30
[YURIS]
Die Ketten klirrten und langsam schlugen die Gefangenen die Augen auf. Einer nach dem anderen kamen sie zu Bewusstsein und blickten kurz darauf panisch um sich. Yuris stand außerhalb des Gitters im Schatten und beobachtete die Mitglieder des Clans. Ein Clan, innerhalb von wenigen Sekunden ausgeschaltet – und das durch seine Hand. Mit einem lasziven Lächeln musterte er die Frauen, die an den Ketten rüttelten und dann mit zusammengekniffenen Augen um sich sahen.
„Grace, geht...es dir gut?", fragte die Frau mit den gepiercten Ohren.
„Ja. Abgesehen davon, dass man mich des Hochverrats angeklagt und behauptet hat, ich würde die Genesung des Finanzbeamten verhindern." Die Stimme der Ärztin hallte zischend von den Wänden wider und vergrößerte nur das Grinsen auf Yuris' Lippen.
„Viper? Viper! Verdammt, wach auf." Die Frau rüttelte an den Ketten und beugte sich zu dem noch immer bewusstlosen Mann rüber. Die Platzwunde an seiner Augenbraue hatte aufgehört zu bluten und das Blut in seinem Gesicht war getrocknet.
„Gemma, warte doch mal." Grace trat ihrer Freundin – Gemma, wie Yuris nun wusste – gegen das Schienbein. „Schau mal wie er aussieht. Als wäre er zusammengeschlagen worden."
Gemma hörte auf zu zappeln und sah besorgt zu Grace. „Ob es ihm gut geht?"
„Wahrscheinlich noch besser als euch." Die Frauen zuckten zusammen, als Yuris sprach. Sie blickten durch das Gitter, doch konnten ihn nicht sehen.
„Was habt ihr mit ihm gemacht, ihr Schweine?!", schrie Gemma.
„Gar nichts. Wir haben ihm kein Haar gekrümmt", antwortete Yuris und trat nun ins Licht. Beide Frauen schienen nicht beeindruckt zu sein, ihn zu sehen. Stattdessen verstärkte sich die Wut in ihren Augen.
Yuris sah, wie sich Viper regte. Seine Finger bewegten sich leicht, doch beide, Grace und Gemma schienen wortwörtlich blind vor Wut zu sein. Sie bemerkten es nicht.
„Hör' auf zu lügen. So wie er aussieht, müsst ihr etwas getan haben. Er kann sich in diesem Zustand wohl kaum selbst geschlagen haben", entgegnete Grace und zog ihre Augenbrauen hoch.
Yuris sah auf seine Schuhe. Das Schwarz seiner Stiefel war mit Blut bespritzt und kurz rümpfte er die Nase. Entweder stammte das Blut von Scorpion – dem Mann, der gegenüber der drei Mitglieder in dem dunklen Teil der Zelle hing und noch in Bewusstlosigkeit schlummerte – oder aber den Frauen. Er hatte kurz bei den beiden vorbeigeschaut, als die anderen Mitglieder der Garde sie verhört hatten – wenn auch sie ihre eigenen Methoden benutzt hatten, die Yuris persönlich zu unanständig waren. Natürlich hatte er schon seinen Spaß mit Frauen gehabt und eine nackte Frau war für ihn kein Neuland, doch trotzdem fand er es unangebracht, dass die Gardisten den Frauen nach und nach ein Kleidungsstück entwendet hatten.
„Ihr versteht wohl nicht, was Foltern heißt?", hatte Yuris gesagt und somit die Gardisten gehindert, das letzte Stück Stoff den Frauen zu entreißen. „Wenn ihr nicht wollt, dass ich persönlich euren kleinen Schwanz abschneide, dann solltet ihr zusehen, dass die Folterinstrumente benutzt werden." Mit seinem Finger hatte er auf diverse Stöcker, Laserwaffen und andere Dinge gedeutet, die an der Wand hingen. Die Gardisten hatten genickt und Yuris war zu Grace und Gemma vorgetreten.
