|00| Aller Anfang ist schwer

Viele Menschen würden behaupten, ich lebe den ultimativen Traum: Ein eigenes kleines Bungalow direkt am weißen Sandstrand mit einem direkten Zugang in das kristallklare, türkis-blaue Wasser der Biscayne Bay, nur wenige Minuten vom Herzen Miamis entfernt.

Und sie haben recht - ich lebe den ultimativen Traum. Natürlich ist es nicht perfekt, was ist das schon, aber ich würde es für kein Geld der Welt hergeben.

Besonders jetzt, als ich meine Füße im heißen Sand vergrabe und meinen Kopf der strahlenden Sonne entgegenstrecke, werde ich daran erinnert. Ein leichter Windstoß fegt durch meine langen dunkelblonden Locken und kühlt die glühende Luft für einen Moment ein wenig ab. Die Wellen spielen eine entspannte Melodie und werden von dem Chor der Möwen, die sich in der Ferne am Horizont abzeichnen, vervollständigt. Lächelnd beobachte ich die spielerischen Bewegungen des Wassers und die kleinen Muscheln, die die Strömung mit sich zieht.

„Kaia! Ich bin zu Hause!" Die Stimme meines Bruders beendet meine kleine Entspannungssession. Mühsam rappele ich mich auf und tippele wieder nach drinnen. Ich habe so lang in der Sonne gesessen, dass ich im vergleichsweise dunklen Haus kaum etwas sehen kann. Ein plötzlicher, stechender Schmerz in meinem kleinen Zeh entlockt mir ein leises Fiepen. „Verdammt. Nicht schon wieder!", fluche ich und hebe meinen Fuß in die Höhe. Soweit ich das beurteilen kann - ich sehe nach wie vor gerade mal die Hand vor Augen - hängt er nicht in einem unnatürlichen Winkel von meinem Fuß herab.

Ja, das habe ich in der Tat schon einmal zustande gebracht.

Auf einem Bein hüpfe ich in die Küche und finde Dylan hervor, wie er bereits am Tisch Platz genommen hat. Als er mich sieht, beginnt er zu lachen. „Hast du dir schon wieder den kleinen Zeh gestoßen?" Als ich schmollend nicke, grinst er nur noch mehr. „Wie ist das überhaupt möglich? Du wohnst hier seit deiner Geburt. Seit 18 Jahren. Müsstest du nicht jeden klitzekleinen Winkel auswendig kennen?" Ich rolle die Augen und wuschele ihm durch die blonden Haare. „Was ich weiß und was ich tue, sind zwei verschiedene paar Schuhe. Hey, das hat sich gereimt!"

Glücklich über meine poetische Weisheit kann ich beinahe meinen schmerzenden Fuß vergessen. Aber nur beinahe. „Wie war die Schule heute?", frage ich ihn, während ich den Inhalt unseres Kühlschranks inspiziere. Die Auswahl ist ziemlich ... spärlich. „Ganz okay. Wir haben einen unangekündigten Test geschrieben, aber sonst ist eigentlich nichts Besonderes vorgefallen." Er zuckt mit den Schultern.

„Lass mich raten, Mrs. Kingston?" Als er nickt, schleicht sich ein wissendes Grinsen auf meine Lippen. Sie ist bis vor ein paar Monaten auch meine Mathelehrerin gewesen. In meiner gesamten Schullaufbahn hatte kein anderer Lehrer so viele Arbeiten geschrieben wie sie. Jedoch bevorzugte sie es stets, dies unangekündigt zu tun. Zum Glück muss ich mich nicht mehr damit herumschlagen, da ich seit dem Frühjahr meinen Abschluss in der Tasche habe.

