5
Beverly
Wie kommt es eigentlich, dass Schlaf immer ausbleibt, wenn man ihn am dringendsten braucht? Ich hatte vielleicht zwei Stunden geschlafen, weil ich wusste, dass ich heute die Entscheidung fällen musste. Und mir graute vor dieser Entscheidung, denn sie würde den weiteren Verlauf dieses Chaos bestimmen. Irland oder Schottland?
Felicity oder Arthur?
Möglicherweise durfte ich mit meiner Wahl auch festlegen, wer leben und wer sterben würde. Und ich wurde das hässliche Gefühl nicht los, dass jemand sterben würde. Ja, es war bestimmt nur eine weitere paranoide Angst, aber war das nicht jede Angst?
Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass mir irgendwann, als die Sonnenstrahlen den Horizont in einen sanften Orangeton getaucht und den Tau an meinem Fenster zum Glitzern gebracht hatten, klar gewesen war, was ich zu tun hatte. Stattdessen hatte ich mir bei Sonnenaufgang die Decke über den Kopf gezogen und mich mürrisch zur Wand gedreht, weil ich immer noch nicht gewusst hatte, wie ich mich entscheiden sollte.
„Ich hoffe, deine Wahl ist auf Irland gefallen", bemerkte Chase mit mahnendem Unterton, als ich zum Frühstück nach unten kam. „Du siehst übrigens beschissen aus. Hast du überhaupt geschlafen?"
Aidan holte mir einen Früchtetee von der Bar und ich entdeckte währenddessen Arthur an seinem Platz, der mich zur Abwechslung mal nicht anstarrte, sondern in einer Zeitung blätterte.
Was für ein seltsames Bild, schoss es mir durch den Kopf. Dass sich ein Dreihunderteinundvierzigjähriger noch für solch simple Dinge begeistern konnte. Allerdings musste ich zugeben, dass er nicht sonderlich begeistert aussah. Aber wer sah beim Zeitunglesen schon begeistert aus?
Ich rieb mir übers Gesicht, um diese komischen Gedanken loszuwerden. Ich war definitiv übermüdet. Aidan stellte mir meinen Tee vor die Nase und riss mich aus meinen Grübeleien, bevor er sich neben mir niederließ und unter dem Tisch nach meiner Hand griff.
„Also?", fragte Chase mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich wog noch einmal alle Vor- und Nachteile, Fakten und Ereignisse, sowie möglichen Risiken ab. Ich war mir sicher, dass ich meine Entscheidung so oder so bereuen würde, also ließ ich mein Bauchgefühl entscheiden.
„Schottland."
Da Chase schon mit dieser Entscheidung gerechnet hatte, sagte er nichts dazu, sondern fluchte vermutlich nur in Gedanken vor sich hin, während er mich schweigend anstarrte, als beschuldigte er mich für seine Hinrichtung.
„Ich wiederhole es nochmal", begann ich und sah ihm fest in die Augen. „Du bist nicht verpflichtet, mit mir zu kommen. Ich übernehme nämlich keine Verantwortung für das, was passieren wird."
Er trank seinen Kaffee in einem Zug leer und beugte sich über den Tisch zu mir. „Irgendwann kommt der Tag, an dem du anfangen musst, die Verantwortung für deine Entscheidungen zu tragen." Er stand auf und sah abschätzig auf mich herunter. „Davor kannst du dich nicht drücken." Dann verschwand er die Treppen nach oben und ließ mich in meinen Zweifeln und Unsicherheiten sitzen.
~~ ~~
„Ich hab doch gesagt, wir werden es bereuen", murmelte Chase, als wir knappe vier Stunden später mit unserem Gepäck, auf Arthurs Anweisung hin, in Blackvalley angekommen waren. Aidan hatte uns mit dem Mietwagen, den ich bezahlt hatte, als wir in Irland angekommen waren, hergefahren. Ich war bei der Hälfte der Stecke eingeschlafen und hatte noch die Knitterfalten von dem Schal, den ich als Polster missbraucht hatte, an der Wange.
