Kapitel 16

Das Echo von Zayns tiefer, melodischer Stimme hallte weiter in meinem Kopf. Ich konnte fühlen, wie ich wieder aus der Gedankenblase gedrückt wurde, weshalb ich meine Augen schloss und versuchte mich an irgendetwas festzuhalten. Ich war so vertieft darin, nicht die Verbindung zu Zayn zu verlieren, dass ich nur in Fetzen mitbekam, wie eben dieser mir seinen Standort mitteilte. Nur abgehackt verstand ich seine Sätze, aber ich spürte deutlich, wie verwirrt er war.

 Es dauerte wohl noch ein bisschen, bis er realisierte, dass ich wusste, was er wirklich war. Immer weiter rutschte ich aus dem Gedankenlink, weshalb ich nur Zayns Worten Aufmerksamkeit schenkte. Ich hörte nur noch das Stichwort ‚Lichtung', bevor seine Stimme komplett verstummte und ich wieder mit meinen Gedanken alleine war. Ich öffnete meine Augen und zog mich an der Rinde des Baumes, an dem ich gesessen hatte, auf meine Beine. Die einzige Lichtung, die ich in diesem Wald kannte, war die, auf der ich gestorben war.

 Ich brauchte einen Moment, um mich zu orientieren. Dann folgte ich einfach dem Weg, auf dem ich Zayns Handy gefunden hatte. Es fing wieder an zu regnen, sodass ich schon bald über matschigen Boden laufen musste und jegliche Hoffnung auf Fußspuren im Keim erstickt wurden. Ich beschleunigte mein Tempo, trat gelegentlich auf Äste oder Steine, und schaute mich immer wieder suchend um.

 Nach etwa 10 Minuten gabelte sich der Weg und stellte mich damit vor eine erneute Herausforderung. Mein Bauchgefühl sagte mir ich sollte den rechten Pfad wählen, allerdings hatte mich mein Bauchgefühl schon in die zwicklichsten Lagen befördert. Da ich keine Zeit hatte, lange zu grübeln, entschied ich meinem Bauch eine letzte Chance zu geben und sprintete den rechten Weg entlang. Bei jedem Schritt spritzte Schlamm unter meinen Füßen empor und verdreckte meine, oder eher gesagt Zayns, Hose. Langsam zog die Kälte durch meine Gliedmaßen, obwohl ich durch das Laufen beinahe ins Schwitzen geriet. 

Ich schaute wieder nach rechts, konnte aber nur Bäume und Blätter entdecken. Plötzlich blieb mein Fuß an einem Baumstumpf hängen und ich landete mit einem unterdrückten Schrei auf dem Boden. Leise fluchte ich vor mich hin und setzte mich auf. Meine Klamotten waren nun nicht mehr nur nass, sondern auch noch voller Schlamm. Ich trat einmal gegen den Baumstumpf, um meine Wut auszudrücken, bis mir auffiel, dass mir dieses Hindernis nicht unbekannt war. Genau genommen hatte dieser Stumpf mich schon in der Nacht, in der ich aus dem Schloss geflüchtet bin, aufgehalten.

 Wie viel Glück musste man haben, um zweimal über denselben Baum zu stolpern? Hastig stand ich auf und humpelte den Hügel hinunter. Je näher ich der besagten Lichtung kam, desto lauter wurde das Geräusch von schreienden Wachen. Schnell fand ich Schutz hinter einem Baum, sodass sie mich von ihrer Position aus unter keinen Umständen entdecken konnten. Insgesamt waren es zwei Wachen. Einer von ihnen hatte seine Arme von hinten um Zayn gelegt und versuchte ihn festzuhalten, was kläglich scheiterte.

„Du hast ihm zu wenig Eisenkraut gespritzt!"

„So ein Schwachsinn! Ich habe genauso viel genommen, wie immer!"

„Ach ja? Und warum ist er dann immer noch so aufmüpfig?!"

Zayn wandte sich aus dem starken Griff und rannte in meine Richtung, sackte aber knapp fünf Meter entfernt auf dem nassen Gras zusammen. Sofort waren die Wachen an seiner Seite und zogen ihn grob wieder auf die Beine. „Prinzessin, vielleicht bist du nicht so hilflos wie andere deiner Art, aber deine Schnelligkeit kannst du im Moment vergessen. Denkst du wirklich, du kommst jetzt noch hier weg?", murrte der größere der beiden und packte Zayn am Nacken.

 Diesem entkam ein leises Wimmern und selbst aus der Entfernung konnte ich die Angst in seinem Gesicht sehen. Die andere Wache schnappte sich Zayns Arme und band sie mit einem Seil vor seinem Bauch zusammen. „Los beweg deinen Hintern, bevor der Nichtsnutz nochmal abhaut", zischte jetzt der Kleinere und stieß Zayn nach vorne. Da er immer noch im Nacken festgehalten wurde, kam er nicht weit, sondern wurde hart zurückgerissen und wäre rückwärts auf dem Boden aufgeschlagen, hätten die Beiden sich nicht in Bewegung gesetzt und ihn mitgezogen. Sie kamen immer näher und die Zeit, in der ich mir einen guten Fluchtplan überlegen konnte, wurde immer weniger. Nervös trommelte ich mit meinen Fingern auf die Rinde des Baumes und suchte in meinem Kopf nach brauchbaren Ideen. Der König hatte die Wachen geschickt, um mich zu suchen und nicht einen Vampir. 

Mit etwas Glück würden sie Zayn ja gehen lassen, wenn ich mit ihnen ging. Aber dann müsste ich mich selbst opfern und ins Schloss zurückkehren, wo ich wahrscheinlich nicht mal einen Tag überleben würde. Ich lugte nochmal hinter dem Baum hervor und schaute mir die Wachen genauer an. Der eine schlaksig und groß, der andere breiter gebaut und klein. Ich war sicherlich stärker als der große, aber gegen beide kam ich nicht an. 

Die Zeit zum Überlegen war abgelaufen. Die Wachen liefen mit etwas Abstand an mir vorbei und schienen mich nicht zu bemerken. Zayn allerdings rümpfte seine Nase und seine Augen huschten kurz in meine Richtung. Jetzt erst fing mein Gehirn an zu arbeiten und ich handelte einfach drauflos. Ich suchte den Waldboden neben mir nach einem größeren Stein ab, den ich schnell fand und aufhob. Inzwischen befand ich mich hinter den Dreien, was es mir einfach machte, so nah wie möglich an sie dranzukommen. Die kleinere Wache lief voran und hatte seine Arme in die Hüfte gestemmt. Der größere hatte Zayns Nacken endlich entlassen und hielt ihn stattdessen am Kragen seiner Jacke. 

Mit dem Stein in der Hand holte ich schnell zu den Dreien auf. ‚Das ist doch krank', fluchte ich in meinen Gedanken, holte aber trotzdem aus und schlug den Stein so fest ich konnte auf den Hinterkopf der Wache. Meine andere Hand legte sich um seinen Kopf und hielt seinen Mund zu, wodurch sein Aufschrei zu einem erstickten Laut verebbte. Seine Beine gaben nach und er fiel in meine Arme. Zayn blieb sichtlich verwirrt stehen, als der Druck um seinen Hals verschwand und drehte sich um. Als er mich, mit der Wache im Arm, erblickte weiteten sich seine Augen in Schock. Er wirbelte wieder zu der kleineren Wache herum, die von dem ganzen allerdings nichts mitbekommen hatte und einfach weiter den Pfad entlanglief.

 „Was zur Hölle tust du da?", flüsterte Zayn fassungslos und gestikulierte, so gut es mit festgebundenen Händen ging, zwischen mir und der ohnmächtigen Wache hin und her. „Ich versuche dir dein Leben zu retten", gab ich angespannt zurück und stieß den leblosen Körper von mir, sodass er auf dem feuchten Waldboden landete. „Und dafür bringst du jemanden um?!" Ich verdrehte nur meine Augen und warf den blutigen Stein ebenfalls von mir. „Der ist doch nicht tot. Der steht mit Sicherheit gleich wieder auf." Ich griff nach Zayns aneinandergebundenen Händen und zog ihn hinter mir her. „Liam, was wird das?", fragte Zayn jetzt in normaler Lautstärke. „Wonach sieht es denn aus? Wir gehen jetzt nach Hause und du beantwortest mir gefälligst ein paar Fragen" Verwirrt schaute er mich an, „Ich weiß, dass du ein Vampir bist, genauso wie Louis und ich will jetzt endlich ein paar Wahrheiten verdammt."

Den restlichen Weg verbrachten wir in Schweigen, dass nur unterbrochen wurde, wenn Zayn mich darauf hinweisen musste, dass wir in die falsche Richtung liefen. Seine gebundenen Hände hielt ich immer noch fest. Das raue Seil schürfte die Haut an meinen Fingern blutig und für einen kurzen Moment überlegte ich, wie wohl Zayns Handgelenke aussehen mussten. Vielleicht hätte ich ihn zuerst befreien sollen, um noch mehr Verletzungen zu verhindern. Andererseits heilten Vampire sowieso von selbst und für all die Lügen hatte er wenigstens etwas Bestrafung verdient. 

Der Regen hatte sich nochmal verstärkt, sodass wir irgendwann anfingen zu laufen und triefend nass am Haus ankamen. Die Haustür fiel hinter uns mit einem Knall ins Schloss und ließ uns beide erleichtert aufatmen. Nachdem wir uns abgetrocknet und umgezogen hatten, saßen wir, mit zwei dampfenden Tassen Tee, auf der Couch. Ohne ein Wort zu verlieren, legte ich Zayns selbstgeschriebenes Buch in seinen Schoß und wartete eine Reaktion ab. Er seufzte, legte das Buch auf den Tisch und schaute mich dann an.

 „Ich schätze, du hast ein paar Fragen?" „Du bist ein Vampir. Und Louis hat dich verwandelt", offenbarte ich mein Wissen, ließ ihm aber keine Chance zu antworten, „Warum bist du dann noch mit ihm befreundet. Du hast dich selbst als Monster bezeichnet. Ein Monster, in das Louis dich verwandelt hat. Also wieso gibst du dich immer noch mit ihm ab."

 Ein trauriger Ausdruck huschte über sein Gesicht, gleichzeitig lächelte er schief, als wäre er nicht sicher, welche Emotion die Überhand gewann. „Ich war ein frischer Vampir und das Ganze war neu und angsteinflößend. Vor einer Minute habe ich noch versucht alles Mögliche über diese Wesen zu erfahren und auf einmal war ich selbst eins. Ich dachte, Louis wäre, der einzige, der mir helfen kann, also bin ich bei ihm geblieben und habe irgendwann gelernt, ihm zu vergeben" Einen Moment musterte ich ihn skeptisch, aber ich konnte keine Lüge in seinen Augen erkennen. Er wollte meine Fragen also wirklich ehrlich beantworten. „Ist Harry auch ein Vampir?" Zayn lehnte sich zurück und drehte einen Flaschendeckel in seiner Hand, wo er diesen jetzt herhatte. 

„Ja, Harry ist auch ein Vampir. Ist das nicht irgendwie offensichtlich?", fragte er leicht genervt. Davon ließ ich mich allerdings nicht irritieren. Sollte er doch seine Launen durchspielen. Hauptsache, ich bekam meine Antworten. „Warum konnte Louis dann Harrys Blut trinken. Man kann sich doch nicht von anderen Vampiren ernähren, oder?", fragte ich weiter. „Harry wurde erst nach mir verwandelt. Als ich das Buch geschrieben habe, war er also noch ein Mensch." Ich gab einen verstehenden Laut von mir und legte in meinem Kopf die restlichen Fragen zusammen. "Wann hat Louis euch verwandelt?" 

"Das war vor 30 Jahren. Ich war gerade 19 geworden", gab er kurz angebunden zurück und warf den Flaschendeckel in Richtung Bücherregal, wo er auf einem Buch landete und einen Wall von Staub in die Luft katapultierte. "Und deine Familie? Haben sie denn gar nicht nach dir gesucht?" Zayns Körper spannte sich merklich an. Ohne es zu realisieren, griff er nach einem Kissen und umklammerte es mit seinen Armen. "Meine Familie ist gestorben, als ich 17 war. Naja der König hat sie getötet. Womit schon mal die Frage, warum wir deine Eltern spionieren, beantwortet wäre. Zuerst wollte ich mich nur rächen, was mit den neuen Vampirkräften super funktioniert hätte. Dann habe ich aber gemerkt, dass der König mehr Geheimnisse hat, als ich dachte.

 Ich habe Louis und Harry eingeweiht. Nach einem Jahr Observierung wussten wir, dass er auf Vampire aus ist", erklärte er mit zusammengebissen Zähnen. Ein leises Fauchen verließ seine Kehle. „Warte. Also waren deine Eltern Vampire?" Mit starrem Blick nickte er und festigte den Griff um das Kissen. "Wie kann es dann sein, dass du kein Vampir warst?" Schlaff zuckte Zayn mit den Schultern. "Frag mich was Leichteres. Zur Lebenszeit meiner Eltern war mir nicht mal bewusst, dass sie Vampire sind.

 Louis hat es mir gebeichtet, nachdem er mich verwandelt hatte. Meine Schwester und ich hatten keine Ahnung. Anscheinend hat mein Vater die Königin getötet", er bemerkte meinen verwirrten Blick und verdrehte die Augen, "Die vor deiner Mutter mit dem König liiert war. Durch die Aktion ist er auf uns aufmerksam geworden. Was er leider nicht wusste war, dass meine Schwester und ich keine Vampire waren. 

Der König hat Wachen zu unserem Haus geschickt, die unsere ganze Familie töten sollten. Ich bin nur knapp entkommen. Dann begann das Spionieren und vor zwei Jahren ist die Information durchgesickert, dass ein Junge im Verlies des Schlosses sitzt, der allen Anschein nach, kein Vampir ist. Ab da kamst du ins Spiel. Durch dich, den vermeintlichen 'Adoptivsohn' hatten wir einen Vorwand, um ins Schloss zu gelangen und herauszufinden, was der König noch alles verbergt." Eine kurze Stille trat ein, in der ich damit beschäftigt war, meine Gedanken zu sortieren. Zayn warf derweil das Kissen in seiner Hand gegen die nächstbeste Wand, wo es abprallte und zu Boden fiel. Kurz räusperte ich mich, als Zeichen, dass ich noch mehr Fragen hatte und erhielt so wieder Zayns Aufmerksamkeit.

 "Also, ich hätte noch zwei Fragen...Ich bin kein Vampir. Trotzdem kann ich immer alles hören, wenn ihr in Gedanken miteinander redet und heute konnte ich sogar selbst mit dir reden. Warum?" "Du konntest alles hören?", fragte Zayn und bekam ein bestätigendes Nicken als Antwort. "Wow. