten sie sie leben lassen?"

„Sie haben Brikeena auch leben lassen", warf Trish ein.

„Brikeena war ja auch keine Bedrohung!", schoss Chase zurück.

„Beverly ist die letzte Schreiberin, von der wir wissen. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sie versuchen werden, sie auf ihre Seite zu ziehen."

„Also, damit ich das richtig verstehe", begann Chase. „Erst wollt ihr uns loswerden, dann wollt ihr uns zurückholen?"

Sie hob mahnend den Finger. „Beverly hat euch rausgeschmissen, nicht wir."

„Du hast ein Talent dafür, Salz in eine Wunde zu streuen, weißt du das?", murmelte ich.

„Und woher sollen wir wissen, dass nicht genau du Cillian's Spionin bist, und uns insgeheim umbringen willst?" Trish verschränkte die Arme vor der Brust.

„Süße, wenn ich euch umbringen wollte, wärt ihr schon längst tot. Glaub mir."

„Was ist mit Addie und Trev?" Chase sah uns an. „Wenn es so ist, wie Finley sagt, und Cillian und Odilia und verwenden wollen, um Bev auf ihre Seite zu ziehen, dann sind die beiden ebenfalls in Gefahr."

„Dann sollen sie auch mitkommen", meinte Finley, als wäre es selbstverständlich.

„Das wird nie passieren." Trish schüttelte den Kopf. „Die beiden werden hier bestimmt nicht weggehen."

„Dann werde ich ihnen ganz deutlich ausmalen, was Cillian mit ihnen anstellen wird, falls er sie in die Finger bekommt."

Dagegen konnte keiner von uns etwas einwenden.

~~ ~~

Keine fünf Minuten später taumelte ich aus dem losen Portal, das Finley erschaffen hatte und uns nach Fresno in die Wohnung führte. Ich war als erster gegangen, dann war Trish hinterher gepurzelt und Chase hatte Finley an der Hand genommen, damit sie gefahrlos in unserer Wohnung landen konnte. Dort angekommen ließ er ihre Hand jedoch sofort wieder los, als er Trish's vielsagendes Augenbrauenwackeln bemerkte und streckte ihr die Zunge raus.

Trev saß mit einem Buch auf der Couch und sah uns mit offenem Mund dabei zu, wie wir uns vor dem kleiner werdenden Portal versammelten.

„Sollte ich mich daran gewöhnen, dass ihr einfach jeder Zeit in unserem Wohnzimmer auftauchen könnt?", brachte er schließlich hervor. „Denn dann kann ich ab jetzt nicht mehr nackt durch die Wohnung laufen."

Ich verdrehte die Augen. „Wäre schön, wenn du das generell lassen würdest." Jetzt verdrehte er die Augen.

„Wo ist Addie?", fragte Chase.

„Sie schläft. Falls du es vergessen haben solltest: Sie hat vor nicht mal zwei Stunden eine halbe Flasche Jägermeister hinuntergewürgt, um unsere Kinder umzubringen."

Finley hob eine Augenbraue. „Sind solche Gespräche bei euch normal?"

„Du hast ja keine Ahnung...", murmelte ich.

„Können wir vielleicht darauf zurückkommen, was zur Hölle eigentlich los ist?", fragte Trev, klappte das Buch zu und deutete dann auf Finley. „Und wer ist das? Ich finde es uncool, wenn plötzlich fremde Leute in meinem Wohnzimmer stehen."

„Finley", stellte sie sich vor. „Ich bin praktisch hier, um euch den Hintern zu retten. Du darfst mir jetzt die Füße küssen." Chase schmunzelte.

Trev zog die Augenbrauen zusammen. „Niedlich. Aber ich hab da eine Frage, bevor ich vor dir auf die Knie falle... Was?"

„Beverly ist weg", erläuterte ich schnell. Mein ganzer Körper kribbelte vor Aufregung und ich wollte so schnell wie möglich mit Finley mit. Vielleicht würden wir helfen können. „Sie können Beverly nicht finden."

Addie riss wasserleichenblass die Türe zu ihrem Zimmer auf. „Was?! Das ist ja schrecklich!" Sie taumelte auf die Couch und Trev legte einen Arm um sie. „Ich... Ich habe aber keine Vision-" Sie brach ab, als mein Blick den ihren traf.