Jetzt standen wir vor... Steinen. Vielen Steinen und das meine ich nicht metaphorisch. Sie sahen aus, wie die Überreste eines Hauses. Der Grundriss war noch zu erkennen, und da, wo früher wohl einmal der Eingang gewesen war, waren die Steine etwas höher gestapelt und bildeten einen Torbogen.
„Er versetzt uns", meinte Chase und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wird er nicht", knurrte ich. „Er hat gesagt, dass er kommt."
„Nein, er hat gesagt: Fahrt nach Blackvalley, und haltet westlich nach Steinen Ausschau, die wie ein zerbombtes Haus aussehen. Die Worte Wir treffen uns da sind nie gefallen." Er war nervös. Ich hatte ihn schon lange nicht mehr so missgünstig erlebt wie heute. Aber ich nahm es ihm nicht übel. Ich versteckte meine Sorge hinter Schweigen, und Chase war noch zynischer als sonst.
Trish trat mit ihren violetten Stiefeln vorsichtig gegen einen der moosbewachsenen, matschigen Steine, als wolle sie ihn zum Umfallen bringen, was natürlich nicht geschah.
„Irgendwie hab ich das Gefühl, dass gleich ein paar Kobolde aus dem Wald da hinten auf uns zulaufen und uns auffressen."
Ich zog die Augenbrauen zusammen und warf ihr einen verstörten Blick zu. „Hast du deinen Tee heute Morgen mit Chase' Irish Coffee verwechselt?"
„Findest du gehirnfressende Kobolde so viel unwahrscheinlicher, als das, was hier sonst so abgeht?"
Dem konnte ich wirklich nichts entgegensetzen. Mich hätte nicht einmal eine Dudelsack spielende Ziege im Kilt verwundert.
Fröstelnd zog ich die Schultern hoch. Das winterliche Wetter war wirklich widerlich, gerade hier war es kalt und nass. Der Boden war matschig und braun. So viel zu der Grünen Insel.
„Ich wusste nicht, dass du vorhattest, deine Freunde mitzubringen." Ich drehte mich um und sah, wie Arthur den kleinen Hügel hinauf zu uns stieg.
„Du hast auch kein Mal betont, dass das ein Problem ist", entgegnete ich. „Entweder du nimmst vier Passagiere mit, oder keine." Dabei versuchte ich so ernstzunehmend wie möglich auszusehen und zog die Augenbrauen zusammen. Vermutlich sah ich einfach nur bockig aus. Aber mein Status als Retterin der Hexenwelt musste doch zu was gut sein, oder? Sofern ich diesen Status tatsächlich hatte, was ich absolut nicht hoffte.
„Es geht nicht um mich, sondern um Corona." Arthur kam vor mir zum Stehen. „Sie ist sehr vorsichtig, was alle... Nicht-magischen-Wesen angeht."
„Tja, aber sie sitzt in Irland, oder etwa nicht?" Ich würde diese Reise sicherlich nicht alleine antreten. So sehr ich mich am Anfang auch dagegen gewehrt hatte, meine Freunde mit mir zu nehmen: Ich war mir nicht sicher, ob ich es überhaupt bis zu diesem Punkt durchgezogen hätte, wenn sie nicht da gewesen wären.
Ein kaum wahrnehmbares Schmunzeln, von dem ich nicht sicher war, was es zu bedeuten hatte, breitete sich auf Arthur's Lippen aus, und er betrachtete mich kurz. „Ich glaube, du wirst dich hervorragend mit Brikeena verstehen." Noch während ich ihm einen fragenden Blick zuwarf, ging er zwischen uns hindurch zu den Steinen, die den Eingang gebildet hatten.
„Sagst du uns jetzt, wozu du uns hier her geschickt hast?", fragte Chase mürrisch.
Mit einer ausladenden Bewegung deutete Arthur auf den Steinbogen.
„Das ist ein Ataria."
„Ein was?" Langsam glaubte ich, dass es anderen Spaß machte, mit Begriffen um sich zu werfen, die ich nicht verstand.
