Der Aufbruch
(Kathrin POV)
Mit einem ohrenbetäubenden Knall landete die hintere Tür des alten Hauses im Schloss. Fenster und Wände schienen zu wackeln, aber das störte mich in diesem Moment herzlich wenig.
Ich hatte weit aus größere Probleme, die ich nicht länger für mich behalten könnte.
„Jasper!“, kreischte ich daraufhin durch das komplette Haus. Es würde einfach zu viel Zeit in Anspruch nehmen meinen Bruder in jedem einzelnen Zimmer zu suchen!
So wie ich ihn kannte und mittlerweile kannte ich meinen Bruder zur Genüge, lag er irgendwo herum und lauschte der Musik.
Panik stieg in mir hoch und ließ mich unruhig durch das Wohnzimmer wandern.
Was wenn ihr etwas Schlimmes geschehen ist? Wenn sie gestolpert ist und sich verletzt hat? Wenn sie möglicherweise sogar in ihrer Trauer und Wut und Verzweiflung vor ein Auto gelaufen war? Nein! Das wäre nicht Jenna! Sie ist trotz allem immer vorsichtig gewesen. Aber was wenn doch?! Wo könnte sie hin gerannt sein? Zu ihrem Pferd? Zu irgendwelchen anderen Tieren? Nach Hause gar? Nein, dort waren ihre Eltern mit denen sie bestimmt nicht über derartige Angelegenheiten sprach. Aber wohin dann?
Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf und ich konnte sie schon längst nicht mehr sortieren oder mich gar beruhigen. Die Sorge um Jenna war zu groß, da sie mir in der letzten Zeit zu sehr ans Herz gewachsen war. Deshalb war mir auch klar, dass sie diese Tat von Caro völlig aus der Bahn geworfen hatte.
„Jasper verdammt nochmal! Wo bist du!“, polterte ich noch einmal quer durch die Wohnung, da mein Bruder noch nicht die Anstalten gemacht hatte sich zu mir zu begeben.
„Hör auf so zu brüllen, als ob die Welt untergeht“, beschwerte sich kurz darauf eine tiefe Stimme, die deutlich genervt klang. Ich fuhr herum und bedachte meinen Bruder mit einem Funkeln aus meinen zusammengekniffenen Augen.
„Es ist die Welt untergegangen! Wir haben ein großes Problem, ein riesiges Problem. Wir werden gefeuert oder was sonst auch immer“, jammerte ich verzweifelt und jetzt erst schob sich mein Bruder die Kopfhörer vom Kopf. Seine Miene verdunkelte sich augenblicklich, als er erkannte, dass ich wirklich besorgt war und nicht einfach nur so spielte.
„Wir werden schon nicht gefeuert. Aber jetzt erzähl mir doch erst einmal was überhaupt geschehen ist. Du stürmst hier rein, brüllst wie verrückt und sorgst dich scheinbar sehr. Erstmal kommst du runter, atmest tief ein und aus und jetzt setzen wir uns auf das Sofa und du erzählst mir alles ganz genau, aber in Ruhe“, flüsterte Jasper und der sanfte, melodische Klang seiner tiefen Stimme brachte tatsächlich Ruhe in meinen gestressten Körper. Ich zog die Luft tief in meine Lunge und atmete langsam und kontrolliert wieder aus.
Dann erst setzte ich mich zu ihm auf das Sofa und begann zu erzählen.
Ich schilderte ihm die Geschehen dieses kurzen Tages in der Schule, beschrieb ihre Gefühle und ihre Reaktionen und was sie daraufhin tat. Aber ich gab auch die entscheidenden Ereignisse aus den vergangenen Wochen preis, die mir jetzt ins Augenmerk fielen und mir wichtig erschienen.
Viele waren es zwar nicht, aber doch ein paar. Der ältere Herr, der sie im Tierheim besuchen gekommen war, beispielsweise. Das Geheimnis ihrer Eltern und was sie davon zu halten schien, denn auch das erschien mir in dieser Situation wichtig. Und am allerwichtigsten. Ich berichtete Jasper von ihren früheren Erfahrungen, den Gründen für das Jahr in Neuseeland und warum ich mir deshalb so große Sorgen machte.
