43

Beverly

Irgendetwas stimmte nicht.

Ein seltsames Gefühl der Unruhe saß mir seit einigen Minuten in den Knochen.

Vielleicht war ich einfach nur aufgeregt, weil ich alleine mit Misoa in dem kleinen Waldstück herumlief. Wälder waren ohnehin nicht meine Lieblingsorte, doch jetzt hatten sich auch noch alle kleinen Mücken dieser Welt hier versammelt, um mir in den Mund fliegen zu können, sobald ich Misoa eine Frage stellen wollte.

„Wo genau gehen wir hin?", schaffte ich es schließlich mit vorgehaltener Hand zu fragen.

„An einen spirituellen Ort."

„Du klingst wie Acacia."

Misoa drehte sich zu mir. „Wer?"

Ich stieg über einen großen Ast. „Nicht so wichtig..." Mittlerweile war ich so daran gewöhnt, dass jeder hier wusste, wer jeder war, dass ich vergessen hatte, dass Misoa es vielleicht nicht wusste. Schließlich war sie in der Menschenwelt aufgewachsen und hatte bestimmt noch nicht alle aus dieser riesigen Familie kennen gelernt. Am meisten hatte sie bestimmt mit Brikeena zu tun. Noch dazu hockte Arthur in Schottland und Acacia in ihrem eigenen... Königreich, schätze ich. Mir fiel auf, dass ich sie nie gefragt hatte, wo genau sie ihren Sitz als Königin hatte. Ich wusste nur, dass sie das Oberhaupt des Consilium's war.

„Und was machen wir an diesem spirituellen Ort?", fragte ich und scheuchte einige Mücken weg, die in Scharen vor meinem Gesicht in der Luft umherschwirrten.

„Naja, da du noch nie gezaubert hast, wird das unser Ziel sein, oder nicht?"

Ein sehr weit ausgelegtes Ziel, wie mir schien, aber gut. Wenigstens hatte einer von uns beiden Vertrauen in mich.

„Da sind wir!" Misoa teilte das Gebüsch und löste ihr buntes Kleid, das eigentlich zu kurz für diese Jahreszeit war, von einem niedrigen Ast, an dem es sich verheddert hatte.

Wir kamen an einer Lichtung mit einem kleinen Teich an, (vielleicht die Größe meines Schlafzimmers), aber mit glitzerndem, klarem Wasser. Das Gras war so saftig grün, wie die Schale von Granny Smith Äpfeln.

„Wow..." Ich trat neben Misoa und sah mich um. Es war ein sonniger Tag. „Warum ist es hier so schön? Alles andere in Irland ist ziemlich grau."

Sie drehte sich zu mir und musterte mich ungläubig aus ihren dunklen, mysteriösen Augen. „Spürst du die Magie wirklich nicht?"

Unbeholfen zuckte ich mit den Schultern. „Nicht wirklich, nein."

„Dieser Ort ist voll davon, denn..." Sie zeigte zu dem Teich. „Früher glaubte man, dass dieser Teich ein Tor zur Unterwelt bildet."

„D-Die Unterwelt? Wie... die Hölle?"

Sie nickte. „Brikeena hat gesagt, dass hier viele Beschwörungsrituale stattgefunden haben. Und dass alle immer hier her gekommen sind, um zu üben, weil sich über die Jahrhunderte, die für die Rituale verwendete Magie an diesem Ort festgesetzt hat. Deshalb ist es hier so... lebendig. Das Zaubern fällt hier einfach ein bisschen leichter." Sie lächelte mich an.

„Hm. Ich finde... nichts Magisches an dem Ort, tut mir leid. Vielleicht sollten wir... ein paar Steine oder so balancieren?" Misoa sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Lorcan hätte den Witz verstanden. Ich schüttelte schnell den Kopf. „Vergiss es..."

„Brikeena hat mir erzählt, dass du einmal an einen Dämon gebunden warst."

„Und?"

„Naja, damit bist du an schwarze Magie gewöhnt. Die Magie, auf die die meisten Hexen zugreifen, ist weiße Magie, vielleicht ist das ein weiterer Faktor, warum es dir so schwer fällt zu zaubern."

„Und wo genau liegt der Unterschied zwischen schwarzer und weißer Magier?"

„Naja, weiße Magie ist viel einfacher anzuwenden. Auf schwarze Magie haben nicht alle Hexen und Zauberer Zugriff und sie kommt fast immer mit einem Preis. Dämonenbeschwörungen können nur mit schwarzer Magie bewerkstelligt werden. Heilzauber, zum Beispiel, nur mit weißer."

„Logisch."

„Deine Magie ist stark, du kannst bestimmt auch den einen oder anderen schwarzen Zauber wirken. Besonders, da du einmal an einen Dämon gebunden warst und schon mit schwarzer Magie in Berührung gekommen bist."

„Fangen wir doch lieber bei weißer Magie an, vielen Dank."

Misoa lächelte wieder und ihre goldenen Armreifen klimperten, als sie sich ins Gras setzte. Je länger ich sie betrachtete, desto mehr fand ich, dass sie Brikeena ähnlich sah. Auch, wenn die beiden auf den ersten Blick nichts gemeinsam hatten und das genaue Gegenteil voneinander zu sein schienen. Misoa hatte einen dunklen Hautton, beinahe schwarze Haare und dunkle Augen. Brikeena war weiß, fast blond und hatte hellbraune, meist kräftig geschminkte Augen. Aber irgendetwas Misoa's Gesichtszügen erinnerte mich an Brikeena, auch, wenn ich nicht genau sagen konnte, was es war. Vielleicht war es die Nase, oder die Form der Augenbrauen. Die hohen Wangenknochen oder... der Haaransatz? Nein, das hätte keinen Sinn ergeben, aber ihr wisst, worauf ich hinaus will.

