14
[VIPER]
"Bryan wird das nicht gefallen", meinte Gemma, doch mit schnellen Schritten folgte sie Viper. Lautlos sprangen sie durch den Wald, der unmittelbar hinter Hoplor aufragte und bis hinauf ins Gebirge ging, wo sie kurz zuvor noch gelegen haben. Das Scharfschützengewehr trug Viper auf seinem Rücken und als ein kleiner Felsvorsprung kam, warf er es in ein Gebüsch, sodass der Schnee von den Blättern fiel.
"Und wenn Bryan das herausfindet, bringt er dich um", schlussfolgerte Gemma und zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Der blonde Mann grinste sie schelmisch an und wies mit einer Hand auf den Vorsprung vor ihnen.
"Nur zu blöd, dass Bryan nicht hier ist und du mich nicht verraten wirst."
"Wie kannst du dir da so sicher sein?", fragte Gemma grinsend und trat auf den Vorsprung. Instinktiv wäre sie wieder zurückgegangen, doch Viper stand unmittelbar hinter ihr, sodass sie hart gegen seine Brust stieß.
"Weil ich dich kenne, Gem." Seine Worte waren ein raues Flüstern an ihrem Ohr und jagten ihr einen Schauer über den ganzen Körper.
Vor ihnen ging es tief nach unten. Würden sie springen, würden sie in dem See landen. Der Wasserfall auf der rechten Seite plätscherte laut und die felsigen Steine umragten das schneeweiße Ufer. Das Wasser selbst war tiefschwarz, was aber auch daran liegen konnte, das die Sonne bereits untergegangen war und nur die letzten rötlichen Farben am Himmel über ihnen ins Lila übergingen.
Eisiger Wind wehte um Vipers Nase, doch er spürte nur die Hitze, die zwischen ihm und Gemma herrschte. "Wie lange kannst du die Luft anhalten?", fragte er, doch ließ ihr keine Zeit zum antworten. Mit einem kräftigen Schubs stieß er Gemma nach vorne. Die junge Frau fiel und landete, begleitet von einem erschrockenen Schrei, im Wasser. Viper sprang sofort hinterher und bekam ihren Arm zu greifen. Tauchend schwamm er mit der Frau tiefer und tiefer.
Es war kalt, das Wasser fühlte sich eisig an und es dauerte nicht lange, da konnten beide nichts mehr sehen. Alles um sie herum war schwarz. Eine Druckwelle wirbelte die beiden umher und nach ein paar weiteren Schwimmzügen tauchten sie auf. Sie hatten eine kleine Höhle erreicht und das Wasser des See's war wärmer als draußen. Erleichtert schnappte Gemma nach Luft und ließ sich auf die Steine sinken.
"Du hast doch keine Angst gehabt, ich würde dich ertränken wollen?", fragte Viper, halb gespielt, halb ernst.
"Nein." Gemma schüttelte entschieden den Kopf. "Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass du Unterwasser so gut gucken kannst."
Viper lachte leise. "Ich bin diesen Weg oft genug geschwommen. Meine innere Karte genügt mir."
"Wo sind wir überhaupt?", fragte Gemma und sah sich kurz um.
"Unter dem Wasserfall gibt es einen Tunnel. Direkt dahinter kommt dann diese kleine Höhle", erklärte Viper. "Einen anderen Zugang habe ich bisher noch nicht finden können."
"Und warum ist es dann hier nicht komplett dunkel?", fragte Gemma misstrauisch. Ihre grünen Augen wirkten vollkommen schwarz.
"Deshalb." Viper deutete auf die Höhlendecke, an der sich ein Sternenhimmel zu bilden schien. Grünlich schimmernde Lichter tauchten die Höhle in ein gespenstisches Licht. "Diese Käfer leuchten immer in der Nacht. Sie sondern das Licht ab, welches sie tagsüber an der Oberfläche gehortet haben."
Beeindruckend lehnte sich Gemma nach hinten. Ihre Hände stützte sie auf den Steinen aus und zu ihrem Erstaunen stellte sie fest, dass sie warm waren. "Warum sind die Steine warm? Wir haben Winter?", sprach sie ihre Verwunderung laut aus.
"Das ist selbst für mich ein Mysterium", gestand Viper und ließ sich neben ihr nieder, ehe auch er seinen Kopf in den Nacken legte.
"Das ist der totale Wahnsinn hier", murmelte Gemma. In ihren Augen spiegelten sich die vielen kleinen Lichter der Käfer, die über ihnen an der Decke saßen.
Lange schwiegen beide und beobachteten das Naturschauspiel, welches sich ihnen hier unten erbot. Viper beobachtete, wie die wenigen Wellen das Licht reflektierten und über Gemma's nassen Körper funkeln ließen. Die Trainingsklamotten klebten an ihrem Körper und definierten deutlicher denn je ihre Kurven. Die mysteriöse Wärme in der Höhle tat viel dazu bei, dass die Haare der beiden anfingen zu trocknen und so fielen Gemma bereits ein paar Strähnen ins Gesicht.
