52
Aidan
Wir hatten angenommen, dass Addie im Wagen warten würde, also hatten Chase, Trish, Trev und ich uns möglichst schnell nach Addie's Abgang verabschiedet. Sita hatte uns noch einmal kurz vor dem Aufzug abgefangen und uns gesagt, dass wir Addie ausrichten sollten, wie leid es ihr tat, dass der Abend so miserabel gelaufen war. Bestimmt fühlte sie sich schlecht, weil sie Addie überredet hatte, unsere Mutter doch auch einzuladen.
Während Chase sich darüber beklagte, dass wir vor dem Nachtisch gehen mussten, warf Trish aufgebracht mit Worten um sich, die ich sie noch nie hatte sagen hören. Sie fluchte selten, aber plötzlich schien sie auf Chase' Vokabular zuzugreifen, was in mir die Vermutung freisetzte, dass sie an ihre eigene Mutter denken musste. Ich werde all die Schimpfwörter nicht wiederholen, sonst müsste ich um die zwanzig Mäuse in die Fluchdose stecken.
„Wie kann sie nur?!", fragte sie schließlich aufgebracht, während wir durch den Empfangsbereich im Erdgeschoss nach draußen gingen. Sie war so wütend, dass ihre Absätze noch lauter klackten als sonst. „Wie kann man zu seiner eigenen Tochter so abgrundtief böse sein? Für solche Menschen gibt es hoffentlich einen besonderen Platz in der Hölle!"
„Natürlich, sie ist schließlich der Teufel", entgegnete ich, aber Trish reagierte nicht.
„Wie kann sie so mit Addie umgehen? Wie kann sie ihr so emotionslos gegenübersitzen und ihr Schlangengift verspritzen?! Auf jemanden wie Addie! Wie? Wie geht das? Wie kann man nur so gemein sein?"
Laue Luft schlug uns entgegen, als wir aus der Drehtüre ins Freie traten. Es war bereits dunkel und die Laternen erhellten die Straße.
„Wo ist Addie?", fragte Trev, als er sie nicht an seinem Auto stehen sah. Wir sahen uns um.
„Sie hat wahrscheinlich ein Taxi genommen", vermutete Chase. „Du denkst doch nicht, dass sie auch nur eine Sekunde länger hier sein wollte?"
„Dann fahre ich schnell nach Hause. Kommt ihr mit?", fragte er an Chase und Trish gewandt. Chase deutete auf seinen Wagen.
„Muss tanken. Aber wir können nachkommen."
„Wäre gut", nickte ich. „Wenn Addie an den Punkt kommt, an dem sie sauer wird, werden uns irgendwann die beruhigenden Worte ausgehen."
„Wir beeilen uns", versicherte Trish. „Passt nur auf, dass sie solange nichts Dummes macht." Das war leichter gesagt als getan, wenn man sich Addie's Vergangenheit und die bestehenden Muster genauer ansah.
Während Trev und ich nach Hause fuhren, redeten wir lange Zeit nichts. Bis er an einer Kreuzung anhalten musste, und nur krampfhaft auf die rote Ampel starren konnte, wollte ich das Schweigen brechen.
„Du hast sie gefragt", sagte ich und betrachtete ihn. „Du hast sie wirklich gefragt, ob sie dich heiratet."
Er nickte, als könne er es selbst nicht ganz glauben und umfasste das Lenkrad mit beiden Händen. „Ich weiß."
„Und du bist dir sicher?"
„Ich bin mir sicher, dass ich mir noch nie im Leben so unsicher gewesen bin", erwiderte er und schüttelte den Kopf. „Das war dumm. War das dumm?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Wenn du sie nicht wirklich heiraten willst, steckst du jetzt in der Scheiße, so viel steht fest."
„Das ist ja das Problem." Die Ampel schaltete grün und er fuhr los. „Ich will sie heiraten. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es das Richtige war, sie zu fragen."
Trev war vorbelastet durch die Ehe seiner Eltern, das verstand ich. Es war klar, dass ihn das alles verwirrte, und er sich scheiße fühlte, weil der Abend so furchtbar verlaufen war. Und um ehrlich zu sein hatte ich mir die beiden nie vor dem Altar vorstellen können, einfach aus dem Grund, dass Trev nie hatte heiraten wollen.
