38

Aidan

„Wo ist Beverly?", fragte Brikeena und verschränkte zitternd die Arme vor der Brust. Es hatte zu schneien begonnen.

„Drinnen. Sie verabschiedet sich von ihrer Tante."

Ich hatte gehofft, dass es ein toller Tag für Beverly werden würde. Aber im Endeffekt hatte er sie wohl nur an die Dinge erinnert, die vielleicht in einem Paralleluniversum stattfanden, aber nicht hier. Es hatte mich fast umgebracht, neben ihr zu sitzen, mitzuspielen und ihrer Tante das perfekte Leben ihrer Nichte vorzulügen, während Beverly in Wahrheit geradewegs auf den Abgrund zulief.

„Trish und Chase warten schon auf euch", ließ Brikeena mich wissen.

„Okay." Dann musste ich grinsen. „Wo wir gerade bei Trish sind..."

Brikeena lächelte mich müde an. „Was denn?"

„Komm schon, gibt mir ein paar Infos. Von Trish werde ich bestimmt nichts erfahren." Wie ein freudiges Kind rieb ich mir die Hände. „Läuft da was zwischen euch?"

„Gut, lass es mich so ausdrücken: Es geht dich überhaupt nichts an, Süßer." Ich lachte. „Ich meine es ernst."

„Okay, okay." Beschwichtigend hob ich die Hände. „Es ist nur... Trish hat viel Scheiße durchgemacht. Und auch wenn du kein Kerl bist: Wenn du ihr wehtust, dann muss ich dich verprügeln, und ich schlage keine Mädchen, also wären wir in einer sehr prekären Situation gefangen."

Brikeena spitze die Lippen. „Hm. Warum gehst du davon aus, dass ich ihr wehtun werde? Vielleicht bricht sie mein Herz. Verprügelst du dann sie?"

„Nein, sie ist meine Freundin."

„Hey, soll das heißen, dass wir keine Freunde sind?" Brikeena verschränkte halb belustigt, halb beleidigt die Arme vor der Brust. „Ich hab Trish das Leben gerettet, erinnerst du dich? Ich finde schon, dass du mich in dem Fall als Freundin ansehen könntest."

„Gut, von mir aus." Ich zuckte mit den Schultern. „Aber nur, wenn du mir versprichst, dass du auf Trish aufpasst."

Brikeena grinste. „Ich glaube, das sollte ich hinkriegen."

Beverly kam mit einem ganzen Sack Essen aus dem Haus.

„Alles okay?", fragte ich sofort und sie nickte halbherzig.

„Dann lasst uns von hier verduften", meinte Brikeena und zog fröstelnd die Schultern hoch. „Es ist arschkalt."

Beverly griff nach meiner Hand, als Brikeena das Portal wieder heraufbeschwor.

„Nach euch", lächelte sie.

~~ ~~

„Wow, du lebst wirklich noch", war das Erste, das Chase sagte, als Beverly und ich aus dem Portal in unser Zimmer stolperten. Sie warf ihm das Säckchen mit Essen entgegen und er fing es verwirrt auf.

„Was ist da drinnen?" Neugierig linste er hinein.

„Kekse. Kuchen." Missmutig schlenderte Beverly zu ihrem Bett und warf sich darauf, während Chase sie überrascht ansah.

„Sieh an, du hast doch Manieren."

Das Portal spuckte noch Brikeena aus, bevor es immer kleiner wurde und sich schließlich in Luft auflöste, während Trish und Chase die Plastikboxen auf dem Couchtisch abstellten und eine nach der anderen öffneten.

„Hier ist es ja auch kalt!", jammerte Brikeena und sah zum Kamin.

„Ich kann dir helfen, ein Feuer zu machen", bot ich an.

„Nicht nötig." Mit einem Fingerschnippen flog das Holz in die Feuerstelle und entzündete sich wie von selbst. Chase, der sich gerade über Schokokekse hermachte, starrte mit vollem Mund wie ein Höhlenmensch auf das Feuer und fragte sich vermutlich gerade, warum das Universum ihm nicht auch so coole Fähigkeiten vergönnte.

„Viel besser!" Zufrieden ließ Brikeena sich vor dem Feuer nieder.

„Warum funktioniert der Kamin hier eigentlich nicht auch von selbst?", fragte Trish. „In Schottland war das so."

„Weil meine Mutter sich immer noch einredet, dass man nicht für alles Magie benötigt."

„Stimmt doch auch."

„Schon, aber mit Magie ist vieles praktischer. Sie will, dass wir unseren Scheiß auch ohne Magie lösen können. Mein Vater war das komplette Gegenteil. Er hat alles mit Magie gemacht. Wirklich alles." Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn ich schon Magie besitze, will ich sie auch verwenden dürfen. Wenn ich in eine Situation komme, in der ich das nicht kann, werde ich mir bestimmt anders zu helfen wissen. Ich bin schließlich alt genug." Sie zwinkerte.