Ich ließ mich ihr gegenüber nieder.

„Dieser Ort ist vorwiegend mit weißer Magie erfüllt", erklärte Misoa und legte die Hände auf die Knie. „Sie fühlt sich leicht an. Warm und einladend. Sicher. Kontrollierbar. Schwarze Magie ist viele gefährlicher, abschreckender und... wenn man nicht weiß, was man tut, kann sie schnelle außer Kontrolle geraten. Wie... Feuer. Tu mir einen Gefallen und schließe die Augen." Ich sah sie skeptisch an. Sie legte den Kopf schräg. „Ich werde dich schon nicht abstechen. Versprochen."

Mir wäre wohle gewesen, wenn sie es nicht versprochen hätte. Immer noch unsicher schloss ich die Augen. Es war eine dumme Idee gewesen, ohne meine Freunde aufzubrechen. Aber andererseits... Misoa war Brikeena's Ur-ur-und-so-weiter-Enkelin. Warum hätte sie mir etwas tun sollen?

„Und jetzt?"

„Warte."

Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Worauf?"

„Warte einfach."

„Du gehst doch nicht weg, oder?"

„Nein, ich bleibe genau hier. Entspann dich, sonst wird das nichts."

„Okay." Ich nickte und versuchte locker zu werden.

Ich konnte die Vögel zwitschern hören. Der Wind, der durch die Blätter rauschte und meine Haare von den Schultern hob. Es roch nach Freiheit. Wenn man denn behaupten kann, dass Freiheit einen eigenen Geruch hat. Aber wenn sie einen hätte, dann würde es genauso riechen. So frisch.

Ich war froh, mir eine Jacke angezogen zu haben, denn obwohl die Sonne auf mein Gesicht schien und meine Haut zu kribbeln begann, war der Wind wirklich kühl.

Links von mir knackte etwas im Gebüsch, ich riss die Augen auf und drehte den Kopf.

„Ganz ruhig, das war nur ein Eichhörnchen", meinte Misoa.

„Ich sehe aber kein Eichhörnchen", beharrte ich.

„Konzentriere dich."

Ich schluckte schwer und schloss wieder die Augen.

Du vertraust Misoa.

Du vertraust Misoa.

Du vertraust Misoa.

Halbwegs.

„Okay", sagte sie irgendwann mit ruhiger Stimme. „Jetzt, da du entspannt bist-"

„Ich glaube, ich bin eher gespannt, aber rede weiter."

„Öffne deine Hände. Ich lege jetzt einen Stein hinein und ich will, dass du ihn zum Schweben bringst."

Ich öffnete die Augen. „Das ist ein Scherz, oder?"

„Es ist wirklich die einfachste Übung. Sogar Kleinkinder können es. Augen zu!"

„Ich darf den Stein nicht mal ansehen?"

„Nein. Augen zulassen! Du darfst den Stein nur fühlen. Und dann stellst du dir vor, dass er leichter wird, immer leichter und leichter. Und wenn er ganz leicht ist, kannst du deine Hände wegnehmen."

Ich stieß den Atem aus und schloss die Augen wieder. „Gut, ich werde es versuchen."

Sobald der kalte Stein in meinen Händen lag, schloss ich meine Finger um ihn und versuchte, mir den Stein vorzustellen.

„Er ist ziemlich schwer", nörgelte ich. „Können wir nicht mit einem Kieselstein anfangen? Oder einer Feder?"

„Es kommt nicht auf das Gewicht oder die Größe des Objekts an, das du bewegen willst. Nur auf deine Konzentration."

Der Stein war mittelgroß, etwa so groß, wie meine Handinnenfläche. Ein bisschen rau, aber nicht so, dass ich mich daran hätte verletzen können. Er war auch nicht viel schwerer als ein Glas Wasser. Ein paar Ecken und Kanten hatte er. Vielleicht war er grau mit ein paar Sprenkeln drauf oder so. Ich stellte mir vor, wie ich ihn zeichnen würde, mit all seinen Schattierungen.

Als ich schließlich glaubte, den Stein genau vor Augen zu haben, stellte ich mir vor, dass er an Gewicht verlor und die Gravitation überwand. Dass er leichter wurde und fliegen lernte. Dass meine Hände von dem Gewicht nicht mehr nach unten gedrückt werden würden.

Es war ein sehr seltsamer Zustand, in dem ich mich befand. So konzentriert, aber mit geschlossenen Augen, kam es mir beinahe wie ein Traum vor. Ein komisches Gefühl machte sich in mir breit. Als würde kühles Wasser durch meinen Körper über meine Arme bis in meine Fingerspitzen fließen.

Irgendwann kam mir der Stein schon fast zu leicht vor, aber das hätte auch genauso gut Einbildung sein können. Trotzdem wollte ich versuchen, meine Hände unter dem Stein wegzuziehen.

Ich spürte, wie die raue Oberfläche über meine Haut glitt, als ich das tat.

Frustriert nahm ich an, dass Misoa den Stein festhielt, um mich zu veräppeln. Doch als ich die Augen öffnete schwebte der verdammte Stein in der Luft. Direkt vor meinen Augen. Er schwebte.

Der Stein schwebt.

Ich beugte mich vor und betrachtete ihn von allen Seiten. Auch die Unterseite.

Der Stein schwebt wirklich!

Ich brachte kein Wort raus.

