25

Beverly

Thomas.

Iona's uneheliches Kind. Nicht Theodoric's Sohn. Automatisch fragte ich mich, ob Thomas das überhaupt wusste. Ob davon irgendjemand wusste. Abgesehen von Iona. Denn aus ihren Tagebüchern war lediglich herausgegangen, dass es niemand wissen sollte, da sie sonst drastisch an Ansehen und Respekt verloren hätte. Theodoric hatte sie davon erzählt. Aber ihn gab es auf dieser Welt nicht mehr.

Und sofort fühlte ich mich unwohl, weil ich das Gefühl hatte, etwas zu wissen, das ich vermutlich gar nicht wissen sollte. Dass ich etwas wusste, das Thomas vielleicht nicht wusste.

Mir war der Appetit vergangen.

Um ehrlich zu sein, hatte ich von Anfang an keinen Appetit gehabt. Iona's Anblick hatte ein brennendes Loch in meiner Magengegend hinterlassen. Doch so oft ich meinen Blick auch über die Tische gleiten ließ -ein weiteres Mal entdeckte ich sie nicht. Das wiederum bestärkte meine Vermutung, dass ich sie mir einfach nur eingebildet hatte.

Ich wollte aus diesem Kleid raus. Es war nicht unbedingt unbequem, aber ich fühlte mich darin nicht wie ich selbst. Außerdem saß mir das ungute Gefühl, dass heute noch irgendetwas passieren würde, tief in den Knochen. Obwohl Corona gemeint hatte, dass ich nicht drum herum kommen würde, mich mit einigen Leuten hier zu unterhalten, hatte ich es bis jetzt ganz gut geschafft, die graue Maus zu spielen, und jegliche Interaktion mit anderen Hexen und Zauberern zu umgehen. Das durfte ruhig so bleiben.

Die kurze Ansprache von Finley's Mann bekam ich nicht mit und auch ihre Worte zogen an mir vorüber. Ich kam erst wieder in der Gegenwart an, als mit einem Mal einige Leute aufstanden und sich auf den Weg aus dem Speisesaal machten.

Hilflos sah ich zu Aidan. „Ich war gerade abgelenkt, was passiert jetzt?"

Er wollte eben etwas erwidern, aber Canna kam ihm zuvor. „Der Lauf durch das Labyrinth. Alle die wollen, können daran teilnehmen." In ihren dunkelgrünen Augen lag ein undefinierbarer Ausdruck, als sie mich musterte. „Du solltest auch mitmachen."

„Wieso?", fragte ich, beinahe angeekelt von dieser Idee. Das Letzte, was ich jetzt tun wollte, war, in meinen Hacken und dem Kleid durch ein Labyrinth zu wandeln. Mein Orientierungssinn glich schließlich dem eines Meerschweinchens.

Sie zuckte mit ihren freiliegenden Schultern. Ihr roséfarbenes Kleid hätte ich an jeder Schaufensterpuppe als scheußlich betitelt. Aber Canna war nun einmal keine Schaufensterpuppe, sondern eine leibhaftige Hexe, die bei ihrer Schönheit bestimmt mit ein paar Zaubersprüchen nachgeholfen hatte. Alles andere wäre unfair gewesen. „Es ist ganz unterhaltsam. Und wann hat man schon die Chance, ein magisches Labyrinth zu betreten?"

„Naja, anscheinend an jeder Hochzeit", entgegnete ich.

„Ob du es glaubst oder nicht, davon gibt es nicht so viele." Es war tatsächlich das erste Mal, dass sie mit mir sprach, ohne die Augen zu verdrehen. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich beinahe glauben können, sie wollte nett sein.

Das war unheimlich.

Nette Menschen hatte ich noch nie einschätzen können. Arschlöcher waren leichter zu durchschauen. Arschlöcher hatten oftmals auch kein Motiv. Wie Chase zum Beispiel. Er war einfach nur boshaft.

„Warum machst du es dann nicht, wenn es so viel Spaß macht?", fragte ich provokant. Jetzt lag ein herausfordernder Blick in Canna's Augen, bevor sie sich zu dem Mann drehte, der neben ihr saß. Sie warf ihm einen zuckersüßen Blick zu. Er sah wenig begeistert aus und seufzte tief, noch bevor Canna irgendetwas gesagt hatte.

