Die Wahrheit
(Jenna POV)
War das gerade wirklich passiert? Habe ich das nicht geträumt?
Ich starrte ihn an wie vom Blitz getroffen. Doch seine Worte waren klar und deutlich gewesen. Seine Stimme, tief und mysteriös, aber dennoch sanft.
„Das ist ein Lingwilócë", hatte er von sich gegeben.
„Ein bitte was?", fragte ich, nachdem meine Stimme zurückgekehrt war.
Er hatte tatsächlich mit mir gesprochen! Was war jetzt falsch gelaufen, dass er sich dazu durchgerungen hatte einige Worte mit mir zu wechseln. Taub und stumm war er anscheinend doch nicht.
„Ein Fischdrache", wiederholte er leise und deutlich, dabei jede einzelne Silbe des Wortes betonend. Als wenn ich es nicht verstehen würde. An sich verstand ich es sehr gut, jedoch gab es dabei ein Problem.
„Es gibt keine Drachen", protestierte ich.
Drachen! Legenden und Mythen sind das.
Und doch sah ich auf das Ding hinab, das sich zwischen meinen Füßen räkelte und die Gliedmaßen ausstreckte. Es waren nicht nur vier an der Zahl. Ich zählte vier lange schlanke Beine, an deren Ende sich jeweils drei Krallen befanden. Der lange Schwanz streckte sich dem Lagerfeuer gefährlich nahe, doch bevor er in die Flammen geriet, legte er sich um die Hinterbeine des Wesens.
Er fächerte das Ende des Schwanzes auf und wieder zu. Waren sie geschlossen, so bildeten sie einen perfekten, stromlinienförmigen Pfeil. Seine Flügel waren bespannt mit Leder zwischen drei langen, knochigen Fingern und einem krallenartigen Daumen.
Aus großen hellblauen Augen, in denen sich das Licht der Flammen spiegelte, starrte er zu mir hoch, direkt in meine grünen Augen. Langsam legte er den schlanken Kopf mit der langen Schnauze schief. Er musterte mich keck und gab leise klagende Geräusche von sich, wobei er viele kleine spitze Zähne entblößte. Entsetzt wich ich zurück, doch er folgte mir nur mit einem kleinen Hüpfer, drehte jetzt sogar seine Ohren in meine Richtung.
Wenn ich ihn so ansah und auf meinen wild meckernden Bauch hörte, so handelte es sich bei diesem Wesen um ein drachenähnliches Tier, das noch in keinem Lehrbuch zu finden war. Wenn es nicht sogar tatsächlich ein Drache war.
Mit seiner langen, rauen Zunge begann er sich schließlich von den letzten Resten der Schale zu befreien.
Als ich den Blick endlich wieder von dem Drachenwesen lösen konnte, sah ich auf in seine hellen Augen, die er verwirrt zusammengekniffen hatte.
„In welchem Elbenreich sind Sie aufgewachsen, dass Sie die Existenz von Drachen anzweifeln?", hakte er leise, aber eindringlich nach. Er hatte doch tatsächlich mehr als nur einige Worte an mich gerichtet! War heute ein besonderer Tag gewesen, dass mir das gegönnt war? Erst schlüpfte aus meinem vermeintlichen Stein ein kleines Wesen, das sich gerade an mein Bein schmiegte, wie eine Katze und dann fand der Stumme seine Stimme.
Er spricht meine Sprache. Er hat mich bewusst ignoriert!
„Elbenreich? Elben existieren genauso wenig wie Drachen. Ihr habt mir sicherlich eine Droge in das Essen gemischt und Ihr seid zuvor aus der Irrenanstalt entflohen. Elben! Dass ich nicht lache. Schön wär's", spottete ich und verdrehte genervt die Augen. Verarschen konnte ich mich auch selbst. Doch tief in mir drin begann sich plötzlich etwas zu regen.
Ich blinzelte verwirrt und musterte meinen Begleiter noch einmal eindringlich.
Irgendetwas an ihm war nicht normal, doch was war es? Die hellen Augen, das bleiche Haar oder doch die spitzen Ohren?
„Elben existieren, wobei mir dünkt, dass Sie eine nicht ganz so Intelligente unserer Art sind. Stammen Sie aus dem Reich des Waldlandkönigs?", er neigte den Kopf und unterzog mich einer intensiven Musterung, die mir Gänsehaut bereitete.
„Ich? Eine Elbin? Ich wäre doch viel zu tollpatschig für ein Mitglied der Unsterblichen Rasse. Zudem bin ich mir ziemlich sicher, dass ich keine Elbin bin. Das hätte ich doch gemerkt, wenn ich spitze Ohren hätte. So wie Ihr", merkte ich an und plötzlich klappte mir der Mund auf, als mich die Erkenntnis traf. Kein Wort verließ meine Lippen.
Die mittelalterlich gekleideten Männer, seine Kleidung, seine Lebensweise. Sein überaus graziler Gang, der vermuten ließ, dass er schwebe. Die Frauenfeindlichkeit, die hier an den Tag gelegt wurde. Das Drachenwesen. Turgon. Dieser Name. Ecthelion. Ein weiterer bizarrer Name. Die große weiße Stadt am Berghang. Seine spitzen Ohren! Spitze Ohren. Elbengleiche Ohren!