„Oh mein Gott, ich... Hab ich es geschafft? Habe ich-" Mein Herz begann vor Aufregung wild zu schlagen.

Misoa starrte mich mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen an.

„Was ist?"

Erst, als ich fragte, bemerkte ich, dass nicht nur dieser graue, kantige Stein in der Luft schwebte.

Nein, allen anderen Steine auf dieser Lichtung waren anscheinend auch unsichtbare Flügel gewachsen. Von jenen, die aus dem Teich geschwebt waren, tropfte sogar noch das Wasser.

„Das, äh... Das war nicht das Ziel, oder?", fragte ich unsicher.

Misoa schüttelte den Kopf und saß stocksteif da. „Okay, hör zu. Da ich keine Lust habe, meinen Kopf als zerstampfte Kartoffel wieder zu finden, wenn wir hier fertig sind, lässt du bitte alle Steine vorsichtig wieder auf den Boden, okay? Und mach es bitte langsam, sonst könnten die Steine in alle Richtungen fliegen. Nicht die Konzentration verlieren!"

„Wie soll ich das machen?", fragte ich ziemlich ratlos. Ich hatte ja kaum eine Ahnung, wie ich es geschafft hatte, so viele Steine gleichzeitig schweben zu lassen. Ich hatte absolut keine Kontrolle darüber, zumindest kam es mir so vor.

„Stell dir einfach vor, die Steine bekämen ihr Gewicht zurück." Ich kniff die Augen zusammen und versuchte mich zu konzentrieren. „Sie werden schwerer und schwerer und sinken zurück auf den Boden." Da ich nicht konzentriert sondern höchst angespannt war, weil ich Angst hatte, dass alle Steine plötzlich wie Geschosse durch die Luft fliegen könnten, sanken die Steine nicht gerade sachte auf den Boden, sondern plumpsten leblos ins Grad und in den Teich zurück.

Wenigstens waren unsere Köpfe noch dran.

„Okay", sagte Misoa und stieß erleichtert den Atem aus. Mein Herz raste immer noch wie wahnsinnig. „Das war doch ganz gut... Und jetzt, äh, wissen wir auch, woran genau wir arbeiten müssen. Du kannst das ein bisschen zu gut."

„Du hast kein Wort davon gesagt, dass man sich zu sehr konzentrieren kann."

„Naja, die meisten haben eher Probleme damit, von eins auf hundert zu kommen", meinte sie und klang immer noch perplex. „Du musst von hundert auf eins. Oder vielleicht sollten wir das nächste Mal nicht an einen so energiegeladenen, magiefördernden Ort gehen... Aber, hey!" Sie strahlte mich an. „Du hast gezaubert. Das war richtiges Zaubern, Beverly!"

„Ich kann auf meine Magie zugreifen." Auch, wenn ich keine Ahnung hatte, wie genau ich das geschafft hatte, oder ob ich es je wieder hinbekommen würde. Trotzdem taten mir die Wangen weh, weil ich so sehr grinste. „Ich kann auf meine Magie zugreifen!"

Obwohl ich Körperkontakt mit Fremden hasste, stürzte ich mich praktisch auf Misoa und drückte sie, so fest ich konnte. „Oh mein Gott, ich kann es gar nicht glauben! Ich- ich- ich hab meine Magie gefühlt! Glaube ich. Sie war so... kühl und angenehm, so wie... fließendes Wasser!"

„Das ist Magie!", lachte Misoa und ich ließ sie wieder los. „Genau so fühlt sich weiße Magie an."

„Du hast einen riesengroßen Präsentkorb verdient, weißt du das?"

Sie lachte wieder. „Hey, du hast mir mit den Steinen nicht den Kopf weggeschossen. Das genügt mir als Dankeschön."

~~ ~~

Ich konnte es gar nicht erwarten, zurück ins Schloss zu kehren, und meinen Freunden unter die Nase zu reiben, dass ich wirklich eine Hexe war. Aber Misoa hatte noch ein bisschen an der Kontrolle meiner Magie arbeiten wollen, damit ich niemanden aus Versehen verletzte, jetzt, da ich offiziell auf meine Magie zugreifen konnte.

Im Grunde genommen wiederholten wir die Übungen, nur eben nicht mit Steinen, sondern mit Ästen, was rückblickend auch nicht die beste Idee gewesen war, denn als es wieder im Gebüsch geraschelt hatte, war ich so dermaßen erschrocken, dass der schwebende Ast wie ein Speer in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, geschossen war.

Ein Vögelchen hatte sich lautstark über die Störung beschwert und war davon geflattert.

„Entschuldige!", hatte ich dem kleinen Kerl nachgerufen, während Misoa gelacht hatte.

Dann hatte sie mir noch beigebracht, Magiespuren an Menschen zu erkennen. Im Grunde genommen hatte ich sie dabei nur einige Minuten lang angestarrt und irgendwann schemenhaft eine helle Umrandung wahrnehmen können.

Misoa hatte gemeint, ich solle es einfach täglich einmal versuchen, dann würde es mir schon in wenigen Wochen keine Probleme mehr bereiten.

Nach einer guten Stunde machten wir uns auf den Weg zurück ins Schloss. Ich war ziemlich geschafft.

Magie war anstrengend. Die Konzentration aufrecht zu erhalten war anstrengend. Auch, wenn ich das niemals für möglich gehalten hätte.

„Ich werde mal Cash suchen", meinte Misoa, als wir wieder im Schloss ankamen.

„Cash?", fragte ich irritiert.

„Ivera's Sohn."

Ich verzog das Gesicht bei dem Gedanken an den rotznäsigen Rotschopf. „Warum würde den jemand gerne sehen wollen?"

