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Aidan
Noch nie hatte ich mir so sehr gewünscht, dass das Fieber zu meiner Freundin zurückkommen und sie einfach den Tag durchschlafen lassen würde. Dann wäre mir das Gespräch mit Beverly bestimmt erspart geblieben. Nach dem Frühstück war sie schnell auf ihr Zimmer geflohen, um zu packen, denn heute Nachmittag würde uns ein Fischer, den Beverly mit ein paar hundert Mäusen bestochen hatte, nach Deenish bringen. Sie folgte Felicity's Anweisungen, nur hatte ich das Gefühl, dass sie umso angespannter wurde, je näher wir dem Ziel kamen.
Ich klopfte an ihre Türe. „Für Trish und Aidan: Nein."
„Witzig", entgegnete ich und trat in ihr Zimmer. Sie stand vor ihrem Kleiderschrank und zog die Pullover von den Kleiderhaken. „Sei nicht sauer auf Trish", sagte ich, schloss die Türe hinter mir und setzte mich auf ihr Bett.
„Ich bin sauer auf sie", meinte sie, ohne mich anzusehen.
„Warum? Sie hätte es mir nicht sagen müssen, wenn du es getan hättest. Warum hast du es nicht getan?"
„Weil..." Sie brach ab, denn sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Ich muss mich doch wohl nicht rechtfertigen. Wenn ich dir etwas nicht sage, dann hat das seinen Grund. Es war meine Entscheidung und mir da reinzupfuschen ist nicht ihre Aufgabe!" Sie warf ihre Kleidung in den offenen Koffer, der auf dem Boden neben dem Bett lag.
„Gut, das versteh ich, aber sie hat es mir erzählt, weil du plötzlich verschwunden warst und ich mir Sorgen gemacht hab", warf ich ein und legte den Kopf schräg, weil sie mit einem Mal so ruhig vor dem Schrank stand, den Rücke zu mir gekehrt.
„Hör auf, dir Sorgen um mich zu machen. Ich bin kein kleines Kind. Ich werde doch wohl wissen, was ich mir zutrauen kann und was nicht."
„Bist du dir da sicher?", fragte ich beinahe provokant. „Das letzte Mal, als wir Sex hatten-"
„Das einzige Mal", unterbrach sie mich bitter und drehte sich mit anschuldigendem Blick zu mir. „Danach wolltest du mich nicht mehr." Sie griff nach ihren Hosen und schmiss sie auf den Pulloverhaufen.
Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. „Hör auf, das zu sagen, das stimmt nicht. Aber deine Panikattacke hat doch nur mehr als deutlich gemacht, dass du letztes Mal nicht bereit warst."
„Jetzt spielst du also nicht nur meinen Beschützer, sondern auch meinen Psychiater? Klasse!" Sie lachte kühl auf.
„Du benimmst dich echt lächerlich."
„Nein, du benimmst dich lächerlich!", schoss sie zurück und fuhr sich aufgebracht durch die Haare. „Siehst du, deshalb hab ich dir nichts davon erzählt! Weil ich nicht wie ein zerbrechlicher Glasbehälter behandelt werden will. Weil ich selber entscheiden will, was wir machen und wann und wie weit wir gehen, aber das kann ich jetzt nicht mehr, weil du glaubst, mir diese Entscheidung jedes Mal abnehmen zu müssen!"
„Bev-"
„Lass mich jetzt in Ruhe!" Sie drehte sich wieder zu ihrem Schrank und sammelte ihre T-Shirts und Socken ein. Ich beschloss, sie fürs erste wirklich in Ruhe zu lassen, bevor sie ihre Hexenkräfte entdecken und meinen Kopf explodieren lassen würde, und ging wieder auf mein Zimmer. Dort fand ich Trish, die zerknirscht am Fenster stand und auf mich zu warten schien. Ihr schuldbewusster Ausdruck machte nur allzu deutlich, dass sie mit ihrem dämonischen Supergehör die Diskussion zwischen Beverly und mir mitverfolgt hatte.
„Ich wollte euch echt keine Probleme machen..."
Ich hob abwehrend die Hand. „Ich bitte dich, das ist doch nicht deine Schuld."
„Doch, irgendwie schon."
Ich beschloss, Beverly's Beispiel zu folgen und ebenfalls meine Sachen zu packen. Vermutlich deshalb, weil ich mich beschäftigen musste. „Sie kriegt sich wieder ein, sie ist nur-"
„Gestresst", beendete Trish meinen Satz und nickte. „Ich weiß."
