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Aidan

„Du machst doch Witze", war alles, was ich herausbrachte, als Addie mir an diesem Nachmittag eröffnete, dass sie Zwillinge erwartete.

„Ich schätze, wir brauchen noch einen zweiten Namen", lachte sie glücklich.

Der Termin bei ihrer neuen Frauenärztin war vorverlegt worden und meine kleine Babyschwester war nicht nur schwanger. Sie war richtig schwanger.

„Ich trage zwei Faultiere in mir, Bruderherz."

„Oh mein Gott." Ich wünschte, ich hätte mich so sehr freuen können wie sie, aber mein Kopf war zu sehr in der Realität eingezäunt.

Mittlerweile war sie in der zehnten Woche und erst jetzt erfuhr sie, dass sie die ganze Babyausrüstung mit zwei multiplizieren konnte. Ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als unserer Mom und unserem Dad davon zu erzählen. Alleine würden weder sie noch Trev die Kosten dafür stemmen können.

„Sekunde", meinte sie und ich wartete brav. „So, hab dir das Bild geschickt." Ich nahm das Handy vom Ohr und öffnete den Anhang.

„Die sind ja schon riesig!", entfuhr es mir, als ich das schwarzweiße Ultraschallbild betrachtete.

„Nicht größer als ein Glückskeks. Zwei Glückskekse", erwiderte Addie lachend, während ich noch immer nicht so recht glauben konnte, dass es Zwillinge waren. Dass meine kleine Schwester Babys in sich herumtrug. Es kam mir wie gestern vor, als sie vor meiner Zimmertüre gestanden und ein trauriges Gesicht gemacht hatte, weil sie so hoffnungslos in Trev verliebt gewesen war und er nicht den Anschein gemacht hatte, dasselbe zu empfinden. Das war jetzt knapp vier Jahre her und nun erwartete sie Zwillinge von ihm. Manchmal schlug das Leben wirklich sonderbare Wege ein.

„Wusstest du, dass sich das Blutvolumen während einer Schwangerschaft verdoppelt?", fragte sie und ich hielt mir das Handy wieder ans Ohr.

„Ja, hab davon gehört", erwiderte ich stumpf.

„Und ich trag zwei von der Sorte rum. Das heißt, mein Blutvolumen ist mehr als doppelt so groß, wie normalerweise. Sterbe ich bald?"

„Sag du es mir, du kannst in die Zukunft schauen."

Sie lachte wieder. „Bitte sag es keinem. Ich will Chase' und Trish's und Bev's Gesicht sehen, wenn sie es erfahren."

„Mein Gesicht war dir wohl nicht so wichtig", erwiderte ich, fast beleidigt.

„Du bist mein Bruder. Ich sehe deinen Gesichtsausdruck vor meinem inneren Auge", kicherte sie. „Ich hab es nicht ausgehalten, dir nicht davon zu erzählen."

„Bitte sag mir, dass Trev es weiß!", meinte ich dann erschrocken, weil es mir gar nicht so unwahrscheinlich schien, dass sie es vor ihm verheimlichen wollte. Er hatte ja schon keine große Lust auf ein Baby.

„Natürlich weiß er es!"

Erleichtert atmete ich aus. „Und wie hat er reagiert?"

Addie schwieg kurz. „Er war ziemlich perplex. Dann hat er genickt und Okay gesagt. Okay! Was soll das überhaupt heißen?", schimpfte sie jetzt wütend. „Okay. Okay! Ich trage zwei Babys in meinem Bauch herum, und er sagt Okay!"

„Ich glaube, das ist die positivste Reaktion, die er dir geben konnte."

Sie seufzte tief, während ich begann, durch die Bibliothek zu schlendern. „Sita und Mitch wissen es auch schon. Wobei... Sita hat es gewusst, als Trev und ich zur Türe reingekommen sind. Sie ist wirklich unheimlich."

„Und Mom und Dad?"

„Einundzwanzig", erwiderte sie, woraufhin ich mit den Augen rollte.

„Du kannst keine einundzwanzig Jahre warten, du Scherzkeks."

„Willst du drauf wetten?"