„Komm schon, Kal. Ich will nur einmal in den Genuss kommen, vor Acacia und Arthur aus diesem Labyrinth zu finden." Sie stieß ihn mit dem Ellenbogen an, woraufhin Kal amüsiert den Atem ausstieß und sich geschlagen gab.

„Na schön, von mir aus."

Sie klatschte aufgeregt in die Hände, bevor sie sich wieder zu mir drehte und mich spielerisch ansah. „Wir seh'n uns unten." Sie nahm Kal an der Hand und beide schlossen sich den Menschen an, die den Speisesaal verließen.

Ich warf Aidan einen grübelnden Blick zu. „Was meinst du? So eine Einladung kann man doch nicht abschlagen, oder?"

„Ich weiß nicht", meinte er unsicher. „Diese Labyrinthsache ist mir nicht ganz geheuer. Ich meine, findest du, dass es eine gute Idee ist, sich jetzt zu trennen?"

Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen. „Was? Wovon redest du?"

Er zögerte. „Naja, in dieses Labyrinth geht man doch nach einander hinein und versucht, den anderen zu finden. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob das eine so gute Idee ist. Wer weiß, wie dieses Labyrinth tickt? Ich finde, wir sollten uns einfach nicht... voneinander trennen, verstehst du?" Nein. Das verstand ich nicht. Canna schien mich nicht mehr vollständig zu hassen und das wollte ich nicht unbedingt aufs Spiel setzen, in dem ich nicht auf ihr kleines Spielchen einstieg. Sie war für meine Aufgabe hier vermutlich nicht von allzu großer Bedeutung, aber Corona war es. Und Canna und Corona waren zwei der drei Mean-Girls. Wenn mich das eine Mean-Girl nicht mehr mit jeder Faser ihres Körpers hasste, würde das vielleicht auf Corona abfärben und sie würde nicht mehr versuchen, meine Freunde umzubringen.

„Es wird sicher lustig", versuchte ich Aidan zu überzeugen, auch wenn ich mich damit selber belog. Es würde bestimmt nicht lustig werden. „Und ich verspreche dir, dass ich dich danach nie wieder darum bitte, in ein magisches Labyrinth zu gehen."

Er konnte sich ein kleines, amüsiertes Lächeln nicht verkneifen, wurde aber sofort wieder ernst. „Ich weiß nicht..."

„Wovor hast du denn solche Angst?", fragte ich verwirrt.

„Ich hab keine Angst", protestierte er. „Ich finde nur den Gedanken an meterhohe Hecken, die uns voneinander abschotten nicht sonderlich ansprechend."

„Dann musst du dich eben anstrengen, um mich wieder zu finden", lächelte ich. Aidan schien immer noch nicht überzeugt, aber ich nahm ihn an der Hand und zog ihn von seinem Stuhl hoch. „Rose hat immer gesagt: Man bereut nur die Dinge, die man nicht getan hat."

Er zog die Augenbrauen hoch. „Das ist sowas von nicht wahr. Ich kann dir eine ganze Liste schreiben von Dingen, die ich getan habe und bitter bereue. Eine Liste, hörst du?"

Ich musste lachen. „Ich auch. Aber so eine kindischer Labyrinthlauf kommt bestimmt nicht drauf."

Aber jetzt, da Rose erwähnt worden war, musste ich daran denken, dass sie ein Mitgrund war, warum ich mich so oft in waghalsige Situationen stürzte. Sie hatte mir gelehrt, keine Angst zu haben. Schlimme Dinge passierten so oder so, aber Angst sollte meine Entscheidungen nicht leiten. Natürlich handelte es sich bei dieser speziellen Entscheidung lediglich um einen dämlichen Labyrinthlauf, aber trotzdem.

Tief seufzend betrachtete Aidan mich mit seinen cappuccinobraunen Augen. „Okay. Überredet. Lass es uns versuchen." Hand in Hand machten wir uns auf den Weg nach draußen und es war das erste Mal seit Tagen -gar Wochen-, dass ich das seltsame Etwas zwischen uns gar nicht bemerkte. Und das, obwohl wir erst gestern gestritten und über den Stand unserer Beziehung diskutiert hatten. Aber vielleicht war ja genau das der Grund dafür, dass wir nun so unbeschwert miteinander umgingen. Weil wir beide Angst vor einem Ende unserer Beziehung und Freundschaft hatten, dass es einfach leichter war, zu ignorieren, dass dieses Gespräch und die Ereignisse der letzten Tage überhaupt erst stattgefunden hatten. Diese Gedanken trieben mich zu einer Frage, die ich gar nicht laut aussprechen wollte, es aber getan hatte, bevor ich mir deren Konsequenz bewusst geworden war.

