28
[SCORPION]
Die Tür der Zelle wurde mit einem Quietschen geöffnet. Ein Lichtstrahl fiel auf Scorpion und ließ ihn kurz blinzeln. Er wusste nicht, wie lange er nun schon zusammen mit den anderen drei Mitgliedern seines Clans in dieser Zelle gefangen gehalten wurde. Die Neonröhren an der Decke flackerten und bereits nach kurzer Zeit hatte Scorpion die Augen geschlossen, da ihm das Flackern auf die Nerven ging. Als sich der Lichtkegel von ihm abwandte, erkannte Scorpion die Umrisse einer Person, die hereinkam und zu der Wand ihm gegenüber ging. Dort waren Grace und Gemma angekettet. Als sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, bemerkte er, dass die beiden Frauen von zwei Wachmännern losgebunden wurden.
Hatte der König seine Meinung geändert? Nein, niemals. Es musste etwas anderes sein.
"Ey, was macht ihr mit ihnen?", fragte Viper und zerrte an seinen Fesseln. "Nehmt mich. Los, nehmt mich!"
Doch die beiden Gardisten reagierten nicht auf den dunkelblonden Mann, der sich erhoben hatte und nun Richtung Tür schritt. Die Ketten hinderten ihn jedoch daran, so weit nach vorne zu gehen und so wurde Viper durch den Schwung nach hinten gezogen. Unsanft knallte er auf dem Boden auf. Gemma sah Viper an. Vom Boden aus konnte der Mann erkennen, dass sie sich wehrte, einen Schlag gegen die Rippen kassierte und dann mit erhobenem Haupt Grace folgte. Scorpion, der dem ganzen Geschehen bisher mit zusammengebissenem Kiefer gefolgt war, zerrte nun an seinen Fesseln.
"LASST SIE GEHEN, VERDAMMT!", schrie Scor.
Niemand hörte auf ihn. Die Männer zogen Grace und Gemma aus dem Blickwinkel der beiden Männer, die in Ketten gelegt an der Wand standen.
[...]
Zeit war vergangen. Stille herrschte und nur das Flackern der Lampen hatte eingesetzt und somit eine Veränderung der Zeit gezeigt.
Ich bring sie um.
Das war alles woran er denken konnte. Er spürte, wie Hass und Wut in seinen Adern strömte. Wie es seine Finger zum Zucken brachte. Wie er innerlich glühte. Vor sich sah er Grace' dunkle Augen, wie sie ihn angsterfüllt und doch voller Liebe angesehen haben. Es war wohltuend gewesen. Scor wusste, dass sie ihm klar machen wollte, er solle sich keine Sorgen machen, doch das war nicht so einfach, wenn überall lüsterne Männer um die Frauen herumstanden und diese nun auch weggebracht hatten. Es war nicht einfach, weil er in Grace Augen einen Ausdruck gesehen hatte - ganz unscheinbar -, der ihm das Herz in der Brust zerrissen hatte: Lebe wohl.
Sie war davon überzeugt, dass sie sich nie wiedersehen würden.
Scor stieß einen wütenden Schrei aus und zerrte an seinen Ketten. Viper zuckte zusammen und sah zu Scorpion. Seine Augen waren halb geschlossen und Schweiß und Blut rann an seiner Stirn hinab.
Kälte.
Nichts.
Ein Schatten.
Eingezwängt zwischen dem was ist und dem was sein könnte.
Grace.
Eine Scherbe aus Hitze.
Schneidet sich in dein Fleisch.
Deine Haut.
Deine Gedanken.
Dein Herz.
Lässt dich bluten.
Verbluten bis auf die Knochen.
Klick klack.
Eine Woge aus Angst traf Scorpion wie peitschender Wind. Doch alle Übungen, die er in den letzten Jahren gelernt, jede Konzentrationen, die er sich erarbeitet hatte, gingen in der Dunkelheit unter, die ihn immer mehr und mehr verschlang. Davongespült wie ein brüchiger Staudamm.
In seinen Ohren klackte es und weil er sich mit den Händen nicht die Ohren zuhalten konnte - obwohl Scor genau wusste, dass das Klacken davon nicht aufhören würde - schlug er seinen Kopf gegen die Wand. Den Schmerz spürte er nicht. Er genoss die Bewegung, die Kraft, die er entladen konnte. Viper hob müde seinen Kopf. Der Blutverlust schien ihm Kraft geraubt zu haben, doch das heizte Scorpion nur weiter auf.