Langsam wurde ich wütend. Sie hing wieder mal in ihrer perfekten, kleinen Traumwelt fest, in der sie die reale Welt aussperren konnte. Dabei sah sie nicht mehr, auf was für eine scheußliche Einbahnstraße sie sich zubewegte.

„Ads, du hast keine Ausbildung. Du hast keinen Job. Du hast momentan noch nicht einmal einen Studienplatz. Wie stellst du dir deine Zukunft vor, wenn ich fragen darf? Die Babys verschwinden nicht einfach nach neun Monaten. Nein, sie gehören dir für den Rest deines Lebens und-"

„Nicht", unterbrach sie mich matt. „Hör auf. Bitte. Ich weiß, dass du mir gerne ins Gewissen redest, aber gerade will ich wirklich nur mit meinem Bruder reden, der sich für mich freut. Und nicht mit einem Sozialarbeiter."

Ich verdrehte sie Augen und seufzte. „Addie..." Ich sehe keine gute Zukunft für dich. Das hätte ich am liebsten gesagt. Aber ich brachte es nicht übers Herz. Sie wusste auch so, dass sie realistisch gesehen in mächtigen Schwierigkeiten steckte.

„Nach allem was passiert ist, kann ich mir nichts Schöneres vorstellen als zwei kleine Babys in meinen Armen zu halten. Nach der Sache mit Jacob und meinem Baby und Vaya und Trev's Unfall und Jo und Fabiana und..." Sie seufzte. Ich schwieg. „Irgendwas wird sich schon ergeben", meinte sie zuversichtlich. „Bestimmt. Das wird schon. Kannst du dich bitte einfach für mich freuen?" Sie klang traurig. Und ich wünschte, ich hätte mich ehrlich für sie freuen können. Ein kleiner Lichtblick hätte uns allen gut getan. Aber unsere Tante hatte immer gesagt: „Ein Kind ist ein Kind. Zwei Kinder sind wie hundert Kinder." Und das glaubte ich ihr aufs Wort. Addie war nicht bereit, zwei Kinder groß zu ziehen und Trev schon gar nicht. Also nein, ich konnte mich nicht mehr freuen. Ich sah nur einen ganzen Haufen an Problemen. Denn ein Kind war eine Sache. Zwillinge eine komplett andere. Und Addie tat sich keinen Gefallen damit, Mom und Dad die Schwangerschaft zu verschweigen.

„Du musst es unseren Eltern sagen. Wie stellst du dir die Geburt vor? Du bist mit Vaya verbunden. Schwarzes Blut ist nicht gerade geläufig in den meisten Kreissälen."

„Und wie soll Mom mir dabei helfen? Sie ist keine Geburtshelferin."

„Nein, aber ich bin sicher, sie kennt jemanden, dem Dämonen nicht gänzlich fremd sind", redete ich auf sie ein. Diesmal war sie diejenige, die schwieg.

„Addie-"

„Ist ja schon gut", brummte sie schließlich genervt. „Ich sag's ihr... Aber warum hast du eigentlich angerufen?", lenkte sie ab und ich ließ es gut sein. Ich hatte ohnehin keine aufbauenden Worte parat und alles was ich sagen wollte, hatte ich gesagt.

„Du bist meine Schwester. Ist das Grund genug?"

„Für dich nicht, nein."

„Autsch." Aber sie hatte recht. „Ich hab ein paar Fragen zu Vaya", gestand ich schließlich und stellte mich an eines der Fenster. Von hier aus konnte ich das riesige Heckenlabyrinth sehen, das ich auch schon die Tage davor immer mal wieder zwischen meinen Lesepausen betrachtet hatte. Einmal hatte ich versucht, mit den Augen einen Weg hindurch zu verfolgen, aber ich hatte das Gefühl gehabt, dass es seine Form verändert hatte. Aber das konnte nicht sein. Bestimmt hatte mir meine Wahrnehmung nach dem stundenlangen auf-klein-gedruckte-Wörter-Starren einen Streich gespielt.

„Schieß los!", drang es aus meinem Handy. Vermutlich war sie nun doch froh, das Babythema beiseiteschieben zu können.

„Wie machst du das mit den schwarzen Augen?", begann ich. „Vaya ist doch ein Teil von dir. Du kannst nichts mehr in deinen Körper ziehen."

