10
[GEMMA]
Ihre Hand drückte den Lappen aus und schnell hatte sie den Laden durchgewischt. Die einzige Lichtquelle war die Lampe an der Treppe, die zu den Zimmern im Obergeschoss führte und eine Kerze, die noch auf dem Tresen brannte.
Es war still und vereinzelte Schnarcher drangen nach unten. Gemma war erschöpft und müde rieb sie sich über die Augen. Den ganzen Vormittag hatte sie noch mit Viper Ausdauertraining gemacht. Ihre Muskeln schmerzten noch leicht, doch sie wusste, dass sie das Lokal nicht dreckig hinterlassen durfte, wenn ihre Identität nicht auffallen sollte.
Als sie sich damals hier beworben hatte, wurde sie gefragt, ob sie in dem Business bescheid wusste. Sie hatte zugestimmt, doch in Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung gehabt. Dank ihrer Ausspionierfähigkeit aber, hatte sie den Laden mehrere Wochen beobachtet und sich ein genaues Bild von den Mitarbeitern und Kellnern gemacht, sodass sie fehlerfrei Bestellungen abarbeitete und die Tätigkeiten einer in der Herberge arbeitenden Frau meistern konnte.
"Eine bessere Angestellte hätten wir nicht finden können", hatte die Wirtin gesagt und sie lächelnd umarmt. Gemma mochte die Frau, hatte sie jedoch seit ein paar Tagen schon nicht mehr gesehen. Doch es ging ihr nicht zu nah. Die Frau war weg und somit musste sie zwar mehrere Schichten übernehmen, doch konnte gleichzeitig an Informationen gelangen, die ihr Clan benötigte, um auf dem neusten Stand zu bleiben.
Holz knarzte und erschrocken wirbelte Gemma herum. Der Oberkommandant mit den grauen Augen stand auf der Treppe. Sein dunkles Haar war leicht zerzaust und er trug ein einfaches Hemd über einer Hose. In dem fahlen Licht konnte man die Stoppeln sehen, die sein Kinn und die Mundpartie umschmückten.
"Kann ich noch etwas für Sie tun?", fragte Gemma und trocknete ihre Hände an der Schürze ab.
Die grauen Augen funkelten sie an und ein Lächeln huschte auf seine Lippen. "Meinen Zimmerschlüssel. Ich habe ihn noch nicht bekommen."
"Wo habt ihr dann bis eben die Nacht verbracht?", fragte sie und versuchte einen beiläufigen Ton zu halten, während sie den letzten Schlüssel aus der Box nahm und ihn dem Mann hinhielt.
"Seid ihr etwa eifersüchtig, meine Hübsche?", fragte er, packte ihr Handgelenk und zog sie zu sich heran. Er roch nach Met, Seife und Honig. Obwohl er so viel Alkohol getrunken hatte, wirkte er nicht mehr betrunken. Seine Augen waren zwar glasig, doch das konnte auch an der Müdigkeit liegen, die ihm anzusehen war. Er lächelte, als Gemma nicht antwortete.
"Begleitet mich doch nach oben", forderte er sie auf und zog sie noch weiter zu sich. Widerwillig, doch lächelnd tat sie, wie ihr gehießen.
Eine bessere Chance werde ich nicht bekommen, sagte sie sich und schloss die Tür zu dem Zimmer auf. Das Zimmer war recht spärlich eingerichtet. Ein Bett, eine Kommode, ein Tisch und ein Hocker. Auf dem Boden lag sogar ein großer, gewebter Teppich, der Gemma's Schritte verstummen ließ. Sie spürte den Blick des Mannes auf ihrem Rücken, als sie langsam an den Tisch trat und sich dann umdrehte. Das Fenster neben ihr ließ silbernes Mondlicht hereinscheinen.
"Wie heißen Sie eigentlich? Wie soll ich Sie nennen?", fragte Gemma und blickte den Mann an. Er hatte die Tür geschlossen und drehte nun den Schlüssel im Schloss herum.