Zum wiederholten Male donnerte er seinen Hinterkopf gegen die Wand. Er wollte Erleichterung spüren, Freiheit, die Gewissheit, dass die anderen in Sicherheit waren - doch das einzige was er fühlte, war Wut. Scors Haare waren feucht vom Blut. Es rann an seinem Nacken hinab, über den Rücken. Das Pochen der Wunde an seinem Kopf ignorierte er. Steine bröckelten auf den Boden. Scor ruckte an den Fesseln.
Es geschah nichts, doch Scorpion versuchte es erneut, obwohl ein Fünkchen Verstand ihm sagte, dass er es lassen sollte. Dass er sich durch die Wucht seiner Bewegungen nur die Arme ausrenken oder die Hände brechen würde.
Feuer.
Wut.
Zorn.
Genieße die Wärme.
Sie schenkt dir Kraft.
Für einen Moment fällt Licht auf ein Gesicht.
Wangenknochen.
Ein Kinn.
Der Umriss von Lippen.
Obsidianfarbene Augen.
Tief und dunkel.
Ziehen dich hinab.
Lassen dich schwach werden.
Beißen sich in dein Herz.
Klick klack.
Ein weiteres Mal schlug Scor seinen Kopf gegen die Mauer. Ihm wurde schwindelig, doch die Wut brannte noch immer heiß in ihm.
"Was machst du?", fragte Viper mit kratziger Stimme.
"Halt die Klappe." Ein weiterer Schlag.
Viper, der sich zuvor halb hängen gelassen hatte, schnaufte auf, als er sich auf die Füße stellte und mit zittrigen Beinen zu seinem Partner sah. "Scor."
Scorpion zerrte an den Ketten.
"Scor, rede mit mir", bat Viper. Seine Stimme drang nur leise zu Scorpion hindurch.
Ein weiterer Ruck.
Und noch einer.
Und...dann gaben die Ketten nach.
Nur wenige Zentimeter, aber wenn er weiter zerrte, könnte es gut sein, dass er seinen Arm befreien könnte. Und hätte er den einen Arm draußen, würde er den Rest auch schaffen.
"Kommst du etwa frei?", fragte Viper leise. Es stand zwar kein Wachmann vor der Tür, doch sie wussten nicht, wie lange sie unbeaufsichtigt in ihrer Zelle waren. Kameras hatten sie nicht entdeckt, doch woher sollten sie wissen, wie das Überwachungssystem im Kerker des Palastes aufgebaut war? Hier war alles möglich. "Scorpion?"
Doch Scorpion reagierte nicht darauf. Er zerrte weiter an den Ketten. Ließ sich in die Knie fallen. Ließ sich mit ganzem Gewicht hängen, schnitt sich das Metall ins Fleisch.
Na los. Noch ein paar Mal. Dann kannst du hier raus. Dann bist du endlich frei. Klick klack.
Er spürte wie seine Finger kribbelten, sah vor sich, wie die Ketten aus der Decke rissen. Wie er auf die Beine kam und dann frei in der Zelle stand. Scor sah, wie sich seine Hände um die Stäbe der Tür schlossen, wie er sie aus der Wand riss und dann hinaus trat. Ein wilder Schrei verließ seine Kehle und ließ Viper zusammenzucken.
Er hat keine Ahnung, zu was du fähig bist. Klick klack.
Ein weiteres Rucken, sie gaben noch einen Zentimeter nach und während Scorpion zog und zerrte, betete er gleichzeitig, dass diese scheiß Dinger halten würden.
"Scorpion. Lass es sein. Du wirst dich verletzen." Das Rasseln von Vipers Ketten, jagte eine Gänsehaut über Scorpions Rücken.
Klick klack.
"Halt die Klappe", zischte Scorpion und riss weiter. Er spürte, wie ihm Blut am Handgelenk runterlief. Wie es sein T-Shirt verklebte.
"Scor, jetzt..."
Klick klack.
"Halt die Klappe!", schrie er. Und im nächsten Moment stieg plötzlich eine unbändige Wut in ihm hoch. Er riss die Arme nach unten, hörte das Brechen von Stein, spürte den Staub, der auf seinen Kopf fiel, aber er konnte einfach nicht aufhören. Seine Arme bewegten sich von ganz alleine.