„Das ist eine merkwürdige Frage." Sie stieß nachdenklich den Atem aus. „Vaya ist... irgendwie in mir. Tief in meinem Innersten. Es gilt also nicht mehr, ihn in meinen Körper rein zu ziehen, sondern raus zu holen."

Das war einleuchtend. Aber wenig hilfreich. „Und wie machst du das?"

Wieder seufzte sie. „Es ist wie... ausatmen. Du spürst diese dunkle, starke, kalte Energie irgendwo tief in deiner Brust sitzen. Und du lässt sie einfach raus."

„Du bist keine Hilfe."

„Ich kann es nicht besser erklären", entschuldigte sie sich. „Ich schätze, mir fällt es ein bisschen leichter, weil ich weiß, wie sich diese Energie anfühlt. Du bist dein Leben lang damit rumgelaufen. Für dich ist sie normal, natürlich weißt du nicht, was ich meine und worauf genau du achten sollst."

Ich ließ mich auf den breiten Stoffsessel vor dem hohen Fenster nieder und drehte den Kopf, sodass ich weiterhin nach draußen sehen konnte. Dicke, graue Wolken hingen wie immer über der Insel und dem Meer.

„Hast du schon irgendetwas über Vaya und die Kräfte, die er verleiht, herausgefunden?" Ich schüttelte den Kopf, bis mir einfiel, dass sie mich nicht sehen konnte.

„Schön wär's."

„Du bist in einem Schloss in Irland, wo haufenweise Hexen rumlaufen. Irgendwer wird es doch wohl wissen." Darauf antwortete ich nichts. Ich konnte ihr schlecht sagen, dass Trish heute wegen besagter Hexen beinahe gestorben wäre und ich daher keine allzu große Lust hatte, jemanden um Hilfe zu bitten. Genau genommen hatte ich sogar ziemlich die Schnauze voll von dem ganzen Magiekram.

„Habt ihr eigentlich schon Beverly's Tante besucht?", fragte Addie dann, weil sie selbst bemerkte, dass mich die Hexen- und Dämonen-Themen nur runter zogen. Aber das Beverly-Thema war nicht wirklich besser.

„Ähm, nein, noch nicht." Ich erzählte ihr in knappen Sätzen, was zwischen Beverly und mir momentan los war und erwähnte, wie seltsam sich meine Freundin mir gegenüber verhielt.

„Hast du Bev denn schon gefragt, was los ist?", hakte Addie nach, sobald ich ihr meine Beverly-Beziehungskriese fertig erläutert hatte.

Ich lachte auf. „Hast du mir überhaupt zugehört? Sie redet nicht mit mir. Wenn ich sie frage, was los ist, bekomme ich die Standardantwort: Nichts! Und einen genervten Blick inkludiert."

Addie lachte. „Wenn du das Problem nicht bei den Wurzeln packen willst, kann ich dir auch nicht helfen, Bruderherz."

„Bei den Wurzeln packen", grummelte ich und beschloss, dass sie mir auch nicht weiterhelfen konnte. Da würde ich alleine durch müssen.

„Besuch mit ihr ihre Tante", meinte Addie sanft, als ich nichts mehr antwortete. „Vielleicht lockst du Bev so aus ihrem Schneckenhaus."

„Ja, vielleicht." Das Problem war nur eben, dass wir in Schottland waren und nicht in Irland, wie Addie immer noch dachte. Kurzerhand fasste ich einen Entschluss.

„Ads, wir sind nicht in Irland. Wir sind in Schottland." Chase und Trish würden mich umbringen. Wir hatten einstimmig beschlossen, Addie gegenüber nichts zu erwähnen. Und die Reaktion meiner Schwester war in etwa die, die ich erwartet hatte.

„Was?!", rief sie aus. „Warum? Seit wann? Was ist passiert? Und warum erfahre ich das jetzt erst?!"

„Beruhige dich, denk an die Glückskekse. Aufregung ist nicht gut für die beiden."

„Aidan!"