Sie begann mit ihrem rechten Fuß auf dem Boden herum zu schaben und sah verlegen zur Seite. „Er ist mein Freund, deshalb."

Ich riss die Augen auf. „Das ist ein Scherz, oder? Was könnte an dem liebenswert sein?" Oder auch nur annähernd anziehend...?

Sie zuckte mit den Schultern und ihr stieg die Röte ins Gesicht. „Er kann ganz nett sein, wenn er will."

Hatte dieses Mädchen ihre Selbstachtung verloren? „Ist er nicht viel jünger als du?"

„Nur zwei Jahre. Und? Brikeena will was von deiner Freundin und die ist über zweihundert Jahre jünger."

„Touché." Aber die beiden waren verwandt. Irgendwie. Über ein paar hundert Ecken. 

Wie gerufen rannte Trish die Treppen nach unten und kam vor mir zum Stehen.

„Beverly!"

„Trish!"

„Kannst du eben mal kurz kommen?"

„Wieso?"

Ihr Blick huschte zu Misoa, die sich sofort verdrückte.

„Wir sehen uns später!", rief sie noch und winkte mir zu.

„Viel Spaß!", rief ich zurück und verzog das Gesicht. Misoa und Cash. Igitt.

„Komm schnell mit!"

Ich sah Trish an und mir fiel erst jetzt auf, wie gehetzt sie wirkte. Wie besorgt sie mich musterte. Dass sie wieder an ihrem Unterarm herumkniff und drückte.

Sofort schlug mein Herz in doppeltem Tempo.

„Was ist los?"

Zögerlich sah sie sich um, aber Misoa war außer Hörweite und auch sonst war keiner da. Dann beugte sie sich zu mir. „Es geht um Aidan, er-"

„Was ist mit ihm?" Ich spürte wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich. „Wo ist er?"

„In meinem Zimmer, Bev, hör zu, er-"

Doch meine Beine machten sich selbstständig und rannten die Treppen hinauf.

„Beverly!", rief Trish und rannte mir nach. „Bev, warte!" Ich dachte nicht daran, stehen zu bleiben.

Bilder von Aidan, zerfetzt wie Jo, schossen mit in den Kopf. Oder kopflos im Badezimmer. Oder vergiftet, todkrank. Oder...

Mir schossen die Tränen in die Augen und ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Bei Trish's Zimmertüre angekommen musste ich mich im Rahmen festhalten, um den Sprint abzubremsen. Atemlos stand ich in der Türe und brach in Tränen aus.

Das Blut auf dem Boden.

Der metallische Geruch, der mir den Magen umdrehte.

Brikeena, die vor Aidan stand.

Aidan, der blass auf dem Bett saß und mich schief angrinste.

„Das sind doch wohl hoffentlich keine Freudentränen, weil du dachtest, dass du mich los bist, oder?"

„Du Idiot!", rief ich wütend, nahm ein Kissen von der Couch und haute ihn ein paar Mal damit, während er abwehrend die Hände hob. „Du Riesenidiot!" Ich ließ das Kissen fallen und schlang im nächsten Moment meine Arme um seinen Hals. Sofort drückte er mich an sich. Viel schwächer als sonst.

„Es ist alles okay, mir geht es gut", versicherte er und legte eine Hand auf meinen Hinterkopf.

„Was ist passiert?", weinte ich in seine Halsbeuge.

Trish kam außer Atem in meinem Zimmer.

„Meine Kondition ist total am Arsch...", keuchte sie kopfschüttelnd. „Wir sollten alle mal einen kleinen Fitnesstag abhalten, findet ihr nicht? Oder vielleicht mal joggen? Könnte doch ganz lustig werden."

„Hast du ihr nicht gesagt, dass es ihm gut geht?", fragte Brikeena amüsiert und deutete auf mich.

„Hätte ich, wenn sie mir eine Chance gelassen hätte!", schimpfte Trish und stellte sich neben Aidan.

Ich löste mich von ihm und nahm sein Gesicht in meine Hände. Er war schweißnass, recht fahl und roch noch nach Blut.

„Mir geht es gut", versicherte er wieder.

„Wegen mir", sagte Brikeena, nickte kräftig und deutete, um es zu unterstreichen, auch noch mit beiden Zeigefingern auf sich selbst. „Nur falls es dich interessiert, wer wieder einmal Lebensretter gespielt hat."

Bei den Herzinfarkten die ich in den letzten Wochen und Monaten schon erlitten hatte, musste sich doch meine Lebensdauer verkürzen, oder?

„Mich würde interessieren, warum das nötig war", bemerkte ich und tupfte mir die Tränen mit meinem Ärmel vom Gesicht.

„Deshalb." Mit einer dramatischen Handbewegung deutete Brikeena auf einen alten, ausgefransten Stofffetzen mit diversen Inhalten, der auf dem Couchtisch lag.

„Was ist das?"

„Es war ein Hexenbeutel. Bevor ich ihn zerlegt habe."

Ich zog die Augenbrauen hoch. „Ein Hexenbeutel? Werden die nicht überwiegend für Schutzzauber verwendet?"

Brikeena grinste mich an. „Da hat wohl jemand seine Hausaufgaben gemacht."

Anscheinend waren die ganzen Bücher, die Corona mir aufs Auge gedrückt hatte, nicht völlig um sonst gewesen. Ich wusste selbst nicht genau, wo ich diese Information aufgeschnappt hatte.

„Hexenbeutel werden überwiegend für Schutzzauber verwendet, ja. Aber manche verwenden sie auch für Flüche."

„Schwarze Magie."

„Das hast du von Misoa."

