46
Aidan
Eigentlich hatte ich mich sofort nach der langen Reise duschen und hinlegen wollen. Ich hatte komplett das Gefühl für Zeit verloren, als wir endlich alle bei Beverly's Haus angekommen waren. Trish hatte noch ihren eigenen Schlüssel.
Aber ich hatte in dem Bett meiner Ex-Freundin kein Auge zu tun können. Vielleicht wegen der Tatsache, dass sie meine Ex-Freundin war. Vielleicht, weil ich sie trotzdem neben mir liegen haben wollte. Ständig hatte ich daran denken müssen, dass sie im Augenblick ganz alleine in Irland war und ich keine Ahnung hatte, ob es ihr gut ging.
Genau fünf Mal hatte ich mein Handy vom Nachttisch genommen und ihr schreiben wollen. Aber jedes Mal hatte ich die Nachricht gelöscht und mein Telefon wieder weggelegt.
Als ich gegen Mittag nach unten ins Wohnzimmer trabte, sah ich Chase und Trish deutlich an, dass auch sie nicht viel geschlafen haben konnten. Beide saßen auf der Couch mit ihren Tassen Kaffee. Ich hatte mir auch einen genehmigt, aber sonderlich wachrüttelnd war er nicht gewesen.
Seit keiner mehr in diesem Haus wohnte, kam es mir leblos und trist vor. Eine hauchdünne Staubschicht hatte sich an allen Oberflächen abgesetzt und vor den Fenstern lagen ein paar tote Mücken auf dem Boden.
Keiner von uns war so richtig in Stimmung, etwas zu unternehmen und uns abzulenken. Stattdessen beschlossen wir gegen fünf Uhr nachmittags Addie und Trev einen kleinen Überraschungsbesuch abzustatten.
James kratzte bereits an der Türe, sobald wir im Flur vor dem Apartment standen. Sie hatte das Geräusch meiner Schritte nicht vergessen.
„Was ist los mit ihr?", hörte ich Trev fragen.
„Das gibt's doch wohl nicht...", meinte Addie und ein Stuhl wurde zurück geschoben. „Sie sind wieder da..."
Wir tauschten amüsierte Blicke untereinander. Keiner von uns wollte anklopfen.
„Unmöglich. Sie sitzen doch alle in Irland", erwiderte Trev.
„Misstraust du etwa meinen Fähigkeiten und James Nase?" Addie öffnete die Türe und begann sofort freudig zu kreischen und versuchte in ihrer Aufregung, uns alle auf einmal in eine Umarmung zu zwingen.
„Auch schön, dich zu sehen", lachte Trish. Addie ließ uns strahlend los und drückte jeden noch einmal einzeln. Mich hielt sie besonders lange fest, was sich ziemlich seltsam anfühlte, denn mittlerweile war sie weit nicht mehr so schlank, wie an dem Tag, als wir Fresno verlassen hatten. Es kam mir ein bisschen so vor, wie die seltsamen Partyspiele, bei denen man einen Ballon auf Bauchhöhe zwischen sich und einer anderen Person klemmte und dabei Aufgaben zu bewältigen versuchte, ohne den Ballon mit den Händen zu berühren oder fallen zu lassen. Ich war mir nur nicht sicher, ob es fair war, Addie's Babybauch mit einem Luftballon zu vergleichen. Er konnte nicht runterfallen und würde hoffentlich auch nicht mit einem lauten Knall platzen, wenn ich sie ein bisschen fester umarmen würde.
„Ich hatte solche Angst um dich", murmelte sie erstickt und wiegte sich eine Weile in meinen Armen, bevor sie mich wieder losließ. Ihre Haare waren etwas länger, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte, aber immer noch so lockig und verwuschelt.
„Ich hab mir um euch alle Sorgen gemacht." Sie warf Chase und Trish wehmütige Blicke zu. Dann sah sie sich um und wurde ganz blass. „Wo ist Beverly?"
„Die Mistratte ist in Irland geblieben. Können wir jetzt reinkommen?", fragte Chase, der in Wahrheit bereits auf dem Weg in die Küche war und die Schränke durchsuchte.
„Kein Alkohol", ließ Trev ihn beinahe schadenfroh wissen. Chase drehte sich zu ihm. Sein Gesichtsausdruck hätte einen Unbeteiligten vielleicht vermuten lassen, dass Trev eine Babykatze überfahren hatte.
„Was? Ich muss mich verhört haben, wiederhol das bitte nochmal." Es lag beinahe etwas Warnendes in seiner Stimme.
Trev, der mittlerweile von der Couch aufgestanden war, deutete auf Addie. „Sie darf nichts trinken und alleine trinke ich nichts, das ist armselig."
„Der Zug ist abgefahren", gab Chase ungerührt zurück. „Du bist doch immer noch in diesem Irrenhaus gefangen, oder nicht? Das ist der Gipfel an Armseligkeit."
„Kann ihm bitte jemand Scotch besorgen?", grummelte Addie. „Bevor er noch anfängt das Patriachat in den Himmel zu loben."
Er hob warnend den Finger in ihre Richtung. „Ich liebe Frauen."
Meine Schwester stemmte die Hände in die Hüften. „Du hast Angst vor Frauen in höheren Positionen."
„Stimmt nicht. In den letzten Wochen habe ich die höheren Positionen bei Frauen sogar sehr genossen", grinste er. Addie brauchte einen Augenblick, bis sie verstand und die Augen verdrehte.
„Igitt! Keine fünf Minuten da und schon redest du wieder über Sex! Du bist hier der Armselige!"
