Unliebsame Überraschung
(Jenna POV)
Warum bin ich überhaupt weggelaufen? Das ist doch auch für meine Eltern ein viel zu negatives Zeichnen! Sie werden es falsch verstehen!
So und ähnlich geisterten mir die Vermutungen und Vorstellungen durch den Kopf, die zum Teil auch bildlich kamen. Immer wieder malte ich mir in den verschiedensten Versionen aus, wie die erste Begegnung mit meinen Eltern vonstatten gehen würde.
Aber es kam alles ganz anders. Zwar hatte ich alle Szenarien durchgespielt, aber eines hatte ich dann doch außer Acht gelassen. Als wenn es so abwegig gewesen wäre!
Im Nachhinein hätte ich es mir auch denken können, dass es genauso kommen würde, wie es kam.
Leise hatte ich die Haustür hinter mir geschlossen hatte und über den Holzboden in Richtung Wohnraum schlich, drang bereits das leise Weinen und Schluchzen an mein Ohr. Es brach mir das Herz, ließ mich zusammenzucken und die ersten Tränen drangen in meine Augen. Schuldgefühle plagten mich, dass ich nicht einfach so hätte flüchten sollen, sondern das Gespräch als Lösung hätte wählen sollen.
Mein Mutter saß zusammengekauert auf dem Sofa, gestützt von Dad, der ihren zitternden Körper irgendwie zu beruhigen versuchte. Er sprach auf sie ein, immer wieder, doch es nützte nicht viel.
Erst meine Anwesenheit veränderte die Situation, als ich mit großen, geschockten Augen den hellen, freundlichen Raum betrat. Ich hatte gedacht, dass ich kein Wort zustande bringen könnte, doch nun brach alles aus mir heraus. Jegliche Sorge, alle Gedanken und Fragen, die mich durch ihre Beichte bedrückten.
Einfach alles sprudelte heraus, wie ein Wasserfall dessen Fluss zu viel Schmelzwasser des Frühlings in sich trug.
„Jenna, es tut mir wirklich unendlich Leid, dass wir es dir nie eher beichten konnten. Du bist unsere Tochter und nach der Trennung von deinem Vater, war es für mich noch schwerer. Die Vorstellung, dass du mich dann auch noch verlässt“, meine Mutter stockte, als wir zwei Tage später am Frühstückstisch saßen. Das Thema hatte uns das ganze Wochenende nicht in Ruhe gelassen. Wir hatten viel geredet und meine Eltern waren bemüht gewesen mir alle Fragen zu beantworten.
Ich liebte sie als meine Eltern und dennoch brannte das unbändige Verlangen in mir meine leiblichen Eltern aufzuspüren und in Erfahrung zu bringen, warum sie mich damals zur Adoption freigegeben hatten.
Meine Mutter hatte mir erzählt, dass ich zu dem Zeitpunkt gerade einmal wenige Tage alt gewesen sei und sie kurz zuvor ihr eigenes Kind verloren hatte. Etwas, dass ich nie erfahren hatte und Mitleid tief in mir entfachte. So sehr ich es auch wollte, ich konnte keinen Hass für sie empfinden. Zu gut hatten sie mich wie ihre leibliche Tochter großgezogen.
„Mom, ich bin euch nicht böse darum. Ihr seid meine Eltern und das bleibt ihr auch. Eine bessere Mutter, als dich, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht wünschen können“, erwiderte ich und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Augenblicklich wurden ihre Augen faucht und noch bevor sie aufgestanden und mich in ihre Arme gezogen hatte, flossen die kleinen Freudentränen über ihre Wangen.
„Und ich habe die beste Tochter, die eine Mutter sich nur wünschen kann“, schluchzte sie überglücklich. Permanent strich ihre Hand durch mein rotbraunes Haar. So vergingen die Minuten, in der wir uns innig umarmten.
Wie könnte ich sie nur für eine Mutter verlassen, die mich als Säugling weggegeben hatte und nie auch nur versucht hatte den Kontakt zu mir aufzubauen!
„Mom, ich muss langsam los. Sonst komme ich noch zu spät“, flüsterte ich nach einer geraumen Weile zaghaft und schob sie behutsam von mir weg.
„Ach Gott. Jetzt siehst du deine alte Mom auch noch weinen“, seufzte sie und reichte mir meine Verpflegung für den Schultag.