Sie hatte eine Vision gehabt. Vor vielen Monaten, die sich nicht geändert hatte.

„Sie ist nicht tot, Aidan, das wüsste ich", versicherte sie mir. Aber es war eine Lüge, das erkannte ich an Trish's verhaltenem Blick.

Finley erklärte den beiden schnell, warum sie unbedingt mit uns mitkommen mussten, aber weder Addie noch Trev wirkten sonderlich begeistert von der Idee.

„Wir sind doch keine Figuren in einem Fantasyroman!", protestierte Trev. „Vergesst es, wir gehen hier nicht weg, und uns wird auch kein böser Zauberer aufsuchen, um Beverly zu erpressen, kleine Zaubertricks für ihn zu schreiben! Und während ich das sage fällt mir auf, wie unfassbar dämlich ich mich anhöre."

„Nichts Neues", murmelte Trish und warf ihm ein feindliches Grinsen zu, als er ihr einen scharfen Blick schenkte.

Finley hob die Arme. „Hey, wenn ihr lieber hier bleibt, bitte! Aber dann kommt hinterher bloß nicht angerannt, wenn jemand versucht, euch auszuweiden."

„Wir haben damit nichts zu tun!", feuerte er zurück. „Mit dieser ganzen Hexenscheiße. Und das wollten wir auch nie!"

Sie lachte auf. „Na, vielleicht gehen Cillian und Odilia ja wieder, wenn du ihnen das sagst."

„Finley", mahnte Chase sie, aber sie redete unbeeindruckt weiter auf Trev ein.

„Zu behaupten, dass du und deine Freundin da nicht mit drinnen stecken, ist mindestens so waghalsig, wie zu behaupten, dass Jack The Ripper kein Mörder war!"

„Du kennst Jack The Ripper?", hakte Trish nach. Finley zog beleidigt die Augenbrauen zusammen.

„Ich lebe doch nicht unter einem Stein!" Dann wandte sie sich wieder an Addie und Trev. „Es geht nicht um euch, es geht um Beverly." Ihr Blick glitt nun auch zu uns. „Es ging niemals um euch! Ihr habt nur einfach Pech gehabt. Es leben über 7 Milliarde Menschen auf diesem Planeten, und ihr seid unter den Wenigen, die unglücklicherweise Beverly's Bekanntschaft gemacht haben."

Unglücklicherweise?!

„Du wirst mir immer sympatischer", lachte Chase und sie verdrehte die Augen.

Einen Augenblick lang, sagte niemand etwas.

„Vielleicht sollten wir gehen", meinte Addie dann vorsichtig und fing sich einen ungläubigen Blick von Trev ein. Bevor er etwas erwidern konnte, sprach sie weiter. „Es ist doch nicht für immer. Aber Finley hat recht. Wir sind in diese ganze Scheiße reingerutscht. Und jetzt... jetzt fängt diese Scheiße eben zu dampfen an."

Chase verzog angewidert das Gesicht und der Rest von uns blinzelte sie nur ein bisschen verstört an. Trev blieb weiterhin ernst.

„Und vielleicht kann ich helfen", fuhr sie fort und in ihren Augen glänzte Hoffnung auf. Sie drehte sich zu mir. „Ihr wolltet, dass ich nach Irland komme, um herauszufinden, wer in der Vision der Mörder ist. Vielleicht kann ich das, wenn ich auf diese Person treffe. Wenn es wirklich jemand ist, der dort lebt."

„Wir gehen nach Schottland, nicht Irland", erwiderte Finley.

„Es wäre trotzdem ein Anfang, oder nicht?" Addie setzte ihren unschuldigen Rehblick auf und sah Trev an.

„Glaub mir, ich hätte auch lieber ein Leben weit, weit weg von dem ganzen magischen Kram. Wirklich! Du, ich, ein kleines Haus am Stadtrand, einen Hund und ein Haufen Babies." Er konnte gar nicht anders als aufzulachen. Sie biss sich bedauernd auf die Unterlippe. „Aber im Augenblick geht das einfach nicht."

Er sah sie lange an, aber ich glaubte, dass Addie ihn zur Vernunft gebracht hatte.