„Was für ein seltsamer Abend", murmelte ich und sah wieder aus dem Fenster.
„Kannst du laut sagen."
Als wir knappe zwanzig Minuten später wieder zu Hause ankamen, saß Addie immer noch in dem Kleid am Küchentisch vor der Flasche Jägermeister, die Chase vor einiger Zeit besorgt hatte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er davon getrunken hatte, aber jetzt war beinahe die Hälfte weg.
„Addie!", erschrocken stürzte Trev auf sie zu und nahm den Jägermeister in beide Hände. „Hast du getrunken? Bist du wahnsinnig?!"
Sie saß einfach nur mit geröteten Augen da und starrte vor sich hin. Normalerweise schaltete mein Gehirn in solchen Situationen schnell, und ich wusste, was ich zu tun hatte, ohne großartig nachzudenken. Aber in diesem Augenblick war ich völlig blank.
„Addie!" Trev packte sie an beiden Schultern und drehte sie wutentbrannt zu sich, doch sie riss sich voller Wucht los, stolperte zurück und stieß dabei den Stuhl um, der mit einem lauten Poltern auf den Boden prallte und mich aus meiner Schreckstarre riss.
„Du willst sie doch gar nicht!", rief sie wutentbrannt.
„Was? Was will ich nicht?", schrie Trev zurück.
„Die Babies, du willst die Babies nicht! Es kann dir doch Scheißegal sein, ob ich trinke!"
„Hast du den Verstand verloren?!" Ungläubig starrte er sie an, bevor er sich an mich wandte. „Das kann den Babies nicht schaden, oder?"
Hilflos sah ich zwischen den beiden hin und her. Dämonenblut hatte zwar Einfluss auf die Kinder, aber ich hatte keine Ahnung, ob es die Wirkung von Alkohol, der einen Abort oder eine Behinderung hervorrufen konnte, lindern oder komplett unschädlich machen konnte.
Drauf wetten würde ich nicht.
„Ist doch scheißegal!", heulte Addie und atmete hysterisch auf. „Ich sollte gar nicht schwanger sein! In einer normalen Welt könnte ich gar nicht schwanger werden und jeder wäre zufrieden!" Jeder, außer Addie. „Ich will diese Babies nicht mehr! Ich will sie nicht!" Sie griff nach dem Glas, das neben der Flasche Jägermeister stand, und warf es zornig auf den Boden, wo es zerbrach. „Ich will diese Kinder gar nicht mehr!"
„Addie, das stimmt doch gar nicht", versuchte ich es ruhig, obwohl ich vermutlich nur das Feuer schürte.
„Doch! Ich will sie nicht! Und ich will auch diese Hochzeit nicht! Ich will nicht! Keiner will sie!"
Mir und auch Trev war klar, dass Addie diese Dinge nur aus einem einzigen Grund sagte. Um unserer Mutter ein schlechtes Gewissen zu machen. Wenn Addie die Babies verlieren würde, oder sie mit Behinderungen zur Welt kommen würden -wenn Addie Trev nicht heiraten und dadurch unglücklich werden würde- hätte sie unserer Mom irgendwann in einigen Jahren damit bewiesen, dass genau dieses Leben sie glücklich gemacht hätte. Dass sie selbst am besten wusste, was sie wollte. Dass Mom kein Recht hatte, sich einzumischen.
Addie wollte unserer Mutter all die grauenvollen Dinge, die sie gesagt hatte, damit heimzahlen, mit dem Leben, das Mom sich für sie vorstellte, unglücklich zu werden.
Aber die zwei Kleinen mit Alkohol zu vergiften, um unserer Mutter Schuldgefühle aufzudrücken, war der absolut falsche Weg. Nüchtern und ruhig betrachtet, hätte Addie bestimmt genauso empfunden. Natürlich wollte sie diese Babies, es war ihr größter Wunsch -ihr Lebensziel- Mutter zu werden. Und sie wollte diese Hochzeit.
Und natürlich waren die Babies auch Trev seit langem nicht mehr egal, aber das konnte Addie in ihrer blinden Verzweiflung nicht sehen.
Obwohl ich mir relativ sicher war, dass der Alkohol den Kleinen wegen des Dämonenblutes nicht viel würde anhaben können, wurde ich zunehmend unruhiger.
„Jetzt komm mal runter von deinem Trip", knurrte Trev und versuchte wieder, sich Addie zu nähern.
