Wiedersehen
(Jenna POV)
„Wo wirst du hingehen, Schwester?“, fragend wand sich der junge blonde Mann an seine ebenfalls hellhaarige Schwester, die jedoch nur unschlüssig mit den Schultern zuckte.
„Wohin mich der Weg auch führen mag. Ich werde die Weiten außerhalb dieser Stadt erkunden, Völker besuchen. Ich wollte schon immer die Zwergenstädte und Menschensiedlungen mit eigenen Augen sehen. Diese Stadt engt mich ein. Diese ständige Gefangenschaft ist keine Freiheit. Ich muss hier raus.“
Ich sah das Leuchten in ihren grünen Augen, während sie von ihren bevorstehenden Abenteuern sprach.
„Und du bist sicher, dass ich dich nicht begleiten soll“, besorgt war Glorfindel stehen geblieben und hatte sich seiner einzigen Schwester zugewandt.
„Dein Platz ist hier, Bruder. Du gehörst zu dieser Stadt und zu Lord Turgon. Er braucht dich und die anderen Häuser. Sorge dich nicht um mich, ich werde zurückkehren“, versprach sie und lächelte. Ihrem Bruder fiel es nicht so leicht den einzigen von seiner Familie noch verbliebenen Teil gehen zu lassen. Als er beobachtete wie sie auf ihrem Pferd in der Ferne immer kleiner wurde, fragte er sich, ob er sie jemals wiedersehen würde.
Wie auch die junge Elbin auf ihrem Reittier in der Ferne immer kleiner wurde, verschwamm die Umgebung in einem undurchsichtigen Nebel. Einzig die blauen Augen und das wehmütige Lächeln des jungen Elben blieben zurück.
„Wie lange ist sie nun schon fort?“, Glorfindels Kopf schnellte herum zu seinem treuen Freund Ecthelion. Der Schwarzhaarige gesellte sich zu ihm und riskierte wie mein Onkel einen Blick über die weiten Wiesen in die Ferne.
„Etwa drei Jahre“, erwiderte Glorfindel und seufzte.
„Es ist verständlich, dass du dir Sorgen machst. Aber ich weiß, dass sie wohlbehalten zu dir zurückkehren wird und ihre Erfahrungen, die sie gemacht haben wird, werden uns alle erfreuen. Sie hat doch so lange davon gesprochen, dass sie die verborgene Stadt verlassen möchte. Aber, dass sie nicht zurückkehren würde, war nie ein Thema.“
„Außer ihr ist etwas zugestoßen. Orks und andere Wesen treiben ihr Unwesen. Selbst vor den Söhnen Fëanors ist man nicht mehr sicher. Wie soll ich mir dann keine Sorgen machen?“, wand der Herr des Hauses der Goldenen Blume ein.
„Wer hat ihr denn das Kämpfen beigebracht?“, lachend klopfte Ecthelion seinem Freund auf die Schulter.
„Das warst du und du warst es auch, der niemals den Glauben an sie verloren hat. Sie ist eine Kämpfernatur und dafür habe ich sie immer bewundert. Sie wird zurückkommen, du wirst sehen. Du musst nur Geduld haben. Wenn sie zurückkehrt wird sie immer noch deine Schwester sein, so wie sie damals war.“ Plötzlich hielt Ecthelion inne und seine Augen weiteten sich.
„Vielleicht auch nicht ganz“, gab er überrascht zu. Seiner Blickrichtung folgend drehte sich mein Onkel nach links. Dort, den Lauf eines Baches folgend, entdeckte er eine Gestalt auf die Stadt zukommen. Es war seine Schwester. Ohne Zweifel. Wortlos ließ er seinen Freund auf der Terrasse stehen, die er als Aussichtspunkt genutzt hatte. Eine schmale Treppe zur Wiese huschte er hinab, übersprang die letzten Stufen einfach und rannte auf seine Schwester zu.
Diese, als sie die Schritte hörte, blickte auf und ein breites Lächeln zierte ihre Lippen.