„Was passiert, wenn wir einander nicht finden?"

Aidan starrte einige Sekunden einfach nur gerade aus und schien nachzudenken. „Dann sollten wir auf der Stelle Schluss machen", nickte er schließlich todernst, woraufhin ich nur die Augen verdrehen konnte.

„Ich hab's ernst gemeint."

„Ich auch." Er sah mich an. „So ein magisches Labyrinth muss doch wissen, ob wir zusammen gehören, oder?"

„Du spinnst doch", lachte ich, weil ich ihm kein Wort glaubte. Auch er musste schmunzeln.

Der Weg vom Schloss bis zum Labyrinth war nicht mit Steinen ausgelegt, weshalb ich in den hohen Schuhen mehrmals in der Wiese stecken blieb. Außerdem war es arschkalt und ich fragte mich, ob sich die Wetterverhältnisse im Labyrinth ändern würden.

„Wessen bescheuerte Idee war es eigentlich, stecknadelkopfgroße, meterhohe Absätze für Frauen zu entwerfen?", knurrte ich. Meine Laune sank noch viel mehr, als ich bemerkte, dass allen anderen Frauen die Kombination von Gras und hohen Schuhen nichts auszumachen schien.

„Du schlägst dich gut", meinte Trish, die mit Brikeena am Ende der Schlange stand und kicherte, als sie mich sah.

„Halt die Klappe", erwiderte ich zitternd und rieb mir über die Oberarme. Ich wandte mich an Brikeena. „Also, wie funktioniert das? Wie genau muss ich mir das vorstellen?"

„Naja, jeder betritt in einem Abstand von etwa fünfzehn Sekunden den Eingang da vorne." Ihr Atem bildete kleine Wölkchen und sie deutet auf den Anfang des Heckenmonstrums. „Das Labyrinth verändert seine Form, aber das wirst du nicht bemerken. Alles was du tun musst, ist hindurch zu laufen und zu versuchen, in einer Stunde deine Begleitung zu finden." Mit einer ausladenden Handbewegung deutete sie auf Aidan.

„Wie soll das gehen, wenn das Labyrinth seine Form verändert?", hakte ich missbilligend nach.

„Das merkst du schon", zwinkerte sie. „Da drinnen zu sein ist..." Sie schüttelte den Kopf, als sie nach den richtigen Worten suchte. „Es ist so voller Magie, es ist... ein Wahnsinnsgefühl. Du wirst schon sehen."

„Hoffentlich ist es auch wärmer", grummelte ich.

Die Schlange wurde recht schnell kürzer und während wir uns voran bewegten, observierte ich die Lage zwischen Trish und Brikeena. Meine beste Freundin war nämlich wesentlich entspannter, als ich vermutet hatte. Es war beinahe, als hätte sich in ihrem Kopf ganz plötzlich ein Schalter umgelegt. Zumindest schien Trish Brikeena nicht mehr zu verabscheuen. Sie lachte und machte Witze.

Weiter vorne in der Schlange entdeckte ich Canna, die mir einen spielerischen Blick zuwarf, und Kal der neben ihr stand, Corona mit ihrem Ehemann, wie ich vermutete, Thomas mit seiner Frau und auch Erin konnte ich in Begleitung entdecken. Kurz darauf bemerkte ich auch die feuerrote Lockenpracht von Acacia. Sie trug ein smaragdgrünes Kleid, eine ähnliche Farbe, wie die von Trish's Kleid, nur wirkte es mit dem ganzen Tüll ein bisschen verspielter, was nichts an der Tatsache änderte, dass sie wunderschön war.

Als es an Acacia war, das Labyrinth zu betreten, hauchte sie Arthur einen Kuss auf die Lippen. „Vielleicht schaffen wir es dieses Mal unter zehn Minuten."

„Vielleicht schaffen wir es unter fünf", raunte ich Aidan spaßeshalber zu, während ich Arthur's Frau beim Betreten des Irrgartens zusah.

„Ich will einfach nur, dass wir lebend wieder raus kommen", erwiderte er und klang dabei viel ernster, als ich es erwartet hatte. In seinen Augen spiegelte sich Sorge und ich war mir nicht sicher, ob er überhaupt bemerkt hatte, etwas gesagt zu haben, so abwesend betrachtete er das Labyrinth. Doch gerade als ich ihn darauf ansprechen wollte, handelten Brikeena und Trish aus, wer als erstes hineingehen würde. Brikeena wollte den Anfang machen.