All diese Erkenntnisse prasselten auf mich ein und ließen mich sprachlos zurück. Deshalb hatten wir noch keine Zivilisation entdeckt, deshalb war die Natur seit Wochen unberührt und gefährlich. Alles war wild und er jagte unsere Mahlzeiten. Die schrecklichen, stinkenden Kreaturen. Missgebildet und grotesk. Orks! Es waren Orks. Deshalb fühlte ich mich sogleich fremd und doch beheimatet, als wenn ich es tief im Inneren immer erkannt hatte, aber niemals gelangte diese Erkenntnis bis an mein Bewusstsein.
„Ihr seid ein Elb", stellte ich fest. Es war klar, was er war und endlich wusste ich auch wo ich war.
Mittelerde!
Schoss es mir durch den Kopf und das nahm mir den Atem. So lange hatte ich mir immer gewünscht hier zu sein, die Reise nach Neuseeland hatte meinen Traum erfüllt und doch war es jetzt anders. Intensiver. Es schien mir als pulsierte die Magie und Macht Erus direkt unter meinen Füßen. Es erfüllte den Boden, die Pflanzen und Tiere, ja selbst die Luft.
„Ja seit meiner Geburt. Sie verhalten sich, als hätten Sie ihre spitzen Ohren noch niemals selbst gesehen oder meine Geste", bemerkte er und hatte sich mit einer geschmeidigen Bewegung erhoben.
Seine Geste?
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Damals, als er mich vor den Männern bewahrt hatte und ich mich bedankt hatte. Die Verbeugung it der Hand auf der Brust. Bilder schossen mir in den Kopf. Lindir, wie er die Treppe in Bruchtal herunter kam und Gandalf auf eben jene Art grüßte. Oder Thranduil und Legolas, die diese Geste ebenfalls ausgetauscht hatten.
Direkt neben mir blieb er stehen und streckte die Hand aus. Vorsichtig strich er mein feuerrotes Haar zur Seite, und brachte meine Ohren zum Vorschein.
„Was fällt Ihnen ein meine Ohren zu", ich stoppte, als ich die federleichte, warme Berührung an einer Stelle spürte, an der ich sie eigentlich nicht spüren konnte.
Unwirsch schob ich seine Art zur Seite, tastete selbst nach meinem Ohr und schrie entsetzt auf. Meine Fingerkuppen fuhren mitnichten die sanften Rundungen eines menschlichen Ohres nach. Sie verspürten die typische Spitze, die die Ohren eines der ersteren Kinder Erus auszeichnete.
„Wie kann das sein? Das ist unmöglich! Das muss irgendein billiger Trick sein. Angeklebt." Ich zog an der Spitze meines eigenen Ohres, doch hielt augenblicklich inne, als ich den stechenden Schmerz fühlte. Diese Ohren waren vollständig echt und lebendig!
„Ich bin verrückt!", konfus sah ich mich um, doch die Umgebung blieb die Gleiche, wie vor einer Stunde noch.
Unverwandt sah er mich weiterhin an, leicht verwirrt hatte er die Augenbrauen zusammengekniffen.
„Sie wussten wirklich nicht, dass Sie eine Elbin sind?", sein Ton war sanfter geworden.
„Sehe ich so aus, als ob ich es tue? Ich bin völlig durcheinander! Ich bin in Mittelerde, bin eine Elbin, allen Anschein nach, und ich bin definitiv verrückt geworden."
Ob meine Angst vor einem weiteren Rückschlag durch Caro mich dazu gebracht hat, mir diesen extrem realistischen Traum zusammenzuspinnen? Während dem ich weitere überaus realistische Träume hatte.
„Wenn Sie meinen. Kümmern Sie sich jetzt aber um Ihren Drachen", beendete er das Gespräch bereits wieder und wand sich wie gewohnt seinem Speer zu.
„Mich um ihn kümmern? Er ist ein freies Lebewesen der Wildnis. Er braucht niemanden, der sich um ihn kümmert", stellte ich klar und versuchte den Drachen dazu zu bewegen sich von mir zu entfernen. Doch er krächzte mich nur empört an, stieß sich vom Boden ab und rollte sich auf meinem Schoß zu einer zufriedenen Kugel zusammen.
„Diese Art schon. Du ersetzt nun die Mutter, die ihr Ei scheinbar zurücklassen musste", erklärte er, während er sich nicht einmal die Mühe macht aufzuschauen.
„Also gut", murmelte ich und betrachtete das schlafende Wesen auf meinen Beinen. Sein kleiner, schlanker Kopf ruhte auf meinem Knie, während seine Flügel zuckten. Süß war er allemal, doch was bedeutete diese Verantwortung für mich? Ich hatte ein eigenes Pferd, ich war bereit Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen und mich um es zu kümmern.
Doch ein Pferd kannte ich, ich wusste wie groß es werden würde, was es fraß und trank und welche Schwierigkeiten sonst noch auf mich zukommen würde.
Doch bei einem Drachen hatte ich keine Ahnung. Würde er so groß werden wie Smaug oder gar wie Ancalagon oder stoppte sein Wachstum, wenn er die Größe einer Kuh erreicht hatte? Was fraß er? Wie oft fraß er? Benötigte er spezielle Behandlung?
Ich wollte meinen Begleiter fragen, doch er hatte mir seinen Rücken zugekehrt und spähte in die dunkle Nacht hinaus.
Derzeit schlief das kleine Wesen, also musste ich auf eigene Faust herausfinden, was er benötigte. Endlich eine Aufgabe, der ich nachgehen konnte!
Hey :)
Ich bin es wieder mit einem neuen Kapitel. Dieses Mal erfährt Jenna endlich ein wenig mehr über die Wahrheit ;) hättet ihr es erwartet?
Laura
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