Er fragte sich nicht wo das Pferd seiner Schwester geblieben war. Tiere stolperten, brachen sich ein Bein, wurden Opfer eines Wildtieres. Das interessierte ihn nicht. Seine Schwester war zurück, gesund und nicht alleine. Das Bündel in ihren Armen entfachte erst seine Aufmerksamkeit, als er beinahe bei ihr angekommen war. Verdattert blieb er stehen und starrte noch immer darauf, als seine Schwester direkt vor ihm stand. Es war als wäre es ein unliebsamer Fremdkörper für ihn. Sie jedoch lächelte voller Glück, als er vorsichtig die Hand hob und einen Teil des Stoffes entwickelte.
Er konnte nicht glauben was er dort zu sehen bekam, schließlich hatte sich seine Schwester stets dagegen ausgesprochen. Jetzt jedoch blickten ihm zwei kugelrunde, griftgrüne Augen entgegen. Wissbegierig sahen sie direkt in sein Gesicht. Er strich dem Kind durch den roten Haarflaum.
„Sie heißt Almariel“, erklärte sie.
„Du bist Mutter!“, stellte Glorfindel fest, was ihr ein Kichern entlockte.
„Ja bin ich und du bist von nun an Onkel. Ich habe dich vermisst, Bruder.“
„Ich dich auch, sehr. Du überrascht mich ja wirklich sehr, aber sie ist perfekt“, damit schloss er seine Schwester und das kleine Kind in seine Arme. Sie schluchzte vor Freude und genoss die Nähe ihres Bruders.
„Wer ist denn der Vater der Kleinen?“, fragte Glorfindel leise und sah auf das Baby hinab, das mit einer seiner goldenen Locken zu spielen versuchte, nachdem es das Stofftier als unwichtig empfunden hatte.
Ein Klopfen riss mich aus meinem Traum.
„Jenna!“, tönte eine allzu bekannte Stimme vor der Tür. Noch halb im Traum versunken und nicht ganz Herr meiner Sinne, gab ich ein Herein von mir. Jemand erstürmte das Zimmer und ehe ich mich versah, warf sich derjenige auf mich, sodass ich zurück in das große Kissen flog. Schmerzvoll schnappte ich nach Luft.
„Was? Wer? Wo?“, stammelte ich und rieb mir ein paar Mal durch die Augen.
„Endlich habe ich dich gefunden! Dir geht es gut. Mann bin ich froh. Wer hätte auch ahnen können, dass ich irgendwo bei Gondor wieder rauskomme“, grummelte sie leise.
„Wenn du sie noch fester drückst, dann bin ich mir nicht sicher, ob es ihr weiter gut gehen wird“, merkte jemand anderes an. Der dunklen Stimme nach ein Mann, den ich auch irgendwo her zu kennen schien.
„Ich habe mit Herr Elrond gesprochen. Sie kam schwer verletzt und bewusstlos hier an. Die Wunden heilen, aber langsam“, fuhr er erklärend fort.
Langsam schärfte sich meine Sicht und ich richtete mich behutsam auf. Mein Rücken gab dabei Geräusche von sich, die nicht gerade gesund klangen, doch meinen Schmerzen unheimlich gut taten. Erleichtert seufzte ich auf und sah dann das erste Mal richtig zu den Störenfrieden. Für einen Moment setzte mein Herz aus, als ich erkannte wer dort vor meinem Bett stand und sich mit ihrem Bruder stritt.
„Kathrin! Jasper? Ihr beide hier?“, platzte es aus mir heraus, unterbrach damit ihre heikle Diskussion.
„Ich fasse es nicht! Wie? Wie seid ihr beiden hierher gekommen? Ich dachte ich wäre die Einzige.“
„Um genau zu sein“, druckste Kathrin herum, ließ ihren Bruder einfach stehen und setzte sich zu mir auf die Bettkante.
„Waren wir die Fremden in deiner Welt. Jasper und ich wurden hier in Arda geboren und eigentlich heißen wir auch anders. Ich bin Tindóme und mein Bruder heißt Erestor, aber die Namen waren für die Erde etwas zu bizarr. Herr Elrond hat uns zu dir geschickt, damit wir auf dich Acht geben.“ Kathrin atmete nach ihrem Redefluss einmal tief durch. Entsetzt starrte ich sie an.