Ruck. Wieder ein Stück geschafft.
Er sah sie vor sich. Grace, wie sie ihm um den Hals fiel. Ihn küsste und ihm sagte, wie sehr sie ihn liebte. Und dann sah er sie wieder. Wie sie sich von ihm abwandte. Wie sie ihn alleine stehen ließ. Wie sie ging. Einfach so. Wie sie ihn alleine zurückließ. In purer Dunkelheit.
Weißt du warum sie so gefügig den Wachen gefolgt ist? Klick klack.
Scorpion riss ein weiteres Mal an den Ketten.
Sie ist gegangen, weil sie weiß, dass du es nicht wert bist. Klick klack.
Ein tiefer Schrei verließ seine Kehle.
Er will sie leiden sehen.
Er wollte seine Finger in ihren Brustkorb bohren und ihr bei lebendigem Leib das Herz herausreißen.
Er wollte ihr Blut riechen.
Ruck.
Ein Riss zog sich durch die Decke, Steine rieselten hinab und dann war Scorpion frei. Stolpernd kam er zum stehen, hielt sich seinen Kopf. Das Klacken wurde lauter, das Pochen stärker und das Blut verklebte seine Haare. Seine Hände fühlten sich taub an und die Ketten hatten tief in seine Haut geschnitten.
Du hast es geschafft. Jetzt geh. Lauf, ehe sie zurückkommen. Klick klack.
Mit wenigen Schritten hatte Scor die Zelle durchquert und legte seine Hände an die Gitterstäbe. Sie waren kalt und das Kribbeln in seinen Fingern verjagte den Schmerz, der ihn durchzuckte, als er an der Tür riss.
"Scorpion." Vipers Stimme drang an sein Ohr. Sie war schwach, kaum mehr als ein Flüstern, und doch hatte er sie gehört. Doch er drehte sich nicht um. Er konnte nicht. Wie paralysiert rüttelten seine Hände an der Tür. Zerrten an den Stäben und seine Füße stemmte sich in den Boden.
"Scorpion. Ich glaube da kommt jemand."
Und tatsächlich. Ein Schatten bewegte sich an der Wand und kurze Zeit später tauchte ein Wachmann auf. Erschrocken zuckte er zusammen, als er den blutüberströmten Scorpion an der Tür sah.
Jetzt beende es. Dann bist du endlich frei. Klick klack.
Der Wachmann öffnete seinen Mund, um nach Hilfe zu rufen, doch es kam kein Laut heraus - dafür war Scorpion zu schnell. Er hatte seinen Arm rausgestreckt, den Mann am Kragen gepackt, zu sich herangezogen, mit der anderen Hand den Schlüssel gegriffen und den Wachmann dann gegen die Wand geschleudert. Ein Knacken, ein kurzes Stöhnen und dann klappte der Wachmann leblos zusammen.
Hinter Scorpion ertönte ein kurzes Atmen.
Wenn die anderen zurückkommen, wird er dich verraten. Klick klack.
Langsam drehte sich Scorpion um. Der Schlüssel lag ganz kalt in seiner Hand. Seine Finger kribbelten und Hitze tobte in seinem Inneren. Bevor Scorpion richtig begriff, was er tat, schloss er seine Hand zu einer Faust und schlug Viper in den Magen. Er spürte, wie einige Rippen brachen, als Viper durch den Schwung an die Wand knallte.
Am liebsten hätte Scorpion Viper gepackt und ihm das Genick gebrochen.
Es würde sich mit Sicherheit gut anfühlen. Klick klack.
Scorpion konnte es vor sich sehen. Glasklar. Konnte seine Haut und sein Fleisch unter seinen Händen spüren. Das Knirschen brechender Knochen hören. Allein schon die Vorstellung fühlte sich wie ein kalter Lappen auf einer fieberheißen Stirn an. So unvermittelt und beruhigend, dass seine Finger sich krümmten.
"Scor", keuchte Viper und sah mit großen Augen zu dem Mann auf. "Deine Augen...was...?"
Doch weiter kam er nicht, denn der nächste Schlag beförderte ihn ins Jenseits.
Scorpions Lippen zogen sich nach oben. "Klick klack."
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