"Du starrst mich an", meinte sie plötzlich, doch wandte ihren Blick nicht von der Höhlendecke ab.
"Ach was", wehrte Viper ab und starrte hastig wieder nach oben. Seine Wangen wurden heiß, als er aus dem Augenwinkel bemerkte, dass sich ein Grinsen auf Gemma's Lippen bildete.
"Dann hast du eben gestarrt", korrigierte sie.
"Meinetwegen."
Viper konnte nichts dagegen tun. In Gemma's Gegenwart fühlte er sich immer leicht und unbeschwerlich. Er hatte immer das Gefühl ihr alles sagen zu können. Sollte er es nicht tun, dann würde sie es dennoch erfahren - so wie jetzt gerade eben.
"Du meintest vorhin, dass du schon oft hier warst", murmelte Gemma plötzlich. Ihre Stimme war leise, doch sie hallte von den Höhlenwänden wieder.
"Ja", stimmte Viper zu. "Meist nach dem Ausdauerlauf oder, wenn ich nachdenken muss."
"Worüber denkst du nach?", fragte Gemma unbeirrt.
"Über den Glauben", gab Viper nach kurzem Zögern zu.
Gemma blickte ihn an. "Den Glauben?"
"Nun ja. Die Götter und das alles. Nach dem Glauben schauen die Götter auf uns nieder. Wie...wie funktioniert das alles?"
Gemma lachte leise. "Der Glaube ist nicht etwas, was funktioniert. Es ist das, was noch übrig ist, wenn man alles andere verloren hat. Der Glaube hat unsere Welt geformt, jedenfalls glaube ich daran. Ich kann es dir ja mal kurz erklären, ob du daran glaubst oder nicht ist mir egal."
Sie setzte sich etwas aufrechter hin. Ihr Blick galt dem Wasser.
"Es ist magisch. Etwas Besonderes aus längst vergessenen Jahren. Der Obergott Edur tauchte damals aus einem Spiel aus Licht und Dunkelheit auf. Ihm war langweilig, deshalb nahm er ein kleines Samenkorn, pustete es an und hauchte ihm somit das Leben ein. Aus diesem Samenkorn wuchs die Welt. Zugleich entstanden darin weitere Samenkörner. Diese wurden zu Pflanzen, Tieren, Menschen. Doch er sah, dass etwas fehlte und so schnitt er einen Teil von sich ab. Diesen Teil nannte er Syohr - den Gott der Liebe. Syohr wandelte umher und so vermehrten sich die Menschen, die Tiere und die Pflanzen.
Doch die Dunkelheit, aus der Edur heraufgekommen ist, wurde größer und so schnitt er ein weiteres Stück von sich ab und taufte es Lyxohr - den Gott des Lichts. Er führte die Menschen auf ihrem rechten Weg. Doch die Dunkelheit bei Edur wurde größer. Das Licht, welches auch Lyxohr ihm brachte, tat nicht viel dazu bei die Finsternis zu löschen.
Und dann geschah es. Eines Tages, ein Mensch auf der Erde verfiel in Ungnade, sammelte sich die Dunkelheit selbst und Oleus, der Gott der Finsternis und Zerstörung erhob sich aus den Schatten. Er legte sich über die eine Hälfte der Welt und um die Menschen zu beschützen, tat Obergott Edur seinen letzten Akt. Er schnitt ein weiteren Teil aus sich und erschuf somit den Gott Nuhohr - den Gott der Hoffnung.
Er sandte ihn über die Menschen, dass diese nicht sein Werk zerstörten, was er unter ganzem Kraftaufwand erschaffen hatte. Dann zerfiel er und mit Hilfe der letzten Kraft, die er aufbringen konnte, erschuf er eine schützende Schicht um die Welt - das ist der Himmel. Und weil Edur aus Dunkelheit und Licht zugleich besteht, gibt es den Tag und die Nacht. Die Sterne sind dabei alle gestorbenen Samenkörner, die von der Erde gehen. Der Obergott Edur gibt ihnen die Aufgabe, mit ihrer Liebe in der Dunkelheit für die zu strahlen, die noch auf Erden wandeln."
Sprachlos starrte Viper Gemma an. Er wusste nicht, was ihn dazu brachte steif dazu sitzen. Die Art und Weise, wie Gemma das erzählt hatte - voller Leidenschaft und Überzeugung - oder aber, dass es Viper erst jetzt bewusst wurde, was Bryan von den Zwillingen verlangte. Der Glaube war für die Sternenkinder eine Art Erklärung des Lebens. Es beinhaltete die Erklärung für ihre Existenz auf Erden und wenn sie die ablehnen müssten, dann würden sie sich selbst verleugnen.
"Gemma ich..."