„Was?“, konnte ich nur noch fragen. Zu mehr war ich nicht mehr in der Lage. Meine Gedanken rauchten. So kurz nach dem Erwachen war der Traum noch frisch, der sich von den anderen deutlich unterschied. Und nun gestand mir Kathrin, von der ich gedacht hatte, dass ich ihr vertrauen kann, dass sie nur geschickt wurden, um auf mich aufzupassen.
Ist ihre Freundschaft etwa auch nur gespielt und vorgeschrieben worden?
„Wir haben dir auch noch ein paar deiner Sachen von Zuhause mitgebracht“, fuhr Kathrin zaghafter fort.
„Mom“, murmelte ich leise. Ich vermisste sie so sehr. Es war, als wenn ich niemals wieder zu ihr zurückkehren könnte und das fühlte sich an als wäre sie für mich gestorben. Doch ich wollte sie nicht so einfach verlieren. Sie war die wichtigste Person in meinem Leben und das konnte ich nicht einfach so abhaken.
„Keine Sorge, es geht ihr gut. Sie wird sich keine Sorgen um dich machen.“
„Kathrin!“, warnte Jasper leise.
„Dafür haben wir gesorgt. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen.“
„Tindóme“, zischte Jasper noch eindringlicher, doch seine Schwester schien nicht auf ihren Bruder zu hören. Es war, als würde sie nicht realisieren wie es mir dabei ging.
„Niemand in der anderen Welt wird sich daran erinnern, dass du je dort gelebt hast“, erklärte sie leise.
Niemand erinnert sich an mich? Alle haben mich vergessen?! Sogar meine Mutter.
Mit einem harten Schlag war meine Mom tatsächlich für mich gestorben. Auch wenn ich zurückkehren könnte, irgendwie war es ja auch Kathrin und Jasper gelungen, so würde ich niemals wieder mit ihr sprechen können. Mir ihr als meiner Mutter. Meine Lippen bebten, noch bevor die Tränen in meinen Augen zu glitzern begannen. Selten weinte ich so viel wie in den letzten Wochen, doch diese ganze Situation, all die Neuigkeiten, machten mich fertig. Ich war froh gewesen, dass ich mein Leben endlich wieder langsam auf die Reihe bekommen hatte und dann wurde alles einmal auf den Kopf gestellt.
„Nein“, schluchzte ich verzweifelt und drückte mir die Handflächen auf die Ohren.
„Mom würde mich niemals vergessen!“, rief ich voller Zorn und Verzweiflung.
„Oh nein. Jenna das wollte ich nicht“, bestürzt schlug sich die junge Frau die Hände vor den Mund.
„Das tut mir so Leid. I-ich hätte den Mund halten sollen. Ich war einfach nur zu froh dich gesund zu sehen. Bitte verzeih mir“, flehte sie. Sie wollte nach meiner Hand greifen, doch zuckte erschrocken zurück, als mein kleiner Drache mit einem Fauchen auf das Bett sprang. Beschützend spreizte er die Flügel und zeigte knurrend seine spitzen Zähne. Zitternd lag ich im Bett und verlor lautlos meine Tränen.
„Raus hier. Sofort! Erestor bring deine Schwester aus diesem Zimmer“, donnerte mein Onkel, der im Türrahmen erschienen war. In seiner Wut erkannte man seinen Beschützerinstinkt, wie auch an den Falten, die sich in seiner Stirn zeigten.
Im Gegensatz zu Kathrin ließ mein katzengroßer Drache den blonden Elb an mich herankommen.
„Stimmt es, dass meine Mom sich nicht mehr an mich erinnert?“, fragte ich ihn direkt. Meine Augen waren verquollen und rot. Ich fühlte mich elend und verraten von derjenigen, die ich für meine Freundin gehalten hatte.
„Das weiß ich nicht, aber es ist möglich“, erwiderte Glorfindel.
„Herr Elrond wird es wissen. Ich werde ihn danach fragen“, versprach er und strich mir eine meiner roten Locken aus dem Gesicht.
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