23
Beverly
Irgendwie hatte ich mir die Magie von Hexen anders vorgestellt. Ich hatte sie mir nicht so kalt und seidig weich vorgestellt. Sie fühlte sich beinahe an, wie die Magie meines Dämons.
„Und das macht nochmal was genau?", hakte ich am nächsten Morgen nach, als Corona in langsamen Schritten um mich herum ging und mit gold leuchtenden Augen Worte murmelte, die ich nicht verstand, und dabei ihre Magie auf mich herabsenkte.
Jetzt blieb sie stehen und sah mich entnervt an.
„Unterbrich mich nicht!" Ihre Augenfarbe war wieder normal (so braun wie meine) und sie betrachtete mich einen Moment lang von oben bis unten. „Ich habe einen Schutzschild um dich gelegt, der deine Magiespur verdeckt."
„Aber warum? Ich bin doch hier im Schloss."
„Wir erwarten heute einige hundert Gäste. Keiner von ihnen darf wissen, wer du bist, oder wie stark deine Magie ist." Sie trat noch einen Schritt auf mich zu. „Keiner." Ihre kalten Augen musterten mich. „Hast du das verstanden? Cillian's Spione sind überall. Vielleicht sind sie nicht hier im Schloss, aber sie sind da draußen, und wenn irgendjemand hier erfährt, dass du eine unbekannte Tochter von Iona Brooklynn bist, und diese Information in die Welt getragen wird, müssen unsere Feinde nur eins und eins zusammen zählen. Dann wissen sie, dass du eine Schreiberin bist." Sie drehte sich um und spazierte durch mein Zimmer, als wolle sie über jeden Part meines Wesens urteilen, sogar über den unordentlichen Kleiderhaufen auf dem Stuhl.
Nach meinem Gespräch mit Acacia war ich zu Brikeena gegangen und hatte sie zu Aidan geschickt, damit sie ihm einen Anzug zaubern konnte. Ich hatte es zwar nicht fertig gebracht, ihn selbst zu fragen, ob er mit mir auf die Hochzeit gehen würde, aber seine persönliche Schneiderin war ja wohl Einladung genug.
„Wir werden nicht darum herum kommen, dich einigen Leuten vorzustellen."
Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Okay?"
„Falls jemand mit dir ein Gespräch beginnen möchte und fragt, wer du bist, antwortest du mit dem Namen Adriana Vasqués."
„Wieso Spanisch?" Ich verzog das Gesicht. Ich hatte nichts gegen spanische Namen oder Länder, aber es erinnerte mich an Anthony. Nicht, dass er in meinem Leben noch irgendeine Rolle gespielt hätte, aber der Gedanke an ihn erinnerte mich an das Leben, dass ich einst gehabt hatte. Und ein Teil von mir wünschte sich das einfache, unkomplizierte Leben, das er mir gegeben hatte, zurück. Und das wiederum machte mich traurig.
„Heute bist du die Tochter von Erin und seiner Frau Alessandra Vasqués."
Verstört verzog ich das Gesicht. „Moment, ich bin die Tochter meines Bruders? Ist dir nichts Besseres eingefallen?"
Sie warf mir einen scharfen Blick zu, aber ich fand diese Idee immer noch furchtbar. Nur würde mir wohl nichts anderes übrig bleiben als mitzuspielen. Denn Trish hatte mir das Versprechen abgenommen, durch dieses dämliche Labyrinth zu wandeln.
„Keiner unserer Gäste hat Adriana je gesehen, weil sie schon vor vielen Jahrzehnten einen russischen Zauberer geheiratet und sich von unserer Familie abgeschottet hat. Also bist du relativ sicher."
„Gibt es nicht auch einen todsicheren Plan?", hakte ich nach, weil mir das Wort relativ ein Dorn im Auge war.
„Wenn du einen Fehler machst, wirst auch du die Konsequenzen tragen", meinte sie lediglich und wandte sich ab. Genervt drehte ich mich zu ihr.
„Warum verbietest du mir nicht einfach, auf diese Hochzeit zu gehen? Und verdonnerst mich dazu, in meinem Zimmer Däumchen zu drehen?"
Sie verdrehte die Augen, und es nervte mich, dass sie es sogar dabei schaffte, elegant auszusehen. „Das war nicht meine Idee."
„Wessen bescheuerter Einfall war es dann?"
Sie war schon fast aus der Türe draußen, blieb nun aber stehen, drehte sich jedoch nicht um. Stumm starrte ich ihren Rücken und die langen, dunkeln Haare an, während ich auf eine plausible Erklärung wartete. Doch sie ging ohne zu antworten hinaus.