„Sie zieht den seelischen Schmerz förmlich zu sich, wie ein großer Magnet. Als wenn Caro von Anfang an gewittert hätte, dass sie in Jenna ein leichtes Opfer finden würde. Genau deshalb müssen wir sie sofort suchen gehen“ verkündete ich und sprang wieder zurück auf meine Füße. Ich war schon immer die von uns gewesen, die mehr Tatendrang in den Adern verspürte. Mein Bruder war der ruhige Pol, der mich stets zurückhielt und vor unüberlegten Dummheiten und Leichtsinnsfehlern bewahrte. So auch jetzt.
Kaum, dass meine unruhigen Füße den Boden berührt hatten, umgriffen seine langen Finger mein Handgelenk.
„Kathrin wir können nicht einfach blindlings anfangen zu suchen. Sie könnte überall sein und es könnte sein, dass sie bereits...“, ein Blick seiner tiefblauen Augen, die mich jetzt leicht violett anblitzten, genügte vollkommen, um den Satz zu beenden.
„Der ältere Herr im Tierheim, ich bin mir ziemlich sicher, dass er es war und für uns bedeutet das auch den Aufbruch.
Ich organisiere hier alles und du fährst am besten zu ihr nach Hause und erzählst ihren Eltern alles. Keine Sorge ihr Gedächtnis wird bald gelöscht sein, sollte Jenna wirklich nicht mehr hier verweilen. Aber so kannst du gleich alle ihre Sachen einpacken. Dann komm wieder her“, erklärte mein Bruder und entließ mich erst jetzt nach seinen Anweisungen seinem Griff.
Mein Bruder hatte natürlich Recht. Im Gegensatz zu mir waren die Anzeichen nicht einfach so durchs eine Ohr rein und durchs anderen wieder raus gegangen. Ordnung und Genauigkeit waren eben sein Leben und seine Beschäftigung. Aber ich war ihm ungemein dankbar für diese Ruhe, die er ausstrahlte, die mich einige Male zurück auf den Boden der Tatsachen gebracht hatten. Und wenn mich die Trauer zu überrollen drohte, dann fand ich bei ihm immer ein offenes Ohr und die Geborgenheit einer Familie.
„Das werden harte Zeiten für sie. Sorgen mache ich mir dennoch“, meinte ich noch, bevor ich mich daran machte zu Jennas Heim aufzubrechen. Sie würde sie sich sicherlich freuen, wenn ich ihr ihre wichtigsten Sachen brachte und so dachte ich während der kurzen Fahrt auf dem Rad darüber nach, was ich denn alles einpacken sollte.
(Tavaro POV)
„Hauptmann was denkt Ihr? Ist sie unser gesuchter Geist des Waldes. Der Helfer der Armen“, ich spitzte meine Ohren, als genau jene Sätze wie ein aufbrausender Sturm durch die Stille des Tages säuselte. Zuvor hatte nur das leise Zwitschern der Vögel und das Ziepen der Grillen meine Ohren erreicht.
Was mir weit aus mehr behagte als die jetzige tiefe, brummige Stimme, die der Frage zuvor eine Antwort gab.
„Ein Weib?! Benutze einmal deinen gesunden Verstand und denke nach. Ein Weib könnte doch niemals der Geist des Waldes sein“, brummte er und lachte kurz auf. Nur wenige Sekunden verstrichen als ein entsetzten Aufschreien die Ruhe erneut zerstörte.
Seufzend quälte ich mich von meinem Platz auf, der hoch oben in den Wipfel eines alten Baumes gelegen hatte. Dort schütze mich das dichte Blätterdach der Baumriesen vor den Blicken der Soldaten.
„Ich meine ja nur. Schaut Euch ihre Kleidung an! So läuft kein normales Weib herum“, begann der jüngere Soldat von Neuem. Auf leisen Sohlen verfolgte ich die Männer und ihre Gefangene, die sie immer wieder vor sich her schubsten.