"Nadir Woldark. Oberkommandant der königlichen Garde.", stellte er sich vor. "Und du, meine Hübsche?" Er kam weiter in den Raum rein, sodass das silberne Licht die Kanten seines schmalen Gesichts schärfer wirken ließ. "Wie darf ich dich nennen?"
"Gemma.", sprach sie leise.
"Gemma." Nadir sprach den Namen langsam aus, als wolle er sich den Klang jedes einzelnen Buchstaben auf der Zunge zergehen lassen. "Sag mir, Gemma. Woher kommst du? Deine Arme spiegeln eine weitaus anstrengendere Tätigkeit aus, als du sie hier in der Herberge verrichtest. Deine Finger zieren keinen Schmuck, lediglich deine zarten Ohren. Du bedeckst auch deinen Hals nicht, was sonst nur Jungfrauen tun. Außerdem trägst du Hosen. Normalerweise tragen Frauen in Schenken, Bars oder Herbergen Kleider. Du scheinst dich darin wohl zu fühlen, daraus schließe ich, dass du nicht zu den...öffentlichen Frauen des Landes gehörst."
"Öffentliche Frauen?", fragte Gemma und lachte leise. "Das ist also Eure Bezeichnung für Frauen, die ihren Körper fremden Männern anbieten?"
Nadir lächelte gewinnend.
"Nein, ich arbeite außerhalb der Herberge nicht als Hure, falls ihr darauf aus seid", sprach sie wütend, zwang sich aber zu einem Lächeln.
"Wenn du keine Hure bist, was bist du dann?" Er kam auf sie zu und legte eine Hand auf ihre Wange.
"Das wollt Ihr sicher nicht wissen, Oberkommandant Woldark", flüsterte sie. Ihre Finger kribbelten und Gemma musste sich stark zusammennehmen, um dem Mann keine reinzuschlagen.
Nadir schien sich dafür nicht weiter zu interessieren, denn er rückte noch näher an Gemma ran und fragte sie, als sei es das selbstverständlichste der Welt: "Du behauptest also, du seist noch Jungfrau und hättest noch bei keinem Mann im Bett gelegen?"
Meine Güte, der war aber ganz schön aufdringlich und neugierig, dachte Gemma. Jetzt aber ganz ruhig. Sie musste nun wirklich aufpassen, dass sie nicht mit ihrem Gerede zunichte machte, was sie mühevoll und unter größter Anstrengung aufbaute. Sie trat zur Seite, sodass die Hand an die Seite des Kommandanten fiel.
Jetzt konnte sie auch wieder etwas freier Atmen. Die Nähe des Mannes hatte sie eingezwängt und am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass ihr Sexleben ihn einen feuchten Dreck anginge. Aber, um ihn nicht wütend zu machen, was sich als Nachteil für sie erweisen würde, zwang sie sich einen ruhigen Ton anzunehmen.
"Ich behaupte gar nichts, Oberkommandant. Aber eine Hure bin ich gewiss nicht", erwiderte sie und blickte ihn unverwandt an.
Kurz verfinsterte sich sein Blick. "Ihr seid verheiratet?"
Gemma überlegte fieberhaft. Wenn sie zustimmte, würde er sie hinauswerfen und die Informationen waren verloren. Würde sie aber sagen, sie sei noch ledig, dann würde er sie sich schnappen, womöglich wiederkommen und ihr einen Heiratsantrag machen wollen und ihre falsche Identität würde auffliegen. Doch sie hatte mal gehört, dass es Witwen am besten hatten. Sie waren schon einmal einem Mann unterlegen, doch trotzdem keiner Gewalt eines Mannes unterlegen. Hoffentlich hatte sie sich das damals nicht falsch gemerkt.
"Nicht mehr, Oberkommandant Woldark. Ich bin Witwe, aber keine Hure", antwortete sie mit Nachdruck. Nadir schien zufriedengestellt, denn sein Gesicht klärte sich.