„Du hast sie gut unterrichtet", entgegnete ich und Brikeena lächelte stolz.

„Hexenbeutel sind... naja, eine wahre Kunst. Jeder hat seine ganz eigene Art, einen zusammenzustellen. Man entwickelt seinen eigenen Stil, verstehst du?"

Nein. Aber im Augenblick war es mir auch egal. „Okay, was sagt uns dieses... Kunstwerk?" Ich löste mich von Aidan und ging auf das Stoffteil zu.

„Mir sagt dieser Hexenbeutel gar nichts", sagte Brikeena und verschränkte die Arme vor der Brust. „Getrocknete Rosenblüten, ein Hasenzahn, Erde -vermutlich Grabeserde, schwer zu sagen-, eine antike Münze, ein Holzstück." Sie hielt den kleinen Holzsplitter gegen das Licht und betrachtete ihn übertrieben interessiert. „Aber ich bin nicht gerade eine Baumexpertin, also von daher, hab ich keine Ahnung, was für ein Holz es ist." Sie warf es zurück auf das kleine, quadratische Stofftuch. „Dann haben wir hier noch Goldregen, und, äh..." Sie warf mir einen unsicheren Blick zu.

„Und was?", drängte ich.

„Naja, das Tuch. Die braunen Flecken, die du siehst. Das ist Blut."

„Und das ist nicht gut, nehme ich an?"

„Hexenbeutel mit Blut sind... sagen wir so: Wer immer sie zusammenbaut, spaßt nicht. Mit keinen Blutzaubern ist zu spaßen. Das ist dunkle Magie, sehr, sehr dunkle Magie, Beverly. Magie, die auch einen Halbdämon hätte töten können. Wer immer es war, hat seine Hausaufgaben gemacht und gewusst, dass er Aidan umbringen würde." Sie sah zu Aidan. „Du hast Glück, dass du noch lebst."

„Ja, welch ein Glück", murmelte er schwach und ich ging wieder zu ihm.

„Wie hast du den Beutel wirkungslos gemacht?", fragte ich Brikeena und legte meine Arme wieder um Aidan, als könne ich ihn dadurch beschützen.

„In den meisten Fällen genügt es, den Beutel zu öffnen."

„Wer weiß denn, dass du ein Halbdämon bist?", fragte Trish und sah auf Aidan herab.

Er zuckte mit den Schultern. „Ein paar, schätze ich. Keine Ahnung. Corona und Arthur wissen es bestimmt. Ich denke, Finley weiß es auch." Er sah mich an. „Iona."

Iona...

Es war doch seltsam. Sie schien die einzige Konstante in all diesen merkwürdigen Geschehnissen zu sein. Aber warum hätte sie Aidan schaden wollen? Warum hätte sie ihn umbringen sollen?

„Du denkst, dass es unsere Mutter war?", fragte Brikeena und schien diese Möglichkeit für einen Augenblick ernsthaft in Betracht zu ziehen. Doch dann schüttelte sie den Kopf. „Das glaube ich nicht."

„Warum?", fragte Trish schroff. „Sie war immer da, wenn etwas schief gelaufen ist. Und sie wäre bestimmt in der Lage, einen solchen Hexenbeutel zu erstellen, oder nicht?"

„Denkst du, sie hat Beverly in dem Labyrinth abgestochen?", entgegnete Brikeena. „Nachdem sie sie von den Toten zurückgeholt hat? Das ergibt doch keinen Sinn. Außerdem will sie doch, dass Aidan hier ist."

Ich zog die Augenbrauen zusammen und warf erst Aidan und Trish einen verwirrten Blick zu, dann Brikeena.

„Hab ich da was verpasst?", fragte ich.

Sie sah zwischen uns hin und her, als wären wir schwerfällig.

„Komm schon, Beverly, das ist keine Mathematik", lachte sie ungläubig. Ich stand auf dem Schlauch. Sie hob die Augenbrauen. „Denkst du, sie lässt dich ohne Hintergedanken mit ihm im selben Zimmer schlafen? Obwohl ihr nicht verheiratet seid?" Brikeena sah mich abwartend an.

Grübelnd zog ich die Augenbrauen zusammen.

Im selben Zimmer...

Hintergedanken...

Nicht verhei-

Ich riss die Augen auf. „Oh mein Gott!"

„Jetzt hast du's!" Sie schnippte und zeigte stolz auf mich. Im Leben wäre mir nicht in den Sinn gekommen, dass Iona auf meine Kinder aus war. Aidan's Gesichtsausdruck nach zu urteilen -er auch nicht.

„Er ist ein Halbdämon. Du bist eine starke Hexe, die das Schreibergen vererben könnte. Diese Kombination ist... recht interessant. Explosiv, wenn du so willst. Stell dir mal die Kampfmaschinen vor, die... buchstäblich dabei rauskommen?"

„Das ist nicht lustig", mahnte Trish, aber Brikeena war viel zu amüsiert über die Situation, als dass sie es ernst genommen hätte.

„Vergiss es!", rief ich aufgebracht. „Ich... Ich will gar keine Kinder. Das kann sie vergessen. Da mach ich nicht mit. Schön, dass sie so ehrgeizig war und mit Theodoric eine kleine Armee gezeugt hat, aber das mache ich ganz bestimmt nicht."

Brikeena sog scharf die Luft durch zusammengebissene Zähne ein. „Unsere Mutter hat ihren eigenen Kopf. Glaub mir. Was sie will, bekommt sie auch."

