22
Aidan
„Ich brauche Alkohol", sagte ich, als ich Chase' Zimmer betrat.
„Alkohol? Ich bin dein Mann!" Chase legte das Buch zur Seite, drückte sich bereitwillig von der Couch hoch, ging zu dem kleinen, goldenen Wagen, der in all unseren Zimmern stand, und goss mir einen Whisky ein. Er selbst nahm sich natürlich einen Scotch und ich warf mich erschöpft auf die Couch.
„Und?", fragte er, als er sich zu mir setzte. „Bereust du es schon, mit der Mistratte eine Beziehung eingegangen zu sein?"
„Nenn sie nicht ständig so. Sie ist keine Mistratte." Ich trank einen großen Schluck Whisky und ließ meinen Kopf in den Nacken fallen. Mir brummte der Schädel. Mit Beverly zu diskutieren war ein ständiges Vor und Zurück. Wir bewegten uns einen Schritt vor und fünf zurück. Ich wusste nicht, wie lange ich das noch aushalten würde. Und vermutlich hatte ich mir auch keinen Gefallen damit getan, Fabiana zu erwähnen, aber ich wollte, dass Beverly darüber nachdachte, was sie mir mit ihrem Handeln antat. Was sie uns antat.
„Sie denkt, ich will was von Trish. Dass ich verliebt in sie bin. So ein Blödsinn." Ich rieb mir die Schläfen.
„Die Ratte hat wirklich Komplexe sondergleichen", bemerkte Chase stirnrunzelnd. „Warum denkt sie, dass jeder in Trish verliebt ist?"
„Bei dir kann ich es noch verstehen", erwiderte ich. „Du schläfst immerhin mit ihr."
„Ich schlafe mit vielen Frauen", entgegnete er, trank einen Schluck Scotch und stieß einen wohligen Seufzer aus. „Ich sag dir was, Alter, vergiss die Kanalratte und such dir eine ihrer Schwestern aus. Ich kann dir ein paar empfehlen, wenn du willst."
Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Ein großzügiges Angebot, aber... Du hast nicht zufällig schon getrunken, bevor ich hier hergekommen bin, oder?"
Er verdrehte die Augen. „Ich meine es ernst. Der Mistkäfer ist es nicht wert, dass du ihm ständig hinterher rennst. Soll sie ihre Mistkugel doch alleine den Berg raufrollen." Er hatte definitiv schon ein paar Gläser intus. Chase sah nie wirklich betrunken aus, aber manchmal sagte er Dinge, die einem Menschen in nüchternem Zustand nicht einmal einfallen würden. „Beverly ist wie ein instabiles Atom."
„Ein instabiles Atom?", hakte ich amüsiert nach. Gedanklich war ich immer noch bei dem Mistkäfer der seine Mistkugel in der Gegend herumschob.
„Ja. Aber manchmal erinnert sie mich auch an Ingwer. Hey, willst du eine Runde Schach spielen?" Bevor ich eine Antwort geben konnte, hatte er sein Glas beiseite gestellt, war aufgestanden und aus meinem Sichtfeld verschwunden. Während er das Brett und die Figuren aus seinem Schrank herauskramte, versuchte ich immer noch eine Verbindung zwischen Beverly und Ingwer herzustellen. Ingwer war scharf, aber das hatte Chase mit Sicherheit nicht gemeint. So betrunken hätte er gar nicht sein können.
„Warum erinnert sie dich an Ingwer?", fragte ich schließlich, als mir die Ideen ausgingen.
Er kam zurück und legte die Sachen auf den Couchtisch. „Naja, ich hasse Ingwer", meinte er schulterzuckend, woraufhin ich nur die Augen verdrehen konnte.
„Du hasst Bev nicht."
„Hab ich auch nie gesagt. Ich hab gesagt, dass ich Ingwer hasse und der Mistköter mich daran erinnert."
Ich rollte mit den Augen. „Du verwechselst Wut mit Hass. Wie immer."
„Und du verwechselst Liebe mit Sex, mein Freund", erwiderte er. „Wie immer."
Als ich nichts darauf gab, sondern nur mürrisch meine Figuren aufstellte, hielt Chase inne und betrachtete mich ungläubig. Ich musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. „Sekunde. Wann hattet ihr das letzte Mal Sex?"