„Ataria. Das ist Baskisch und bedeutet Portal."
„Aha. Und was soll Baskisch für eine Sprache sein?" Und warum sollte man es Ataria nennen, anstatt Portal?
Arthur drehte sich zu mir, als hätte ich ihn eben gefragt, wer der Präsident der USA war. „Das Baskenland liegt in Spanien. Portale werden deshalb Ataria genannt, weil der erste Zauberer, der Portale überhaupt erst möglich gemacht hat, aus dem Baskenland kam." Er sprach mit mir so langsam, wie mit einem Kleinkind, woraufhin ich genervt den Kopf schräg legte.
„Ich hab nur den Privatunterricht der Menschenwelt genossen und bin nicht blöd." Ich konnte hören, wie Chase ein amüsiertes Schnauben entfuhr, aber ging nicht darauf ein. „Was den Hexenkram angeht, muss ich eben noch lernen."
„Sag bloß", erwiderte Arthur mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Und was wollen wir nun hier?", fragte ich, ohne auf seine provokante Art einzusteigen. Im Ignorieren von fiesen Kommentaren war ich durch Chase zum Profi geworden. „Ich dachte, uns durch ein Portal zu schicken ist... unvorteilhaft, weil wir dann mit einer Magiespur bedeckt sind."
Arthur seufzte tief. „Ich glaub, wir stecken dich in die Hexensonntagsschule. Also, pass auf: Es ging mir nicht um die Magiespur an euch, sondern an dem Ort, an dem ich ein Portal erschaffen hätte. Die Magiespur an euch verschwindet nach ein paar Stunden, wenn ihr ein Portal betretet. Aber die Umgebung des Portals kann bis zu zehn Wochen leuchten wie ein Waldbrand. Und mit dem richtigen Zauber kann jeder diese Magiespur verwenden, um das Portal wieder aufleben lassen und euch problemlos folgen."
„Okay...", meinte ich langsam. „Also, Portale selber erschaffen, nicht gut, weil böse Menschen können folgen. Verstanden."
Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Aidan und Trish schmunzeln mussten.
„Ataria sind festgelegte Portale", fuhr Arthur fort. „Mächtige Portale, die mit so vielen Schutzzaubern belegt sind, dass sie weder von den falschen Leuten gesehen, noch betreten werden können. Allerdings führen sie auch nur in eine Richtung, was man vielleicht als Nachteil abstempeln könnte. Dieses hier führt direkt nach Schottland. Nach Hause."
„Zu der Insel?"
Er nickte.
„Das heißt, Ataria werden von starken Hexen und Zauberern festgelegt?"
„So ungefähr, ja."
„Und wer hat dieses erschaffen?"
Kurz flackerte ein Ausdruck in seinen Augen auf, den ich nicht deuten konnte, aber er drehte sich zu dem Portal, bevor ich es herausfinden konnte. „Unser Vater. Theodoric."
„Woher weiß dieses Portal, wer es betreten kann?", fragte Trish fasziniert. Ein schneidender Windstoß kam auf und ich vergrub meine Fäuste in den Taschen meiner Regenjacke. „Ich meine, was passiert, wenn ein Mensch so ein Ding zufällig betritt?"
„Gar nichts."
Sie blinzelte ihn an und wartete auf nähere Ausführungen, aber die blieben aus. „Was? Wie gar nichts? Können normale Menschen damit nicht reisen?"
In mir wuchs die Panik, dass ich meine Freunde vielleicht gar nicht mitnehmen können würde, aber Arthur schüttelte gelassen den Kopf.
„Es gibt Hexen und Zauberer, die ihre Ataria mit Sprüchen so konzipieren, dass nur bestimmte Leute hindurchgehen, aber das ist ziemlich schwer. Ein gewöhnlicher Ataria funktioniert nur, wenn man weiß, dass er einer ist."
Anerkennend hob ich die Brauen. Magie war zwar unheimlich, aber gleichzeitig hammergenial.
„Also können auch Hexen durch diesen Steinbogen gehen, und werden nicht... teleportiert, wenn sie nicht wissen, dass es ein Portal ist?", hakte ich nach und Arthur nickte.