Ich seufzte und begann ihr zu berichten, dass wir Arthur getroffen hatten und er uns nach Schottland gelotst hatte. Sie quetschte mich über Corona aus, und ich erzählte schadenfroh von Brikeena und Trish. Addie amüsierte sich prächtig darüber. Die ganzen schaurigen Details ließ ich trotzdem weg. Addie musste wirklich nicht wissen, was hier abging, denn sie lebte ihr halbwegs normales Leben in Fresno weiter. Sie hatte genug mit den beiden Würmchen in ihrem Uterus zu tun. Sie musste sich nicht mehr mit Gefahren und verrückten, mordlüsternen Menschen herumschlagen. Und das wollte ich ihr auf keinen Fall wegnehmen.

~~ ~~

„Soll ich fragen?" Ich war mehr als verwirrt, als ich Beverly's Zimmer betrat und sie und Trish in monströsen, extravaganten Kleidern durchs Zimmer hüpften und lachten. Natürlich freute ich mich, meine Freundin wieder mal lachen zu sehen, aber dieses Bild war einfach zu... absurd. Außerdem schien ihre gute Laune wie weggeblasen, als sie mich sah. Sie wandte den Blick ab und mir schien es, als hätte ich mit dem Betreten ihres Zimmers einen grauen Schleier über sie gelegt. Oder, als hätte ich die Sonne und gute Laune verscheucht.

Vielleicht liegt es doch an dir.

„Brikeena hat uns Kleider für die Hochzeit morgen gezaubert", klärte Trish mich lächelnd auf.

„Aha." Skeptisch betrachtete ich das grüne, weite Kleid, in dem Trish durchs Zimmer tanzte. „Ihr geht so auf eine Hochzeit?"

„Müssen wir anscheinend." Sie zeigte mit dem Zeigefinger erst auf Beverly und dann auf mich. „Und wenn ich mit Brikeena durch das Labyrinth muss, dann geht ihr auch!"

„Wieso durchs Labyrinth?"

„Ach, nichts", unterbrach Beverly ohne mich anzusehen, bevor Trish erklären konnte, wovon sie gesprochen hatte.

Trish sah unsicher zwischen Bev und mir hin und her. Letztendlich blieb ihr Blick an mir hängen. „Anscheinend haben Hexen einen Brauch. An Hochzeiten gehen Leute durch das Labyrinth hinter dem Schloss, und wenn sich ein Pärchen innerhalb einer Stunde findet, ist es für einander bestimmt, oder so."

Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Und das machst du mit Brikeena? Ich war doch höchstens zwei Stunden weg..."

„Nicht freiwillig!", verteidigte sie sich. „Wir werden einander ohnehin nicht finden, ich weiß nicht, warum sie mich da hineinschleppen will. Aber wenn ich gehe, dann geht ihr zwei auch", sagte sie noch einmal bestimmt. Sie raffte ihr Kleid hoch und machte sich auf den Weg zur Türe. „Brikeena muss das Kleid enger machen und sie ist vor fünf Minuten wieder auf ihr Zimmer gegangen. Hoffentlich hat sie diesmal was an..." Ziemlich verstört blickte ich in Trish's Richtung, weil ich mich fragte, was zum Teufel ich verpasst hatte, aber diesmal fragte ich nicht nach. „Wir sehen uns später!" Sie winkte uns zu und schloss die Türe hinter sich. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie Bev und mich alleine gelassen hatte, damit wir reden konnten. Aber irgendwie wünschte ich, sie hätte es nicht getan.

Einen Moment lang standen wir einander schweigend gegenüber, bis Beverly sich unruhig zu ihrem Kleiderschrank drehte und nach etwas suchte. Vermutlich nur, damit sie mich nicht noch länger ansehen musste.

„Doch kein Reifrock?", versuchte ich die Stimmung aufzulockern.

„Was?" Verwirrt zog sie die Augenbrauen zusammen, aber sie sah mich wieder nicht an. Ich bewegte mich auf ihr Bett zu und lehnte mich mit der Schulter gegen den Holzpfosten.

„Du hast gesagt, dass du auf Hochzeiten ein Kleid mit Reifrock tragen wirst, damit du darunter eine Jogginghose anziehen kannst."

„Ach so, das..."

