Unheil aus der Nacht

(Jenna POV)

„Ich bin doch nie im Leben eine Elbin. Wer hat Ihnen nur diesen Schwachsinn eingetrichtert? Das kann nicht sein, unter keinen Umständen. Ich bin doch nicht blöd. Manchmal mag ich zwar ein wenig abgekapselt in meiner eigenen kleinen Welt sein und mich mit Tagträumereien in eine bessere Welt versetzen, das gebe ich ja zu, aber ich hätte nie im Leben übersehen, dass ich verdammt spitze Ohren habe!“, entrüstet schnaubte ich vor mich hin.
Ich wollte es immer noch nicht für Wahr halten, ich konnte es einfach nicht. Es war zu bizarr um wahr zu sein. Mittelerde gab es nicht, Orks und Drachen gab es nicht, ebenso wenig existierten Hobbits, Zauberer, Maiar oder sonst irgendwelche magischen Kreaturen. Besonders keine Elben mit langen spitzen Ohren und federleichtem unbeschwerten Gang.

Gegenbeweise waren nur leider er mit seinem grazilen federleichten Gang, seinen langen, magisch schimmernden Haaren, die ekelhaften, schleimigen Kreaturen, die sich mir bereits in den Weg gestellt hatten, natürlich auch der kleine Drache, der sich irgendwie auf meiner Schulter festhielt und schlief. Neben all den sowieso schon kuriosen Dingen nicht zu vergessen. Die überaus realistischen spitzen Ohren meines Begleiters und meiner eigenen Wenigkeit.

Weder waren sie angeklebt noch angenäht. Ich besaß Gefühl bis in die spitzen Enden hinein, konnte diese sogar unter größter Konzentration leicht hin und her drehen und mit ihnen wackeln.

„Wenn ich nun also, rein theoretisch natürlich, wirklich eine Elbin bin, dann müssen meine Eltern auch Elben gewesen sein“, mutmaßte ich weiter vor mich hin. Ich sprach schon die ganze Zeit mit mir selbst, überlegte laut vor mich hin, um den Verstand nicht vollends zu verlieren. Er, der nur ab und zu einen genervten Laut von sich gab, hatte sich wieder mit Schweigen eingehüllt.

„Jetzt kommt jedoch das große Aber. Meine richtigen Eltern müssten dann ja von hier kommen, denn da wo ich herkomme, da gibt es keine Elben. Sie existierten schlichtweg einfach nicht. Aber meine Eltern können nicht von hier sein, sonst hätten sie ebenso diese Welt verlassen müssen, was ja irgendwie gar nicht geht. Sonst wäre ich ja schon längst wieder zurück, Zuhause.

Wo führen Sie mich eigentlich hin? Wir laufen seit Wochen durch die Natur und laufen und laufen und laufen. Und ein Wort mit mir zu reden, sehen Sie als sinnlos an. Wissen Sie, zuerst habe ich noch versucht Sie zum Reden zu bringen, dann habe ich es irgendwann aufgegeben. Ich nahm an, dass Sie mich nicht verstehen würden oder sogar taub sind. Hätte es auch erklärt, doch jetzt weiß ich, dass Sie sehr wohl meine Sprache sprechen und ich will nicht unhöflich sein, aber Sie sind gerade sehr unhöflich mir gegenüber. Was stört Sie an mir, dass Sie mit mir nicht reden wollen?“, merkte ich an.

Einige Tage lang konnte ich meinen Gedanken nachhängen und mich gut mit mir selbst beschäftigen. Ich genoss die Einsamkeit und Ruhe, doch nach mehreren Wochen des ständigen Schweigens wurde ich der Stille langsam überdrüssig. Ich brauchte Gesellschaft wie ich auch die Einsamkeit benötigte.
Das kleine Drachenwesen hatte in den zwei Wochen seitdem es geschlüpft war, nicht viel getan außer zu schlafen und von Zeit zu Zeit mein Essen wegzuschnappen. Vorwiegend den Fisch, den mein Begleiter in Flüssen gefangen hatte. Aber auch dieses Lembas Brot schlug das Schleckermaul nicht aus.

Ich wusste nicht mehr wer ich war, was ich genau war. Woher ich stammte. Was war mein wirkliches Zuhause? Ich hatte meine Eltern, meine Mutter, die sich liebevoll um mich gekümmert und mich groß gezogen hat. Meinen Vater, der sich weniger um mich gesorgt hatte, aber trotzdem irgendwie immer bei mir war. Sie hatten mir ein Heim geschenkt, eine Familie, Geborgenheit und ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Zwar hatte mich die Nachricht über meine Adoption geschockt und meine Welt zum Schwanken gebracht, doch jetzt, jetzt wusste ich wirklich nicht mehr wer ich war! Diesem schweigsamen Elb war es gelungen mich in die Verzweiflung zu treiben.