„Was, bekomme ich kein Danke dafür, dass ich euch gerettet habe?"
Die Ärztin hatte ihm ins Gesicht gespuckt. „Hättest du uns gerettet, würden wir nicht hier hängen."
Yuris hatte sich die Spucke weggewischt und dann beiden Frauen gegen das Kinn geschlagen, sodass sie Blut gespuckt hatten – vermutlich auch auf seine Stiefel. Ihre Worte und Flüche hatte er sich an den Kopf werfen lassen, während er den Raum verlassen hatte.
„Wir haben ihm kein Haar gekrümmt", wiederholte sich Yuris und verengte seine Augen. „Unterstellt ihr mir etwa, zu lügen?"
„Was solltest du sonst tun. Die Wahrheit sagen? Ganz sicher nicht. Viper wurde zusammengeschlagen." Gemma zerrte erneut an ihren Ketten.
„Er sagt die Wahrheit." Die beiden Frauen zuckten zusammen, als Vipers Keuchen durch die Stille schnitt. „Sie haben mich nicht angerührt." Verwundert wechselten Grace und Gemma Blicke mit Yuris und Viper.
Yuris zuckte mit den Schultern. „Was habe ich euch gesagt?"
„Ist ja gut, Dreikäsehoch", zischte Grace und wandte sich von dem empörten Gardisten ab. Er wollte etwas erwidern, bemerkte aber, dass sich in den Schatten der letzte Gefangene bewegte. „Viper, du siehst nicht gut aus. Wer war das?"
„Scorpion", war die Antwort und Grace und Gemma zuckten kurz zusammen.
„Scorpion würde dir niemals wehtun", beteuerte Grace und Yuris konnte die Bestürzung und Wut aus ihrer Stimme heraushören. Sein Blick galt aber dem dunklen Teil der Zelle und mit Freude beobachtete er, wie sich der Schatten in der Ecke langsam regte. Die anderen schienen nun auch das Rasseln der Ketten zu hören, als Scorpion seine Arme anspannte und langsam den Kopf hob. Selbst im Dunkeln konnte man seine Augen erkennen – kristallklares Blau funkelte den drei Gefangenen entgegen.
„Wie es aussieht, hat sich auch euer Freund endlich dazu aufgerafft die Augen zu öffnen", sagte Yuris gelangweilt und sah auf, als einige Gardisten den Gang zu ihm hinter kamen. Genau im richtigen Moment. Yuris wurde die Tür zur Zelle geöffnet und langsam schritt er hinein.
„Scorpion!" Grace' Ruf war voller Verzweiflung und Erleichterung, als der Mann ein leises Knurren ausstieß: „Schrei noch lauter und ich nähe dir deinen Mund zu."
Mit vollster Genugtuung sah Yuris, wie Grace aufschnappte. „Was..."
„Mach dir nicht die Mühe, Grace", unterbrach Yuris die Frau. „Er ist nicht er selbst. Das war er noch nie und wird es auch nie sein."
„Was meinst du damit? Du kennst Scorpion nicht." Gemma hatte ihre Stimme erhoben und sah mit gerecktem Kinn zu dem jungen Gardisten rüber.
„Oh, meine Liebe, ich kenne ihn weitaus besser als ihr alle drei zusammen." Yuris zog sich langsam seine Handschuhe von den Fingern. „Er hat Dinge getan. Abscheuliche Dinge." Einer der Gardisten reichte Yuris ein Messer. Er betrachtete die Klinge und fuhr ehrfürchtig mit dem Zeigefinger über die Schneide. „Habt ihr eine Ahnung, was er getan hat, wenn er raus gegangen ist? Wisst ihr, wo er hingegangen ist? Wisst ihr nicht, wer er wirklich ist?"
Yuris konnte die Emotionen aus den Blicken der drei Mitglieder der White Skulls nicht deuten. Wut, Hass, Unglaube, Verwirrung und noch viel mehr spiegelte sich in den Auggen wider. Scorpion zerrte an den Ketten und sah zu Yuris, der sich dem großen Mann auf zwei Meter Entfernung genähert hatte. „Willst du es ihnen beichten? Oder soll ich es ihnen sagen?"