„Ach Mom, Weinen ist doch kein Unding und alt bist du auch nicht!“, versicherte ich ihr und drückte sie noch einmal liebevoll.
Unsere Beziehung hatte sich in der kurzen Dauer des Wochenendes verändert, aber ich musste mir eingestehen, dass es nicht zum Schlechteren war. Vielmehr achtete ich sie nun. Ich wusste um ihre Stärke, denn sein eigenes Kind zu verlieren, stellte ich mir nicht leicht vor und doch hatten sie mich geliebt wie ihr eigen Fleisch und Blut. Ein Ersatz war ich ebenso nicht. Meine Mom hatte einen Sohn verloren, keine Tochter.
Tief in Gedanken versunken, hatte ich nicht einmal bemerkt, wie Kathrin sich an bekannter Straße zu mir gesellte, voller Frohsinn wie immer. Bisher kannte ich nur ihre gutmütige und ihre wütende Seite. Betrübt war sie nur sehr selten gewesen und das meist dann, wenn wir auf das Thema Familie zu sprechen kamen.
„Alles wieder geklärt bei dir Zuhause?“, fragte die schwarzhaarige Schönheit neugierig und besorgt in gleichem Maße.
„Ja, es ist alles wieder bestens. Es sind ja trotzdem meine Eltern, ich kenne sie ja schließlich mein ganzes Leben lang. Also kein Grund zur Sorge“, ich lächelte und zeigte meine weißen Zähne, die in der Sommersonne aufblitzten.
Es versprach ein schöner, sonniger Sommertag zu werden, denn schon jetzt prallte die Hitze auf unsere Köpfe. Trotz der Hotpants und des Tops, lief mir der Schweiß über die Stirn und rann meinen Rücken entlang.
Umso glücklicher war ich, als wir die Schule erreicht hatten und das klimatisierte Gebäude betraten. Kühle Luft umschlang uns, jedoch war sie gefüllt von den Geräuschen der Schüler, die sich noch lachend und herumalbernd in den Gängen aufhielten. Die Stimmen von Kathrin und mir mischten sich nun unter ihnen.
„Bruh ist das kalt hier“, Kathrin streichelte über ihre Arme, auf der sich aber keine Gänsehaut gebildet hatte. Sie war so rein und glatt wie meine Haut. Manchmal geisterte in mir die Frage, warum ich nie auch nur einen Pickel in ihrem Gesicht entdecken konnte.
„Entweder man fühlt sich hier wie in einer Kühltruhe oder wie in einer Sauna. Ein angenehmes Mittelfeld kennen die hier anscheinend nicht. He Jenna! Hörst du mir überhaupt zu?“
Wild wedelte sie mit ihrer schlanken Hand vor meinem Gesicht herum, riss mich damit rüde aus meinen Gedanken, in die ich unbemerkt gesunken war. Kathrins Vergleich hatte ich deshalb gar nicht mehr mitbekommen.
„Mmh was? Oh entschuldige Kathrin. Meine Gedanken waren einmal wieder zu faszinierend“, ich grinste frech, was sie wiederum nur mit einem Kopfschütteln kommentierte.
„Faszinierender als die Eiswüste hier“, stellte sie fest und wies einladend mit der Hand auf die umliegenden Schülergruppen.
Jetzt lag es an mir den Kopf zu schütteln, sodass meine Wellen hin und her flogen.
„Aber immer doch! Vieles ist faszinierender als die Schule. Das denkst du doch auch“, meinte ich leise flüsternd.
„Oh Gott ja“, stöhnte die junge Frau und fuhr sich durch das rabenschwarze, lange Haar.
„Sag mal, Jenna, warum guckt uns eigentlich jeder an, als hätten wir Clownsnasen aufgesetzt?“, bemerkte Kathrin nach einer Weile. Meine Gedanken hatten mal wieder gedroht mich in ihren fesselnden Bann zu ziehen, sodass mir dieses kleine Detail gar nicht aufgefallen war. Doch jetzt schaute ich genau hin, beobachtete die Schülergruppen, die wir passierten und prompt machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit.
„Du hast Recht, Kathrin. Das ist irgendwie...“
„Ungemütlich“, murmelte sie leise, wo ich ihr nur zustimmen konnte. Etwas an diesen Blicken kam mir bekannt vor und je genau ich die Schüler musterte, desto klarer wurde es mir.