„Danke für die Auskunft", murmelte ich.
Wenige Minuten später kam Trish mit ihrem monströsen Kleid im Arm auf mein Zimmer und legte es schnaufend auf meinem Bett ab. Als ich sie sah, überlegte ich kurz, ob ich ihr erzählen sollte, worüber Aidan und ich gestern gestritten hatten, beschloss aber, sie nicht weiter in die Sache hineinzuziehen. Das wäre unfair gewesen, sie hatte nie etwas falsch gemacht.
„Okay, wir haben noch zwei Stunden, dann müssen wir unten sein, richtig?", hakte sie nach und ich nickte seufzend. Sie fand Hochzeiten und Feste schön. Und sie war genauso aufgeregt wie immer, obwohl sie gestern fast gestorben wäre. Vielleicht war sie wegen diesem Wahnsinn, der in ihr lebte, meine beste Freundin.
Trish wusste natürlich, wie man aus langweilig herunterhängenden Spaghettihaaren wie meinen ein hochgestecktes Meisterwerk zauberte. Sie drehte kleine, kunstvolle Schneckchen und steckte sie mit Haarspangen, die funkelnde Perlen an den Enden hatten, fest. Die herausstehenden Strähnen bearbeitete sie mit einem Lockenstab.
„Was genau hast du alles mitgenommen?", hakte ich skeptisch nach, während ich ihr Sammelsurium an Make-Up, Haarspangen, Bürsten, Glätteisen, Lockenstab, diversen Ölen und Sprays betrachtete.
„Ach, nur das Nötigste", erwiderte sie mir hochkonzentriertem Blick. Manchmal vergas ich, dass sie es gelegentlich liebte, sich hübsch zu machen, und je länger ich vor dem Spiegel saß und mich von ihr in eine Prinzessin verzaubern ließ, desto mehr fiel mir auf, dass es gar nicht so anstrengend und nervig war, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Vielleicht lag das aber auch an Trish, mit der ich die gesamten zwei Stunden über lachen konnte und beinahe vollständig vergaß, in was für einer Situation wir uns befanden. Ich fühlte mich federleicht.
Während ich versuchte abzuwägen, ob der silberne Adleranhänger mit den Smaragdaugen zu einem blauen Kleid passte, band Trish ihre Haare zu einem voluminösen Pferdeschwanz zusammen und zauberte große Locken in die einzelnen Strähnen. Sie zauberte nicht wortwörtlich, aber das ist hoffentlich jedem klar. Dabei drapierte sie ihre Haare so geschickt, dass ich das Haargummi nicht mehr entdecken konnte.
„Soll ich meine Sommersprossen abdecken?", fragte sie dann und beäugte ihr Spiegelbild kritisch.
„Ich töte dich, wenn du das machst!", erwiderte ich todernst. Ich wusste, dass sie ihre Sommersprossen hasste, was vielleicht daran lag, dass sie in der Schule deshalb und wegen ihrer roten Haare gemobbt und ausgegrenzt worden war, aber ich fand sie umwerfen schön. Sie lächelte mich an und begann sich zu schminken, ohne die zimtbraunen Tupfen abzudecken.
„Kommt Chase auch?", fragte ich und legte den Adleranhänger auf meinen Nachttisch. Er passte nicht zu dem Kleid, egal, was ich mir einzureden versuchte.
„Ja. Brikeena hat ihm gestern Nachmittag einen Anzug entworfen. Du denkst doch wohl nicht, dass er es sich nehmen lässt, die Braut anzubaggern, oder?"
Ich verdrehte die Augen. „Er lernt es nie."
Während Trish ihr Gesicht abpuderte und Mascara auftrug, nahm ich das Kleid vom Schrank und schlüpfte hinein. Es hatte mir von Anfang an wie angegossen gepasst.
„Denkst du, das Kleid ist lang genug, damit ich Sportschuhe tragen kann?", fragte ich, als mir einfiel, dass ich kein Paar Schuhe besaß, in dem man auf eine so hoheitliche Hochzeit hätte gehen können. Und wenn, dann hätte ich es bestimmt nicht auf diese kleine Schottlandreise mitgenommen.
Trish kicherte. „Brikeena hat gesagt, dass sie unsere Schuhe ändern kann, falls wir keine haben."
Irritiert drehte ich mich um. „Wann hat sie das gesagt?"
„Als ich bei ihr war, um mir das Kleid anpassen zu lassen. Aber ich hab Schuhe." Natürlich hatte sie die.