"Gut. Aber du verdienst doch hier in der Herberge nicht viel, oder? Hast du wertvolle Besitztümer oder...", dabei schmunzelte er anzüglich "...besondere Talente und ...Vorzüge, die du anbieten kannst? Du kannst doch bestimmt noch den ein oder anderen Groschen gebrauchen?"
Gemma schlucke. Himmel, Arsch und Wolkenbruch. Der Kerl war kein Trottel und sie bei so klarem Verstand, dass sie verstand worauf er hinauswollte. Es war, als ob sich Bryans Auftrag wirklich erfüllen könnte. Das Schicksal spielte ihr geradezu in die Hände. Sie konnte die Informationen kriegen, die sie wollte.
"Nun, meine Hübsche?"
Er bedrängt sie. Sowohl mit Worten, als auch mit Körpereinsatz. Nadir kam näher und näher, bis Gemma den Bettpfosten hart in ihrem Rücken spürte. Als ob das Schicksal sie aufforderte, Bryans Befehl auszuführen. Doch ihr Innerstes sträubte sich dagegen. Ihr Herz raste und ein Schauer lief ihr über den Rücken, sodass sie kurz erzitterte.
Nadir schien ihre Reaktion vollkommen falsch aufzufassen. Nun ja, für seine Bedürfnisse schienen sie richtig zu sein. Deshalb beugte er sich zu ihr runter und küsste sie sanft auf die Lippen. Langsam drückte Gemma den Mann von sich, was er ihr aber nur zu einem gewissen Punkt erlaubte. Sie sah die Leidenschaft und Gier in seinen grauen Augen. Sie spürte unter ihren Fingern seine angespannten Muskeln und mit heiserer Stimme flüsterte er: "Du schuldest mir noch eine Antwort, Gemma."
"Ich...", murmelte sie langsam und blickte ihm in die Augen. "...brauche kein Geld." Nadir stieß sie nach hinten, sodass sie auf die weiche Matratze fiel. Kurz schrie sie auf, doch als Nadir sich über sie beugte, sich mit den Armen abstützte und sein Gewicht auf ihren Beinen lastete, versuchte sie nur, ihre Atmung unter Kontrolle zu halten. In ihren Fingern kribbelte es und am liebsten würde sie ihm eine reinhauen - doch nicht jetzt. Nicht, wo sie schon so weit gekommen war.
"Ach, was benötigst du dann?", fragte er grinsend und küsste sie erneut.
Sie drückte ihn wieder von sich, sanft, aber bestimmend. "Warum seid ihr wirklich hier, Woldark? Ein paar Unruhen wird der König nicht beseitigen wollen, indem er die königliche Garde losschickt."
Das Grinsen auf Nadirs Lippen wuchs. "Ihr seid aufmerksamer als ich dachte." Er setzte sich auf ihre Beine und fuhr mit seinen Händen über ihren Körper. "Ihr habt Recht. Es waren nicht nur irgendwelche Unruhen. Gefahr droht dem Land und sie kommt näher und näher." Seine Hände griffen unter ihren Rücken, knoteten die Schürze auf und kurz darauf entriss er ihr den grünen Stoff.
"Um was für eine Gefahr handelt es sich? Naturkatastrophen wohl nicht, habe ich recht?", fragte sie leise. Sie wagte es nicht lauter zu sprechen.
"Nein. Die Natur vermag keine Dörfer niederzubrennen. Nicht im Winter", flüsterte er und zog die Bluse aus ihrer Hose, sodass seine warmen Fingerkuppen über ihre Rippen strichen. Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen.
"Ihr sucht also einen Verbrecher, Woldark?" Ein Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. Nadir nickte.
Das war gut, dachte Gemma. Wenn die königliche Garde damit beschäftigt war einen Verbrecher zu suchen, der Dörfer in Brand setzte, so hatten sie das blinde Auge des Königs auf sich. Er würde sich für einen Einbruch nicht interessieren, der sich am Rande seiner Hauptstadt abspielen sollte.