„Wir sehen uns, Gingermädchen!", grinste sie, betrat selbstsicher das Labyrinth und bog zielstrebig rechts ab.

„Ich will später alle Details", flüsterte ich Trish über die Schulter, woraufhin sie sich stutzend umdrehte.

„Da gibt es keine. Sie ist ganz okay, wenn sie nicht versucht, mich permanent anzumachen."

Und auch diesmal blieb mir keine Zeit, etwas darauf zu erwidern, denn Trish betrat ebenfalls das Labyrinth.

Ich wartete einen Moment lang, warf Aidan noch einen skeptischen Blick zu, den er mit einem unruhigen Lächeln erwiderte und betrat ebenfalls den Irrgarten.

Sobald ich zwischen den beiden Hecken, die den Eingang markierten, hindurchgetreten war, war es tatsächlich angenehm warm. Hier herrschten laue Frühlingstemperaturen und meine Gänsehaut verschwand allmählich.

Um ehrlich zu sein, erwartete ich Trish, die sich nicht entscheiden konnte, ob sie links oder rechts einbiegen sollte, gleich um die Ecke, doch sie war nicht da. Niemand war da, obwohl bestimmt an die hundert Leute das Labyrinth betreten hatten.

Ich lief die wenigen Meter bis zur nächsten Abzweigung, und sah mich um, aber auch hier war absolut niemand zu sehen.

„Das ist mir zu unheimlich", murmelte ich und wollte auf meinen hohen Schuhen zurück zum Ausgang watscheln.

Nur war da kein Ausgang mehr.

Nun gut, ich hatte nichts anderes erwartet, aber dass ich an der Stelle das Labyrinth betreten hatte wusste ich, also versuchte ich mit meinen Händen durch die Hecke zu greifen, um mir einen Ausgang zu bahnen. Nur stieß ich unter den Blättern lediglich auf dichte, ineinander verwobene Äste, die mich nicht hindurch lassen würde.

„Hallo?!", brüllte ich. Aber ich glaubte nicht, dass ein magisches Labyrinth mir sowas durchgehen lassen würde.

„Okay", stieß ich den Atem aus, kniete mich auf den Boden und zog mit die High-Heels aus. Im selben Moment verfluchte ich mich selbst dafür, A) so eine miserable Hexe zu sein, dass ich die Schuhe nicht einfach wieder in meine bequemen Sneaker zurückverwandeln konnte, und B) dass ich sie von Brikeena überhaupt erst hatte verzaubern lassen.

Dass ich meine Schuhe nun ausgezogen hatte, hatte den Nachteil, dass mein Kleid auf den Boden schleifte und dreckig wurde. In der einen Hand die Schuhe, mit der anderen raffte ich das Kleid, um nicht zu stolpern- so machte ich mich auf den Weg durch die meterhohen Hecken. Jede Abzweigung gab mir die Möglichkeit nach rechts oder links zu gehen. Manche von ihnen hätte ich auch ignorieren und meinen Weg geradeaus weiter verfolgen können. Erst bog ich rechts ein, dann links, dann zweimal rechts und wieder links. Dann war mir langweilig und ich fragte mich, was passieren würde, wenn ich vier Mal rechts gehen würde. Ich platzierte einen meiner Schuhe an meinem Standort und lief nach rechts, dann wieder rechts, dann noch einmal und schließlich ein viertes Mal.

Es überraschte mich nicht wirklich, dass der Schuh nicht mehr an Ort und Stelle stand. Ich war bestimmt wieder irgendwo anders gelandet. Es nervte mich lediglich, dass ich nun bloß noch mit einem Schuh in der Hand herum lief, als wollte ich ihn als Waffe oder so einsetzen.

Ich schüttelte den Kopf und beschloss, das Ganze ein bisschen ernster zu nehmen. Brikeena hatte gemeint, dass ich in dem Labyrinth Magie wahrnehmen würde. Dass ich etwas spüren würde. Also schloss ich die Augen und versuchte mich zu konzentrieren.