Sie trug einen roten Lippenstift auf, der perfekt zu ihren Haaren passte und drehte sich zu mir. „Sehe ich gut aus?"
„Brikeena wird dahin schmelzen", entgegnete ich und erntete einen spielerisch wütenden Blick. „Ich geh schnell zu ihr, damit sie meine Sneaker in Cinderellaschuhe verzaubern kann."
Ich schnappte mir meine Sportschuhe und eilte in dem Kleid hinüber. Brikeena stand vor dem Spiegel und ihre Haare schienen sich wie von selbst zu einem kunstvollen, tiefsitzenden Knoten zusammenzubinden, während sie Parfüm auf ihr Dekolletee sprühte.
„Hey!", lächelte sie mir im Spiegel zu, stellte das Glasfläschchen zu den duzend anderen und drehte sich in ihrem violetten Kleid zu mir. „Wie sehe ich aus?"
„Trish wird dahin schmelzen", meinte ich und Brikeena grinste verschlagen.
„Das will ich doch hoffen."
„Kannst du mir bei den Schuhen helfen?"
„Klar." Sie kam zu mir und tippte sich nachdenklich ans Kinn. „Du hast ein blaues Kleid, also..." Meine Sneaker begannen sich zu verformen und zu verbiegen. Die Bänder zogen sich zurück und verwandelten sich zu silbernen Verschlüssen. Die Sohle wurde etwas dicker und von dem Absatz, der sich formte, will ich gar nicht reden.
„Noch höher ging's nicht, oder?", fragte ich ungläubig und betrachtet die Schuhe, bei denen mir schon beim Hinsehen die Füße wehtaten.
„Stell dich doch nicht so an." Sie hob ihr Kleid mit einer Hand an und präsentierte mir ihre Schuhe, die eine recht ähnliche Form hatten, aber durchaus noch ein paar Zentimeter höher waren. Ihre Präferenzen waren unübersehbar. „Du bist klein, du brauchst hohe Schuhe."
„Ja, aber was ich auch brauche, sind keine gebrochenen Beine. Und so klein bin ich gar nicht."
„Andere Schuhe kriegst du nicht", waren ihre abschließenden Worte, also nahm ich die Schuhe, grummelte ein Danke und verschwand wieder auf mein Zimmer.
„Die Teile sind Waffen", verkündete ich. „Damit kann man Leute umbringen."
Trish lachte, während sie in ihre schwarzen Schuhe stieg, deren Absätze ebenfalls schwindelerregend hoch waren. Ich legte den Kopf schräg. „Du auch?"
Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist gar nicht so unbequem, wenn man sich daran gewöhnt hat."
Da mochte sie ja recht haben, aber ich war es nicht gewohnt. Daher war ich nicht nur wackelig und rutschig unterwegs, nein, auf dem Weg nach unten erlitt ich zwei Wadenkrämpfe und knickte dreimal auf den Stiegen um. Trotzdem bemühte ich mich, halbwegs elegant auszusehen, als ich mit Trish, die sich bei mir untergehakt hatte, den Thronsaal betrat, der mir heute kleiner vorkam als sonst. Das lag vielleicht an der Fülle an Menschen.
Fast alle Sitzmöglichkeiten waren verschwunden und durch Gäste ersetzt worden. Ich erkannte kaum jemanden in der bunten Masse, aber eines stand fest: Brikeena hatte recht gehabt. Hexen feierten im großen Stil. Alle waren aufgetakelt bist zum geht nicht mehr und plötzlich kam mir mein hübsches Kleid gar nicht mehr so spektakulär vor, weshalb ich mich auch ein wenig wohler darin fühlte. Einige Kinder spielten zwischen den Erwachsenen fangen. Gerede und herzliches Lachen vermischte sich mit der Musik, von der ich nicht recht wusste, woher sie kam.
„Siehst du Chase oder Aidan irgendwo?", fragte Trish und sah sich um. Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich ehrlich war, hielt ich eher nach Iona Ausschau, um mich rechtzeitig vor ihr verstecken zu können. Aber in der Masse wäre es unmöglich gewesen, sie auszumachen.
Trish und ich kämpften uns so ladylike wie möglich durch die Masse. Irgendwann erspähte ich durch die Köpfe hindurch Corona, wie sie eiskalt und wunderschön auf dem Thron thronte und sich mit einem Mann unterhielt, der den anderen Thron besetzte. Ich nahm an, dass es sich um Corona's Mann handeln musste.
