12
[TIMBERS]
Scorpion ging mit großen Schritten auf die Werkstatt zu, in der Timbers immer an Hoverbikes der White Skulls rum bastelte. Dadurch, dass sein Bike nach dem letzten Auftrag ein neues Getriebe brauchte, zumindest hatte das Timbers gesagt, wollte er nun sehen, wie weit der geschickte Mechaniker war.
Zielstrebig schritt er durch die offenstehende, doppelflügrige Tür und lehnte sich an der Theke an, auf welcher Timbers sämtliche Lacke, Schraubenschlüssel und Tassen abgestellt hatte. Scorpion beobachtete mit Respekt wie der andere Mann geschickt an den offenliegenden Kabeln mit einem Lötgerät herum hantierte und strich sich eine Strähne hinters Ohr, die sich aus seinem schnell zusammengebundenen Dutt löste und räusperte sich.
Timbers drehte sich erschrocken um, da er bis dahin nicht bemerkt hatte, dass er sich in Gesellschaft des zweitens Anführers befand und wich zurück, wobei er ungeschickterweise eine Dose, welche mit Schrauben gefüllt war, umstieß und den gesamten Inhalt auf dem Boden verteilte.
„Oh Gott. Sorry, ich...ich werde das schnell wieder in Ordnung bringen. Ich..." Timbers hatte völlig die Fassung verloren als er plötzlich in die schönen Augen seines Gegenübers blickte. Es war als hätten diese stechenden grauen Augen eine magische Wirkung auf ihn, welche seine Knie weich werden ließen und ihm jeden Sinn von Anstand und Geschicklichkeit raubten. Peinlich berührt bückte er sich zu Boden und sammelte mit hochrotem Kopf seine Arbeitsutensilien wieder ein.
Timbers wusste, dass es so nicht weiter gehen könnte. Das letzte Mal, als er mit seiner Schwester in der Küche saß und plötzlich der oberkörperfreie Mann in der Tür stand, hatte er das Gefühl den Verstand zu verlieren, weswegen er sich auch kurzdarauf entschuldigte und an dem großen Mann vorbei drückte. In dieser Nacht hatte er von ihm geträumt und davon wie sie gemeinsam im Bett lagen, Scorpions Kopf auf seiner Brust lag und seine Finger mit den langen leicht lockigen Haaren des älteren spielten.
Wann auch immer er in Scorpions Nähe war wurde ihm anders, ganz warm ums Herz, doch gleichzeitig spürte er den Kummer, welcher sich in ihm breit machte. Und das schlimmste war, er konnte nicht einmal mit irgendwem darüber reden, denn so eng war er dann doch nicht mit seinen restlichen Kammeraden verbunden. Der junge Mann war es gewohnt sich von den anderen abzuschotten und sich in seiner Werkstatt zurück zu ziehen. Er war nun mal ein Einzelgänger und so anders wie die anderen.
Seiner Schwester konnte er sich auch nicht anvertrauen, denn offen gestanden war sie auch sein größtes Problem. Scorpions Herz gehörte bereits ihr und nicht ihm.
Als die letzte Schraube in dem Container verschwand richtete er sich wieder auf und hätte fast die Schrauben erneut fallen gelassen, denn plötzlich stand Scorpion nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt. Er konnte die Präsenz des Mannes hinter sich spüren und augenblicklich schlug sein Herz schmerzhaft gegen seine Brust.
„Hier." Scorpions Hand tauchte vor Timbers Gesicht auf. „Die hast du übersehen." Zwischen seinen von Narben übersäten Fingern hielt er eine kleine, silberne Schraube, die er in das Döschen warf, das Timbers noch immer in den Händen hielt.
„D-Danke", murmelte er und schluckte. Die Wärme, die von Scor ausging, jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken und er spürte, wie sich Schweiß auf seiner Stirn bildete. Schnell stellte er die Schrauben weg und drehte sich dann um. Scor beobachtete jede seiner Bewegungen genau und Timbers Finger fingen an zu Kribbeln. Das Grau von Scorpions Augen schien bis in Timbers Seele vorzudringen und die sanfte Schwingung Scorpions Lippen zog sich zu einem leichten Lächeln. Ein paar Strähnen seines dunkelbraunen Haares hatten sich aus dem unordentlich zusammengebundenen Zopf gelöst und hingen nun in seine Stirn.
Das T-Shirt spannte sich um seine Muskeln und ein Zucken durchfuhr Timbers. Er blickte in Scors graue Augen und handelte aus tiefem Verlangen. Er legte seine Hände an seine Wangen und zog ihn zu sich, ehe er seine Lippen auf die des anderen Mannes legte.
Hitze schlug ihm entgegen und die Weichheit der aufeinander schmiegenden Lippen raubte ihm den Atem. Es fühlte sich so gut an, wie seine Sehnsucht endlich gestillt wurde. Er hielt Scorpion so fest, dass er vorerst nicht spürte, wie dieser sich zu lösen versuchte, bis sich Timbers durch einen Stoß von Scors Lippen löste.
Dieser starrte ihn erschrocken an. Seine grauen Augen waren aufgerissen und seine Lippen standen noch leicht offen. Timbers hätte sich am liebsten sofort wieder mit ihnen vereint. Schon jetzt spürte er das Verlangen nach den zarten Bewegungen und der Wärme. Doch er hielt sich zurück, als er realisierte, was er eben getan hatte. Wie betäubt taumelte er ein paar Schritte nach hinten, stotterte unverständliche Worte und hastete schließlich an Scorpion vorbei.
Timbers schien nicht einmal zu hören wie der Mann seinen Namen rief. Sein Herz schlug so laut gegen seine Brust, dass es drohte heraus zu springen.