„Ich bin aber nicht ihr Besitz! Soll sie ihre Kinder verheiraten, wenn die es sich gefallen lassen. Ich bin nicht ihre Tochter, sie hat mich abgeschoben, bevor ich geboren wurde und mir ein furchtbares Leben aufbereitet!"

Brikeena begann zu grinsten. „Okay, ich hab dich ja schon immer gemocht, aber jetzt liebe ich dich. Sag mir nochmal, was du von Corona hältst."

Ich warf ihr einen genervten Blick zu und wollte lieber wieder auf das eigentliche Thema zurückkommen. „Wir wissen nicht ob Iona mit der ganzen Sache etwas zu tun hat, aber ich möchte es nicht ausschließen. Aber wo war dieser Hexenbeutel?"

„Hexenbeutel müssen immer im Eigentum der Person, die er betreffen soll, platziert sein. Kleidung, Koffer, Schuhe, Vasen... Kondomschachtel. Sogar in ganzen Häusern oder Monumenten, was es besonders lustig macht. Sie dann rechtzeitig zu finden, ist praktisch unmöglich. Dieser Beutel war in Aidan's Koffer." Sie verzog das Gesicht. „Tut mir übrigens echt leid, dass ich euer Zimmer und eure Sachen so verwüstet habe. Ihm ist die Zeit davon gelaufen."

Ich schüttelte müde den Kopf. Es war mir total egal, wie mein Zimmer aussah, oder ob all meine Sachen kaputt und zerrissen waren. Komplett egal. Sie hatte Aidan das Leben gerettet.

„Der Hexenbeutel wird versteckt, damit ihn keiner unabsichtlich findet und tut innerhalb von vierundzwanzig Stunden seine Arbeit. Manchmal schneller. In seltenen Fällen kann der Beginn der Wirkung auch von der Hexe oder dem Zauberer gesteuert werden."

„Und in welche Kategorie gehört dieser Beutel?", fragte Trish. „Dann könnten wir zumindest eingrenzen, ob dieser Hexenbeutel schon in Schottland in seinem Koffer hätte versteckt werden können, oder ob er Aidan erst hier untergemogelt wurde."

Sie sah uns entschuldigend an. „Wie gesagt: Was rationale Magie angeht, bin ich eine absolute Niete. Tut mir leid."

Ich grub meine Nägel in die Handinnenfläche. Es machte mich wütend, dass wir uns ständig nur im Kreis drehten und absolut keinen Anhaltspunkt hatten, wer Freund und wer Feind war.

„Und gibt es eine Möglichkeit, herauszufinden, wer diesen Hexenbeutel erstellt hat? Du sagtest doch, jeder entwickelt seinen ganz persönlichen Stil."

Brikeena blinzelte mich nachdenklich an. Dann nickte sie langsam. „Eine. Ich kenne genau eine Person, die uns vielleicht weiter helfen kann."

~~ ~~

Keine Stunde später kam Brikeena mit ausgebreiteten Armen und zufriedenem Gesichtsausdruck in mein Zimmer.

Wir hatten uns aus Trish's Zimmer verkrümelt und hier zusammengefunden -mitten in dem Chaos, das Brikeena hinterlassen hatte, aber alles war besser, als weiter die Blutflecken anzustarren.

Unsere Klamotten hatten verstreut im Zimmer und die Koffer offen auf dem Boden gelegen. Während wir Aidan verordnet hatten, sich auf die Couch zu legen, hatten Trish und ich begonnen, das Zimmer wieder aufzuräumen. Währenddessen hatte Aidan Addie angerufen, die total fertig war und hysterisch geheult hatte, weil sie ihn hatte sterben sehen und er nicht ans Telefon gegangen war. Die Tatsache, dass sie so kurzfristig eine Vision von seinem Tod gehabt hatte, machte mich ganz wahnsinnig.

Chase hatte uns halbherzig geholfen, als er ebenfalls dazu gestoßen war. Die meiste Zeit hatte er sich darüber aufgeregt, dass jeder hier abgrundtief verlogen und hinterlistig war.

Jetzt saß ich neben Aidan auf der Couch, Trish saß auf dem Boden vor dem Kamin und Chase hatte sich in eine Ecke verzogen, von wo aus er den ganzen Raum im Blick hatte.

„Ratet, wen ich gefunden habe!" Brikeena grinste in die Runde. „Eine wahre Ikone, wenn es um Hexenbeutel und Zaubertränke geht! Die beste der besten, und obendrein eine wahre Naturschönheit!" Eines musste ich ihr lassen: Sie wusste, wie man einen großen, dramatischen Auftritt hinlegte. In jeder Situation.

Hinter Brikeena betrat Acacia den Raum. Sofort hielt ich die Luft an und schluckte. So in etwa musste Shae sich gefühlt haben, als sie mich gesehen hatte.

Acacia war ganz blass, ihr Gesicht war eingefallen und ihre Augen wirkten trüb und erschöpft. Dennoch bewahrte sie ihre aufrechte Haltung, hatte die knallroten Haare zur Hälfte hochgesteckt und hübsche Perlen zierten die Frisur. Sie lächelte uns an.

Ich freute mich ehrlich, sie wieder zu sehen. Doch seit ich wusste, dass sie undenkbaren Schmerzen ausgesetzt war, seit der Fluch nicht mehr durch Arlen's Hilfe am Ausbreiten gehindert wurde, fühlte ich mich unendlich schuldig. Als hätte ich es nicht verdient, in ihrer Gegenwart zu sein.

Wie kam es eigentlich, dass die Leute um mich herum starben wie Fliegen? War ich verflucht?