„Du kannst mich mal!", schrie sie. „Ihr könnt mich alle mal! Geht doch alle zum Teufel!" Sie packte den Tisch an der Platte und warf ihn mit einem kräftigen Ruck um. Die Flasche Jägermeister zersprang auf dem Boden.
„Hör auf, unsere Wohnung zu demolieren und dich wie ein Kleinkind aufzuführen!" Trev gingen die Möglichkeiten aus.
Es half nichts. Wenn Addie auf stur schalten wollte, dann musste ich sie eben zwingen, den Alkohol loszuwerden. Meine Schwester würde mich hassen für das, was ich gleich tun würde. Ich würde mich hassen für das, was ich gleich tun würde. Aber noch mehr würden wir beide mich hassen, wenn meinem Neffen und meiner Nichte wegen des Alkohols etwas zustoßen würde und ich nicht zumindest versucht hatte, etwas zu unternehmen.
Ich zog mir die Jacke aus und krempelte die Ärmel meines Hemdes hoch. Nicht nur Trev sah mich halb irritiert, halb gespannt an.
Angespannt atmete ich durch.
„Addie, was ich jetzt gleich machen werde, tut mir unheimlich leid", meinte ich noch, bevor ich entschlossen auf sie zuging, sie an den Armen packte und mit aller Kraft ins Badezimmer zerrte. Sie schrie, als wolle ich sie aufspießen, und wehrte sich mit Dämonenstärke, vergas dabei aber, dass ich über dieselbe Stärke verfügte. Und noch dazu ein bisschen größer war. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie ich es schaffte, Addie tatsächlich durch die Türe und vor die Kloschüssel zu zerren, aber ich schaffte es.
Trev konnte nur dabei zusehen, wie Addie mich kratzte, nach mir trat, wild um sich boxte und vermutlich alle Nachbarn häusliche Gewalt bei der Polizei melden ließ.
Sie krallte sich an den festgeschraubten Handtuchhaltern fest und riss sie mit einem Ruck heraus. Sie verpasste der Kommode einen Tritt und brachte sie zu Fall.
Sie war stark, seit der Dämon sich mit ihr verbunden hatte, aber ich war stärker, seit ich meine Kräfte zum ersten Mal geweckt hatte.
Ich zwang sie vor die Kloschüssel und betete, dass sie mir nicht gleich in ihrer blinden Wut einen Finger abbeißen würde, als ich ihren Kopf nach unten drückte und sie zum Würgen brachte, damit sie den Alkohol loswurde.
Sobald sie sich das erste Mal übergab wurde sie ruhiger und klammerte sich nur noch heulend und hustend an der Klobrille fest. Trev sah mich erschrocken und gleichzeitig erleichtert an, nahm schnell meinen Platz ein, hielt ihr die Haare, die vor einigen Stunden noch sorgfältig hochgesteckt gewesen waren, zurück und strich ihr beruhigend über den Rücken. Wir saßen bestimmt zwanzig Minuten im Badezimmer und sahen Addie dabei zu, wie sie sich übergab.
Ja, ich hätte auch nicht gedacht, dass der Tag so enden würde.
Gegen Ende steckte sie sich selbst panisch den Finger in den Hals, um auch ja den letzten Rest Alkohol loszuwerden. Sie würgte zwar nur noch, aber ihr war augenscheinlich das Ausmaß ihrer Kurzschlussreaktion bewusst geworden, das war immerhin etwas.
Erschöpft von allem, was heute passiert war, ließ ich mich auf dem Rand der Badewanne nieder. Irgendwann zog Trev sie in eine feste Umarmung. „Ist okay. Es ist gut, es ist alles draußen. Du kannst aufhören."
Wahrscheinlich fragte Addie sich gerade, wie sie so hatte handeln können. Wie sie in ihrer Wut ihre eigenen Babies einer so großen Gefahr hatte aussetzen können.
Ich bin nicht besser als Mom. Ich bin schlimmer.
Das hörte ich aus ihren Schluchzern heraus. Sie krallte sich so verzweifelt an Trev fest, wie ein Ertrinkender an einer Boje.
„Ich will diese Babies, Addie", murmelte er in ihre Haare und sie nickte. „Ich will sie wirklich. Und ich möchte dich heiraten."