Ich hob den Koffer von meinem Kleiderschrank und legte ihn auf dem Boden ab. „Sie ist nicht sauer auf dich. Nicht wirklich." Wenn überhaupt, dann war sie wütend auf mich, aber damit konnte ich leben. Auch, wenn ich mir nicht sicher war, ob diese Wut gerechtfertigt war. Ich hatte in den letzten Wochen und Monaten auch nicht wenig mitmachen müssen, aber deshalb ließ ich meine Wut nicht-... Okay, an der Stelle stoppen wir mal, denn dieser Satz hätte eventuell in einer Lüge geendet. Trotzdem.
Trish stieß sich vom Fenster weg und setzte sich neben den Koffer auf den Boden. „Geht es dir gut?"
Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Wie kommt es, dass wir uns diese Frage ständig stellen und die Antwort immer gleich bleibt? Wann kommt der Punkt, an dem wir sagen können: Mir ging es noch nie besser?"
Sie runzelte die Stirn und spitzte die Lippen. „Tja, also, wenn wir versuchen würden, die Geschehnisse der letzten Monate in eine Mind-Map einzutragen, hätten wir einen tollen Leitfaden für einen Roman, oder?"
„Ein paar richtig fette Romane", murmelte ich kopfschüttelnd.
Beverly war von den Toten auferstanden, ich hatte herausgefunden, dass ich ein Hybrid war und eine Zwillingsschwester hatte. Besagte Zwillingsschwester hatte meine Ex-Freundin, Fabiana, umgebracht. Trev hatte einen Autounfall gehabt, woraufhin Addie einen Deal mit ihrem Dämon abgeschlossen hatte, um Trev vor dem Tod zu bewahren. Sie hatte sich mit Vaya verbunden und war jetzt wohl auch so etwas wie ein Hybrid. Ach ja, und ihre genetisch bedingte Krankheit, die sie daran gehindert hatte, wieder schwanger werden zu können, hatte sich durch die Verbindung in Luft aufgelöst und jetzt erwartete sie ein Kind von einem Kerl, der sauer war, weil sie sein Leben gerettet hatte und er Tote sehen konnte. Nicht zu vergessen hatte Addie Jo umgebracht. Trish hatte irgendwann im Laufe der Geschehnisse auch ihre eigene Mom abgestochen und hatte aus den Staaten verschwinden müssen, was wohl einer der wenigen Gründe war, weshalb sie überhaupt mit nach Irland gekommen war. Beverly hatte herausgefunden, dass sie eine Hexe war und konnte sich seit einigen Wochen an fast jedes Detail ihrer Entführung erinnern, aber sie redete nicht mit mir darüber.
Und bei all diesen Dingen blieb mir ehrlich gesagt nur eine Frage: Wann würde Chase sein Fett wegbekommen? Ihm schien es immer prächtig zu gehen.
Vielleicht liegt das am Alkohol?
„Ich meine ja nur...", begann Trish. „Es ist eine Menge passiert. Hast du das überhaupt schon alles verdaut?"
„Kann man sowas denn verdauen?" Sie rollte mit den Augen. „Was ist mit deiner Mom? Hast du das schon verarbeitet?"
Sie stieß den Atem aus. „Das kann man nicht vergleichen."
„Doch, schon." Ich hatte einfach keine Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Das Privileg hatte ich schon seit einer geraumen Zeit nicht mehr. Ständig war ein Gedanke in meinem Kopf, der so beängstigend war, dass für das Verarbeiten von Vergangenem einfach kein Platz blieb. Den Schlafmangel nicht zu vergessen. Aber den hatten wir wohl ohnehin alle. Man kann einfach nicht schlafen, wenn man absolut nicht weiß, was die Zukunft für einen bereithält. Klar, das kann man nie wissen, aber die meisten Menschen haben zumindest einen Plan. Was hatten wir schon?
In ein paar Jahren würde ich vermutlich in der Klapsmühle sitzen, weil ich wegen unterdrückter Emotionen und nicht verarbeiteten Ereignissen Depressionen und Angststörungen entwickeln würde.
„Du musst drüber reden", sagte Trish.
„Muss ich das? Was soll das bringen? Mir geht es gut."
„Ich kann hören, dass du lügst."
„Mir geht es noch gut." Diesmal sagte sie nichts, sondern betrachtete mich nur zweifelnd. „Aber ich kann dir versprechen, dass es mir nicht mehr gut gehen wird, sobald ich anfange über all das nachzudenken, was passiert ist."
„Es wird dich einholen", sagte sie. „Wahrscheinich früher als du denkst, und dann-"
„Du nervst."
„Sollte es mich verletzen, dass du grade die Wahrheit gesagt hast?"
Ich ging zu meinem Kleiderschrank, um die letzten paar Klamotten in meinen Koffer zu schlichten.