„Was haben Sie gegen mich, dass Sie nicht mit mir reden?“, fragte ich leise, zitternd, obwohl das Feuer zwischen uns Wärme  spendete.
„So wie ich das beurteilen kann, gibt es etwas, dass Sie davon abhält, etwas Großes, ein Geheimnis. Etwas, dass Sie fesselt und dazu bringt diese Einsamkeit zu bevorzugen. Aber das kann ich nicht auf ewig. Ich werde hier noch verrückt!“, schluckend strich ich durch mein Haar, wickelte eine Locke um meinen Finger und ließ sie wieder los, nur um es bei einer anderen Strähne erneut zu machen.

„Ist schon in Ordnung, wenn Sie ein Mörder sind. Mittlerweile ist mir das egal. Ich bin bereits durch die Hölle gegangen, ich kenne die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele. Ich weiß genau was es bedeutet zu leiden! Und wären Sie ein Mörder, Vergewaltiger oder sonst ein Verbrecher, Sie hätten mich schon längst morden, vergewaltigen oder ausrauben können. Stattdessen führen Sie mich durch diese Gegend, teilen Ihr Essen mit mir und kümmern sich um mich. Warum? Sie müssen mir nicht verraten wer Sie sind, was Ihr Geheimnis ist, doch sagen Sie mir eines. Bitte. Warum helfen Sie mir? Sie hätten mich auch zurücklassen können bei den Menschen.“

Er schwieg, starrte resigniert in das Feuer. Meine Hoffnung zerbröckelte immer weiter, Stück um Stück verschwand in der gähnenden Leere. So schwarz, wie die finstere Nacht um uns herum. Irgendwo in der Ferne heulte ein Wolf, klagte um den Mond, der sich nicht am Firmament zeigen wollte.

„Das konnte ich nicht.“ Der düstere Klang seiner Stimme jagte eine Gänsehaut über meine Arme. Doch er hatte gesprochen, endlich seit Wochen wieder. Mein Herz hüpfte, stolperte jedoch gleich wieder, als der Wolf ein weiteres Mal heulte, näher dieses Mal. Ich zuckte erschrocken zusammen und sah mich panisch um.

„Keine Sorge, er wird uns nicht zu nahe kommen“, flüsterte der Elb. Er sah mich an, emotionslos, kühl und beinahe eisig bei seinen hellblauen Augen. Nervös geworden nickte ich zaghaft. Unter meinen Fingern spürte ich den bebenden Körper des jungen Drachens, der den Kopf in die Luft streckte und schnupperte.

„Warum haben Sie mich gerettet und nicht dort gelassen? Ich falle Ihnen doch sicherlich zur Last“, lenkte ich zurück auf meine eigentliche Frage, auch wenn mir das Herz immer noch gegen die Rippen hämmerte. Er hingegen, strahlte die Ruhe und Gelassenheit eines Kriegers aus, der seine Umgebung gut genug kannte, um nicht in Panik zu verfallen.

Was hat mein Lehrer immer gesagt? Niemals Angst zeigen, immer ruhig bleiben!

Ich atmete tief durch.

„Ich wollte Sie erst dort lassen. Sie waren mir egal, ein unbedeutendes junges Mädchen“, erwiderte er ganz ruhig.
„Doch dann sah ich Ihre Ohren, so spitz wie die meinen, wie die eines jeden Elben.“

„Aber warum mich dann retten? Sie hätten mich, egal ob Mensch oder Elbin, genauso gut dort lassen können.“ Ich zog die Brauen hoch, streichelte beruhigend den schuppigen Rücken des Drachens.

„Wie wahr, das hätte ich, aber es wäre unverantwortlich gewesen. Wie ist Ihr Name?“, fragend sah er vom Feuer auf, streckte den Rücken und stützte sich mit den Händen hinter sich auf dem Boden ab.

„Jenna.“ Er hatte noch nie Interesse an mir gezeigt oder überhaupt geheuchelt.

Warum fragt er nun nach meinem Namen? Was hat der damit zu tun?

„Bizarrer Name. Habe ich noch nie vernommen.“

„Kein Wunder, ich komme ja auch nicht von hier“, grummelte ich und verdrehte stöhnend die Augen.
„Aber was hat das damit zu tun?“

„Sie ken-“
„Bitte duzen Sie mich. Sie kennen ja nun meinen Namen“, unterbrach ich ihn leise.