Wieder begann sie hysterisch zu heulen und verdeckte mit einer Hand die Augen. „Wieso kann sie mich nicht lieben?" Sie weinte so heftig, dass man hätte glauben können, jemand wäre gerade gestorben.
„Sie liebt dich", hätte ich am liebsten gesagt, aber Addie hätte mir nicht geglaubt. Müde betrachtete ich die Kratzer auf meinen Armen und die roten Abdrücke, die sie hinterlassen hatte.
Ich war der festen Überzeugung, dass Mom Addie liebte. Sie hatte sich nur ein anderes Leben für ihre Tochter -ihr einziges, leibliches Kind- vorgestellt. Ein gutes Studium, ein angesehener, geldbringender Beruf, ein Ehemann aus hohem Stand mit einem Strandhaus oder zwei, und in den späten Zwanzigern das erste Kind, vielleicht auch ein zweites, Mitte dreißig. Das hätte Mom sich gewünscht. Das hatte sie erzwingen wollen, aber es hatte nicht geklappt und nun dachte sie, Addie würde bis an ihr Lebensende unglücklich sein.
Aber Addie war glücklich mit diesen Babies. Sie war glücklich mit Trev. Irgendwann würde Mom das erkennen, da war ich mir sicher.
Und dass Addie nicht mehr auf dieser Welt brauchte, als Trev und ihre Babies, um glücklich zu sein, hatte auch ich heute Abend zum aller ersten Mal so richtig begriffen. So sehr ich ihre Entscheidung, diese Kinder zu bekommen, auch kritisierte: Ich würde alles Menschenmögliche tun, um sie dabei zu unterstützen. Das war ich ihr schuldig.
Irgendwann nach guten dreißig Minuten, als sie sich beruhigt hatte, kamen Trish und Chase zur Türe herein und machten sich ziemlich schnell ein Bild von der Situation.
„Oh mein Gott, was ist passiert?", fragte Trish erschrocken und kniete sich neben Addie, die immer noch in Trev's Armen lag und vor sich hinschniefte, aber viel zu erschöpft war, um auch nur ein Wort herauszubringen. Ich fing Trish's und Chase' besorgte Blicke auf und nickte ins Wohnzimmer, wo ich den beiden alles in Ruhe erklärte, während Trev Addie auf ihr Zimmer brachte.
„Die Frau hat wirklich eine kurze Zündschnur", murmelte Chase kopfschüttelnd, woraufhin Trish, die meine kleinen Kampfwunden betrachtete, ihn genervt in die Seite stieß.
„Ihre Mutter hat ihr eben vor ihrer ganzen Familie an den Kopf geworfen, dass sie eine absolute Enttäuschung für sie ist."
Er zuckte mit den Achseln. „Und? Dieses Thema bringen meine Eltern jeden Feiertag auf den Tisch."
„Ist ja auch nicht weiter verwunderlich", schoss sie zurück und ich fragte mich, wann die beiden schlimmere Zankhühner geworden waren als Beverly und Chase.
Beverly...
Ich beschloss, die zwei zu unterbrechen.
„Fahrt ihr wieder rüber zu Beverly's Haus?" Sie nickten gleichzeitig. „Könnt ihr mich mitnehmen?"
„Willst du nicht hier bleiben?", fragte Trish irritiert.
„Doch schon... Aber nein. Ich komme morgen wieder her und sehe nach Addie." Warum ich das Bedürfnis verspürte, heute Nacht in Beverly's Haus zu bleiben und in ihrem Bett zu schlafen, wusste ich nicht. Vielleicht würde es mir einen gewissen Grad an Geborgenheit vermitteln, den ich seit Wochen so nicht mehr erlebt hatte. Vielleicht wollte ich aber auch einfach der deprimierten Stimmung in der Wohnung in Fresno entkommen. Hier konnte ich nicht mehr viel ausrichten. Bis zur Geburt der Zwillinge würden wir nicht mit Sicherheit erfahren, ob der Alkohol Einfluss auf ihre Gesundheit genommen hatte. Sie hatte ihn sofort ausgekotzt, ich hoffte, dass es früh genug war.
Die beiden halfen mir noch, das Wohnzimmer wieder halbwegs in Ordnung zu bringen, den Tisch aufzustellen, die Stühle zu arrangieren, den Jägermeister und die Glasscherben wegzuwischen, bevor wir uns auf den Weg machten.