Genau so hatte man mich an meiner alten Schule angestarrt. Manch einer schüttelte leicht den Kopf, als wenn ich einen unverzeihlichen Fehler begangen hätte. Andere warfen mir sogar geschockte Blicke aus großen Augen zu.
Was mir jedoch den Magen endgültig verknotete, war ein Gruppe von Jungen aus einem Jahrgang unter uns.
Bilde ich mir das nur ein oder sind ihre Blicke wirklich so lüstern, als wenn sie mich damit ausziehen könnten! Ach Quatsch, Jenna! Das bildest du dir doch nur ein. Das ist einfach nur ein riesiger Zufall, nichts besonderes.
So und anders, versuchte ich selbst mein aufgeregtes Herz zu beruhigen, das lautstark gegen meine Rippen hämmerte.
Kathrin hatte scheinbar gemerkt, dass ich immer unsicherer geworden war, und griff nach meinem Arm. Schleunigst wollte sie mich aus den Gängen hinaus und in den ersten Unterrichtsraum hineinziehen.
Warum haben die mich alle nur so komisch angeschaut? Was hat sie dazu gebracht? Oh, bitte, ich möchte nicht noch einmal dieselbe schreckliche Zeit, wie damals, durchmachen!
Angst kroch durch meinen Körper, pure Panik vor dem, was mich schon einmal zerstört hatte. Ich wusste nicht, ob ich diese Schmach, diese Gefühle noch einmal durchstehen könnte. Unbewusst klammerte ich mich an Kathrin, meinen kräftigen Fels in der Brandung. Sie gab mir das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, was mir vor wenigen Jahren noch verwehrt gewesen war.
Die Panik lähmte mich wie ein Gift, das mich von innen heraus langsam quälend töten sollte. Man konnte die Gefühle, die ich nun wieder in mir aufkommen spürte, kaum mit Worten beschreiben. Ängste plagten mich, die andere nie verstehen würden. Das Gefühl, alleine mit diesem Problem zu sein, saß noch immer fest in mir, wie ein kleiner Parasit, der seinen Wirtskörper nicht einfach so fallen lassen würde.
„Hallo Jenna!“
Ich zuckte zusammen wie ein verängstigtes Kaninchen, als Caros gehässige Stimme an mein Ohr drang.
Es hätte mir klar sein müssen, dass hinter all dem nur wieder Caro mit ihren Machenschaften stecken konnte! Was hatte ich ihr nur angetan, dass sie mich derartig schikanieren musste? Oder hatte sie vielleicht von Anfang an gemerkt, dass ich sensibel war, dass meine starke Fassade nur Schutz und Schein war, um mein altes stärkeres Inneres langsam zurückzugewinnen?
Egal was es auch sein mochte, es schien Früchte des Erfolgs zu tragen, so stark wie ich zusammenzuckte und die Augen aufriss, als sie mich bloß ansprach.
Es dauerte eine Weile, bis ich mich beruhigt hatte, bis mein Herz normal pochte und ich ihrem frechen, hinterlistigen Grinsen entgegen blicken konnte.
„Warum so schreckhaft Jenna? Weißt du es etwa noch gar nicht?“, fragte Caro. Der überraschte und besorgte Ausdruck in ihrer Stimme glaubte ihr niemand, allen voran ich nicht.
„Was wissen wir noch nicht?“, fragte Kathrin an meiner statt und zog skeptisch die dunklen Augenbrauen in die Höhe.
„Oh das ist ja eine Schande. Ihr beide hättet es doch als Erste sehen müssen“, Caro spielte ihre Show weiter, riss die Augen und den Mund weit auf und schlug sich die Hand davor.
Papier raschelte, während sie ihre Handtasche nach vorne schob und öffnete. Ihre künstlichen Fingernägel griffen nach einem der raschelnden Papiere und zogen es aus der Dunkelheit der Tasche.
„Hier ich will ja nicht so sein. Ihr sollt es ja auch erfahren“, säuselte sie weiter mit zuckersüßer Stimme.
Sie hielt uns das Blatt entgegen, verdeckt, sodass wir die Oberseite nicht sehen konnten.
Zögernd streckte ich die Hand aus, schnappte mir dann aber doch das Blatt Papier, bevor sie es sich anders überlegen konnte.
Zudem war Neugierde in mir erweckt worden. Ich wollte auch wissen, worum so viel Trubel gemacht wurde.