Nur raus aus diesem Raum, dachte Timbers. Als er um die Ecke ging, sah er Orion, der bestürzt in der Tür stand. Doch Timbers war es egal. Er wollte nur hier weg. Seine wackeligen Knie, die Hitze, die von seinen Wangen strahlte, und die erschreckende Wahrheit, dass er soeben Scorpion geküsst hatte, bescherten ihm Kopfschmerzen. Er drückte sich an dem Zwillingsjungen vorbei und eilte den Flur entlang zu den Schlafräumen.
Es war das schlimmste was er jemals gefühlt hatte. Nicht einmal das ständige Verlangen nach der Nähe seiner heimlichen Liebe und die Eifersucht, wenn Scor seine Schwester so ansah wie er ihn ansah, fühlten sich so Schrecklich an. Er wünschte, er könnte die Zeit zurück drehen. Er wünschte, er könnte diesen Moment noch einmal erleben, aber dann würde er sich zusammen reißen. Nichts war schlimmer als die Gewissheit, dass Scorpion nicht das gleiche für ihn empfand. Es war ihm eigentlich im Unterbewusstsein bereits klar gewesen, aber die Wahrheit konnte und wollte er einfach nicht akzeptieren.
Blöder Scorpion. Warum musste er sich auch unbedingt in Grace verlieben? Warum musste er ihm unbedingt das Herz brechen?
Seine enttäuschten Gedankengänge wurden unterbrochen, als sich plötzlich Bryan in seinen Weg stellte und ihn besorgt musterte. Er rollte die Augen. Das war das letzte was er jetzt gebrauchen konnte; Bryan und seine idiotischen Weisheiten und Ratschläge. Vor allem da er nicht einmal wusste worum es eigentlich ging. Timbers war sich sogar ziemlich sicher, dass Bryan von so etwas wie Liebe absolut keine Ahnung hatte.
„Timbers? Was ist los? Ist etwas passiert?", fragte der Anführer mit besorgter Stimme.
Der angesprochene Mann wandte seinen Blick ab. Er würde jetzt nicht sein Liebesleben mit Bryan diskutieren und sich schon gleich gar nicht auf die Diskussion einlassen die Folgen würde, wenn raus käme, dass sein Liebeskummer mit Scorpion und nicht einer Frau zu tun hatten.
Doch so als könnte Bryan Gedankenlesen sprach er den gebrochenen Mann direkt darauf an.
„Hat es etwas mit Scorpion zu tun?"
„W-was? Wie kommst du bitte darauf?"
„Also doch. Hast du es ihm gesagt?"
„Ihm was gesagt?" Timbers war verwirrt. Woher wusste Bryan so viel? Oder war es nur Zufall, dass er die richtigen Fragen stellte?
„Dass du ihn liebst, Dummkopf."
„Wer sagt, dass ich ihn liebe?!"
„Ehrlich gesagt sieht das ein Blinder. So wie du ihn ansiehst...und so eifersüchtig wie du auf deine Schwester bist. Also erzähl schon, was ist passiert."
Geschlagen ließ Timbers den Kopf hängen. Wenn Bryan schon so viel wusste, dann konnte er auch noch genauso gut den Rest erfahren. Vielleicht konnte er sogar bei diesem Debakel hilfreich sein.
Doch er wollte nicht hier reden. Sie befanden sich zu dicht an der Halle und zu nahe an Grace' Labor, als dass er über dieses Thema reden könnte. Also griff er Bryans Arm und zog den Mann in das nächste Zimmer – die Küche.
„Ich habe ihn geküsst", murmelte Timbers, doch so laut, dass Bryan ihn gehört hatte.
Der blonde Mann machte nicht einmal große Augen, sondern zog nur eine Augenbraue hoch. „Du bist gleich über ihn hergefallen?" Ein dumpfes Lachen entwich seiner Kehle. „Mensch, Timbers. Du weißt, dass Scorpion ein recht unnahbarer Mensch ist. Du kannst nicht einfach auf ihn losstürmen und ihm deinen Sabber ums Maul schmieren."
Wütend ballte Timbers die Hände und drehte sich zu seinem Anführer herum. „Ach ja? Und was hätte ich sonst machen sollen? Was verstehst du schon von Liebe? Außerdem war ich ebenfalls überrumpelt, ich..." Er stockte kurz und holte Luft. „...ich wusste ja nicht einmal, was ich da tat. Ich...wollte das eigentlich nicht, aber so wie er da stand und...und..." Er verstummte und drehte sich weg.
Tränen hatten sich in seinen Augen gebildeten und verschleierten langsam seine Sicht. Zeigt jemand Schwäche vor Bryan, so konnte er auch direkt durchs Feuer gehen und sich verbrennen lassen. Doch zu seiner Verwunderung kam Bryan näher und legte Timbers die Hände auf die Schultern.
„Hör zu. Scorpion ist kompliziert. Seine verschlossene Art macht es nicht einfach, herauszufinden, wie er reagieren würde. Und du warst eben von ihm überwältigt." Timbers konnte nicht glauben, wie Recht der blonde Mann mit seinem letzten Satz hatte. „Am besten lässt du Scorpion vorerst etwas Freiraum. Er wird wahrscheinlich Abstand zu dir suchen. Er selbst wird nicht mit dir reden wollen."
Timbers runzelte die Stirn. „Warum sollte er nicht mit mir reden wollen?"
„Weil er dich immer als Freund gesehen hat und ihm war der Kuss unangenehm. Er wird nachdenken müssen – und das tut er intensiv und lange. Er wird also..."
„...also genug Zeit haben, sodass Grace und er enger zusammen kommen können", beendete Timbers den Satz und realisierte, dass er mit seinem Kuss die Beziehung zu Scorpion und ihm vollends ruiniert hatte.
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