Kapitel 2
Ich wurde nicht wie im Märchenfilm durch die Strahlen der Sonne geweckt, die sich warm auf mein Gesicht legten, sondern durch einen Diener, der unnötig laut gegen meine Tür hämmerte. Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht und die Tür sprang auf. Seufzend setzte ich mich auf und schaute Niall dabei zu, wie er einen Stapel Klamotten auf den alten Stuhl in der Ecke legte. Er war der einzige Diener, der wusste, wer ich wirklich war. Zudem war er sozusagen der einzige, der mich nicht wie einen Sklaven behandelte.
Niall drehte sich zu mir um und schenkte mir ein kleines Lächeln. „Der König erwartet dich in einer halben Stunde im Saal." Mit diesen Worten verschwand er durch die Tür und schloss sie hinter sich. Widerwillig befreite ich mich aus dem Deckenknäuel und stand auf. Die kalten Fliesen berührten meine nackten Füße, woran ich mich allerdings schon längst gewöhnt hatte. Das Outfit, welches Niall mir gebracht hatte, bestand aus einem weißen Hemd und einer simplen schwarzen Hose. Schnell zog ich die Sachen über und verließ mein Zimmer. Ich bahnte mir meinen Weg durch die dunklen, teilweise feuchten Gänge, bis ich endlich an der Treppe ankam, die mich in den schönen Teil des Schlosses bringen würde.
Die Treppe verlief rund und endete an einer dicken Holztür, die ich nur mit sehr viel Anstrengung öffnen konnte. Kein Gast durfte jemals durch diese Tür treten, denn hier unten, wo auch mein Zimmer lag, wurden oftmals Feinde des Königspaares eingesperrt oder gefoltert. Es kam nicht nur einmal vor, dass die verzweifelten Schreie mich bis in die Nacht wachhielten. Wenn man den dunklen Teil des Schlosses erstmal verlassen hatte, wurde man von Sonnenstrahlen und Wärme empfangen, weshalb die meisten Gäste diesen Ort als wunderschön beschrieben, ohne hinter die fürchterlichen Fassetten dieser Schönheit zu blicken. Ich lief durch die langen Flure und traf dabei auf mehrere Diener, die alles für die Ankunft der Gäste vorbereiteten. Nachdem ich mich mehrmals verlaufen hatte, stand ich endlich vor der Tür, die zum Speisesaal führte. Leise öffnete ich die große Tür und betrat den Raum.
In der Mitte befand sich ein langer Tisch, der bereits gedeckt war. Meine Mutter und der König standen am anderen Ende des Saals, kamen aber jetzt mit schnellen Schritten auf mich zu. Vor mir blieben sie stehen und der König schaute mich abwertend von oben an. „Es gab eine kleine Planänderung", fing er an und in meinem Kopf spielten sich schon die schlimmsten Szenarien ab, „Wie du bereits weißt, wird die Königsfamilie Tomlinson uns mit ihrer Anwesenheit beglücken. Ihr Sohn Louis wird ebenfalls mit seinem Freund kommen. Sie werden eine Woche bei uns nächtigen, da die Anreise einen wirklich langen Weg mit sich bringt und sie gerne noch länger bleiben würden. In ihren Augen bist du unser Adoptivsohn, den wir aus ärmlichen Umständen gerettet haben, kapiert? Solange unsere Gäste hier sind, wirst du ein Zimmer im Schloss bekommen, das heißt aber nicht, dass du tun und lassen kannst, was du willst, verstanden?
In einer Viertelstunde werden sie hier sein und du wirst dich gefälligst benehmen. Nach dem Essen wirst du auf dein Zimmer gehen und da bleibst du auch bis morgen." Ich nickte nur und ließ mich von einem der Diener zu meinem Platz führen, warum auch immer das nötig war. So groß war der Tisch nun auch wieder nicht. Meine 'Eltern' nahmen ebenfalls Platz und unterhielten sich leise. Gelangweilt saß ich am Tisch und beobachtete die Diener dabei, wie sie gehetzt von einem Raum zum nächsten liefen und das Essen anrichteten. Erst als die Tür geöffnet wurde, riss ich meinen Blick von den Dienern los.
Eine braunhaarige Frau betrat, gefolgt von zwei jungen Männern, den Saal. Vom Aussehen her konnten die zwei in meinem Alter sein. Einer war etwas kleiner, hatte blaue Augen und karamellfarbene Haare, die er hochgegelt hatte. Der andere war wesentlich größer, mit grünen Augen und lockigen Haaren, die lässig zur Seite fielen. Der König erhob sich von seinem Platz und begrüßte die Frau mit einer herzlichen Umarmung. „Johanna, schön dich zu sehen. Wo hast du deine bessere Hälfte gelassen?" Auch meine Mutter begrüßte Johanna freundlich. „Mein Mann lässt sich entschuldigen, es ist eine wichtige Angelegenheit dazwischengekommen." „Oh, was ist denn passiert?", fragte meine Mutter und schon waren die zwei in ein Gespräch verwickelt.