Ich setzte mich aufs Fußende des Bettes und wartete darauf, dass Beverly sich umdrehte, aber sie tat es nicht. Zwar wusste ich, dass sie Kleider abgrundtief hasste, aber ich fand, dass sie wunderschön darin aussah. Es war zwar nichts, in dem ich sie gerne jeden Tag gesehen hätte, weil ich fand, dass sie in Jogginghosen und Shirt total süß aussah, aber ich ertappte mich trotzdem bei dem Gedanken, mit ihr auf diese Hochzeit zu gehen. Na gut, okay, der Gedanke dieses Kleid von ihrem Körper zu streifen schoss mir auch einen Moment lang durch den Kopf. Und dieser Gedanke gefiel mir. Nur sie schien er nicht sonderlich zu reizen.

Nach guten zwei Minuten, in denen sie nur ziellos in ihrem Schrank gewühlt hatte, seufzte ich. „Können wir reden?"

„Ein besserer Zeitpunkt ist dir nicht eingefallen?"

„Nenn mir einen." Liebend gerne hätte ich ihr Zimmer zu einem Zeitpunkt betreten, der ihr auch genehm war, aber einen solchen gab es nicht mehr und mir blieb nichts anderes übrig, als sie damit zu konfrontieren.

„Wenn ich kein Ballkleid anhabe, zum Beispiel", erwiderte sie schnippisch.

„Dann zieh dich doch um", entgegnete ich ungerührt. „Du stehst seit fünf Minuten vor deinem Schrank, irgendwas wirst du in der Zeit doch wohl gefunden haben."

Sie stützte sich mit einer Hand an der Seite des Schrankes ab und drehte den Kopf zu mir. „Gut. Dann rede."

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Was ist los mit dir?", fragte ich mit zusammengekniffenen Augen. „Warum willst du mich hier nicht mehr haben? Hab ich irgendwas getan, das dich wütend gemacht hat?"

„Nein", brummte sie und drehte sich wieder um, kramte aber nicht mehr in den Fächern herum, was meine Vermutung bestätigte, dass sie einfach nicht mit mir reden wollte. Dass sie mich nicht einmal mehr ansehen wollte.

„Bev, ich gehe hier nicht weg, bis du mir gesagt hast, was los ist." Demonstrativ rutschte ich auf ihrem Bett nach oben und verschränkte die Arme vor der Brust.

Wütend stieß sie den Atem aus und drehte sich wieder zu mir. „Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?"

„Wieso bist du so unfassbar stur?"

„Keine Ahnung, wieso schneidet Trish dir die Haare?"

Einen Moment lang wusste ich nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ich saß einfach nur da und überlegte, ob sie diese Frage gerade wirklich gestellt hatte. Aber sie funkelte mich so anklagend an, dass ich mir sicher war, mich nicht verhört zu haben.

„Was ist dein verdammtes Problem, Beverly?", fragte ich dann sauer und kletterte wieder von ihrem Bett. „Seit wann stört es dich, dass ich Zeit mit Trish verbringe?"

„Es stört mich nicht!"

„Warum benimmst du dich dann so?"

„Keine Ahnung!", rief sie. „Ich weiß es nicht, okay?" Wieder drehte sie sich zu ihrem Schrank und ich hätte sie am liebsten an den Armen gepackt und herumgerissen, damit sie mir in die Augen sehen und die Wahrheit sagen musste. Aber ich riss mich zusammen und atmete leise durch.

„Es ist eine einfache Frage", begann ich ruhig. „Was stört dich? Warum bist du so sauer?" Die letzten Tage war ich jedes Gespräch und jede Situation durchgegangen. Was ich getan und gesagt hatte. Was ich nicht getan und gesagt hatte und vielleicht hätte tun oder sagen sollen. Was sie getan und gesagt hatte. Ob mir irgendwelche völlig offensichtlichen Zeichen entgangen waren. Aber ich war auf nichts Auffälliges gestoßen. Und das machte mir Angst, denn sie wollte es mir nicht sagen und solange sie das nicht tat, konnte ich nichts an der Situation ändern.

„Sag es mir doch einfach", versuchte ich es weiter, beinahe verzweifelt.

„Würdest du dich von Trish fernhalten, wenn ich dich ernsthaft darum bitten würde?", fragte sie plötzlich und ich glaubte schon wieder mich verhört zu haben.

„Hast du sie noch alle?", brachte ich gerade noch hervor. „Du willst, dass ich mich von ihr fernhalte?"

Sie drehte sich um. „Nein. Es war eine rein hypothetische Frage."

