𝕍𝕚𝕖𝕣𝕦𝕟𝕕𝕧𝕚𝕖𝕣𝕫𝕚𝕘
Es war wirklich passiert. Dylan hatte Gefühle für mich und den Mut aufgebracht, es mir zu gestehen. Ich fühlte mich wie im siebten Himmel und am liebsten hätte ich die Zeit angehalten, um diesen Moment für immer in mich aufzusaugen.
Leider hatte ich die Rechnung ohne Megan gemacht, denn sie stand plötzlich – und vollkommen betrunken – vor meiner Haustür. Natürlich konnte ich sie in diesem Zustand nicht einfach abweisen, allerdings war ich alles andere als begeistert über ihren Auftritt.
»Was ist los?«, forderte ich sie ungeduldig zum Reden auf, während sie sich schwankend am Türrahmen festhielt und Mühe hatte, ihre Augen offenzuhalten.
»Es ist wegen Kyle. Wir haben Schluss gemacht«, erklärte sie lallend. Inzwischen war Dylan ebenfalls neben mir aufgetaucht. Er zögerte nicht und griff Megan unter die Arme, um sie ins Innere zu befördern.
»Ihr habt Schluss gemacht? Wieso?«, griff ich ihre ursprüngliche Aussage auf, nachdem Dylan sie auf das Sofa gesetzt hatte. Inzwischen war meine Genervtheit reiner Besorgnis gewichen.
»Er ...«, begann sie, schaffte es aber nicht den Satz zu beenden, weil sie hemmungslos zu weinen begann.
»Ist schon gut«, versuchte ich sie zu beruhigen. Behutsam legte ich meinen Arm um sie, während Dylan unschlüssig vor der Couch stand und meinen Blick suchte.
»Soll ich ihr einen Tee oder so machen?«, bot er hilflos an, woraufhin ich stumm nickte und er in Richtung Küche verschwand. Kurz dachte ich darüber nach, dass er sich vielleicht nicht zurechtfinden könnte, allerdings stand der Wasserkocher gut sichtbar auf der Arbeitsplatte und die mit Tee beschriftete Box war eigentlich auch nicht zu übersehen.
Daher beschloss ich, mich wieder vollends auf meine beste Freundin zu konzentrieren. »Kannst du mir jetzt erzählen, was los ist?«, versuchte ich es also erneut, als sie sich einigermaßen gefangen hatte.
»Kyle hat mit Beth geschlafen«, brachte sie schließlich erschöpft hervor und ich konnte nicht glauben, was ich da gerade gehört hatte.
»Was? Bist du sicher?«
»Sie hat es mir eben selbst erzählt«, nuschelte Megan leise. Ihre Augen waren vom vielen Weinen vollkommen aufgequollen, was meinem Herzen einen unangenehmen Stich versetzte. Es tat mir unglaublich weh, sie in diesem Zustand zu sehen und gleichzeitig spürte ich eine unglaubliche Wut auf Bethany.
»Vielleicht lügt sie. Du weißt, dass sie nicht gerade den besten Ruf hat.« Obwohl ich mir sehr gut vorstellen konnte, dass sie dazu fähig war, wollte ich Megan mit dieser Aussage vorerst beruhigen. Im Endeffekt musste sie diese Angelegenheit mit Kyle klären, denn nur er würde ihr sagen können, ob es der Wahrheit entsprach oder nicht. Allerdings sollte sie zuerst ihren Rausch ausschlafen, so viel stand fest.
Eine Zeit lang hielt ich sie einfach nur im Arm, während ich im Hintergrund das typische Rauschen des Wasserkochers wahrnahm. Offenbar hatte Dylan alles gefunden, was er brauchte, denn kurze Zeit später kam er mit einer dampfenden Tasse zurück ins Wohnzimmer.
»Ich hatte keine Ahnung, was für einen Tee ich machen soll«, erklärte Dylan, während er das heiße Getränk vorsichtig auf der Tischplatte abstellte. »Hab mich dann einfach für Melisse entschieden.«
»Melisse ist perfekt«, antwortete ich dankbar, woraufhin Dylan erleichtert lächelte und sich am anderen Ende der Couch niederließ.
»Wenn ich euch alleine lassen soll, ist das wirklich kein Thema für mich«, bot er an, aber ich schüttelte heftig meinen Kopf. Wenn der Abend schon nicht so verlaufen war, wie ich es mir vorgestellt hatte, wollte ich ihn zumindest weiter um mich haben.
Nachdem der Tee ein wenig abgekühlt war, griff ich nach der Tasse, um sie an meine beste Freundin weiterzureichen. Mühsam brachte sie sich in eine aufrechte Position, damit sie das Getränk entgegennehmen konnte.
»Ich dachte wirklich, er meint es ernst mit mir«, presste sie niedergeschlagen hervor, während sie einen ersten Schluck des Tees nahm. Ihre Aussprache war noch immer verwaschen, aber immerhin schien sie sich ein wenig beruhigt zu haben.
»Du klärst das morgen in Ruhe mit ihm, ja?« Behutsam legte ich meine Hand auf ihrem Unterarm ab.