Mich bemerkten sie nicht. Mich hatten sie noch nie bemerkt und mich würden sie auch niemals in die Finger bekommen. Dazu war ich zu gut.
Ich war ein Geist im Wald, leise und schnell. Flink wie ein Eichhörnchen mit Augen des Falken. Diese verlangten nun eben jene Frau zu sehen, die für den Geist des Waldes gehalten wurde.
„Das kann auch ganz andere Gründe haben. Wir werden es erfahren“, erwiderte der Hauptmann, dessen Kopf ich nun bereits erkennen konnte. Ich hatte mich einige Meter vor ihnen auf einen dicken Ast gehockt, die Waffe fest in der Hand haltend, bereit sie auch einzusetzen, sollte es von Nöten sein.
Wer ist nun also mein Nachahmer? Eine Frau? Wie konnten die nur so unterbelichtet sein und meine Taten einer Frau zuzuordnen!
Als ich sie dann endlich erblicken konnte, schob sich meine helle Augenbraue gleich in die Höhe.
Stolpernd bewegte sie sich vorwärts, wirkte dabei nicht gerade grazil, auch wenn das ihr äußerstes Erscheinungsbild vielleicht vermutet hätte. An ihren schlanken Beinen konnte ich bereits einige Kratzer und Abschürfungen ausmachen, die sicherlich auf Stürze und Sträucher zurückzuführen waren.
Ich musste den Soldaten leider Recht geben. Ihrer Kleidung nach kam sie aus keinem der Lande, die selbst mir bekannt waren und ich war schon viel gereist und hatte alles gesehen. Bis auf das jetzt!
Kurze Hosen bedeckten gerade einmal einen kleinen Teil ihrer Oberschenkel. Diese Art von Unterhemd, das sich eng an ihren Oberkörper schmiegte, wie eine zweite Haut, war nicht viel besser.
So gekleidet kommt sie eher als Dirne durch, als als Geist des Waldes, als unsichtbarer Krieger für die Armen. Aber wer ist sie und was macht sie hier? Vor allem, wo kommt sie her?
Langsam zog der Trupp weiter, musste aber eine unplanmäßige Pause einlegen, als die junge Frau ein weiteres Mal über eine Wurzel stolperte. Ihr rotbraunes Haar flog ihr dabei in alle Richtungen und wurde von ihren zarten Fingern zurück hinter die Schulter befördert. Das war auch das bei Weitem auffälligste an ihr. Das lange, leicht gewellte Haar, das wir flüssiges Feuer ihren Kopf zu umrahmen schien. Solches Haar hatten meine Augen schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Sie bildeten eine starken Kontrast zu den grünen Augen, die mich beinahe in meinem Versteck entdeckt hätten, als sie sich neugierig und ängstlich umsah.
Sie war mir ein Mysterium. Es kam öfters vor, dass die Soldaten Menschen in den Wäldern aufgriffen und zum Verhör dem König brachten, aber bei ihr schien etwas anders zu sein. Sie wehrte sich vehement auch nur ein Wort zu sprechen und einmal schlug sie sogar die Hand des Hauptmannes zurück, als er sie packen wollte.
Sollte ich ihnen folgen und sie weiter beobachten? Nein das wäre zu riskant und ich kenne diese Frau ja noch nicht einmal! Anderseits weiß ich auch genau was ihr blühen wird und sie sieht nicht gerade aus, als könne sie sich gegen Unrecht wehren. Die Angst steht ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, als wenn ihr selbst nicht einmal bewusst ist, wo sie sich gerade befindet.
Also soll ich?
Hey :)
Da bin ich wieder mit einem neuem Kapitel ^^
Ich hatte in der letzten Zeit leider nicht allzu viel Zeit zum Schreiben, da ich auch noch auf dem Abschlussseminar von meinem FSJ gewesen bin und ich anderweitig noch ein paar Aufgaben zu erledigen hatte :D
Laura
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