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Beverly

Du wirst sterben. Ganz bestimmt, sie werden dich umbringen.

Du bist eine Schreiberin. Du bist die einzige Person, die vielleicht in der Lage wäre, Cillian umzubringen.

Sie werden dich töten. Töten, töten, töten.

Aber du darfst nicht sterben. Das kannst du nicht machen. Wenn du stirbst, sterben alle anderen auch. Brikeena und Arlen und Misoa und Lorcan und...

Aber sie werden dich töten.

Du kannst dich nicht wehren, du hast keine Magie.

Nein, nein, nein, nein, nein.

Diesmal schaffst du es nicht, diesmal stirbst du. Kein Dämon. Keine Magie. Ganz alleine.

Alleine, alleine, alleine.

Ich presste mir die Hände gegen die Ohren. Es half nichts, denn diese Stimmen kamen von innen. Nicht außen.

Vielleicht machen sie noch viel Schlimmeres, als dich nur umzubringen. Vielleicht wollen sie etwas von dir. Vielleicht wollen sie dich auf ihre Seite ziehen.

Zehn Jahre, Brikeena war zehn Jahre hier.

Was haben sie mit ihr gemacht?

Sie werden dich nicht töten, sie werden dir wehtun. Sie werden schlimme Dinge mit dir machen, damit du für sie arbeitest. Damit du ihnen Zaubersprüche schreibst.

Nein, das würde ich nie tun!

Doch, du musst, sonst tun sie dir weh und bringen dich um.

Am Leben bleiben, du musst nur am Leben bleiben.

Verhandle. Frag, was sie wollen.

Sie werden mich nicht sofort töten.

Doch, doch, doch, du wirst sterben.

Warum ist Brikeena nicht auch durch das Portal gekommen?

Sie werden dich finden, sie werden dich rechtzeitig finden. Dann kommst du nach Hause. Dann kannst zu Aidan.

Ja, dann kann ich zu Aidan. Und zu Trish und zu Chase. Sie werden aufpassen auf mich.

Sie haben dich alleine gelassen.

Nein, ich hab sie rausgeworfen. Das war meine Schuld.

Aber sie sind gegangen. Sie haben sich nicht einmal gemeldet.

Egal, du kommst hier raus. Du kommst zu Aidan.

Aidan, Aidan, Aidan.

Ein metallisches Klicken riss mich aus meinen Gedanken. Panisch sah ich auf und drückte mich näher gegen die kalte, raue Wand. Meine Sicht war verschwommen. Hektisch wischte ich mir über die Augen.

Zwei schwarze Gestalten standen in der Zelle.

Wie viel Zeit wohl vergangen war? Minuten? Stunden? Tage?

Bleib am Leben. Bleib am Leben. Eine Minute. Noch eine, nur eine. Und dann noch eine. Aber erst mal diese.

Du schaffst das. Atme.

Einer der beiden schwarz vermummten Gestalten kam herein und auf mich zu.

Ein Teil von mir wollte erstarren und einfach alles geschehen lassen, was gleich geschehen würde, so, wie es das hilflose, kleine Mädchen vor acht Jahren getan hätte. Ich wollte mich nicht bewegen. Ich konnte nicht. Vor Angst. Und Selbstschutz. Ich wollte mich mit meinen Gedanken in einen anderen Teil meines Bewusstseins verziehen.

Der andere Teil, der schon so viel durchgestanden hatte, wollte nicht so leicht aufgeben, sich mit Leibeskräften wehren und um sich schlagen, als die Gestalt mich an beiden Armen packte und hochzog.

Und der klitzekleine Teil, der mir sagte, dass ich wachsam sein sollte, aber nicht durchdrehen durfte, gewann zu meiner großen Überraschung die Oberhand. Obwohl ich am ganzen Körper zitterte und das Gefühl hatte, meine Beine würden mir gleich versagen, schaffte ich es, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Obwohl ich nur die stahlblauen Augen von der Gestalt sehen konnte, die an den Gitterstäben darauf wartete, dass ich aus der Zelle geführt wurde, lief mir ein Schauer über den Rücken. Als ich an ihr vorbei gestoßen wurde, spürte ich ihren Blick wie Feuer auf meiner Haut. Die Statur ließ einen Mann vermuten, aber ich war mir nicht sicher.

Während ich durch den düsteren Gang geführt wurde, zählte ich mindestens fünfzehn Zellen auf der linken Seite. So viele Zellen, mit so vielen Hexen und Zauberern, die zerzaust an den Wänden saßen und mich verwirrt anstarrten. Ob sie wusste, wer ich war?

Plötzlich wurde ich am Ärmel gepackt und gegen die Gitterstäbe gezogen. Erschrocken blickte ich in die stahlgrauen Augen einer älteren Frau mit schütterem Haar und eingefallener Haut. Ein muffiger, beißender Geruch stieg mir in die Nase.

„Lass dich auf keinen Fall von ihren Lügen einwickeln", krächzte sie herrisch. „Lass nicht zu, dass sie dich-"

Die Person, die mich aus der Zelle gezogen hatte, verpasste der Frau durch die Gitterstäbe einen Schlag mit dem Ellenbogen und sie ließ mich los.

So erschrocken, wie ich darüber war, konnte gar nicht reagieren. Sofort wurde ich weiter geschubst.

