ℤ𝕖𝕙𝕟

Mit klopfenden Herzen näherte ich mich erneut dem Grundstück von Mrs. Foster. Der Briefumschlag in meiner Tasche fühlte sich tonnenschwer an und ich fragte mich unwillkürlich, ob die Last von meinen Schultern verschwinden würde, sobald ich ihn eingeworfen hatte.

Kurz bevor ich mein Ziel erreicht hatte, zog ich das Kuvert aus meiner Tasche. Den Blick starr auf den Briefkasten gerichtet, legte ich die letzten Meter zurück.

Ich hatte den Kasten bereits erreicht, als mir vollkommen unerwartet eine überraschte Mrs. Foster entgegenblickte. Die alte Dame war offenbar dabei, Unkraut aus ihrem Vorgarten zu entfernen und aufgrund der riesigen Eiche hatte ich sie zuvor überhaupt nicht sehen können. Mühsam erhob sie sich, klopfte notdürftig den Dreck von ihrer Hose und kam dann auf mich zu.

Shit.

»Hallo Claire«, begrüßte sie mich freundlich, während ich noch immer paralysiert auf der Stelle verharrte. »Möchtest du zu mir?«

»Ich ... ähm ... teile eigentlich Flyer für unser Restaurant aus. Mir ist aber gerade aufgefallen, dass ich gar keine mehr übrighabe. Tut mir leid«, erwiderte ich mit hochrotem Kopf. Den Briefumschlag ließ ich dabei verkrampft hinter meinem Rücken verschwinden.

»Oh, seit wann verteilt ihr denn Flyer? Ändert ihr eure Speisekarte?«, wollte sie neugierig von mir wissen. Verdammt, mit jedem weiteren Wort manövrierte ich mich tiefer in die Scheiße.

»Nein ... also ja ... eigentlich ist es mehr so eine Art Werbeaktion ...«, stammelte ich unbeholfen und kam mir dabei wie eine Schwerverbrecherin vor. Wie konnte es soweit kommen, dass ich vor dem Anwesen älterer Menschen aufschlug und diesen absurde Lügengeschichten erzählte?

»Vielleicht hast du ja das nächste Mal einen für mich übrig«, antwortete sie verständnisvoll, während ich noch immer am liebsten im Erdboden versunken wäre.

»Bestimmt. Ich muss dann auch mal wieder ...«, presste ich mit einem gequälten Lächeln hervor und drehte mich eilig von ihr ab, um schnellstmöglich fliehen zu können.

»Warte mal bitte einen Moment«, bat mich Mrs. Foster und bevor ich reagieren konnte, wandte sie sich auch schon in Richtung ihres Hauses, »Dylan! Kommst du mal bitte?«, rief sie in unüberhörbarer Lautstärke, woraufhin dieser nur einen Wimpernschlag später mit fragendem Gesichtsausdruck im Türrahmen erschien.

Oh Gott! Nein, nein, nein, nein!

Bitte nicht!

Ich konnte mein Blut förmlich in den Ohren rauschen hören und es fühlte sich an, als wäre ich ganz kurz davor einfach umzufallen. Was sollte ich nur tun? Weglaufen und somit noch mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehen? Ganz davon abgesehen, dass ich nicht das Gefühl hatte, mich auch nur einen Millimeter von der Stelle bewegen zu können.

»Ich möchte dir jemanden vorstellen«, konkretisierte sie ihr Anliegen, woraufhin sich Dylan mürrisch in Bewegung setzte. »Das hier ist Claire. Ihre Eltern führen das beste Restaurant in der Stadt«, erklärte sie mit einem entsprechenden Handzeichen in meine Richtung.

»Beeindruckend«, gab er ironisch zurück, die Kapuze seines Pullovers tief ins Gesicht gezogen. Trotzdem konnte ich an seinem skeptischen Blick erkennen, dass ihm unsere morgendliche Begegnung durchaus bewusst zu sein schien und ich betete nur stumm, dass er sich nicht vor seiner Tante dazu äußern würde.

»Mein Neffe ist etwas speziell«, versuchte sie die Situation mit einem Augenzwinkern zu überspielen. »Er kommt aus Folkestone in England und wird über die Sommermonate bei mir bleiben. Leider kennt er bisher niemanden hier und da kam mir gerade der spontane Einfall, dass ihr vielleicht mal etwas zusammen unternehmen könntet.«

Okay, nicht mehr viel und ich würde endgültig umkippen. Nur zu dumm, dass ich noch immer den an Dylan adressierten Briefumschlag hinter meinem Rücken verbarg. Sollte ich also tatsächlich in Ohnmacht fallen, würde das mit Sicherheit einige Fragen aufwerfen.

»Sorry, aber kein Interesse«, blaffte dieser seine Tante im nächsten Moment auch schon genervt an. Er hatte sich bereits abgewandt, um zurück zum Haus zu laufen, als Mrs. Foster ihn erneut probierte zu überzeugen.

»Claire könnte dir die Stadt zeigen oder dich ihren Freunden vorstellen«, versuchte sie es unbeirrt weiter. Die Verzweiflung in ihrer Stimme konnte sie dabei allerdings nicht länger verbergen. Offenbar klammerte sie sich an den Gedanken, ihren Neffen irgendwie zu integrieren.

»Nein«, konterte dieser jedoch nur knapp, dann joggte er die Stufen zum Haus herauf und verschwand mit eiligen Schritten im Gebäude.

»Es tut mir leid«, richtete sich die ältere Dame daraufhin reumütig an mich. »Ich wollte dich wirklich nicht in eine unangenehme Situation bringen, aber ich mache mir ein wenig Sorgen um Dylan.«

»Schon in Ordnung«, versuchte ich sie mit einem aufgesetzten Lächeln zu beruhigen. Die Aussicht, endlich aus diesem Albtraum entfliehen zu können, ließ meinen Stresspegel zumindest etwas sinken.

»Er hat viel durchgemacht, aber er kann sich doch nicht ewig verkriechen.« Sie blickte nachdenklich in die Ferne, als sie die Worte aussprach.

»Irgendwann öffnet er sich bestimmt wieder«, versuchte ich sie notdürftig aufzumuntern. Dann warf ich einen plakativen Blick auf meine Armbanduhr. »Es tut mir sehr leid, aber ich muss jetzt wirklich los.«

»Natürlich«, gab sie verständnisvoll zurück. »Bis bald, Claire.«

Ungeduldig wartete ich, bis sie ihren Blick abgewandt hatte, dann ließ ich den Briefumschlag unauffällig zurück in meine Tasche gleiten. Unter diesen Umständen konnte ich ihn unmöglich einwerfen.

Erst als er sicher in meiner Tasche verstaut war, setzte ich mich in Bewegung. Sobald ich außer Sichtweite des Foster-Anwesens war, begann ich zu rennen, als wenn es um mein Leben ginge.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top