Ich warf mich auf die Couch und Trish nahm sich einen Keks aus der Dose, bevor sie sich zu Beverly neben das Bett stellte.

„Geht es dir gut?"

Beverly hatte beide Hände vor dem Gesicht verschränkt. „Ich habe gerade etwa fünf Stunden meiner Tante von meinem perfekten Leben erzählt."

Chase begann lauthals zu lachen und wurde daraufhin von uns allen böse angestarrt. „Was denn? Das war lustig!" Er stopfte sich kopfschüttelnd noch einen Keks in den Mund.

Mein Handy klingelte in meiner Hosentasche. „Addie", ließ ich die anderen wissen, bevor ich ihren Anruf entgegen nahm. „Hey, Ads, ich stell dich auf Lautsprecher." Ich legte mein Handy auf den Couchtisch und lehnte mich zurück.

„Hey, Leute! Sind alle da?"

„Ja", riefen Beverly, Trish und Chase wie aus einem Mund.

„Ich bin auch da", sagte Brikeena und hob die Hand, als wollte sie in der Schule aufzeigen. „Aber wir kennen uns noch nicht."

„Oh... und wer bist du?"

„Nur ein Mädchen, das das Gingermädchen flachlegen will."

Addie schwieg.

Trish wurde rot.

Brikeena grinste.

„Okay, cool... denke ich", meinte Addie schließlich unsicher. „Also, ich habe Beverly's Anweisungen befolgt, mir einen Kübel Ben&Jerry's geholt, ein paar Aspirin im Vorhinaus eingeworfen und bin dann alle Möglichkeiten meiner Vision durchgegangen, die mir eingefallen sind."

„Und?", fragte Beverly und setzte sich hoffnungsvoll, aber ängstlich auf.

„Nichts. Nada. Ich hab wirklich alles Mögliche ausprobiert. Aber... das Endresultat war immer gleich. Beverly. Blut. Jemand stirbt."

„Egal, ob ich in Schottland oder Irland bin?"

„Piepschnurzegal. Was in mir den Verdacht geweckt hat, dass meine Vision wahrscheinlich verdammt weit in der Zukunft liegt. Also bin ich noch ein paar andere Möglichkeiten durchgegangen."

„Die da wären?", fragte Chase und biss in ein Stück Kuchen. Einige Krümel fielen auf den Boden.

„Ich habe nachgesehen, was passiert, wenn du alles hinter dir lässt und dich einfach vor deiner unheimlichen Hexenfamilie versteckst."

„Hey, ich gehöre auch zu dieser Familie!", rief Brikeena empört.

„Und ich bin sicher, du bist wundervoll", entgegnete Addie nüchtern und ich musste schmunzeln. „Jedenfalls war auch da das Ergebnis immer gleich."

Beverly seufzte. „Also wird jemand sterben. Ich werde vielleicht sterben. Ganz egal, was wir tun."

„Nicht so voreilig, ich war noch nicht fertig", mahnte Addie. „Ich hab mich noch ein bisschen intensiver auf die ursprüngliche Vision konzentriert, weil ich wissen wollte, wer stirbt und vor allem wie. Viel ist dabei nicht rausgekommen, aber ich habe die Umrisse einer Person aufflackern sehen, also gehe ich davon aus, dass es beabsichtigter Mord war."

„Das wird ja immer besser", murmelte Beverly.

„Hast du auch gute Neuigkeiten?", fragte ich meine Schwester.

„Leute, seid ihr gegen eine Wand gelaufen? Das ist gut!"

„Wieso ist das gut?", fragte Beverly wütend.

„Weil es bedeutet, dass wir einfach nur diese eine Person loswerden müssen, um die Vision zu ändern", nickte Chase verstehend.

„Eine unbekannte Person", stellte Trish klar. „Wir müssen jemanden loswerden, den wir noch nicht identifiziert haben."

Addie schwieg einen Moment. „Gut, ich gebe zu, es ist kniffelig, aber nicht unmöglich!"

„Gut, dann, äh, werde ich mich mal auf den Weg machen, und jede beschissene Person umbringen, die mich schief ansieht!", nickte Beverly sauer, bevor sie sich vom Bett rollte, aus dem Zimmer stampfte und die Türe hinter sich zuknallte.

Addie seufzte. „Ich kann nun mal keine Menschen in die Vision integrieren, die ich nicht kenne. Das kann ich nicht machen. Aidan, du erinnerst dich an den kleinen Jungen, nicht?"

„Der, der überfahren wurde?"