„Kümmere dich darum", knurrte die tiefe Stimme der Person, die mich immer noch festhielt. Ich drehte den Kopf und konnte gerade noch sehen, wie die andere vermummte Gestalt die Zellentüre öffnete, bevor der Mann meinen Kopf nach vorne drehte und mich um die Ecke schubste.

Ich wünschte, ich hätte zu den ehrenwerten Helden gehört, die sich losgerissen und auf die andere Gestalt geschmissen hätten, um die alte Frau zu verteidigen.

Ich wünschte, ich hätte abseits meiner Kräfte irgendetwas gehabt, mit dem ich mich heroisch aus diesem Verließ hätte kämpfen können.

Ich wünschte, die Todesangst säße mir nicht so tief in den Knochen, dass ich mich schon fast taub fühlte.

Selbst in diesem Augenblick fühlte ich mich absolut jämmerlich, weil ich doch eigentlich stark sein müsste. Oder?

Du überlebst das. Du überlebst das.

Nur das ist wichtig.

Noch eine Minute.

Die Gänge waren unsagbar eng und ich glaubte beinahe, dass wir unter der Erde waren. Es war vielleicht gar nicht zu abwegig, denn ich konnte nirgends Fenster erkennen.

Warum konnte ich nicht immer einen Plan parat haben wie Chase? Er hätte vermutlich auch noch einen Dolch aus seinen Boxershorts gezaubert, oder wo auch immer er die Dinger ständig versteckte. Er hätte den unkenntlichen Gestalten das Genick gebrochen und hätte mich sicher aus dieser Hölle bringen können, da war ich mir sicher.

Es war so surreal. Wie um alles in der Welt hatte ich hier landen können? Wie hatte das passieren können?

Der Mann stieß eine Türe auf und schubste mich in einen Raum. Bevor ich mich fragen konnte, was das sollte, schloss er die Türe wieder und verriegelte sie.

Mein Herz stolperte panisch und mir brach kalter Angstschweiß aus. Was war in dem schattigen Teil des Raumes? Nur der eiserne Tisch mit den zwei Stühlen war durch eine Lampe an der Wand mäßig ausgeleuchtet. Aber was war dahinter? Was würde jetzt passieren? Tränen sammelten sich in meinen Augen und tropften schwer auf meinen Pullover.

Nein, du wirst nicht sterben. Du wirst nicht sterben, nicht heute.

Ich sterbe heute nicht.

Ich drehte mich um und hämmerte mit voller Wucht auf die schwere Türe ein. Der ruhige, kleine Teil in mir hatte sich verabschiedet und der verzweifelte Überlebensinstinkt hatte das Steuer übernommen.

„Lasst mich raus!", brüllte ich. „Lasst mich sofort hier raus!"

Schwer atmend lauschte ich, ob sich etwas tat, aber nichts passierte. Mir entfuhr ein Schluchzen und ich presste meine Hand gegen den Mund.

Du überlebst das.

Wie lange würde ich noch darauf warten müssen, dass etwas passierte?

„Das, also..." Erschrocken fuhr ich herum und drückte meinen Körper gegen die Türe als ich die männliche Stimme aus dem Schatten hören, aber nicht sehen konnte.

Nein, nein, nein, nein, nein.

Ich war nicht alleine. Natürlich war ich das nicht.

„Das, also, ist das Beste, mit dem die Brooklynn Hexen und Galbraith Zauberer aufwarten können?" Schritte. Umrisse. Ein großer Mann. „Das ist die Schreiberin? Die Heldin einer ganzen Generation bricht zusammen, nur weil man sie in einen Raum mit einem Tisch und zwei Stühlen steckt?"

Ich stutzte, während mein Herz wie wild gegen meine Brust hämmerte. Die Stimme. Ich kannte diese Stimme. Woher kannte ich diese Stimme?

Ich schluckte schwer und versuchte mein Zittern unter Kontrolle zu bringen, unfähig etwas zu sagen.

„Setz dich", sagte der Mann und klang beinahe freundlich.

Ich kenne die Stimme, ich kenne sie, ich weiß es!

„Setz dich", wiederholte er ruhig und meine Beine bewegten sich wie von selbst. Ich zog den Stuhl hervor und ließ mich darauf nieder.

„Ich will nur mit dir reden." Als der Mann aus dem Schatten trat, stockte mir der Atem und der einzige Gedanke, der mir in den Kopf schoss war ein weiteres: Nein!

Mit offenem Mund starrte ich ihn an, als er sich mir gegenüber niederließ.

Was ist hier los zum Teufel?

„Ich muss ehrlich sagen, ich habe mehr von dir erwartet. Als wir uns in Modoc kennengelernt haben, warst du nicht so... ängstlich."

„Das kommt davon, wenn man ein paar Monate mit meiner Familie verbringt", schaltete sich eine Frauenstimme ein. Eine schwarzhaarige Frau trat aus der Dunkelheit und stellte sich hinter den Mann.

Ich erkannte sie sofort. Nur hatte ich die wesentlich jüngere Version von ihr kennengelernt und daher ihre Stimme nicht sofort zuordnen können.

„Geschockt?", lächelte die nun erwachsene Frau amüsiert und stützte die Arme auf dem Tisch ab, während ich immer noch damit beschäftigt war zu verdauen, wer da tatsächlich vor mir stand.

„Wir haben verdammt lange auf diesen Augenblick gewartet", lächelte sie. „Beverly."

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