„Es ist schön zu sehen, dass es dir gut geht", lächelte sie mich an, als sie meinen gequälten Hundeblick bemerkte. Ihre Stimme klang genauso sanft wie immer, nur ein wenig schwächer. „Dass es euch allen gut geht." Sie schenkte jedem ein Lächeln, doch es verblasste schnell und sie griff nach Brikeena's Arm. „Ich muss mich setzen." Schnell brachte Brikeena sie zur Couch und Aidan und ich rückten näher zusammen. Jetzt, da Acacia direkt neben mir saß, erstickte ich beinahe an meinem schlechten Gewissen, sodass ich mir wünschte, in dem Labyrinth einfach verblutet zu sein.

„Die Reise mit dem Ataria war noch nie so anstrengend...", sagte sie.

„Wir hätten auch zu dir kommen können", erwiderte ich sofort.

„Ist schon gut", lächelte sie schwach. „Ich wollte ohnehin mit Iona reden. Sie fragen, ob sie vielleicht einen Zauber kennt, der die Ausbreitung des Fluches hinauszögert. Oder jemanden kennt, der noch einen der fertigen Tränke hat."

Ich beschloss, gar nichts mehr zu sagen. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich gerne mit der Couch verschmolzen und hätte gar nicht mehr existiert.

„Willst du etwas trinken?", fragte Aidan.

„Ich will den Hexenbeutel sehen", erwiderte sie bestimmt. Brikeena warf uns einen Acacia-ist-unvernünftig-aber-findet-euch-nicht-damit-ab Blick zu, also sprang Trish auf, um Acacia etwas zu trinken zu bringen, während Brikeena ihr den Stofffetzen und dessen Inhalt vorlegte.

„Wo war er?", fragte Acacia.

„Ist das wichtig?", hakte Chase aus seiner Ecke nach. Sie sah auf.

„Nun, manche Hexenbeutel müssen an bestimmten Orten oder in bestimmten Gegenständen deponiert werden, damit sich ihre Wirkung voll und ganz entfaltet. Haltezauber, zum Beispiel. Sie werden verwendet, um Gegenstände oder Personen zu schützen oder einzusperren. Um sie festzuhalten. Die Hexenbeutel dafür müssen in nördlicher, östlicher, südlicher und westlicher Himmelsrichtung eines Hauses oder Zimmers deponiert werden. In dessen Mitte wirkt der Zauber dann am stärksten."

Chase nickte verstehend und Trish kam mit einem Glas Wasser zurück, das Acacia dankbar entgegen nahm und einige Schlucke trank.

„Dieser hier war in Aidan's Koffer versteckt, also bestimmt nicht bedeutend", meinte Brikeena. Acacia stellte das Glas beiseite und beugte sich studierend über den Hexenbeutel.

Und dann warteten wir.

Kein Scherz.

Wir sahen Acacia dabei zu, wie sie den Hexenbeutel ansah. Sie betrachtete ihn so eingehend, als würde er gleich zu sprechen beginnen und ihr sagen, wer ihn hergestellt hatte.

Gute zehn Minuten betrachtete Acacia den Hexenbeutel, ohne sich zu bewegen.

Vielleicht ist sie eingeschlafen und keiner will sie aufwecken, vermutete ich, wollte mich aber nicht nach vorne beugen, um herauszufinden, ob ihre Augen noch offen waren.

„Woher weiß sie, einfach nur von Ansehen des Inhaltes, wer ihn zusammengestellt hat?", flüsterte ich Brikeena zu, die direkt hinter mir stand. Aidan saß immer noch neben mir und hielt meine Hand, Trish saß nach wie vor auf dem Boden, hatte das Kinn auf die angezogenen Knie gelegt und betrachtete überwiegend das Mädchen hinter mir, wie mir schien. Und Chase stand immer noch bockig in seiner Ecke und ließ Acacia nicht aus den Augen, als bezichtigte er sie der Tat.

„Naja, es ist... ein bisschen wie beim Backen und Kochen", murmelte Brikeena und stützte sich mit den Unterarmen auf der Lehne der Couch zwischen mir und Aidan auf.

„Ich versteh nur Bahnhof."

„Naja, das Grundrezept ist da. Aber wie viel Salz und Pfeffer du rein tust... oder welche Gewürze, das ist dir überlassen. Du kannst beim Backen auch Schokostreusel in den Kuchen tun, wenn es nicht im Rezept steht. Verstehst du? Jede Zutat bewirkt etwas. Unterscheidet das Gericht von anderen. Du kochst bestimmt anders als ich."

„Ich koche gar nicht."

„Ich auch nicht", grinste Brikeena mich an und ich musste lächeln. Natürlich hatte sie noch nie einen Finger rühren müssen -sie war eine Hexenprinzessin. „Aber nur als Beispiel. Ich bin sicher, eine Pizza schmeckt immer anders. Kommt auf die Zutaten und die Menge an, aber es ist trotzdem immer Pizza."

„Also... du sagst, dass Hexenbeutel Gerichte sind, und das, was drinnen ist, die Art und... Intensität des Beutels bestimmt."

Brikeena nickte.

„Das hier", begann Acacia plötzlich und ich richtete meine Aufmerksamkeit auf sie. Trish hob den Kopf und Acacia lehnte sich ein Stück weiter zurück und sah auf die Gegenstände herab.

„Das ist wie aus dem Lehrbuch."

Wie aus dem Kochbuch mit genauen Mengenangaben, versuchte ich eine Parallele zu ziehen, um zu verstehen, was sie meinte.

„Und gleichzeitig ist er so... anders. Ich kann euch aus dem Stand zwanzig Leute nennen, die genau solche Beutel zusammenstellen."