Ich nickte langsam. „Rein hypothetisch würde ich dir sagen, dass du einen Vollknall hast, aus dem Zimmer gehen und die Türe zuschlagen, damit das klar ist."

Sie schüttelte den Kopf und lachte auf. „Du sagst, du willst ernsthaft reden, aber das willst du gar nicht!"

„Ernsthaft?!" Ungläubig lachte ich auf. „Was ist daran ernsthaft, wenn du hypothetisch von mir verlangst, mich von einer meiner besten Freunde fernzuhalten, weil du mir nicht sagen willst, was das Problem ist!" Ich versuchte meinen Wutpegel wieder ein bisschen zu senken. „Seit wann stört es dich, dass ich mit Trish Zeit verbringe? Bist du eifersüchtig?"

„Nein!", wehrte sie ab und rieb sich verzweifelt die Stirn. „Vielleicht! Es ist... Ich weiß nicht, was es ist!"

„Okay, dann helfe ich dir mal aus, die Situation ein bisschen klarer zu sehen: Ich mag Trish nicht so, wie ich dich mag. Aber ich mag unsere Gespräche. Und ich mag es, wenn sie mich berührt, weil du es nicht mehr tust!" Sofort bereute ich es, diese Worte gesagt zu haben, doch ich hatte sie ausgesprochen, bevor mir deren Bedeutung überhaupt klar gewesen war.

Ich musste daran denken, dass mir ihre Hände in meinen Haaren einen wohligen Schauer über den Rücken gejagt hatten. Den hätte eigentlich Beverly verursachen sollen, aber sie hatte besseres zu tun gehabt. Mich zu ignorieren, zum Beispiel.

„Willst du Sex mit anderen Frauen?", fragte sie gerade heraus. Um ehrlich zu sein, war ich noch sehr weit von dem Punkt entfernt, mit irgendjemandem außer Beverly schlafen zu wollen, aber es verletzte mich, dass sie es überhaupt in Betracht zog.

„Vertraust du mir wirklich so wenig?"

Einige Sekunden starrte sie mich einfach nur an. „Bin ich nur für dich da, um dir körperliche Gefälligkeiten entgegen zu bringen?"

„Nein, verdammt, wieso denkst du das?" Gut, meine Worte vorhin waren vielleicht etwas ungeschickt gewählt gewesen, aber wie konnte ein Gespräch, das dazu dienen sollte, uns zu versöhnen, in die komplett falsche Richtung gehen und auf ein Thema zusteuern, das gar nicht Thema hätte sein sollen?!

„Ich bin nicht verliebt in Trish", sagte ich und sah Beverly fest in ihre braunen Haselnussaugen. „Ich bin nicht verliebt in sie. Ich war nie verliebt in sie und ich will auch nichts von ihr, ich will dich! Aber wie immer kann ich dich nicht haben, weil du wegläufst."

Sie sah mich ungläubig an und lachte auf. „Ich laufe weg?"

„Ja!"

„Wovor laufe ich denn bitteschön weg?!"

„Sag du es mir!" Ein paar Sekunden standen wir einander geladen gegenüber und hatten anscheinend den Punkt erreicht, den wir schon vor Tagen hätten erreichen sollen. „Du läufst vor mir weg", sagte ich und versuchte, nicht ganz so verletzt zu klingen, wie ich es war. „Wie du es schon so oft getan hast. Du läufst ständig vor mir weg. Ich weiß nur nicht, wieso."

Das war es, was mich so störte. Durch den Streit konnte ich endlich in Worte fassen, warum ich so verzweifelt war. Weil Bev vor mir weglief und ich nicht die Ausdauer hatte, sie wieder einzufangen. Vielleicht wollte sie ja auch gar nicht gefangen werden. Aber dann war es verdammt nochmal Zeit, mir das zu sagen.

„Ich weiß nicht, wieso du vor mir wegläufst", wiederholte ich niedergeschlagen.

Stumm stand sie mir gegenüber. Ich konnte ihr beinahe ansehen, dass jede Zelle ihres Körpers versuchte zu leugnen, was sie längst wusste, bis sie den Blick senkte und sich im Stillen eingestand, dass ich recht hatte.

Erschöpft sah sie mich an. „Ich auch nicht."

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