„Deshalb sind Ataria so wertvoll. Der Schöpfer kann selbst entscheiden, wem er von seinem Portal erzählt. Von diesem hier wissen eigentlich nur Brooklynn Hexen und Galbraith Hexer." Er seufzte und warf meinen Freunden einen undefinierbaren Blick zu. „Und nun auch ihr. Willst du jetzt den ganzen Tag diskutieren, oder endlich nach Schottland?"
Zweifelnd betrachtete ich das Steinkonstrukt. „Wie... Wie funktioniert das?"
„Du gehst auf der einen Seite rein und kommst auf der anderen raus."
Ich rollte mit den Augen. „Ich meinte viel eher, was mich erwartet. Ist es... wie ein schwarzes Loch? Kotze ich danach auf meine Schuhe, so wie in Filmen?"
Jetzt grinste Arthur mich fast herausfordernd an. „Warum findest du das nicht selbst heraus?"
Ich atmete tief durch und wechselte unsichere Blicke mit meinen Freunden. Es war keine Überraschung, dass Chase mich böse anlächelte. Bestimmt freute er sich gerade, dass Karma ihm so prächtig zur Seite stand.
„Dich erwischt es auch noch", brummte ich, als ich mit meinem Koffer im Schlepptau an ihm vorbei ging.
„Das ist doch wohl nicht gefährlich, oder?", fragte Aidan, aber Arthur antwortete nicht, und das war vielleicht auch besser so.
Ich sah ängstlich zu Arthur auf. „Nicht die Luft anhalten", meinte er noch. „Das könnte böse enden."
Ich spürte förmlich, wie ich meine Augen aufriss und ihn anstarrte, aber er lehnte sich nur mit einem Arm gegen den Steinbogen. „Und auf der Insel ist es um einiges kälter als hier, also stell dich auf einen rasanten Temperaturwechsel ein." Damit deutete er auf das Portal. „Ladies first."
Ich atmete tief durch. Wenn ich geradeaus sah, konnte ich nur die restlichen Steine des Gebäudes erkennen, die vom Taufrost beschlagene Wiese und das Moos, das alles zu überwuchern schien. Ich sah den Wald etwa zwanzig Meter von der hintersten Hauswand entfernt. Die nicht mehr wirklich vorhandene Hauswand natürlich.
Ich konnte mir nicht so recht vorstellen, dass ich gleich ganz wo anders sein würde. Schnell schickte ich noch ein paar Gebete an Gott und alle Engel.
„Ich werde das bereuen."
Mit zusammen gepressten Augen machte ich den Schritt durch den Steinbogen.
~~ ~~
Ich bereute es.
Das war so ziemlich das Einzige, auf das ich mich stets verlassen konnte. Früher oder später bereute ich immer, was ich zu bereuen befürchtete.
Und dennoch hörte ich nie auf mein Bauchgefühl.
Die Reise durch den Ataria hatte sich in etwa so angefühlt, als hätte man mich in einen Zug geschnallt, der so schnell fuhr, dass ich binnen zehn Sekunden von Irland nach Schottland gekommen war.
Nicht die Luft anhalten, hatte Arthur gesagt. Als ob das möglich gewesen wäre. Wer jemals im rasenden Auto den Kopf in Fahrtrichtung aus dem Fenster gesteckt hat und einatmen wollte, weiß, dass das ein zweckloses Unterfangen ist. Der Druck, der auf meinem ganzen Körper gelegen hatte, war in etwa so schlimm, wie wenn man unter Wasser tiefer taucht, als je zuvor.
Als mich das magische Portal endlich ausspuckte, taumelte ich weiter und fiel schließlich auf die Knie, um meine eingedrückten Lungen mit Luft zu füllen.
Mit verdammt kalter Luft. Arthur hatte recht gehabt. Mein Atem bildete stoßweise Wölkchen.
Ich werde kotzen.
Ich werde kotzen.
Sowas von!