„Was für ein Abend", stöhnte Trish und zog sich die hohen Schuhe aus, als wir gegen Mitternacht in Bakersfield ankamen. Erschöpft warf sie sich auf die Couch, Chase setzte sich zu ihr, hob ihren Kopf an und legte ihn sich auf dem Schoß. Er zog ihr die Perücke vom Kopf und begann die zwei gingerroten Zöpfe auseinanderzuflechten, während ich die Küche ansteuerte. Nach so viel Drama brauchte ich nämlich ganz dringend einen Drink.
„Für mich auch", meinte Chase, der meine Gedanken erraten hatte, also goss ich zwei Gläser ein. Und noch ein drittes, als ich Trish's verzweifelten Blick bemerkte, der sich an die Decke geheftet hatte.
„Unfassbar", murmelte sie, während ich ihr und Chase zwei Gläser hinhielt. „Da bin ich ja beinahe froh, dass ich..."
„Meine Mutter umgebracht habe?", bot Chase an und trank einen Schluck, bevor er sein Glas auf dem Couchstisch abstellte und weiter Trish's Haare verwuschelte. Sie sah ihn böse an und hielt ihr Glas in beiden Händen über ihrem Bauch fest. Natürlich hatte sie darauf hinaus wollen, aber Chase hätte den Satz einfach unvollständig stehen lassen sollen.
„Kann dieser Abend eigentlich noch schlimmer werden?", murmelte sie und rieb sich die Stirn.
„Oje. Du hast es gesagt", meinte Chase. „Wahrscheinlich kommt gleich ein Dinosaurier durch die Türe."
„Ein Dinosaurier?", hakte ich irritiert nach und ging zu meinem eigenen Glas in die Küche zurück.
„Gut, der wäre vielleicht ein bisschen groß", räumte er ein. „Eine Kuh vielleicht. Oder Beyoncé."
Trish und ich tauschten verwirrte Blicke aus und sie fragte schließlich: „Was wäre so schlimm an Beyoncé?"
„Die Tatsache, dass das niemals passieren wird, ich nur vom Alkohol halluzinieren würde und demnach zu trinken aufhören müsste", erklärte Chase, als wäre es das Offensichtlichste auf der Welt.
Trish und ich nickten verstehend. Dann nahmen wir alle drei gleichzeitig einen kräftigen Schluck und versanken für einen kurzen Augenblick in unseren eigenen Gedanken.
Ich, für meinen Teil, ließ noch einmal den gesamten Abend Revue passieren. Mom's Worte, Addie's Worte, der Heiratsantrag...
Oh mein Gott, der Heiratsantrag!
Trev wollte tatsächlich meine kleine Schwester heiraten. Er hatte sie gefragt und sie hatte Ja gesagt.
Und dann hat sie sich in ihrem Temperament und einer Kurzschlussreaktion verheddert und wollte ihre eigenen Babies umbringen.
Das Problem war, dass Addie die Konsequenzen ihres Handelns meist viel zu spät bewusst wurden. Das war eine Charaktereigenschaft, die Vaya wohl nicht verdrängt hatte, als er sich mit ihr verbunden hatte. Genauso wenig wie ihre Hitzköpfigkeit und die Tatsache, dass sie im Eifer des Gefechts nur noch rot sah und keine rationalen (oder halbwegs gesunden) Entscheidungen mehr treffen konnte.
„Kann ich euch was fragen?", fragte Trish plötzlich in die Stille hinein und zog sofort Chase' und meinen aufmerksamen Blick auf sich. „Und egal, was jetzt gleich gesagt wird: Es wird dieses Haus nicht verlassen, aber... Glaubt ihr, ganz ernsthaft, dass die Sache zwischen Addie und Trev gut ausgeht?"
„Nein", sagte Chase sofort unverblümt und wandte den Blick wieder ab. „Es wäre schön, aber es wird nicht gut enden."
Trish betrachtete ihn einen Augenblick, ließ seine Worte aber unkommentiert, bevor sie sich zu mir drehte.
„Und du?"
„Das hat mich Trev heute auch schon gefragt. Du weißt, was ich geantwortet habe."
Sie nickte. „Aber manchmal reichen Gefühle nicht aus, um... naja, das Leben durchzustehen."