„Kannst du es nicht eingrenzen?", fragte Brikeena, richtete sich auf und ging um die Couch herum zu ihr.

„Er ist definitiv erst in den letzten paar Stunden zusammengebaut worden", nickte Acacia.

„Gut, dann muss es jemand gewesen sein, der hier war, oder nicht?", fragte ich.

„Das ist wenig hilfreich", grummelte Brikeena. „In Schottland kann keiner einfach so das Schloss betreten, ohne dass Corona oder Arthur davon Wind bekommen. Zu viele Schutzzauber. Aber hier kann sich jeder mithilfe eines Portals Zugang ins Schloss verschaffen. Es hätte jeder sein können."

Schon wieder?", fragte ich ungläubig und erneut stiegen Wut und Frust in mir hoch. Aidan streichelte mit dem Daumen über meinen Handrücken.

„Wer auch immer das war, macht sich ganz offensichtlich über uns lustig", grummelte Chase.

„Es tut mir leid, dass ich euch nicht helfen kann", sagte Acacia. „Ich kann euch nur die Leute aufzählen, die mit schwarzer Magie Hexenbeutel herstellen können, die sogar Halbdämonen toten können."

„Und wer kann es?", fragte Trish hoffnungsvoll. „Bitte sag mir, dass es sich auf eine Zahl unter zehn beschränkt."

„Nun ja", begann Acacia. „Iona kann es natürlich, Corona weiß es und Arthur auch. Arlen habe ich es beigebracht. Also... Ich weiß es auch." Sie schien nachzudenken. „Lorcan hat es gelernt, aber ich glaube nicht, dass er diese Art der Magie weiter praktiziert hat, nachdem es vom Consilium vor einigen Jahrzehnten verboten wurde. Ivera hat diese Form der Hexenbeutel im zwanzigsten Jahrhundert verwendet, um ihre Ehemänner einen nach dem anderen umzubringen."

„Wirklich?", hakte ich nach und sah zwischen Brikeena und Acacia hin und her.

Brikeena grinste. „Hey, falls unsere Mutter dich jemals an jemanden verheiratet, um an ein paar Enkelchen ranzukommen, weißt du jetzt, an wen du dich wenden kannst."

Ich lachte auf. Ivera hasste mich. Im Leben hätte sie mir nicht geholfen.

„Aber wenn Ivera weiß, wie es geht, dann weiß es ihre Rotznase von Sohn bestimmt auch", murmelte Brikeena.

„Der Rotschopf?", hakte Aidan nach. „Du glaubst doch nicht, dass er mich umbringen wollte."

Brikeena zuckte mit den Achseln. „Ich traue niemandem mehr. Und wenn wir ehrlich sind, solltet ihr das auch tun. Wirklich. Traut auch Acacia und mir nicht. Es fällt Cillian leicht, Menschen auf seine Seite zu ziehen. Ihre Absichten umzustülpen. Sie zu manipulieren." Etwas an ihrem Blick verriet mir, dass sie an die Jahre dachte, in denen sie festgehalten worden war, doch dieser Ausdruck verschwand, so schnell wie er gekommen war.

Natürlich wusste ich, dass sie recht hatte, aber in dem ganzen Chaos gab es trotzdem einige Leute, die sich mein Vertrauen verdient hatten. Hexen und Zauberer, die mir und meinen Freunden das Leben gerettet hatten. Die Liste jener, denen ich halbwegs traute, war lang.

Aber länger war die Liste an Hexen und Zauberern, die ich nicht kannte oder denen ich kein bisschen vertraute.

„Wenn Cash es weiß, ist es doch möglich, dass Misoa es auch weiß", bemerkte ich.

„Warum?" Brikeena verzog sofort angeekelt das Gesicht. „Was hat der wandelnde Dauerständer mit meiner Enkelin zu tun?"

Hoppla.

Ich blinzelte sie an. „Nichts. Vergiss es."

Brikeena sah mich immer noch irritiert an.

„Da ist noch jemand", sagte Acacia und ich war ihr unendlich dankbar dafür. Ich wollte nämlich nicht diejenige sein, die Brikeena erzählte, dass Misoa und Cash vermutlich gerade händchenhaltend auf irgendwelchen Treppen herumhockten und einander die Zunge in den Hals steckten.

Oder... etwas ganz anderes wo anders reinsteckten.

„Wen?", fragte Chase.

Acacia biss sich auf die Unterlippe. „Das alles könnte Zufall sein, aber... diese Münze ist eine Livre." Sie zeigte auf das Goldstück. „Die französische Währung bis zum achtzehnten Jahrhundert. Darüber kann ich einfach nicht hinweg sehen, dafür passt es zu perfekt. Sie strahlt keine Magie aus und erfüllt auch sonst keinerlei Zweck in einem solchen Beutel. Sie ist..."

„Zierde", beendete Brikeena den Satz. „Als würde jemand wollen, dass wir wissen, wer den Beutel zusammengestellt hat."

„Und der Hasenzahn ist... Ich meine, es gibt nicht viele, die Zähne verwenden, die meisten benützen kleine Tierknochen, die eben in so einen Beutel passen, aber das kann natürlich Zufall sein. Nur..." Sie schüttelte den Kopf.

„An wen denkst du?", drängte Brikeena.

„Odilia." Mir blieb die Luft zum Atmen weg. Acacia sah uns an. In ihren Augen spiegelte sich Unwohlsein, ein Ausdruck, denn ich an ihrem Gesicht noch nie bemerkt hatte. „Wenn ich ganz ehrlich bin, dann sieht dieser Hexenbeutel so aus, als hätte Odilia ihn zusammengestellt." 

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