"Und seid Ihr ihm nah?"
"Die Spur zu ihm ist nicht ganz klar, wenn man das so sagen darf." Seine Hände schoben die Bluse weiter nach oben, die eine Hand fing bereits an die dunklen Knöpfe zu öffnen. "Den Hinweis den wir haben..." Er unterbrach sich, um die Bluse ganz zu öffnen.
Gemma spürte, wie sie rot wurde. Noch nie hatte ein Mann sie ausgezogen. Diesen Schritt hatte sie einfach noch nie in ihrem Leben getan. Zwar trainierte sie in Kleidung, die viel Haut von ihr zeigte, doch sie befand sich hier in einer ganz anderen Situation. Noch dazu mit einem fremden Mann, mit dem sie nichts zutun haben wollte. Und jetzt schon wollte sie Woldark am liebsten die Kehle durchschneiden. Oder wenigstens die Hände brechen.
"...führt uns zu einer Legende."
Also hatte sie sich doch nicht verhört. Tatsächlich wusste Gemma nichts über Legenden oder mysteriöse Wesen. Die Götter waren das einzig Übernatürliche, dem sie Glauben schenkte.
Nadir senkte wieder seinem Kopf, widmete sich der Stelle unter ihrem Ohr und ließ seine Zunge über den Puls an ihrem Hals fahren, der deutlich sichtbar schlug. Unfreiwillig schloss Gemma die Augen. Ihr Körper zitterte unter den Berührungen und Wärme schoss durch ihre Adern.
"Welche Legende? Es gibt viele", hauchte sie und zog den Kopf des Mannes zu sich, ehe sie sein Hemd über den Kopf zog. Du musst einfach nur mitspielen und ihm im Glauben lassen, dass du es willst, sagte sie sich.
"Die Legende des Bluttöters." Die Stimme des Oberkommandants war heiser, rauchig und seine Augen verschleiert von Begierde. Seine Hände fuhren über ihre Haut, hinterließen ein Brennen und sein Körper lastete schwer auf ihren Beinen. Ein Stöhnen entwich ihm, als Gemma sich in seine Schultern krallte.
Plötzlich aber flog die Tür. Holz splitterte, als sie aus den Angeln riss und mit einem lauten Knall auf dem Boden landete. Erschrocken ließ Nadir von Gemma ab, die ebenfalls den Blick zur Tür gerichtet hatte. Durch den hellen Bettvorhang konnte sie nur den Umriss einer Person erkennen. Doch dabei blieb es nicht lange, denn dieser jemand kam näher, packte den Oberkommandant an den Schultern, zog ihn von Gemma herunter und zischte: "Runter von ihr oder ich hacke dir den Kopf ab."
Vipers dunkelblonden Haare wirkten in dem Zimmer, indem noch immer das Mondlicht die einzige Lichtquelle war, schwarz. Seine Augen funkelten wie zwei Obsidiane und seine Muskeln waren angespannt. Nadir wurde gegen die Wand geschubst und schnell hatte sich Gemma aufgesetzt.
"Wer zum Teufel...", setzte der Oberkommandant an, doch mit einem gezielten Schlag beförderte Viper ihn in die Bewusstlosigkeit. Sofort drehte er sich zu Gemma, die zitternd und mit geröteten Wangen im Bett saß.
Er ging auf sie zu, zog sie zu sich ran und legte seine Arme um sie. Sein Herz wummerte stark gegen seine Brust, das spürte Gemma, als ihre Stirn an seiner Schulter ruhte. "Du bist nicht aufgetaucht. Also habe ich dich gesucht. Bryan wollte mich erst nicht gehen lassen, da er meinte es würde länger dauern. Ich habe mich dennoch rausgeschlichen.", erklärte Viper, ohne, dass Gemma Fragen konnte.
Langsam ließ er sie los und blickte in ihre Augen.
"Lass uns gehen", murmelte sie, griff nach der Bluse und verließ mit Viper die Herberge.
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