Scorpion knurrte und fletschte die Zähne, wie ein wildes Tier. Yuris schnippte mit dem Finger und die Neonröhren spuckten ihr grelles Licht aus, sodass auch die anderen nun den Mann deutlich erkennen konnten. Als er sie ansah, zuckten sie erschrocken zusammen.
„Scorpion, was ist..."
„Deine Augen", hauchte Gemma, „sie haben die Farbe von..."
„Oleus, richtig", unterbrach Yuris. „Und wisst ihr auch warum?" Er drückte die Spitze der Klinge in Scorpions Brust. „Weil er der Gesandte ist. Er trägt Oleus, das Böse und das Verderben, in sich."
„So ein Blödsinn. Scorpion ist einer der nettesten und hilfsbereitesten Menschen, die ich kenne." Grace zerrte an den Ketten und schrie auf, als einer der Gardisten ihr in die Magengrube schlug.
„Ist er das?" Yuris drehte sich um und grinste Scorpion an, ehe er sich lächelnd wieder an die drei anderen richtete. "Ich sehe, ihr seid unwissend. Euer lieber, armer Scorpion hat euch so einiges verheimlicht. Nicht wahr Scorpion? Oder ist dir Nathaniel lieber?"
"Dieser Name ist vor langer Zeit gestorben! Er wurde wie meine Seele ausgelöscht." Verächtlich schnaubte Yuris. Dann drehte er sich mit ernster Miene um. „Ich würde euch gerne etwas zeigen." Er betätigte einen Schalter und die Ketten in der Decke fuhren eine Schiene entlang. Scorpion zischte auf, als sich das Metall der Manschetten in seine Handgelenke schnitt, während er versuchte auf Zehnspitzen den Bewegungen zu folgen, bis er in der Mitte der Zelle hing. Nun stand er mit dem Rücken zu seinen Freunden und sah mit hängendem Kopf auf den Boden. Ab und zu kniff er die Augen zusammen, doch Yuris war es egal. Er musste nur noch zwei Dinge tun.
Langsam hob er den Dolch, welchen er in der Hand hielt in das Sichtfeld Scorpions. "Erkennst du diesen Dolch, Nathaniel? Es ist der selbige, mit dem du meine Schwester und den Rest meines Dorfes getötet hast. Es war dumm von dir ihn zurück zu lassen, wo er doch deine Initialien trägt. N.W.. Nathaniel White. Welch trügerischer Name. Die weiße Unschuld hast du schon lange verloren." Nachdenklich betrachtete er die Waffe in seinen Händen und setzte schließlich die Klinge an Scorpions Nacken an.
„Was tust du da?", schrie Grace, doch Yuris sah sie weder an, noch würdigte er ihr seine Aufmerksamkeit. Ruhig, fast schon gelassen, schnitt er das von Blut vollgesogene T-Shirt entzwei und riss es ihm auseinander. Der muskulöse Rücken war voller Blut und Yuris hörte, wie hinter ihm alle drei Gefangenen nach Luft schnappten.
Doch dieses Mal blieb es ruhig. Niemand sagte etwas.
„Bringt mir das Wasser", befahl Yuris und winkte einen Gardisten heran, der einen Eimer schleppte. Kaltes Wasser schwabbte über und lief über den Boden. Auf ein Zeichen hin hob der Mann den Eimer und goss Scorpion das Eiswasser über den Rücken. Scorpion stöhnte auf und ballte die Hände zu Fäusten. Yuris legte eine Hand auf den Rücken, fuhr die Wirbelsäule nach oben und genoss es, wie der Mann unter seinen Berührungen zusammenzuckte und sich die Muskulatur anspannte. Das Blut vermischte sich mit dem Wasser auf seinem Rücken und unter seinen Fingerspitzen konnte Yuris das Brandzeichen erspüren. Er wischte das Blut weg und grinste, als der Skorpion sichtbar wurde.
