Kapitel 9
Liam
Der schwarzhaarige Mann schaute mich abwartend an, als wollte er, dass ich irgendeine Reaktion von mir gab. Dass ich panisch schrie, weglief oder direkt eine Panikattacke erlitt. Stattdessen setzte ich mich langsam auf und schaute mich in dem kleinen Zimmer um. Das Wohnzimmer war in dunklen Farben gehalten. Neben dem schwarzen Sofa, auf dem ich saß, stand ein Sessel, der den gleichen Stil wie das Sofa hatte. An der gegenüberliegenden Wand hing ein riesiger Fernseher. Links von mir stand ein großes Bücherregal, das bis zur Decke ging und bis zum letzten Zentimeter mit Büchern gefüllt war. Auf der rechten Seite waren zwei größere Fenster, durch die ich den dunklen Wald erkennen konnte. Auf einmal schlugen die Erinnerungen wie ein Blitz ein.
Der König hatte mich umgebracht. Dachte er zumindest. „Wer bist du?", fragte ich nun mit brüchiger Stimme und wandte meinen Blick wieder an den schwarzhaarigen Mann. Er lehnte am Türrahmen und starrte mich weiterhin an. Dann stieß er sich am Rahmen ab und ließ sich stattdessen in den Sessel fallen. „Ist das wichtig?" Als ich zum Ersten mal seine Stimme hörte viel es mir wie Schuppen von den Augen. Er war der mysteriöse Mann, den ich in den Kerkern beim Rumschnüffeln erwischt hatte.
„Du bist der Typ, der in den Kerkern war und der sich immer heimlich mit Louis und Harry trifft", sprach ich meine Erkenntnis aus. „Ich bin der Typ, der dir grade das Leben gerettet hat." Er fuhr sich einmal durch die Haare und lehnte sich zurück. Währenddessen zog ich mein blutiges Shirt hoch, nur um meinen unversehrten Oberkörper zu entblößen. Ich schluckte einmal heftig und ließ mein T-Shirt wieder fallen. „Wie hast du das gemacht?" Er zuckte nur lächelnd die Schultern und stand dann wieder auf. „Zerbrech dir darüber nicht dein hübsches Köpfchen. Komm schon, ich zeige dir dein Zimmer."
Verwirrt stand ich auf und lief ihm hinterher. „Mein Zimmer?" Augenverdrehend setzte er seinen Weg fort und lief eine hölzerne Treppe hoch. „Willst du vielleicht mitten in der Nacht durch den Wald laufen? Nochmal?! Das ging ja beim ersten Mal schon nicht gut aus." Arschloch. Ich antwortete ihm nicht, was für ein kleines Schmunzeln seinerseits sorgte. Wir liefen durch einen weiteren Flur, an dem sich bestimmt sieben Türen befanden. Drei rechts, drei links und eine am Ende des Ganges. „Wofür die ganzen Räume?" Vor der dritten Tür auf der rechten Seite blieb er stehen. „Die Räume da", er zeigte auf die zwei Türen, die an der linken Wand direkt am Ende der Treppe lagen, „gehören jeweils Louis und Harry. Auch wenn sie sowieso meistens in einem schlafen. Und das da", jetzt zeigte er auf den ersten Raum auf der rechten Seite, „Ist mein Schlafzimmer." „Warum nicht neben denen von Harry und Louis?" Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, fing er schon an zu lachen.
„Denkst du wirklich, ich tue mir sowas an? Bei dem Lärm, den die zwei nachts machen, könnte ich ja nie schlafen." Er erklärte mir noch, dass der Raum neben Larrys Zimmern sein Arbeitszimmer war und der am Ende des Ganges ganz simpel das Badezimmer. „Was ist mit dem?" Ich schaute zu der Tür, die zwischen seinem und meinem Zimmer lag. „Das ist unser kreativ Raum. Jeder von uns hat seine eigenen Hobbys und darin sind eben alle Sachen, die wir dafür so brauchen." „Was ist dein Hobby?" „Ich zeichne oder male gerne" Damit öffnete er die Tür vor uns und gab den Blick frei auf ein modernes Schlafzimmer. Ein riesiges Bett stand an der Wand, mit Nachttisch und einem Fenster darüber. An der linken Wand stand ein Kleiderschrank, für den ich ohnehin keine Klamotten hätte. Auf dem Boden lag ein flauschiger Teppich, den ich sofort mit meinen Händen streichelte. Erst dann fiel mir das Gemälde auf, welches über einem Schreibtisch an der Wand hing.(Oben^)
„Wow. Hast du das gemalt?" Der Schwarzhaarige, dessen Name ich immer noch nicht wusste, stand immer noch in der Tür und wunderte sich wahrscheinlich über meine Begeisterung für normale Gegenstände. „Ja, habe ich", antwortete er irgendwann. Ich trat einen Schritt näher an das Bild, um es genauer zu betrachten. „Das ist echt schön. Hast du noch mehr so Bilder?" „Eine ganze Menge sogar." Aufgeregt drehte ich mich zu ihm um. „Kannst du mir die auch irgendwann zeigen?" „Morgen vielleicht, Jetzt ziehst du dir erstmal was anderes an und gehst schlafen." Er verließ den Raum und lief die Treppe runter. Geduldig setzte ich mich auf das Bett und stellte fest, dass es unglaublich weich war. Es dauerte keine Minute, da stand der schwarzhaarige schon wieder in der Tür.
Er warf mir einen Hoodie und eine Jogginghose zu und wollte schon wieder gehen, als er sich nochmal umdrehte. „Ich heiße übrigens Zayn." Dann schloss er hinter sich die Tür. Zayn. Das erklärte, warum Louis und Harry ihn immer Z nannten. Ob sie schon gemerkt haben, dass ich weg bin? Der König würde irgendeine Ausrede finden müssen, wohin ich verschwunden bin. Während ich weiter grübelte, zog ich mir mein Shirt über den Kopf und warf es in irgendeine Ecke. Als ich mich umgezogen hatte, schlüpfte ich unter die Bettdecke und legte meinen Kopf auf das Kissen. Auch wenn ich todmüde war, konnte ich keinen Schlaf finden.
Wieso war ich überhaupt noch am Leben? Ich sollte tot sein oder zumindest irgendwelche Wunden haben, aber da war nichts. Um mich selbst zu überzeugen, zog ich den Pullover hoch und hoffte schon fast darauf, irgendwelche Verletzungen zu finden. Nicht mal eine Narbe war zu sehen. Keine Schramme, nichts. Frustriert stöhnte ich auf. Es blieben so viele Fragen aus, die mir keine Ruhe ließen. Was suchten die drei im Schloss des Königs? Und was hatte es mit dem blonden Mädchen in den Kerkern auf sich? Woher kamen die Stimmen, die immer mal wieder in meinem Kopf auftauchten? Wie hatte Zayn mich im Wald gefunden und was hatte er getan, damit ich überleben konnte? Ich konnte mir auf nichts einen Reim machen, weshalb ich beschloss Zayn nochmal mit meinen Fragen zu konfrontieren. Zufrieden mit meinem Entschluss zog ich die Decke höher und schlief nach kurzer Zeit ein.
Grummelnd öffnete ich meine Augen und vergaß einen kurzen Moment lang, wo ich war. Ich wickelte die warme Decke enger um meine Schultern und vergrub mein Gesicht in den vielen Kissen, die überall verteilt auf dem Bett lagen. Anscheinend hatte ich mich im Schlaf einmal komplett gedreht. Mein Kopf lag am Fußende des Bettes, während meine Beine gegen das Kopfteil stießen. Ich blinzelte einmal und schaute aus dem Fenster neben dem Bett. Es regnete wie aus Eimern, der Himmel war dunkel und trostlos und man konnte die Grenze zum Wald nur erahnen. Ich mochte den Regen schon immer. Das beruhigende Rauschen, wenn die Tropfen auf dem Boden aufkamen oder langsam die Fensterscheibe runterliefen. Wenn es in Strömen regnete traute sich keine Menschenseele raus und es wirkt fast, als würde niemand auf der Welt existieren außer man selbst.
Eine Weile beobachtete ich zwei Regentropfen, die sich einen Wettkampf lieferten, wer als Erstes das Ende der Fensterscheibe erreicht, bis sie zu einem Tropfen verschmolzen und zusammen am Ziel ankamen. Dann schob ich die Bettdecke von meinem Körper und stand auf. Ich hatte sowieso keine Wechselklamotten, weshalb ich so wie ich aufgewacht war mein Zimmer verließ. Im ganzen Haus herrschte eine unglaubliche Stille. Außer dem Peitschen des Windes und den Regentropfen, die gegen die Fenster flogen, war kein Ton zu hören. Immer noch etwas schläfrig stolperte ich die Treppe runter und ging in den einzigen Raum, den ich, neben meinem Zimmer, kannte. Das Wohnzimmer war leer. Keine Spur von Zayn, nur ein Glas Wasser stand auf dem Tisch vor dem Sofa. Ich lief einmal durch den Flur und öffnete vorsichtig die andere Tür. Vor mir erstreckte sich eine große Küche mit Kücheninsel und Essbereich, aber auch hier war weit und breit kein Zayn. Ob er noch schläft?
Ich verließ die Küche und trat wieder in den Flur. Zum ersten Mal fiel mir die steinerne Treppe auf, die neben der Treppe ins zweite Geschoss, angebracht war. Sie führte eine Etage tiefer, wahrscheinlich zu einem Keller oder sowas. Wie konnte mir das entgehen? Anscheinend war ich gestern viel zu verwirrt, um von so etwas Notiz zu nehmen. Kopfschüttelnd ging ich die Treppe wieder hoch, wobei auf der zweiten Stufe ein Knarzen ertönte. Vor Zayns Zimmertür blieb ich stehen und klopfte dreimal gegen das Holz. Als ich keine Antwort erhielt, drückte ich die Klinke nach unten und betrat den dunklen Raum.