Aber ich kotzte nicht, obwohl ich ein paar Mal würgte. Ich rollte mich auf den Rücken und hatte mit einer Hand immer noch den Griff meines Koffers umklammert. Die Kälte fraß sich durch meine Jacke und brannte wie Feuer auf meinem Rücken, aber ich konnte mich nicht bewegen. Der Himmel war taubengrau und als ich meinen Kopf zur Seite drehte, um die Landschaft ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen, stolperte Trish durch das Portal und bescherte mir einen halben Herzinfarkt, weil sie buchstäblich aus dem Nichts erschien. Gerne hätte ich die fürsorgliche Freundin gespielt, denn ihr schien es genauso beschissen zu gehen wie mir, aber wie gesagt: Ich war nicht wirklich in der Lage, mich zu bewegen. Ich musste erst noch meine Organe und Knochen nummerieren. Ein paar Sekunden später torkelte Chase unter dem Steinbogen hervor, dicht gefolgt von Aidan. Beide ließen sich wenig elegant auf dem vereisten Gras fallen und versuchten zu Atem zu kommen.
Nur Arthur spazierte unter dem Steinbogen hervor, als betrete er einen warmen Supermarkt. Er nahm einen tiefen Atemzug und sah sich zufrieden um. Mir fiel erst jetzt auf, dass die Umgebung der von Blackvalley recht ähnlich war, nur, dass wir uns nicht vor der Ruine eines Hauses befanden, sondern der Steinbogen das Einzige war, das auf den frostigen Flächen weit und breit zu sehen war.
„War doch gar nicht so schlimm, oder?", fragte Arthur und betrachtete mich und meine Freunde, wie wir auf dem Boden kauerten.
„Naja, wenn wir zurückgehen, um meinen Magen zu holen, werde ich ihn fragen", meinte Trish schwach. Daraufhin schmunzelte er.
„Das geht gleich vorbei."
„Warum steckst du das so locker weg?", keuchte ich.
„Ich reise seit über dreihundert Jahren fast täglich mit einem Ataria. Man gewöhnt sich dran."
Das bezweifelte ich. Wie konnte sich irgendjemand daran gewöhnen, mit Lichtgeschwindigkeit zu reisen?
„Also, wenn sich Magie immer so scheiße anfühlt, dann geh ich nach Hause."
„Es waren nur fünfhundert Kilometer", meinte Arthur abschätzig. „Je weiter man reist, desto schlimmer wird es. Denn entweder dauert die Reise länger, was nicht unbedingt lustig ist, oder der Ataria funktioniert schneller, was bedeutet, dass..."
„Dir der Schädel auch explodieren würde?"
Er schmunzelte. „Ich muss zugeben, ich bin noch nie weiter als achttausend Kilometer gereist." Er streckte seine Hand aus und half mir hoch. Alles drehte sich und meine Beine gaben nach, sodass ich mich auf meinen Koffer stützte. „Es ist einfacher, lange Portalreisen aufzuteilen. Für gewöhnlich gibt es viele Ataria in einer Stadt oder in einem Land. Besonders, wenn viele Hexen und Zauberer ein- und ausreisen."
„Mein Gehirn ist gerade zu kaputt für sowas", murmelte ich und rieb mir die Schläfen, während Arthur durchging und auch meinen Freunden aufhalf.
„Nehmen wir an, du willst von London nach Sydney. Dieses Portal gibt es, und wenn du es eilig hast, ist es bestimmt praktisch, aber für eine gemütliche Reise absolut lebensmüde."
„Gemütlich?", hakte Aidan nach und warf mir einen kaputten Blick zu. Ich schüttelte den Kopf.
„Es ist leichter, die Reise aufzuteilen. Zum Beispiel, erst nach Astana zu reisen, das sind nur etwa fünftausend. Von dort aus dann nach Vietnam, das sind in etwa wieder fünftausend Kilometer. Und Von Vietnam nach Sydney, knapp siebentausend."
„Ich würde nicht mal mehr einen Meter mit dem Ding reisen wollen", erwiderte ich. „Und wo zur Hölle sind wir? Ich dachte, du bringst uns zu... naja. Nach Hause."