„Hör zu, ich hab wirklich keinen Nerv dafür, um die ganze Scheiße aufzurollen. Bev ist sauer auf mich und wir müssen sehen, dass wir auf diese Hexeninsel kommen und herausfinden, was hier los ist. Ich kann nicht für sie da sein und gleichzeitig mit dem Tod meiner Ex-Freundin und Zwillingsschwester abschließen." Und im Moment war Beverly meine Priorität. Sie war in den vergangenen Wochen für mich da gewesen, und jetzt hatte sich die Situation umgedreht. Sie brauchte mich.
Damit war das Thema für mich beendet und ich packte schweigend weiter. Nach ein paar Minuten, in denen ich so getan hatte, als sei Trish nicht anwesend, stemmte sie sich hoch. „Na schön, ich sollte wohl auch packen. Wir treffen uns in einer Stunde unten?" Ich nickte.
~~ ~~
„Warum sitzt ihr so rum, wie sieben Tage Regenwetter?", fragte Trish, als wir eine Stunde später nach unten zu dem Tisch steuerten, an dem Beverly und Chase nebeneinander saßen.
„Weil genau das das Problem ist", murrte Beverly, ohne aufzusehen. „Unser Bootsführer bringt uns nicht nach Deenish. Zu hohe Wellen und es regnet zu stark."
Ich ließ mich ihr gegenüber fallen. „Ist vielleicht besser. Hast du Deenish mal im Internet gegoogelt? Die Population liegt bei null."
„Irgendwas muss da sein, sonst wäre Felicity nicht so sehr davon überzeugt gewesen, dass es dort Leute gibt, die uns-"
„Warum vertraust du ihr so sehr?", unterbrach ich ihre überzeugte Rede. Sie blinzelte mich ungläubig an.
„Also, wenn dir jetzt Zweifel kommen, kann ich dir auch nicht helfen. Du hättest vor zwei Wochen aussteigen können, als mir dein Flugticket in den Schoß geplumpst ist."
„Das Eine hat absolut nicht mit dem Anderen zu tun", gab ich verärgert zurück.
„Darf ich die Damen kurz unterbrechen?", fragte Chase angespannt. „Ich will dich ja nicht beunruhigen, Bevy, aber du wirst beobachtet."
Beverly senkte den Blick. „Weiß ich, ich bin nicht blöd. Hab ich heute Morgen schon bemerkt."
„Dann bist du doch blöd", entgegnete Chase. „Der Kerl beobachtet dich, seit er dich zum ersten Mal hier gesehen hat. Jedes Mal, wenn wir hier sind. Selbst als du krank warst und nicht hier gegessen hast, hat er uns beobachtet und eindeutig darauf gewartet, dass du wieder auftauchst."
Beverly funkelte ihn wütend an. „Und das sagst du mir jetzt erst?"
Er zuckte mit den Schultern. „Du sagst doch immer, du kannst auf dich selbst aufpassen."
„Moment, wovon redet ihr?", fragte Trish dazwischen und sprach damit meine Frage aus. Chase beugte sich über den Tisch.
„Sieh nicht hin, aber in der hinteren Ecke sitzt ein Kerl, der Bevy Zuckerwatte verkaufen will."
„Lass die blöden Sprüche", knurrte Beverly. „Glaubst du, weiß er was über mich?"
„Naja, vielleicht steht er auf dich. Es soll Menschen geben, die ihre Zuneigung über exzessives Beobachten äußern." Beverly rollte mit den Augen und Chase grinste. „Gut zu wissen, dass dir die Vorstellung, jemand könnte dich attraktiv finden, genauso fern liegt, wie mir."
„Chase", mahnte ich, woraufhin er mürrisch die Klappe hielt. Seine Worte trafen Beverly nicht, das wusste ich, aber mich störte es, wenn er so mit ihr redete, auch wenn es nur aus Spaß war.
„Ich werd nach draußen gehen", sagte Beverly plötzlich, ohne auf Chase' Kommentar einzugehen, aber jetzt war ihm auch nicht mehr nach Herumalbern zumute.
„Bevy, mach das nicht, das könnte sonst jemand sein", zischte er, während sie den Stuhl zurückschob, aufstand und sich die Regenjacke, die über der Lehne hing, überzog. „Bev!"
Aber sie zog sich lediglich die Kapuze über, marschierte eilig zum Ausgang und trat in den strömenden Regen.
„Ich bin verwirrt, was hat sie vor?", fragte Trish höchst irritiert.
„Sich in Schwierigkeiten bringen, wie immer." Chase fixierte einen Punkt hinter meiner Schulter und nach ein paar Sekunden drehte ich mich um. In der hintersten Ecke saß wirklich ein junger Mann, der seinen Blick auf den Eingang gerichtet hatte.
„Was will sie denn bezwecken?", hakte Trish nach.
Jetzt stand der Unbekannte auf und ging ebenfalls zum Ausgang.
„Genau das", knurrte Chase, unüberhörbar wütend auf Beverly's Leichtsinn, und stand auf. „Verdammt!"
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