"Nein, ist schon in Ordnung. Wie solltest du das auch wissen?" Tränen standen in ihren Augen und mit einer schnellen Handbewegung wischte sie sich über das Gesicht. "Bryan hat ja Recht. Die Aufträge die wir durchführen, sprechen gegen viele Gesetzte unseres Glaubens. Er wollte nur zu unserem eigenen Wohlbefinden, dass wir keine Gottesgesegneten mehr sind. Doch...wir können diesen Segen nicht einfach so ablegen." Ihr Blick glitt abermals zur Wasseroberfläche und kurz erzitterte sie. "Wir tragen die Namen von Sternen, Viper. Die Namen von Samenkörner, die auf Befehl von Edur ihre Liebe in der Finsternis strahlen lassen. Ich würde eher sterben, als meinen Glauben, meinen Namen und meine Existenz verleugnen zu wollen, nur, um im Clan leben und jemanden lieben zu dürfen."
Hastig schlug sich die Frau die Hände vor den Mund. Viper runzelte die Stirn.
"Jemanden lieben dürfen?", hakte er nach und betonte dabei das letzte Wort. Gemma ballte ihre Hände zu Fäusten, stand auf und watete ins Wasser. "Gem?" Viper stand auf.
Er konnte an ihrer Haltung erkennen, dass sie etwas zurückhielt. "Gem, was hat Bryan zu dir gesagt?"
Sie reagierte nicht, sondern ging noch ein Stück weiter ins Wasser, bis es ihr zur Hüfte reichte. Ihr Top tränkte sich und die Nässe zog sich an ihrem trainierten Körper nach oben. "Er sagte", murmelte sie schließlich und ihre Stimme war so leise, dass die Höhlenwände die Worte zu verschlucken schienen. "dass, sollten Orion und ich jemals einen aus dem Clan lieben und ihn mit unserem Glauben beschmutzen, dass er uns eigenhändig die Kehle aufschlitzt."
Entsetzt stolperte Viper nach vorne. Gemma's Hände zitterten und ihr leises Schluchzen drang bis zu Viper, dessen Füße nass wurden, als er mit den Stiefeln ins Wasser trat. Er legte seine Hand an Gemma's Arm und drehte sie zu sich herum. Das Wasser sandte leichte Wellen aus, die plätschernd gegen das Ufer brandeten.
"Mir egal, was Bryan sagt", sprach er entschlossen und sah in Gemmas grünen Augen. Die Käfer leuchteten noch immer und leuchtende Punkte spiegelten sich auf der Wasseroberfläche.
"Vergiss nicht, was ich eben gesagt habe", flüsterte sie
Ihre Augen huschten unruhig zwischen Vipers tiefbraunen hin und her. Mit seinem Zeigefinger fuhr er langsam ihre Wange entlang, strich ihr eine Haarsträhne aus dem Zopf und hielt schließlich an ihrem Kinn inne.
"Was genau hast du denn gesagt?", fragte er, wobei seine Stimme weniger war als ein Hauchen.
"Na, dass..."
Bevor sie jedoch fertig reden konnte, hatte Viper seine Lippen auf Gem's gelegt und versenkte sie in einen tiefen Kuss. Sie schlang ihre Arme um Viper und zog ihn näher zu sich heran. Ihre Finger fuhren ihm über die Wirbelsäule, zog die Konturen seiner Rückenmuskulatur nach und entlockte ihm ein wohliges Stöhnen. Er genoss jede kleine Berührung von ihr und gab sich ihr vollkommen hin. Einen Moment fühlte es sich so an, als hätte er den Bezug zum Boden verloren. Als fehlte ihm jeder Halt. Doch dann spürte er es wieder. Das kalte Wasser, das seine Beine umschloss, den unebenen Untergrund des See's, die weichen Lippen von Gemma auf seinen. Langsam lösten sich die beiden, Stirn an Stirn gelehnt und das Knistern zwischen ihnen sandte wohlige Wärme aus.
Viper spürte die stockenden Atemzüge von Gemma, die gegen sein Gesicht prallten und ein Seufzen entfuhr ihren Lippen, als er sich näher an sie schob. Die Hitze schien in der Höhle anzusteigen und die Kälte des Wassers drang kaum durch den Schleier hindurch, der sich um sie gelegt hatte.
"Bryan würde das nicht gefallen", murmelte sie leise. Ihre Stimme zitterte leicht.
"Nur zu blöd, dass Bryan nicht hier ist", entgegnete Viper grinsend.
Vorsichtig streckte Gemma sich Viper entgegen, berührte mit ihren Lippen die seinen. Sie griff in seinen Nacken, zog ihn fester an sich und langsam liefen sie ein paar Schritte tiefer in das Wasser, sodass es Viper bereits an seinen Schultern spürte. Gemma hatte ihre Beine um ihn geschlossen und klammerte sich mit nassen Fingern an seine Schultern. Seine Hände glitten über ihre Hüfte, fuhren zärtlich unter ihr Oberteil und berührten die Haut, die unter seinen Fingerkuppen zu brennen schien.
Der Geruch des Wassers, des nassen Steins und Gem's zarter Duft nach Rosenblüten umwirbelte Vipers Sinne und ließ ihn in den tiefen Abgrund von Verlangen und Sehnsucht fallen.
Und in diesem Moment erstrahlten die Käfer in ihrem hellsten Licht.
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