Da hatte sie bestimmt recht, sonst wäre ich immer noch bei Beverly. Oder Beverly wäre hier.
„Ich meine, woher will man wissen, wenn man eine Person trifft, dass es diese ganze nervzerfetzende Scheiße wert ist?", fragte sie.
Chase Blick schnellte zu mir. Es war klar, wovon sie sprach.
„Brikeena?", hakte ich nach.
„Wieso schafft es ein Mensch, einem anderen Menschen solche... Gefühle zu entlocken? Wieso macht man das und lässt den anderen dann einfach in der Luft hängen?"
Ich wollte etwas Aufbauendes sagen, aber Chase kam mir zuvor. Taktvoll wie immer.
„Vielleicht flirtet sie einfach gerne. Ich meine, es kann doch nicht sein, dass sie allen Ernstes ihr Leben mit dir verbringen wollte, und dann drei Monate nicht hier auftaucht, obwohl sie von Portal zu Portal hüpfen kann und in null Komma Nichts hier sein könnte", er klang wütend. Er war wütend. Auf Brikeena, weil sie Trish an der Angel hatte und zappeln ließ. Ich konnte ihre Absichten auch nicht einschätzen, aber ich wollte mir auch nicht anmaßen, es zu tun.
Plötzlich tat sich mitten im Wohnzimmer ein schwarzer Punkt auf. Ein Wirbel, der größer und größer wurde.
Trish setzte sich auf.
„Seht ihr das auch, oder ist das der Scotch?", fragte Chase und kniff die Augen zusammen.
„Wenn du dich sowas fragen musst, wäre es Zeit mit dem Trinken auszuhören, findest du nicht?", gab sie zurück und versuchte hastig ihre zerzausten Haare in Ordnung zu bringen.
Es war ein magisches Portal, keine Frage, und Trish erwartete natürlich, dass Brikeena gleich heraustreten würde, so als hätte sie Chase gemeinen Kommentar sogar in Irland noch hören können und wollte ihn nun widerlegen. Vorfreude und Aufregung spiegelten sich in Trish's Blick.
So hatte Beverly früher ausgesehen, wenn ich nach Hause gekommen war.
So hatte ich Beverly wohl angesehen, bevor alles den Bach runter gegangen war.
Allerdings war es nicht Brikeena, die aus dem schwarzen Wirbel heraustrat, sondern Finley. Jegliche Freude wich aus Trish's Gesicht und schien dafür langsam zu Chase zu wachsen. Es war lustig zu beobachten, wie sich das eine Gesicht verdüsterte und das andere mehr und mehr aufhellte.
Doch dann fiel mir auf, dass Finley durch das Portal gekommen war. Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte ganz und gar nicht, sonst wäre sie nicht hier. Schon gar nicht mit so einem Gesichtsausdruck. Wo war Brikeena? Ihr Blick ließ auch auf keine guten Nachrichten zu hoffen.
„Was für eine Überraschung", murrte Trish, die sich offensichtlich darüber ärgerte, dass Brikeena nicht da war. „Woher weißt du, wo wir wohnen?"
„Von meiner Schwester. Brikeena", antwortete Finley knapp und sah sich im Raum um.
„Ach. Und warum bist du hier?" Trish hob die Augenbrauen. Finley sah besorgt aus. Ich stellte mein Glas weg.
„Was ist los?", fragte ich und mein Herzschlag verdoppelte sich.
„Es gibt ein Problem. Und ihr müsst mitkommen." Ihre Stimme klang belegt.
„Wieso?", schaltete Chase sich ein. Jetzt sah Finley so aus, als hätten wir gerade ihr Todesurteil ausgesprochen, oder so. Chase betrachtete sie eingehend. Trish beugte sich alarmiert vor und schien Brikeena völlig vergessen zu haben. Finley sträubte sich, die nächsten Worte auszusprechen.
„Finley!", sagte Chase schroff.
„Beverly ist weg."
Nein! Nein, nein, nein, nein.
Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte nicht sprechen. Ich konnte nicht einmal atmen.
„Was?", fragte Chase, als hätte er sich verhört.
„Wir wissen nicht wo sie ist. Wir können sie nicht finden", erläuterte Finley unruhig. Ich spürte, wie sich jeder Muskel in meinem Körper bis zur Schmerzgrenze verkrampfte, als sie mich ansah.
„Sie ist weg."
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