Ich war froh, dass mich keiner der beiden so recht wahrnahm. Ich ließ meinen suchenden Blick weiter durch den Saal gleiten.
„Vielleicht sind sie noch nicht da", vermutete ich. „Chase braucht doch bestimmt doppelt so lang wie wir."
Ich sah Canna, Arlen, Davina und Erin -meinen heutigen Vater. Bei dem Gedanken schüttelte ich mich.
Und dann blieb mir plötzlich das Herz stehen, noch bevor mein Gehirn registriert hatte, warum. In der Masse, recht weit hinten erkannte ich das Gesicht, vor dem ich mich die ganze Zeit gefürchtet hatte.
Iona.
Und sie sah direkt zu mir herüber. Es war unheimlich. Beinahe so, als wäre sie gar nicht Teil des ganzen Trubels. Und im Moment fühlte ich mich genauso. Als wäre ich ganz weit weg von all den Stimmen und der Hitze. Sie stand da. Sie stand wirklich da. Meine leibliche, supermächtige Hexenmutter stand am anderen Ende des Raumes, bewegte sich jedoch keinen Zentimeter und machte auch keinerlei Anstalten, zu mir zu kommen. Ich fragte mich, ob sie wollte, dass ich diesen Part übernahm. Ich glaubte für den Bruchteil einer Sekunde, dass sie lächelte.
„Da ist Chase!", rief Trish, ich zuckte zusammen und brach dabei den Blickkontakt zu Iona ab. „Komm!" Sie zog mich am Arm mit sich und als ich einen letzten Blick auf die Frau erhaschen wollte, war sie verschwunden, also ließ ich mich von meiner besten Freundin mitziehen.
Vielleicht hatte ich mir Iona nur eingebildet. Es schien immerhin niemand außer mir wirklich Notiz von ihr genommen zu haben.
„Wow, du siehst gut aus, Gingermädchen", grinste Chase, als er uns sah und ließ seinen Blick ihren Körper hinunter gleiten. „Vielleicht sollten wir ne schnelle Nummer schieben, wenn der Abend vorbei ist."
Trish wollte etwas darauf erwidern, aber ich räusperte mich unmissverständlich, bevor die beiden mit ihrem öffentlichen Dirty-Talk so richtig starten konnten.
Chase zog die Augenbrauen zusammen. „Oh, du bist auch hier."
Ich verdrehte die Augen. „Werd erwachsen, Arschloch."
„Sagte die Fünfjährige", entgegnete er unbeeindruckt. Ich betrachtete ihn feindselig. Das Universum war wirklich ungerecht, sonst hätte es einen solchen Mistkerl nie in den Körper eines griechischen Gottes gesteckt. Ich war längst über den Punkt hinaus, an dem ich mich darüber beschwerte, dass so ein Vollidiot einen stinknormalen Anzug in einer Modezeitschrift als Armani Meisterwerk hätte verkaufen können. Natürlich entgingen mir auch die Blicke der diversen Frauen nicht, die Chase musterten. Mittlerweile fand ich die Welt nur noch ungerecht.
„Keine Sorge", sagte ich kühl. „Die Fünfjährige verschwindet schon, damit du ungestört an deinem Leberversagen arbeiten kannst. Viel Spaß!" Kopfschüttelnd drehte ich mich um und ging durch die Masse davon. Ich wusste nicht, wohin ich wollte, und ich fühlte mich auch nicht sonderlich wohl dabei, alleine zwischen hunderten von Fremden herumzueiern, aber ich wollte nicht länger bei Chase bleiben.
Trish wollte mir hinterherrufen, das merkte ich, aber sie wusste, dass sie mich heute Abend unter keinen Umständen „Beverly" nenne durfte und auf den Namen Adriana würde ich nicht reagieren.
Vermutlich war es nur Einbildung oder Paranoia, aber ich hatte das Gefühl, von einigen hier intensiv beobachtet zu werden. Aber jedes Mal, wenn ich mich umsah, schienen alle in ihre Gespräche vertieft zu sein. Bestimmt schlug wieder nur meine Sozialphobie zu. Ich wusste, dass hier drinnen niemand sein konnte, der mir schaden würde, denn alle Gäste hatten ihr Blut in den Chailis topfen lassen müssen.
Ich war sicher in diesem Schloss.
Corona hatte meine Magiespur abgedeckt und keiner wusste, wer ich war.
Zumindest dachte ich das, bis sich jemand von hinten an mich drückte und mir ins Ohr flüsterte.
„Da bist du ja."
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