Der König wandte sich jetzt dem Lockenkopf und seinem Freund zu. „Louis, mein Junge, wann habe ich dich das letzte Mal gesehen? Da warst du noch so klein und jetzt bist du schon ein erwachsener Mann." Lächelnd schüttelte er dem Wuschelkopf die Hand. „Ja, die Zeit vergeht schnell", murmelte dieser nur. „Und du musst Harry sein", sagte er zu dem Lockenkopf, „Schön dich endlich persönlich kennenzulernen." Auch ihm schüttelte er die Hand. Der König konnte also, wenn er wollte, auch freundlich sein.
Ich saß immer noch auf meinem Stuhl und wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Zum Glück wurde mir die Entscheidung schnell abgenommen. „Und wer ist dieser gutaussehende junge Mann?", fragte Johanna und schaute mich an. Unsicher, ob ich antworten durfte, schielte ich zum König, der mir kurz zunickte. „Ich bin Liam, der Adoptivsohn von Karen und Andre." Alle Augen waren jetzt auf mich gerichtet, was mich ziemlich nervös machte. „Die zwei haben schon so viel von dir erzählt. Ich bin wirklich froh, dass du jetzt hier bist und nicht mehr ohne Eltern sein musst." An ihren Augen erkannte ich, dass sie das Gesagte wirklich ernst meinte, was mich wirklich rühren würde, wäre das nicht alles eine riesige Lüge.
Endlich setzen sich alle hin und wir konnten essen. Louis, Harry und ich saßen etwas entfernt von unseren Eltern am Tisch, fragt mich nicht warum. Lustlos stocherte ich in meinem Essen herum und lauschte Harrys Erzählungen über seine Familie. „Hast du keinen Hunger?", fragte Louis mich plötzlich. „Nicht wirklich", antwortete ich und zwang mir ein Lächeln auf. Die zwei waren wirklich nett, aber nach dieser Woche würde ich sie sowieso nie wiedersehen. Nach dem Essen ging ich, wie der König es mir befohlen hatte, in mein vorübergehendes Zimmer. Allein das Bett war fast so groß, wie mein wirkliches Zimmer. Der Raum war riesig und hatte sogar ein Badezimmer und einen Balkon, von dem man über den kompletten Garten des Schlosses gucken konnte. Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, sprang ich unter die Dusche, um den Dreck der letzten Tage loszuwerden. Dann ließ ich mich auf das große Bett fallen und überlegte, was ich mit dem Rest des Tages machen sollte, bis es plötzlich an meiner Tür klopfte.
Mein Herz setzte einen Moment aus, nur um doppelt so schnell weiterzuschlagen. Hatte ich irgendeinen Fehler gemacht? Beim Essen hatte ich mich nicht wirklich an den Gesprächen beteiligt und wie befohlen, hatte ich auch keine Aufmerksamkeit auf mich gezogen. Vielleicht hatte ich mich zu wenig beteiligt? Nein, das wäre dem König nur recht. Aber wenn es nicht der König an meiner Tür war, wer dann? Ich rappelte mich wieder auf und lief Richtung Tür. Es war ein wirklich befremdliches Gefühl, selbst entscheiden zu dürfen, wer mein Zimmer betrat und wer nicht. Ich öffnete die Tür und blickte direkt in das strahlende Gesicht von Harry. Neben ihm stand Louis, der nicht so begeistert wie Harry aussah. „Hey, Liam", begrüßte mich Harry und quetschte sich, mit Louis an der Hand, an mir vorbei ins Zimmer. Verdattert schloss ich die Tür und dreht mich zu den beiden um. Harry schmiss sich sofort auf das Bett, was nicht wie mein altes Bett, so klang, als würde es gleich unter ihm zusammenbrechen, während Louis sich auf der Bettkante niederließ.
Unschlüssig, wie ich mich verhalten sollte, setzte ich mich zu den Beiden aufs Bett. „Also ... woher wusstet ihr, wo mein Zimmer ist?", fragte ich, um das seltsame Schweigen zu unterbrechen. „Deine Mutter hat gesagt, dass du hier bist. Uns wurde es unten zu langweilig, da dachten wir, dass wir dir ein bisschen Gesellschaft leisten", antwortete Louis mit einem Lächeln. „Hier im Schloss gibt es nicht sehr viele Jugendliche in unserem Alter, oder?" „Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung." Nachdem dieser Satz meine Lippen verlassen hatte, hätte ich mir am liebsten mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. Noch auffälliger gings ja nicht. „Wie lange bist du schon hier?", fragte Harry misstrauisch.