„Genau. Ich wusste nicht, was genau passieren würde oder wem, bis ich ihn mit seiner Mutter in dem Diner gesehen habe. Und das hat sich nicht geändert, seit ich mich mit Vaya verbunden bin. Ich weiß zwar oft, dass etwas passieren wird, aber das war es auch schon."

„Dann..." Trish richtete sich auf. „Dann komm doch einfach her."

Chase und ich sahen sie an, als hätte sie den Verstand verloren.

„Wie bitte?", hakte auch Addie nach.

„Nein!", sagte Chase entschieden. Trish hob die Hand in seine Richtung.

„Warte. Was ist, wenn es dieselbe Person ist, die Beverly im Labyrinth angegriffen hat? Wenn hier jemand rumläuft, der in Zukunft vielleicht ein Mörder wird und einen von uns umbringt, dann... dann musst du hier her kommen, jeden kennen lernen und... Naja, funktioniert das nicht so?"

„Schon, aber... Es gibt doch keine Garantie dafür, dass es jemand ist, der gerade mit euch zusammen lebt, oder hab ich da was verpasst?"

Nein, das hatte sie nicht. Im Gegenteil. Iona hatte Beverly extra hier her geholt, damit ihr nichts passieren würde. Der Angreifer war entweder tatsächlich einer ihrer Geschwister und damit in Schottland, oder aber ein Hochzeitsgast, auch wenn diese Theorie schnell von den anderen verworfen wurde, wegen der ganzen Chailis-Sache.

„Aber momentan haben wir gar nichts", beharrte Trish. „Und Bev dreht durch, weil wir nichts machen können. Sie muss wissen, dass wir etwas tun können. Dass wir es zumindest versuchen."

Addie dachte darüber nach. „Ich weiß nicht... Ich soll nach Irland kommen?"

„Wieso denn nicht?"

„Da würden mir einige Gründe einfallen", murmelte Chase und funkelte Trish kopfschüttelnd an.

„Aber es ist doch immerhin eine mögliche Chance", mischte ich mich ein. „Ein Weg, wie wir vielleicht-"

„Da sind mir zu viele Vielleicht's und Möchlich's drinnen", schimpfte er. „Schon klar, die Ratte ist deine Freundin, aber willst du wirklich Addie in Gefahr bringen, für die Eventualität, dass bei der ganzen Aktion etwas Sinnvolles rauskommt?"

„Du kommst mit der Schuldnummer an?" Herausfordernd stand ich auf und war mehr als bereit, die ganze Sache auszudiskutieren.

„Hört mal...", ging Addie dazwischen. „In Irland läuft ein Haufen Hexen herum. Das ist mir nicht unbedingt geheuer. Und zwischen mir und Trev läuft es gerade halbwegs passabel. Was glaubt ihr, wie er hochgeht, wenn ich ihm sage, dass ich nach Irland zu euch komme, um einen potentiellen Mörder zu entlarven?"

„Dann nimm den Meckerknochen eben mit", meinte Trish. Addie lachte auf.

„Der wird sich bedanken."

„Ich rede mit ihm", bot ich an und fing mir wieder einen wütenden Blick von Chase ein. „Ich ruf ihn gleich nachher an."

Addie seufzte und während Chase sich kopfschüttelnd abwandte, drücken Trish und ich die Daumen.

„Gut, von mir aus. Aber wenn Trev dagegen ist, dann komm ich nicht, ist das klar? Und den Flug zahle ich auch nicht, ich werde bald zweifache Mutter, ich brauche jeden Cent."

„Ich hole euch", sagte Brikeena und stand auf. „Wir müssen zwar ein paar Zwischenstopps machen, weil eine Reise mit dem Ataria von hier bis nach Kalifornien ziemlich scheiße wäre, aber ich kann euch holen."

„Ist ein Ataria dieses... Portal?", hakte Addie nach. Ich hatte ich von unserer ungemütlichen ersten Reise nach Schottland erzählt.

„Ja, aber... Hältst du das für ungefährlich?", fragte ich Brikeena. „Meine Schwester ist schwanger."

Sie zuckte mit den Schultern. „Dann kotzt sie doch ohnehin schon zweimal am Tag, macht keinen Unterschied mehr, oder?" Ich wollte noch etwas erwidern, aber Chase kam mir zuvor.

„Du machst dir keine Sorgen darüber, was passieren könnte, wenn Addie in diese ganze Sache hineinrutscht, aber darüber, ob ihr eine Reise mit dem Ataria gut bekommt?"

Ich sparte mir meine Antwort.

Natürlich hatte ich Angst, was passieren würde, wenn Addie in all das hier verstrickt werden würde. Aber ich machte mir mehr Sorgen darüber, was passieren würde, wenn sie uns nicht helfen würde.