„Das geht dich nichts an."
„So lange ist das schon her?", fragte er gespielt überrascht und ich warf ihm einen scharfen Blick zu. „Ich sag doch, sie ist es nicht wert. Sie redet nicht mit dir und schläft nicht mit dir. Was bleibt dann noch?" Er stellte ebenfalls seine Figuren auf.
„Du bist betrunken." Ich lehnte mich mit meinem Whiskyglas zurück, weil Chase den ersten Zug machen würde.
„Ich bin vielleicht betrunken, aber ich habe immer noch mehr Verstand als du." Er zog die Augenbrauen zusammen. „Ich sag dir was: Beziehungen sind scheiße und Frauen sind für nichts zu gebrauchen, außer fürs Bett." Wütend knallte er den Bauern auf das Brett.
„Okay, langsam gehst du zu-"
„Es gibt Frauen wie Trish und es gibt Frauen wie Beverly", unterbrach er mich unbeirrt und bedeutete mir ungeduldig, dass ich meinen Zug machen sollte. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren, also gab ich mich geschlagen und zog ebenfalls mit meinem Bauern. „Trishs kann man gut ficken. Wann man will, wo man will und wie man will. Und Beverlys..." Er brach ab und kniff die Augen zusammen, bevor er mich ansah. „Ich weiß wirklich nicht, was Gott sich dabei gedacht hat, Frauen wie Beverly zu erschaffen. Nutzlos."
Vermutlich hätte ich aufstehen und gehen sollen. Natürlich machten mich seine Worte wütend, allerdings war ich einerseits selbst noch zu sauer auf Beverly, um sie weiterhin zu verteidigen, und andererseits war Chase ohnehin zu betrunken, als dass eine Diskussion einen vernünftigen Denkprozess in Gang gesetzt hätte. Das merkte ich besonders stark, als ich nacheinander einen Springer, einen Turm und beide seiner Läufer schlug. Außerdem wusste ich, dass die Ereignisse von heute Vormittag immer noch an ihm nagten. Trish wäre beinahe gestorben und er wollte jemandem die Schuld geben.
„Kannst du dir vorstellen, dass Addie bald zweifache Mutter ist?", fragte er irgendwann und ich sah verwirrt vom Spielbrett hoch.
„Woher weißt du das?" Addie hatte es doch nur mir erzählen wollen.
Er blinzelte mich an. „Na, von Trev."
Ich nickte langsam. Wenigstens wusste Trev tatsächlich Bescheid. „Du hast mit ihm geredet?"
„Nein, ich hab ein Telegramm geschickt", erwiderte Chase sarkastisch, und angesichts des Alkoholpegels war ich überrascht, dass er zu sarkastischen Bemerkungen überhaupt in der Lage war.
„Was hat er gesagt?"
„Nicht viel. Er musste Dampf ablassen, schätze ich. Begeistert ist er nicht." Das war ich auch nicht unbedingt.
„Ist er noch sauer auf Addie?"
„Was denkst du denn? Aber er versucht zumindest, sie nicht zu hassen. Das ist doch wohl das Mindeste, das wir erwarten können, nach allem, was passiert ist."
Ich seufzte. Wie hatte die perfekte Beziehung der beiden in einem solchen Desaster enden können?
„Ich dachte wirklich, dass zumindest die zwei ihr Happy End bekommen", meinte er dann und schlug zu meiner großen Überraschung meine Dame, obwohl er nur noch sieben Figuren am Brett stehen hatte, vier davon waren Bauern. Er hatte mich erfolgreich abgelenkt.
„Zumindest?", hakte ich nach und brachte meinen Turm in Sicherheit.
„Du denkst doch wohl nicht ernsthaft, dass ich alt und glücklich sterben werde", erwiderte er, woraufhin ich ihn ungläubig anblinzelte.
„Du schläfst mit Bev's antiken, schrulligen Hexenschwestern und erwartest karmische Gerechtigkeit? Nimm das Vögeln und den Scotch aus der Gleichung und die Chancen auf dein Happy End erhöhen sich um hundert Prozent."