„Und was hast du heute so gemacht?", fragt er, während er sich den Orangensaft aus dem Schrank holt. „Nicht wirklich viel. Ich war ein bisschen tauchen und hab den restlichen Tag faul am Strand rumgelegen. Ehmm." Ich schaue in unseren Vorratsschrank, aber auch hier sieht es ziemlich mager aus. „Hast du was dagegen, wenn es wieder Nudeln mit Tomatensoße gibt?" Er blickt mich das etwas wehleidig an. „Das fünfte Mal diese Woche? Kannst du nicht was anderes machen? Mir kommt das Zeug langsam die Ohren raus." Auch wenn ich das nicht nachvollziehen kann, da ich das Gericht über alles liebe, sehe ich ein, dass es mal Zeit für ein wenig Abwechslung wird. „Okay, okay. Ich müsste mal wieder einkaufen gehen."

„Wolltest du das nicht schon letzte Woche? Und überhaupt, hattest du gestern nicht gesagt, dass du heute unbedingt dieses Ding ausfüllen musst?" Meine Augen weiten sich schlagartig. Verdammt, das habe ich total vergessen. Seit Wochen, vielleicht sogar Monaten schiebe ich es vor mir her, den Antrag für die Tauchschule auszufüllen und heute ist der letzte Termin für die Abgabe. „Lass mich raten, deinem geschockten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hast du es wieder vergessen." Schuldbewusst nicke ich. „Kaia. Du faselst seit ich mich erinnern kann davon, deine eigene Tauchschule aufzumachen. Ich hätte gedacht, dass du es so bald wie möglich abschickst. Warum hast du es so herausgezögert?" Ich beiße mir auf die Lippe. Es ist vielleicht dumm, okay es ist definitiv dumm, aber solange ich es nicht abschicke, kann ich keine Absage erhalten. Wenn ich es jedoch gar nicht ausfülle, kann ich meinen Traum gleich über Board schmeißen. Manchmal könnte ich mich wirklich über mich selbst aufregen.

„Wir können es doch so machen. Ich gehe einkaufen und du kümmerst dich um den Antrag, okay?" Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich knuddele Dylan so fest ich kann. Er lässt es protestlos über sich ergehen. „Wie alt warst du gleich noch mal?" Manchmal könnte man glatt denken, dass er der Ältere von uns Beiden ist, dabei ist er erst 14. „Ich tue das nicht ganz uneigennützig. Wenn ich einkaufe, kann ich auch über unser Essen entscheiden und ich kenne eine Sache, die es ganz sicher nicht geben wird." Empört verschränke ich die Arme vor der Brust. „Vergiss nicht, dass ich immer noch diejenige bin, die kocht und das Geld eintreibt." Er beginnt zu grinsen. „Wenn ich mir ein Tutorial auf YouTube anschauen würde, könnte ich sogar besser kochen als du." Ich versuche meinen bösen Blick aufzusetzen, scheine jedoch kläglich zu scheitern, da Dylan in schallendes Gelächter ausbricht.

„So und jetzt lauf los. Ich habe Hunger." Kopfschüttelnd erhebt er sich und hält mir die offene Hand hin. „Hast du nicht noch selbst was? Du bekommst es danach wieder." Er hebt eine Augenbraue. „Das sagst du immer und dann vergisst du es." Augenrollend laufe ich in den Flur, krame das Geld aus meiner Jackentasche zusammen und drücke es ihm in die Hand. „Kauf nichts Dummes." Mit diesen Worten schiebe ich ihn der Haustür heraus und schließe sie erst wieder, als ich ihn um die nächste Ecke verschwinden sehe. Okay, jetzt wird es Zeit. Nervös knete ich meine Finger und laufe im Flur auf und ab.

Komm schon Kaia. Du kannst das. Es ist nur ein blöder Antrag.

Warum macht mich dieser verdammte Antrag nur so nervös?

Das weißt du genau, Dummerchen.

Ich atme tief durch. Ich muss es machen. Heute ist der Tag der Tage. Wenn ich in ein paar Monaten die Tauchschule öffnen will, ist heute der letzte Termin, sonst muss ich bis zur nächsten Saison warten. Seit ich denken kann, plane ich, nach meinem Abschluss eine Tauchschule zu eröffnen, in der Hoffnung mehr Menschen von meiner Leidenschaft zu begeistern und mein Hobby zum Beruf zu machen. Ist das nicht der ideale Weg? Sein Hobby zum Beruf zu machen? Würde es mein Traumleben nicht perfekt abrunden? Ja, ja das würde es.