»Da gibt es nichts mehr zu klären«, lallte sie erneut und verschüttete einen Teil der Flüssigkeit über ihren Handrücken. Daraufhin nahm ich ihr die Tasse aus der Hand, um sie vorerst wieder auf der Tischplatte abzustellen.
Eine Zeit lang saßen wir schweigend da, bis Megan schließlich gegen mich gelehnt einschlief.
»Sie wird heute Nacht hier schlafen, in diesem Zustand kann ich sie unmöglich nach Hause schicken«, erklärte ich seufzend, woraufhin Dylan verständnisvoll nickte.
»Ich helfe dir noch dabei, sie nach oben zu bringen und dann werde ich mich langsam auf den Weg machen, okay?« Er hatte sich bereits erhoben und obwohl es mir schwerfiel, stimmte ich seinem Vorschlag zu.
Gemeinsam schafften wir es, Megan ins Obergeschoss zu befördern, wo ich ihr notdürftig die Schuhe auszog und sie anschließend in mein Bett verfrachtete. Sie ließ die ganze Prozedur ächzend über sich ergehen, protestierte jedoch nicht.
Traurig betrachtete ich Megan, wie sie vollkommen neben sich stehend in meinem Bett lag. Das weiße Kleid, welches sie mir nur wenige Stunden zuvor via FaceTime gezeigt hatte, erinnerte mich schmerzlich daran, wie sehr sie sich auf den Abend mit Kyle gefreut hatte.
Was wohl genau passiert war? Wahrscheinlich würde ich es erst erfahren, wenn Megan wieder nüchtern war.
»Danke«, wandte ich mich irgendwann an Dylan, woraufhin er sofort seine Arme um mich schlang.
»Sie ist deine beste Freundin und wir holen den Abend einfach nach«, er nahm mein Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Wir standen noch immer vor meinem Bett, aber das störte mich überhaupt nicht.
»Ich wünschte, Kyle wäre auch so wie du«, meldete sich Megan plötzlich murmelnd zu Wort. Unruhig wälzte sie sich von der einen auf die andere Seite, bevor sie unbeirrt – aber noch immer stark alkoholisiert – fortfuhr: »Du hast so viel Scheiße erlebt und kriegst es trotzdem hin, Claire gut zu behandeln.«
Bei ihren Worten wurde mir augenblicklich heiß, aber noch bevor ich ihren plötzlichen Redefluss unterbinden konnte, nuschelte sie mit geschlossenen Augen weiter: »Irgendwie komisch, dass ihr zusammenseid, weil dein bester Freund tot ist, oder? Anderenfalls hätte Claire ja keinen Grund gehabt, dich zu stalken.«
Entsetzt beobachtete ich, wie sich Dylans Gesicht verfinsterte. »Was meinst du damit?«, wandte er sich nun direkt an sie, woraufhin ich mich unbeholfen zwischen die beiden stellte.
»Sie ist voll, das ist alles«, versuchte ich die Situation zu überspielen, aber Megan dachte überhaupt nicht daran, endlich ruhig zu sein. Stattdessen fing sie wie eine Verrückte zu kichern an, was offensichtlich dem Alkohol geschuldet war.
»Hast du ihm etwa nichts von deiner Mission erzählt? Der Antrag beim Archiv und unsere Versuche, alles über ihn herauszubekommen?« Ihre Stimme war nicht mehr als ein undeutliches Flüstern, aber trotzdem hatte Dylan jedes Wort in sich aufgenommen, wie ich seiner Mimik entnehmen konnte.
Fassungslos trat er einen Schritt nach hinten und sah mir direkt in die Augen. Wahrscheinlich wartete er darauf, dass ich ihre Aussagen dementierte. »Ich kann dir alles erklären«, flüsterte ich stattdessen überfordert.
In seinem Blick lag nichts weiter als Leere und Verachtung. »Wie konnte ich so dumm sein und glauben, du bist anders?«, brachte er schließlich leise hervor. Meinen Versuch, seine Hand zu greifen, wehrte er entschieden ab.
»Es war nicht so–«, versuchte ich mich verzweifelt zu rechtfertigen, allerdings ließ er mich nicht ausreden.
»Ich habe dich gefragt, ob du jemandem davon erzählt hast und du hast Nein gesagt.« Seine Stimme war ruhig, aber trotzdem konnte ich die Enttäuschung ganz deutlich heraushören. »Und von was für einem Antrag redet sie?«
Mein Herz raste und ich war unfähig, die Worte in meinem Kopf zu einer sinnvollen Erklärung zusammenzusetzen. »Der Brief«, stotterte ich hilflos, »ich wollte einfach wissen, was es damit auf sich hat. Es war falsch, dir nichts zu sagen. Bitte verzeih mir!«
»Ich war also nichts weiter als ein spannendes Ferienprojekt für dich. Verstehe. Leider muss ich dich enttäuschen, eure Projektarbeit ist hiermit offiziell beendet. Ihr werdet mich nie wiedersehen.«
Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand aus meinem Zimmer. Obwohl ich ihn aufhalten wollte, tat ich es nicht. Tief in mir wusste ich, dass ich ihn verloren hatte und diese Tatsache ließ mich verzweifelt auf den Boden sacken, wo ich augenblicklich in einem Meer aus Tränen versank.
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