Nun... Ich spürte schon etwas. Ich spürte, dass meine Füße kalt waren. Ich spürte, dass mir der Rücken wehtat. Ich spürte meine Verärgerung über den doofen Irrgarten. Und aus irgendeinem Grund musste ich für den Bruchteil einer Sekunde an James denken und fragte mich, wie es ihr bei Addie und Trev ging. Ob sie sich auf Addie's Schoß eingerollt hatte. Ob Addie mit Trev auf der Couch saß und die beiden einander anschwiegen, oder ob er seinen Arm um Addie's Schulter gelegt und sie ihren Kopf an seine Brust ankuschelte, weil sie sich wieder vertragen hatten. Ich hätte Addie jetzt gerne angerufen und nach dem Stand der Dinge gefragt, allerdings saß ich in einem monströsen Kinderrätselspaß fest.

„Das ist so dämlich", knurrte ich und war in Begriff, mich einfach an Ort und Stelle hinzusetzten und trotzig darauf zu warten, ob jemand vorbei kommen würde, und vielleicht zufälligerweise auch meinen zweiten Schuh dabei hatte.

Doch dann nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung war und drehte den Kopf augenblicklich nach links.

„Hallo?", fragte ich automatisch. Hatte Aidan mich gefunden? Hatte mich irgendjemand gefunden? Ich fixierte angestrengt den Punkt, an dem ich die Bewegung wahrgenommen hatte und bewegte mich auf die eben passierte Abzweigung zu. Ich lugte um die Ecke, doch es war keiner zu sehen. Trotzdem begann mein Herz schneller zu pochen, weil ich ganz sicher war, mir die Bewegung nicht eingebildet zu haben.

„Hallo?", fragte ich nochmal und kam mir dabei ziemlich bescheuert vor.

Erschrocken fuhr ich herum, als ich das Rascheln hinter mir hörte, als hätte sich jemand rasch an den Hecken vorbei bewegt.

Niemand da.

Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun und mir fiel sofort wieder ein, dass ich dieselbe Unsicherheit schon einmal im Schloss gespürt hatte, als ich geglaubt hatte, von jemandem beobachtet und verfolgt zu werden.

Trocken schluckte ich. Und im nächsten Moment bemerkte ich, dass ich rannte. Ich wusste nicht wohin, aber ich rannte, als sei der Teufel höchstpersönlich hinter mir her. Vielleicht rannte ich sogar ein bisschen schneller. Immer wieder drehte ich mich kurz um und sah über meine Schulter, doch es war absolut niemand zu sehen.

Nach guten fünf Minuten blieb ich atemlos stehen. Die Orientierung hatte ich vollends verloren, was ziemlich ironisch klingt, wenn ich so darüber nachdenke, da ich mich von Anfang an an nichts hatte orientieren können.

Ich krallte mich an den Hecken fest, grub meine Finger in die rauen, starren Blätter und wollte endgültig hier raus. Meine Lunge brannte und ich starrte hochkonzentriert in die Richtung, aus der ich eben gekommen war. Mein Atem ging schwer und ich spürte eine Panikattacke aufkeimen, nahm sie aber kaum richtig wahr, weil sich all meine Sinne auf ein Geräusch oder eine Bewegung konzentrierten, damit ich notfalls so schnell wie möglich weglaufen, oder meinen Schuh als Schusswaffe benutzen konnte.

Aber als auch nach einer Minute nichts geschah, rieb ich mir erschöpft übers Gesicht und war sogar versucht, mir eine runterzuhauen.

„Reiß dich zusammen!", murmelte ich. „Reiß dich zusammen, du drehst noch durch." Die Tatsache, dass ich mit einer Zielscheibe auf dem Rücken herum rannte, die größer war, als je zuvor, ließ mich aus jeder Mücke einen Blauwal machen.

Müde ließ ich den Schuh fallen. Ich wollte nur noch auf mein warmes Zimmer, raus aus diesem Kleid und mit einer Decke vor dem Kamin mit Aidan kuscheln. Vielleicht ein bisschen zeichnen und den ganzen Hexenmist für ein paar Stunden vergessen.

Doch noch bevor ich reagieren konnte, rauschte etwas -schnell wie der Wind- an mir vorbei und im nächsten Moment spürte ich ein unsagbares brennen in meiner reichten Seite und meine Hände pressten sich automatisch dagegen.

Ich konnte einen kurzen Aufschrei nicht unterdrücken. Ob es jedoch die Schmerzen, oder der Schreck waren, konnte ich nicht sagen. Meine Hände wurden warm und nass, und als ich an mir heruntersah, konnte ich bereits das Blut sehen, dass zwischen meinen Fingern hindurchrann.

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