„Ähm, also ich glaube so zwei Monate, aber ich habe kein gutes Zeitgefühl." Mit war sehr wohl bewusst, wie dumm diese Antwort war, aber im Improvisieren war ich noch nie gut. Louis nickte nur verstehend, während Harry aus dem Fenster schaute. Nervös spielte ich am Saum meines Shirts und überlegte, wie ich die zwei loswerden konnte. Der König würde mich sicherlich bestrafen, wenn er herausfindet, dass ich mit den Beiden geredet hatte. „Dein Vater- oder siehst du ihn nur als Adoptivvater?" Fragend schaute Louis mich an. „Adoptivvater"; gab ich nur zurück und senkte den Kopf. Niemals würde ich diesen Mann als meinen Vater ansehen. „Dein Adoptivvater ... wie ist er so? Ist diese nette Art nur aufgesetzt oder ist er wirklich so?"
Gleichzeitig schossen Harrys und mein Kopf nach oben und wir schauten Louis geschockt an. Harrys Gesichtsausdruck wirkte leicht wütend. „Hättest du nicht etwas unauffälliger fragen können?", ertönte auf einmal eine Stimme in meinem Kopf. „Was?", verwirrt schaute ich zwischen Harry und Louis hin und her, die mich jetzt mit großen Augen anstarrten. „Hat nicht einer von euch grade was gesagt?" Langsam schüttelte Harry den Kopf und warf Louis einen undefinierbaren Blick zu. Ich schüttelte kurz den Kopf und atmete tief durch. „Also dein Va- der König. Wie ist er denn jetzt?", fragte Louis nochmal vorsichtig. Unsicher schaute ich ihn an. „Du kannst es uns ruhig sagen. Wir verraten nichts. Ehrenwort", rief Harry und hielt mir seinen kleinen Finger vors Gesicht. „Was-?" „Du kennst kein pinky promise?", fragte Harry erschüttert. „Nein, was ist das?"
Er rückte näher an mich heran und hob wieder seinen kleinen Finger. „Das ist ganz simpel. Du musst einfach nur deinen kleinen Finger mit meinem verhaken. Das ist dann sowas wie ein Schwur oder Versprechen. Also, wenn ich sage, ich erzähle nichts und wir kreuzen unsere Finger, wird daraus ein Versprechen, das keiner von uns brechen darf ", erzählte er und strahlte dabei, wie ein kleines Kind. „Komm schon", flehte er und hob meine Hand an. Ich seufzte laut und verschränkte dann tatsächlich unsere kleinen Finger miteinander. „Geht doch." Grinsend lehnte Harry sich wieder zurück und wartete auf meine Antwort. „Der König ist ... speziell", sagte ich nach einer Weile und hoffte, dass sie sich damit zufriedengeben würden. Zu meinen Ungunsten wollten die zwei mehr Details, die ich definitiv nicht weitergeben sollte. „Wir verraten es auch niemandem, Bitteee."
Ich fing an, nachdenklich auf meine Lippe zu beißen. Ich kannte Harry und Louis erst seit heute Morgen und ich sollte ihnen wirklich nichts erzählen, was sie gegen den König verwenden konnten. Andererseits konnte ich ihn sowieso nicht leiden. Eine Weile wog ich die Pros und Kontras in meinem Kopf ab. „Ich darf euch nichts erzählen", sagte ich letztendlich. Wer weiß, was der König mit mir anstellen würde, wenn ich erzählte, dass er Leute in seinem Keller einsperrte. „Warum nicht?", hakte Louis nach. „Stellst du immer so viele Fragen?", fragte ich leicht angespannt. „Jepp, das macht er." Louis warf einen genervten Blick zu Harry. „Sorry", murmelte er dann in meine Richtung.
„Ich glaube, wir sollten dich noch mal ein bisschen alleine lassen. Ich wollte mir unbedingt noch die Bibliothek angucken." Mit diesen Worten stand Harry auf und zog Louis hinter sich her zu Tür. „Wir sehen uns morgen", verabschiedeten sie sich lächelnd und schlossen die Tür hinter sich. Ich war mir wirklich nicht sicher, was ich von den Beiden halten sollte. Auf der einen Seite waren sie sehr nett, aber auf der anderen Seite stellten sie sehr seltsame Fragen. Anstatt mir weiter Gedanken über unsere Gäste zu machen, zog ich mir meinen Pyjama an und kuschelte mich unter die warme Decke. Kaum hatte mein Kopf das Kissen berührt, war ich auch schon eingeschlafen.
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