Er grinste. „Antik? Vielleicht. Schrullig? Kein Bisschen." Er nickte zu dem Buch, das neben mir auf der Couch lag. „Das hab ich übrigens von Finnea. Die Kleine steht ein bisschen zu sehr auf mich, für meinen Geschmack. Aber ich hab ihr erzählt, dass du dich für Dämonen und insbesondere Vaya interessierst, und da hat sie mir dieses Buch besorgt. Ich bin noch nicht weit gekommen, aber vielleicht findest du da drinnen was über deine Gabe. Du kannst es gerne mitnehmen."
Ich wollte das Buch eben genauer unter die Lupe nehmen, als er meinen Springer mit seinem übrigen Turm schlug und somit direkt meinen König bedrohte.
„Ist dir schon mal aufgefallen, dass Schwarz einfach nur ein richtig dunkles Weiß ist?", fragte er dann mit nachdenklicher Miene und, trank einen Schluck Scotch. Während ich mit meinem König floh, deutete er auf die Figuren. „Also eigentlich sind Schwarz und Weiß dieselben Farben."
Ich trank meinen Whisky in einem Zug leer. Mit solchen Gedanken konnte ich nüchtern nicht mithalten. „Also, das ist entweder das Dümmste oder das Schlauste, das ich heute gehört habe", murmelte ich. Chase bewegte seinen Bauern noch ein Feld nach vorne und setzte mich matt. Fassungslos starrte ich auf das Brett, während er sich selbstgefällig zurücklehnte und meine Reaktion beobachtete. Selbst in betrunkenem Zustand spielte er besser als ich.
Es klopfte an der Türe, Chase drehte den Kopf und Brikeena steckte ihren Kopf ins Zimmer. „Darf ich stören?"
„Solch wunderschönen Exemplaren der weiblichen Spezies ist der Eintritt in meinem Gemächer gestattet", erwiderte Chase grinsend.
Brikeena blinzelte ihn amüsiert an. „So redet wirklich keiner von uns." Sie schlüpfte ins Zimmer, schloss die Türe hinter sich und kam auf mich zu, während Chase sie mit seinen Blicken förmlich auszog. „Bev schickt mich. Ich soll dir einen Anzug für die Hochzeit morgen zaubern."
Ich stutzte und warf Chase einen irritierten Blick zu, den er erwiderte. „Heißt das, Bev will, dass ich mit ihr auf die Hochzeit gehe?"
„Blitzmerker. Du warst bestimmt der erste aus deinem Wurf", bemerkte Brikeena, woraufhin ich ihr einen genervten Blick zuschoss, Chase hingegen begann zu lachen.
„Was ist daran lustig?", hakte ich mit zusammengezogenen Augenbrauen nach.
„Naja, du hast eine Zwillingsschwester", lachte er. „Das ist doch praktisch ein Wurf. Das ist schon ziemlich lustig."
Brikeena musste sich das Lachen verbeißen, aber ich fand es weniger amüsant. „Ich weiß nicht, ob es als Wurf gilt, wenn man aus dem Körper der eigenen Mutter herausgeschnitten und fast verkauft wurde." Das brachte sogar den betrunkenen Chase dazu, schuldbewusst die Klappe zu halten.
„Du tust mir fast Leid", meinte Brikeena ungerührt und zog eine Augenbraue hoch. Ich wusste nicht, warum sie mich plötzlich so feindselig musterte, aber mir wurde unwohl. „Also, soll ich dir nun einen Anzug machen? Wenn ja, dann steh gefälligst auf, ich hab nicht ewig Zeit."
Ich seufzte tief und stemmte mich hoch. Natürlich wollte ich mit Beverly auf diese Hochzeit gehen und mir war klar, dass Brikeena-schicken-und-mir-einen-Anzug-schneidern-lassen, das einzige Versöhnungsangebot war, das ich von Bev erwarten konnte. Und wenn ich es abgeschlagen hätte, dann wären wir wieder am Anfang unseres Streits gewesen. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob ihre indirekte Einladung irgendetwas an unserer derzeitigen Situation änderte.