Es war seltsam, zurück zu sein. Wir waren insgesamt knappe zwei Monate weg gewesen. Es war Anfang März. Trotzdem fühlte es sich wie ein anderes Leben an. Noch gestern wäre ich beinahe gestorben und nun war ich wieder hier, in meinem alten Leben.
Ich bückte mich und nahm, ohne meine gebrochene Hand zu sehr zubelasten, die schnurrende James auf den Arm, die ihren Kopf sogleich an meinerSchulter rieb. Trish, die sich die blonde Perücke vor unserem Aufbruch aufgesetzt hatte, kraulte sie hinter den Ohren.
„Ihr kommt übrigens gerade zum richtigen Zeitpunkt", meinte Trev dann. „Addie dreht langsam durch und merkt, dass das mit den Babies doch nicht so ohne ist." Er warf Addie ein zuckersüßes Lächeln zu und sie schob beleidigt die Unterlippe vor.
„Wo liegt das Problem?", fragte Chase, der verzweifelt alle Schränke durchwühlte. Ich wusste nicht, ob er nach Geheimvorrat suchte, oder Trev einfach nicht glaubte.
„Es gibt keines", erklärte Addie. „Nur... Finanzielles. Und... die Tatsache, dass ich seit kurzem schwarzes Blut habe und in keiner Klinik entbinden kann." Sie sträubte sich weiterzureden, vielleicht, weil sie soeben zugeben musste, dass insbesondere ich mit all meinen Bedenken recht gehabt hatte. „Nicht zu vergessen, die Tatsache, dass ich in ein paar Monaten zwei Babies aus meinem Körper pressen muss."
„Ist doch nichts dabei." Chase winkte ab. „Hat meine Mom ganze fünf Mal geschafft. Von Bevy's Mutter will ich gar nicht erst anfangen." Er zuckte mit den Schultern. „Du wirst schon nicht dran sterben."
Sie zog die Augenbrauen in seine Richtung hoch. „Versuch du doch mal zwei Melonen zu scheißen, dann reden wir weiter."
Chase zog halb verwirrt, halb verstört die Stirn in Falten. „Sie kommen aus deinem Arsch? Trev, Alter." Er begann zu grinsen. „Du hast was falsch gemacht. Wenn die Baby's aus ihrem Hintern schießen, hast du definitiv das falsche Loch erwischt."
Während Trev Chase sauer anfunkelte und Addie das Gesicht verzog konnten Trish und ich uns schnell nicht mehr halten vor Lachen. Als Chase Addie angrinste musste auch sie zu lachen beginnen und irgendwann begann sogar Trev zu schmunzeln.
Gott, ich hatte vergessen, wie gut es sich anfühlte, wieder mit den vier zusammen zu sein, so wie früher. Für einen kurzen Augenblick erlaubte ich mir sogar, mir vorzustellen, dass sich nichts geändert hatte.
Es dauerte nicht lange, bis Chase sich auf den Weg machte, um Scotch zu besorgen und Addie beauftragte ihn damit, noch einen Becher Ben&Jerry's zu kaufen.
Trish setzte sich zu Addie und James auf die Couch und die beiden begannen zu plaudern, als wäre nie etwas zwischen ihnen vorgefallen. Als wären sie sich gestern erst im Supermarkt über den Weg gelaufen und immer noch die besten Freundinnen.
Dabei trug keine von beiden noch die Ringe, die ihre Freundschaft symbolisierten.
„Hey."
Ich stand an der Küchenzeile und goss Milch über die Cornflakes, als Trev sich zu mir gesellte. Noch hatte ich nichts in den Magen bekommen und hatte eigentlich auch jetzt keinen Appetit, aber ich musste etwas essen.
„Hey", erwiderte ich, ohne ihn anzusehen. Unseren Streit am Telefon hatte ich nicht vergessen.
„Ist mit Beverly alles okay?", fragte er zögerlich, während ich den Verschluss wieder auf den Milchkarton schraubte.
„Das interessiert dich?"
„Komm schon. Du kannst nicht sauer sein, weil ich nicht wollte, dass ihr Addie in diese Sache mit reinzieht. Schon wieder."
„Bin ich nicht." Ich sah ihn an. Irgendwie schienen sich die Sorgenfalten über die letzten Monate noch viel tiefer in seine Stirn gegraben zu haben. In diese Besorgnis mischte sich Verwirrung.
„Warum bist du dann sauer?"
Ich seufzte schwer und stellte die Milch in den Kühlschrank zurück. Die Wahrheit war, dass ich nicht sauer war. Zumindest nicht auf Trev. Ich war so ziemlich auf alles andere in dieser Welt sauer.
„Es ist doch alles gut zwischen uns, oder?", fragte ich daher lediglich.
„Solange du Addie nicht nach Irland schleifst, sind wir ein Herz und eine Seele", erwiderte er, ohne die Miene zu verziehen. Ich hatte seinen trockenen Sarkasmus vermisst.
„Hey, weißt du was?!", rief Addie plötzlich und drehte sich aufgeregt zu mir um. „Wir wissen endlich die Geschlechter der beiden!"
Sie zeigte auf ihren Bauch und ich nahm die Schüssel mit meinem Nachmittagsfrühstück in die Hand und begann zu essen.
„Geschlechter? Mehrzahl?", hakte ich nach.
„Also... Männlein und Weiblein?", mischte Trish sich ein und Addie nickte lächelnd.
Fassungslos sah ich sie an, musste aber gleichzeitig vor Glück lachen. So wie es aussah, würde Addie doch noch ihre kleine, perfekte Familie mit Tochter, Sohn und vielleicht eines Tages einem Hund bekommen.
Wenn Happy End's und ein Licht am Ende des dunklen Tunnels existierten, fragte ich mich, wie lange es noch dauerte, bis ich dort ankommen würde.
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