„Du kennst dich offensichtlich sehr wenig mit deiner eigenen Rasse aus. Elben lieben nur einmal in ihrem Leben tief und innig. Wir sind nicht wie die Menschen, wir entehren keine Frauen, wir geben uns unseren Gelüsten nicht hin, wir leben im Einklang mit der Natur. Wir geben uns nur unserem Partner hin. Jedoch, wenn ein Mensch eine Elbin zu sich nimmt und sie für sich nimmt, sie in sein Bett holt, unfreiwillig, so schwindet die Elbin. Sie fühlt den Schmerz, sie trauert um ihre Unversehrtheit und sie fühlt sich hintergangen und gedemütigt. Viele Elben haben bereits einige Tausende von Jahren gelebt, bevor sie dazu bereit sind und das nur dann wenn sie ihren Lebensgefährten bereits kennen. Denn es gibt noch etwas, das uns von den Menschen unterscheidet. Ihre Art der Zweisamkeit dient der Freude und der Vermehrung. Unsere geht viel tiefer. Es ist die endgültige Verbindung zweier Elben. Verstehst du nun?“, fragend sah er mich an. Seine Augenbrauen verzogen sich, als er sah wie mir der Mund offen stand.

Erst nach einer Weile konnte ich ihn langsam schließen.
„Sie haben mir also das Leben gerettet und mich vor einem Schicksal bewahrt, das nicht gerade spaßig klingt. Sie haben mich gerettet, noch einmal. Das erklärt aber auch warum ich nie Gefallen an den jungen Männern gefunden habe“, fahrig geworden starrte ich in die tiefschwarze Nacht, versuchte mich zu orientieren.

Wäre es wirklich so gewesen? Wäre ich gestorben, wenn der Prinz dieser Stadt mit mir geschlafen hätte? Ich fühle mich immer noch nicht wirklich elbisch.

(Tavaro POV)

„Ich hätte niemals gedacht, dass ich das mal sage, aber jetzt bin ich doch froh, dass Sie mich durch die Pampa führen. Ihre Gesellschaft ist mir dann doch um einiges lieber, als die dieser Menschen“, sie lachte leise und für einen kurzen Augenblick war ich gewillt sanft zu lächeln, doch so plötzlich wie dieses Verlangen in mir aufkam, so plötzlich war es wieder verblasst.

Sie weiß immer noch nicht wer oder was ich bin! Das wird sie auch niemals. Sobald sie abgeliefert ist, wird sie froh sein dort und nicht hier.

„Menschen und Elben sind zu verschieden um ihr Leben zu teilen“, erwiderte ich und beobachtete den Drachen auf ihrem Schoß. Seine Ohren zuckten bei jedem Geräusch, das der Nacht entsprang und auch sein langer Schwanz schwenkte sachte hin und her.

Sie war anders, als alle Elbinnen, die ich in meinem langen Leben bereits getroffen hatte. Dieser Drache vertraute ihr, sah sie als ihre Mutter an. Dabei waren diese kleinen Tiere, so putzig sie auch erscheinen mögen, gefährlich und aggressiv. Einen ungeübten Krieger konnten sie mit einem Biss tödlich verletzen. Deshalb hatte ich mich seit jeher immer fern von ihr und dem Tier gehalten. Auch damit sie sich nicht zu sehr an mich gewöhnte. Das fehlte noch! Eine Elbin, die mir weiter folgte und mit mir zu sprechen versuchte.

Verstand sie denn nicht? Ich wollte sie vor meiner Vergangenheit schützen. Sie und auch mich selbst. Es würde sie verschrecken, auch wenn sie der Meinung war, dass es nicht schlimm wäre, wenn ich ein Mörder sei. Wenn sie nur wüsste!

„Wie darf ich Sie eigentlich nennen? Sie haben doch sicherlich auch einen Namen“, fragte sie plötzlich. Wie lange hatte ich in die Dunkelheit gestarrt? Sollte ich? Würde sie meinen Namen kennen? Nein es war mein Vater, den jeder kannte und fürchtete. Mein Name war in Vergessenheit geraten.

„Tavaro“, antwortete ich deshalb leise und lauschte angestrengt.

„Tavaro“, wiederholte sie leise flüsternd, ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Doch plötzlich erstarrte sie. Ihre Augen wurden größer, gefüllt von Angst.

Ein Knurren, tiefer als seine eigene Stimme, dröhnend und markerschütternd erklang. Der warne Atem streichelte das Haar der jungen Frau.
Meine Finger schlossen sich um den Griff meines Speeres. Im Osten erhellte sich der Himmel langsam, das tiefschwarze schwand und wechselte zu einem dunkelblau.

Und während um uns herum der Tag anbrach, blickte ich direkt in die Augen der Bestie.

„Lauf!“, zischte ich ihr zu. Sie rührte sich nicht, erstarrt vor Schock und Angst, die ihre Glieder lähmten.

„Lauf!“, schrie ich.

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