Festentschlossen laufe ich die Treppe nach oben, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Irritierenderweise will ich den Antrag nun so schnell wie möglich abschicken, um die Frist nicht zu verpassen. Warum muss ich auch immer alles bis zum letzten Moment hinauszögern?

Ich will die Tür zu meinem Zimmer aufstoßen, knalle jedoch prompt dagegen. Autsch, sonst habe ich sie auch nur angelehnt. Meine pochende Schulter umfassend, öffne ich die Tür nun wie ein normaler Mensch und lasse mich auf meinem Schreibtischstuhl nieder. Mein Zimmer ist, wie auch der Rest des Hauses, in warmen Holztönen gehalten und recht übersichtlich eingerichtet. Neben meinem Schreibtisch stehen mein großes Bett, ein Bücherregal und ein Kleiderschrank darin. Jedoch wäre es nicht mein Zimmer, wenn nicht überall Muscheln in den verschiedensten Farben, Formen und Größen herumliegen und verschiedene bunte Bilder, die das Meer und seine Bewohner zeigen, die Wände zieren.

Hektisch durchwühle ich das Papierchaos, dass sich auf dem Tisch vor mir ergießt und verfluche wie so oft meinen Hang zur Unordnung. Frustriert schlage ich auf den unordentlichen Haufen und bereue es genau in dem Moment, als mir die rote Farbe direkt ins Gesicht spritzt. Frustriert stöhne ich auf und wische mir das Zeug aus den Augen. Da hat wohl jemand gestern Abend vergessen die Acrylfarbe nach dem Malen wieder zuzuschrauben, geschweige denn wegzuräumen. Manchmal mache ich mich wirklich selbst fertig.

Um weitere farbliche Missgeschicke zu vermeiden, tänzele ich in unser Bad, das glücklicherweise direkt nebenan liegt, um mir die Hände zu waschen. Das sollte die Wahrscheinlichkeit für weitere Unfälle zumindest reduzieren.

Zurück in meinem Zimmer atme ich tief durch und halte nach einigen, nervenaufreibenden Minuten endlich den Antrag in der Hand. Einen Stift habe ich ausnahmsweise mal direkt greifbar. Okay. Jetzt kann es losgehen.

Name: Kaia Levine

Geburtsdatum: 26.08.2001

Das Ausfüllen des Antrags ist schnell erledigt, sodass ich ihn wenig später zusammen mit meinem Tauchschein eingescannt habe und nun am Laptop die Daten immer und immer wieder auf Fehler überprüfe. Der Senden-Button lacht mich förmlich an. Ob es ein glückliches oder hämisches Lachen ist, bleibt Interpretationssache. Mein Herz scheint seinen Rhythmus zu verdoppeln, als ich den Cursor über die grüne Schaltfläche gleiten lasse. Okay, jetzt oder nie. Ich schließe die Augen und klicke, wobei mir ein ängstliches Fiepen entwischt. Jetzt ist es geschehen. Ich habe es abgeschickt. Verdammt, ich hätte es noch einmal mehr durchlesen sollen. Was, wenn ich doch noch einen Fehler übersehen habe?

Nach ein paar Minuten traue ich mich, die Augen wieder zu öffnen und seufze frustriert auf, als mich nach wie vor mein ausgefüllter Antrag auf dem Bildschirm begrüßt - Ich habe den Button nicht getroffen. Na dann eben jetzt.

Ich widerstehe dem Drang, mir noch ein hundertstes Mal alles durchzulesen, halte die Luft an, schiebe den Cursor auf Position - und dann drücke ich auf Senden.

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Und es geht los!

Wie findet ihr Kaia?

Ich hoffe, dass euch der kleine Prolog gefallen hat und ihr Kaia und Co. auch weiterhin begleiten werdet.

Ich freue mich stets über Feedback, Kritik und eure Meinung.

Lasst doch ein Sternchen da, wenn es euch gefallen hat.

LG JewelMind

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