Die Vorhänge vor den Fenstern waren zugezogen, sodass kein Licht in das Zimmer dringen konnte. Zayns Schlafzimmer war wesentlich größer als meins. Ein großes Bett, genau wie in meinem Zimmer, stand in der Ecke des Raumes, neben einer Fensterfront. Zayn war wohl einer dieser Menschen, die lieber an der Wand schliefen. Am Fußende des Bettes stand ein Kleiderschrank, an den direkt ein Schreibtisch voller Blätter grenzte. Aus Anstand schaute ich mir die Zettel nicht an. In dem Zimmer befand dich eine weitere Tür, die entweder zum Hobbyraum oder einem eigenen Badezimmer führte. Ich hatte keine Lust mir alles genauer anzusehen, denn Fakt war, Zayn war auch nicht in seinem Bett.
Die Bettdecke lag unordentlich auf der Matratze und alle Kissen lagen auf dem Boden verstreut. Ich schloss die Tür wieder und kehrte zurück in die Küche. Inzwischen war ich mir fast sicher, dass ich alleine in diesem fremden Haus war. Hatte dieser Kerl mich wirklich alleine gelassen? Das Zuknallen der Haustür beantwortete meine Frage. Ich lauschte den Schritten, die immer näher kamen, bis die Tür aufsprang und ein nasser Zayn reinstürmte. Seine Klamotten klebten an seinem Körper, wodurch sein trainierter Oberkörper deutlich wurde. Unauffällig biss ich auf meine Unterlippe und schaute aus dem Fenster. Der Regen hatte sich in einen regelrechten Sturm verwandelt. Die Bäume des Waldes wankten gefährlich hin und her, als würden sie jeden Moment umkippen. Würden wir uns in einer Großstadt befinden, wäre sicher schon ein Regenschirm vorbeigeflogen. Mein Blick huschte wieder zu Zayn, der sich jetzt fluchend die nassen Haare aus der Stirn wischte.
„Wo warst du?" Er musterte mich einen Moment und schien sich jetzt erst daran zu erinnern, dass er nicht mehr alleine in dem großen Haus war. „Geht dich nichts an." Es klang nicht genervt oder wütend, eher hektisch. „Ich gehe mich mal umziehen. Du kannst dir in der Zeit schonmal Frühstück machen." Fast schon fluchtartig wollte er die Küche verlassen und hinterließ dabei eine Spur aus Wasser. „Warte! Wie macht man Frühstück?", rief ich ihm ratlos hinterher, denn ich hatte noch nie in meinem Leben selber Frühstück gemacht. Früher hatte es immer meine Mutter getan und im Schloss habe ich morgens gar nicht erst was zu essen bekommen. Im Türrahmen blieb er stehen und drehte sich um. Verwirrt und gleichzeitig verständnislos schaute er mich an. „Du weißt nicht, wie man Frühstück macht?", fragte er langsam, als könnte er es nicht fassen. „Nein. Im Schloss habe ich nie Frühstück bekommen." Unsicher erwiderte ich seinen Blick und konnte dabei förmlich sehen, wie der verwirrte Ausdruck in seinem Gesicht etwas weicher wurde und sich Mitleid in seinen Augen spiegelte.
Er seufzte laut auf und trat an die Küchenzeile. Verschiedene Schränke wurden geöffnet, bis er einen erfreulichen Laut von sich gab. Aus einer Schublade voller Notizblöcke fischte er einen schwarzen Gegenstand und hielt ihn mir entgegen. Jetzt war ich es, der verwirrt auf das Ding in meiner Hand blickte, in dessen Oberfläche mein Spiegelbild zu erkennen war. „Was ist das?" Geschockt schaute Zayn mich an, worauf ich traurig meinen Blick senkte. „Du weißt nicht, was ein Handy ist?" Er lehnte sich mit dem Rücken an die Kücheninsel und fuhr sich ratlos durch seine tropfenden Haare.
„Okay, ich gehe mich jetzt umziehen und dann zeige ich dir, wie man Pancakes macht. Und danach erkläre ich dir, wie man ein Handy benutzt, ja?" Stumm nickte ich und setzte mich auf einen der gepolsterten Stühle. „Ich lege dir auch noch ein paar Sachen zum Anziehen raus." Er verschwand durch die Tür und an dem lauten Knarzen wusste ich, dass er an der Treppe angekommen war. So wie es aussah, hatte ich absolut keine Ahnung von den einfachsten Sachen. Ich konnte nichts dafür, schließlich war ich nicht freiwillig in den dunklen Kerkern eingesperrt. In Gedanken merkte ich nicht, wie ich anfing, mit meinen Fingern auf dem Tisch zu trommeln. Eine willkürliche Melodie entstand, die keine Sekunde meine Aufmerksamkeit erlangte. So saß ich also in der fremden Küche und wartete auf den schwarzhaarigen Mann, den ich nicht mal 24 Stunden lang kannte, der Geheimnisse hatte und mich auf seltsame Weise gerettet hatte und trotzdem fühlte ich mich sicherer als in meinem ganzen Leben.
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