„Packt eure Sachen", meinte Brikeena, als wäre es entschiedene Sache. Anscheinend steckte sie viel Vertrauen in meine Überredenskünste.

Aber sie kannte Trev nicht.

„Ich hol euch morgen irgendwann mit dem Gingermädchen ab."

Trish verzog das Gesicht. „Muss ich wirklich mit dem Ding reisen?"

„Naja, für mich ist es leichter. Die Reise von hier nach New York wird dich vermutlich erledigen, aber wenn wir von New York nach Dallas reisen und dann nach Vegas, können wir wieder ein loses Portal erschaffen, so wie heute. Du visualisierst das Apartment und -schwupp- sind wir da!" Sie grinste verschmitzt. „Und außerdem können wir dann die ganze Zeit Händchen halten."

~~ ~~

Wie versprochen suchte ich mir nach dem Anruf meiner Schwester ein ruhiges Plätzchen, um mit Trev reden zu können. Mittlerweile war es draußen stockdunkel. Während ich durch das Schloss wanderte, dass durch die Kerzen nur mäßig beleuchtet wurde, hielt ich gleichzeitig nach Beverly Ausschau, aber ich konnte sie nirgends entdecken.

Nach kurzem hatte ich mich in dem riesigen Schloss verlaufen, aber es war niemand auf den Fluren zu sehen, also hatte ich mein Ziel wohl erreicht. Weiter hinten entdeckte ich eine aufsteigende Wendeltreppe, vielleicht die, des kleinen Türmchens, das ich auf der Herfahrt gesehen hatte. Ich setzte mich auf die unterste Treppenstufe und wählte Trev's Nummer.

Er hob schon nach dem ersten Klingen ab. „Ihr habt doch absolut den Verstand verloren!"

Wunderbar. Addie hatte ihr Klappe nicht halten können.

„Trev-"

Nein, hörst du? Nein! Sie wird ganz sicher nicht nach Irland kommen, um deiner Freundin beim Detektivspielen zu helfen, das könnte ihr absolut vergessen!" Addie sagte etwas im Hintergrund, das ich nicht verstand. „Das ist mir scheißegal, ich lass dich nicht gehen!"

„Darf ich vielleicht auch was sagen?", fragte ich dazwischen. Vermutlich hörte er mir nur mehr als widerwillig zu. „Ich war anfangs auch nicht begeistert von der Idee, aber wir haben genau nichts, was uns helfen könnte, herauszufinden, wie wir Addie's Vision verhindern können. Mit ihr haben wir zumindest eine kleine Chance."

Ich konnte hören, dass Trev die Türe hinter sich schloss. Er war in einen anderen Raum gegangen.

Vielleicht hatte Addie ja genug Anstand, nicht zu lauschen.

„Ich will nicht, dass ihr sie in diese ganze Scheiße wieder mit reinzieht", zischte er. „Das hat sie nicht verdient, kapiert? Ihr seid alle freiwillig mit Beverly mitgegangen. Ihr wolltet bei dieser wahnsinnigen Sache unbedingt mitmachen. Aber Addie und ich wollten es ganz bestimmt nicht! Wir wollten mit dem Kram nichts mehr zu tun haben. Wir haben uns entschieden, ein ruhiges, normales Leben hier in Fresno zu leben, und wir tun wirklich was wir können, damit das zwischen uns wieder klappt, also hört gefälligst auf, wieder und wieder in unser Leben zu stoßen und alles nieder zu trampeln! Haltet uns verdammt noch mal aus eurem Scheiß raus."

„Was denn, willst du mir den Kontakt zu meiner Schwester verbieten?", fragte ich aufgebracht.

„Ganz und gar nicht. Du kannst vorbei kommen, wann immer du willst. Als ihr Bruder. Chase und Trish können vorbeikommen, wann sie wollen. Von mir aus auch Beverly. Als ihre Freunde. Aber ganz bestimmt nicht als ihr gottverdammten Auftragsgeber!"

Einen Moment lang schwieg ich.

Natürlich verstand ich seinen Standpunkt. Die zwei hatten in den letzten Jahren mehr durchgemacht, als die meisten Menschen in ihrem gesamten Leben. Ich wünschte ihnen wirklich nur das Beste. Und wenn es nur um mich gegangen wäre, hätte ich sie niemals damit belästigt. Aber es ging nun einmal um uns alle.

„Einer von uns wird sterben, wenn Addie uns nicht hilft. Das ist dir klar, oder?"

Jetzt war es Trev, der schwieg. Und für einen kurzen Moment dachte ich, ich hätte ihn überzeugt.

„Ihr habt alle euer Todesurteil unterschrieben, als ihr beschlossen habt, mit Beverly mitzugehen", sagte er distanziert. „Das ist nicht mehr unser Problem."

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