„Und du liebst mich", flüsterte sie, stieß ihn an und musste lächeln.

„Oh, wirklich? Du spielst die Du-liebst-mich Karte?" Er klang amüsiert, aber dann wandte er sich mit besorgtem Blick an Finley.

„Addie ist sicher in Schottland, oder?"

„Ja."

Wir", sagte Addie und lächelte ihn nervös an. „Wir sind sicher dort."

Doch Trev schüttelte den Kopf. „Ich gehe nicht mit, Addie."

Meine Schwester starrte ihn fassungslos an.

„Ich schaffe uns mal ein Portal", ließ Finley uns leise wissen.

„Ein kurzes, wenn ich bitten darf", erinnerte Chase mahnend. „Wir legen ganz bestimmt nicht die ganze Strecke nach Schottland in einem Zug hin."

Finley rollte mit den Augen. „Natürlich nicht. Das würde ich auch nicht durchstehen, geschweige denn von euch. Brikeena hat mir eine machbare Strecke vorgeschlagen."

Addie starrte Trev immer noch ungläubig an. „Ich gehe nicht ohne dich." Ihre Locken peitschten wild hin und her, als sie den Kopf schüttelte.

Er nickte. „Doch. Ich bleibe hier. Jemand muss sich um James kümmern."

„Soll das ein Witz sein?" Sie lachte ungläubig auf. „Wir können James zu einem Nachbarn geben, verwende doch nicht die Katze als Ausrede, um-"

„Addie, ich gehöre nicht in eine... magische Welt. Ich kann schon tote Hexen und Zauberer sehen, das reicht mir vollkommen, glaub mir." Sie blinzelte ihn schuldbewusst an, weil ihr der anklagende Unterton in seiner Stimme nicht entgangen war. Seine Gesichtszüge wurden sofort wieder weicher. „Mir wird bestimmt nichts passieren. Beverly und ich waren nie gute Freunde. Wenn sie sie erpressen wollen, gibt es bessere Möglichkeiten."

„Trev, das ist leichtsinnig", meinte Trish eindringlich und trat einen Schritt vor. „Mehr als leichtsinnig. Du denkst doch nicht ernsthaft, dass Beverly zulassen würde, dass du stirbst."

„Addie wird eine Vision haben, bevor es dazu kommt", meinte er zuversichtlich.

„Trev-" Er hob die Hand und schnitt mir das Wort ab.

„Ich habe hier ein Leben. Ein Leben, das ich nicht bereit bin, wegzuschmeißen, im Gegensatz zu euch. Ich muss an die Uni. Ich sehe eine Zukunft ohne Hexen und Zauberer in meinem Leben. Ich kann mich um James kümmern." Er wandte sich an Addie. „Du hast es selbst gesagt, es ist nicht für immer."

„Wir müssen gehen, das Portal hält nicht ewig an", sagte Finley ungeduldig und deutete auf das stahlblaue sanft wirbelnde Etwas.

„Ich will nicht ohne dich gehen", sagte Addie noch einmal traurig. „Was, wenn dir etwas passiert?"

„Mir wird nichts passieren, versprochen. Und wenn du in Schottland sicherer bist als hier, dann ist das Grund genug für mich, dich gehen zu lassen."

Sie schniefte und umarmte Trev fest. „Wir telefonieren ganz viel! Und wenn du ein seltsames Geräusch hörst, kletterst du aus dem Fenster, okay?" Er lachte. „Und wenn ich eine Vision habe und jemanden schicke, der dich abholt, dann lässt du alles stehen und liegen, und kommst zu uns, verstanden?"

„Versprochen." Er drückte ihr einen Kuss in die Haare. Ich tauschte mulmige Blicke mit Trish und Chase. Was Trev vorhatte schrie doch geradezu nach Selbstmord. Aber überrascht war ich nicht. Ich hatte schließlich kaum das Gefühl in diese verdrehte Welt zu gehören und ich war ein Hybrid. Wie fehl am Platz musste Trev sich fühlen?

„Also, schön!" Finley rieb sich unternehmungslustig die Hände, als Addie zu uns kam und sich traurig von mir in die Arme nehmen ließ. Ihre Hände waren ganz verschwitzt. „Erster Stopp: Vegas!"

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