~~ ~~
Ich verließ buchstäblich in einem Smoking Chase' Zimmer, weil Brikeena die Sachen, die ich angehabt hatte, verzaubert hatte. Dass ich erschrocken bin, als mein T-Shirt begonnen hat, an mir herumzurutschen und enger zu werden, wäre eine leichte Untertreibung. Ich hatte mich an den ganzen Hexenkram noch immer nicht gewöhnt.
Als sie fertig gewesen war, hatte ich lediglich das Buch genommen, und mich aus Chase Zimmer getummelt. Brikeena war immer noch dort und ich fragte mich, ob er bald die nächste Schwester von der Liste streichen können würde. Allerdings hatte Brikeena selbst gesagt, dass die einfach zu bekommenden Menschen sie langweilten, also konnte ich mir nicht vorstellen, dass zwischen den beiden irgendetwas laufen würde.
Zurück auf meinem Zimmer zog ich mir den unheimlichen Smoking aus, der einmal aus einer Jeans, einem T-Shirt und einer Weste bestanden hatte, hängte ihn in den Schrank, schlüpfte in Jogginghose und Sweatshirt und warf mich mit dem Buch, das ich von Chase hatte auf mein Bett. Es war nicht sonderlich dick, weshalb ich mich sofort fragte, ob ich darin etwas finden würde, aber schnell wurde mir klar, dass es ein Tagebuch war und von jemandem geschrieben worden sein musste, der sich nicht nur mit Dämonen, sondern mit Vaya im speziellen verdammt gut auskannte und diesen Dämon nahezu studiert haben musste. Das Buch war natürlich von Hand geschrieben, deshalb suchte ich am Umschlag und auf den ersten und letzten Seiten nach einem Namen, fand aber nichts. Lediglich das jeweilige Datum an den Ecken der Seiten ließ mich wieder mal spüren, dass ich viel zu jung für den ganzen Kram war.
Ich überflog die ersten Seiten nur, weil der Verfasser lediglich von seinem Vorhaben sprach und davon, wie er Vaya auf die Schliche kommen würde. Wie er seinem ganz bestimmten Opfersystem und einer Spur von Leichen folgen würde. Wie er von Dorf zu Dorf reisen wollte, um Personen ausfindig zu machen, an die Vaya sich nach Lust und Laune gebunden hatte.
Doch dann machte der Schreiber einen abrupten Zeitsprung von etwa fünfzig Jahren, denn jetzt stand nicht mehr 1771 sondern 1817 an den Ecken. Das erste Wort auf dieser Seite erregte augenblicklich meine Aufmerksamkeit.
ZUKUNFT.
Dieses Wort war zwei Mal unterstrichen, bevor es einen Absatz darunter weiterging.
Nach so vielen Jahren kann ich nun sicher sein. Vaya ist nicht bloß ein Todesdämon. Er hat immer etwas mit jemandes Zukunft zu tun. Auf meinen Reisen begegnete ich Personen, die von Vaya besessen waren und davon sprachen, Vorahnungen gehabt zu haben. Ein junger Mann hat mir erzählt, er habe Leuten nicht mehr in die Augen sehen können, weil er ihren Tod gesehen hätte. Ähnliches hat eine ältere Dame berichtet, nur hatte sie die Tode von Menschen durch Berührungen mitangesehen.
Zukunft und Tod. Eine gefährliche Kombination.
Besonders, wenn es um den Mann geht, den ich vor sieben Jahren aufgespürt habe. Er hat beteuert, seine schlimmsten Befürchtungen und Vorstellungen in bestimmten Situationen sein immer eingetroffen.
Ich musste auflachen. Wenn Beverly diese Gabe gehabt hätte, stünde die Welt vermutlich nicht mehr bloß metaphorisch in Flammen, so pessimistisch wie sie war. Ich las noch einige Seiten, aber es war nur eine Auflistung abgewandelter, schrecklicher Versionen von dem, was Addie und Jo mir über ihre Gaben erzählt hatten.
Ich las noch den Satz: „Vaya gehört zu jenen Höllenkreaturen, die die fürchterlichsten und zugleich mächtigsten Gaben schaffen können", bevor ich beschloss, dass ich mir meinen Tag bereits genug versaut hatte und das Buch zuklappte.
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