Kaum, dass ich das Blatt in meinen Händen umgedreht hatte, hätte ich meine Entscheidung am liebsten sofort wieder rückgängig gemacht. Geschockt starrte ich auf die Abbildung, die sich in meinen Kopf brannte, wie kein anderes.
„Dieses kleine Bild hat anscheinend irgendjemand an alle Schüler verteilt und ich habe gesehen, dass es auch an der Tür zum Lehrerzimmer hing. Arme Jenna“, seufzte Caro, ihre Augen blitzten giftig. Ein schadenfrohes Grinsen huschte über ihre dunkel geschminkten Lippen.
Das Bild verschwamm als sich Tränen in meinen Augen sammelten, meine Hände zitterten und so taten es meine Beine.
Mein Körper war sich nicht sicher, was er tun sollte. Mein Kopf war sich genauso unklar. Sollte ich mich verteidigen oder fliehen wie ich es schon immer getan hatte.
Jeder Mensch war ein Gewohnheitstier und aus meiner wand ich mich von Caro ab und rannte los.
Meine wackeligen Beine trugen mich durch die Schule. Dass ich so den Unterricht verpasste, interessierte mich nicht. Gar nichts kümmerte mich mehr. Mein Kopf war vollkommen leer gefegt. Nur dieses Bild blitzte immer wieder auf, da brachte es auch nichts, dass ich das Papier wütend zerknüllte und in die Hosentasche stopfte.
Auf meinem fluchtartigen Weg nach draußen, sammelte ich so viele Bilder wie möglich ein und ließ sie zerrupft und zerrissen im nächsten Mülleimer landen.
Die Sonne brannte mir auf den Kopf und schon bald brannte die warme Luft in meinen Lungen. Ich schnappte nach Luft, aber hastete nichtsdestotrotz weiter.
Schluchzend überquerte ich einige Straßen und achtete gar nicht auf die Leute vor mir.
„Warum verschwindet es nicht?“, schrie ich, griff mir an den Kopf und schüttelte diesen.
Dieses Bild! Ein Bild, das mein Leben noch einmal zu zerstören versuchte. Ein Bild, das mich zeigte. Ein Bild, das ich niemals von mir gemacht hätte oder gar verschickt hätte.
Ein intimes Bild von mir. Und ich war es definitiv. Das charakteristische lange rotbraune Haar, das mir in Wellen über den Rücken floss. Die schmalen Hände mit den langen Fingern. Sommersprossen, die sich von meinen Wangen und der Nase über Schultern und Rücken zogen.
Ein Bild aus meinem Zimmer. Gemacht von meinem Fenster aus. Ein Bild, auf dem ich deutlich zu erkennen war. Ein einziges Bild, das mich wieder einmal zerstörte, das meine hart erkämpfte einstmalige Stärke wie ein Abrisshammer wieder zerstörte.
„Warum tut sie das nur?“, schluchzte ich und wurde langsam schwächer. Mein Herz arbeitete auf Hochtouren. Lichtflecken tanzten auf dem Boden des Waldes, den ich bereits unbemerkt erreicht hatte.
Mein Gedächtnis erinnerte mich immer wieder an das Bild. Es hatte einen unsagbaren Schock in mir ausgelöst, mich selbst zu sehen.
So sehr ich auch die Augen zusammenkniff, es verging nicht. Ich erblickte meinen Körper vor mir, so wie er auf dem Bild abgedruckt worden war. Nackt und unbedeckt. So wie ich geboren worden war, nur ein Handtuch in den Händen, das ich gerade im Begriff war auf das Bett zu werfen. Ich musste gerade vom Baden gekommen sein, denn an einigen Stellen meines Körpers hatte noch das Wasser geglitzert.
Und jeder hat mich nackt gesehen!
Ich achtete nicht auf den Weg vor mir.
Ein lauter Schrei hallte durch die Stille der Natur, als sich mein Fuß in einer Wurzel verfing. Ich verlor mein Gleichgewicht und schlug der Länge nach auf den Boden. Schmerz zischte durch mich hindurch, dann wurde alles schwarz und kalt.
Hey :)
Die Osterferien sind leider schon wieder vorbei, aber ich hoffe sie haben euch allen so gut getan wie mir ^^
Auf jeden Fall komme ich durch die Arbeit jetzt wieder etwas seltener zum Schreiben, aber ich versuche es so oft wie möglich :D
Ich wünsche euch allen einen schönen Start in den Mai ^^
Eure Laura
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