„Wir stehen davor."
Ich drehte mich im Kreis und auch meine Freunde sahen irritiert aus. Hier war nichts. Nur Wiesen und Waldflächen, die die Insel zu umranden schienen.
„Wovor sollen wir stehen? Wo sind wir?"
„Auf einer Insel. Eilean an Rìgh."
„Lass mich raten. Schottisch? Vielleicht sowas wie: Insel des Königs?"
Er sah mich überrascht an. „Sowas weißt du, aber was ein Ataria ist, nicht?" Ich schwieg triumphierend. Eigentlich war es nicht schwer zu erraten gewesen. Die Insel, auf der Iona hockte, klang recht ähnlich, und hieß übersetzt Insel der Königin. Wenn hier Theodoric aufgewachsen war, musste man nun wirklich nur eins und eins zusammenzählen.
„Also. Ein unsichtbares Haus? Ist das nicht unpraktisch? Unsichtbare Dusche, unsichtbares Bett?"
„Den Sarkasmus hast du definitiv von unserem Vater", meinte Arthur kopfschüttelnd, aber er lag falsch. Ich kannte Theodoric nicht, aber den Sarkasmus, von dem ich so häufig Gebrauch machte, hatte mir das Leben beigebracht.
„Was machst du da?", fragte ich irritiert, als Arthur hinter mich trat, seine Hände an meine Schultern legte und mich an eine ganz bestimmte Stelle zu rücken schien. Er legte sein Kinn kurz an meine Schulter und schien in der Ferne nach etwas zu suchen. „Ähm... Dir geht es gut, oder?"
„Wunderbar." Er fasste mir ans Kinn und drehte mein Gesicht einen knappen Zentimeter nach rechts. „Und jetzt nicht bewegen. Warte."
„Worauf?"
„Warte einfach."
Ich hätte gerne die Gesichter der anderen gesehen, aber ich sollte mich ja nicht bewegen. Als ich schon dachte, dass er sich einen Scherz erlaubte, flackerte für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich etwas auf. Nur war es kein Haus gewesen. Ich zuckte so heftig zusammen, dass sogar Arthur erschrak.
„Wow, oh mein Gott! Oh mein Gott! Ach, du- Was war das denn?" Aufgeregt versuchte ich, das imposante Gebäude noch einmal zu sehen, aber ich sah wieder nur Wiese, Wald, Land und Frustration.
„Das war unser Zuhause." Ich sah ihn fragend an. „Schutzzauber", meinte er und begann voraus zu gehen.
„Wie funktioniert sowas?" Ich nahm meinen Koffer und folgte Arthur. Meine Freunde trotteten irritiert hinter uns her, weil sie nichts gesehen hatten.
„Schutzzauber sind fließende Magie. Manchmal kannst du sie sehen, in dem Fall aber nicht. Dieser Schutzzauber verbirgt unser Zuhause. Aber dadurch, dass seine Magie fließend ist, tun sich manchmal Lücken auf und verschließen sich wieder. So wie ein Wasserfall."
Ich stellte mir die armen Menschen vor, die mit dem Flugzeug über die Insel geflogen waren und zufällig durch so eine Lücke das verborgene Gebäude gesehen hatten und für verrückt gehalten worden waren.
Plötzlich blieb Arthur stehen und hielt mich zurück.
„Was ist?"
„Wenn du noch einen Schritt machst, gehst du durch den Schutzzauber."
Ich blinzelte ihn irritiert an. „Und? Ist das so schlimm, wie mit dem Ataria zu reisen? Denn, dann will ich es nicht machen."
Er lächelte. „Nein, du merkst gar nichts. Aber ich wollte dich warnen. Das plötzliche Auftauchen von einem Schloss ist jedes Mal wie ein Jumpscare in einem Horrorfilm, auch wenn man drauf vorbereitet ist, glaub mir."
Er ging weiter und machte nicht den Eindruck, als würde dabei das Schloss vor ihm auftauchen, also folgte ich ihm mit derselben Sicherheit.
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