Die Haut fühlte sich rau an und war stark vernarbt. Doch die Form war klar und deutlich zu erkennen. Mit einem triumphierenden Glitzern in den Augen trat er zur Seite und sah zu den drei Gefangenen, die ihn beobachtet hatten. „Seht ihr das?" Er zeigte auf das Brandzeichen. „Wisst ihr was das ist?"
„Sieht aus wie ein Brandzeichen", murmelte Grace und legte den Kopf schief. „Brandzeichen haben doch nur..." Ihre Augen weiteten sich. „Nein." Ihre Mundwinkel sanken und Tränen stiegen in ihre Augen. Gemma und Viper schienen ebenfalls zu begreifen, was das Zeichen zu bedeuten hatte.
„Das kann nicht sein. Scorpion soll der Überlebende des Pandinus-Clans sein?" Viper schien nicht wirklich betroffen zu sein. Eher wütend.
„Ich kann euch mit Sicherheit sagen, dass er es ist", meinte Yuris und zog aus seiner Manteltasche den kleinen Lederbeutel, den er Scorpion entwendet hatte. Er spürte die scharfen Kanten, kostete das Gewicht des Inhalts aus und sah dann in Gemmas Augen. „Was weißt du über den Pandinus-Clan?"
„Er bestand aus Auserwählten des Königs. Sie alle wurden von ihm gebrandmarkt und jagten Verbrecher des Landes. Innerhalb einer Nacht haben sie hunderte Menschen umgebracht und ein ganzes Blutbad hinterlassen. Irgendwann hat der König sie aber töten lassen, weil sie zu gefährlich wurden."
„Und weißt du auch, warum?"
„Es gab diesen Stein. Nur einer der Mitglieder konnte ihn benutzen, weil es ihm Macht verlieh."
Yuris nickte. „Hier drinnen, ist genau dieser Stein und Nathaniel, ist der letzte Überlebende des Pandinus-Clans." Die Luft schien kälter zu werden und der Mann in der Mitte der Zelle schrie auf. Seine Augen waren geschlossen und seine Rückenmuskulatur spannte sich an.
„Gib mir den Stein!", schrie er, seine Stimme, obwohl sie klang wie seine, wirkte fremd und verzerrt.
Yuris schüttelte den Kopf. „Den Stein? Oh, den kann ich dir nicht geben." Yuris zog seine Handschuhe an und griff in den Lederbeutel. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er den kleinen Stein rausholte, den er problemlos in der geschlossenen Hand halten konnte. „Was so ein kleines Ding nur für einen undenkbar großen Schaden anrichten kann", murmelte Yuris und drehte den fast durchsichtigen Stein zwischen seinen Fingern.
„Gib. Ihn. Mir", stieß Scorpion zwischen zusammengebissenen Zähnen aus.
„Nicht, ehe ich ein Bisschen Spaß mit dir gehabt habe." Yuris steckte den Stein zurück in den Beutel und verstaute es in seiner Manteltasche. „Du hast meine Familie umgebracht", zischte er und legte die Klinge an das Brandzeichen. Scorpion gab keinen Ton von sich. "Ich werde deine Innereien zerschneiden und wieder vernähen. Aber nur so weit, dass du einen langsamen Tod sterben wirst", zischte Yuris und hob mit seiner Dolchspitze Scorpions Kinn an.
"Das wird er nicht überleben", stieß Grace geschockt aus und erntete dafür einen harten Stoß in die Rippen, welcher sie aufkeuchen lies.
"Nein", sagte Yuris sanft und richtete sich auf. "Vermutlich nicht." Er ließ die Klinge sinken und überreichte den Dolch und seinen Umhang einem Gardisten. „Eins solltet ihr noch von mir wissen", sagte er und sah die Gefangenen einen nach dem anderen an. „Ich habe keinerlei Hemmungen, Gewissensbisse oder gar Schuldgefühle bei dem, was ich machen werde. Verstanden? Keinerlei."
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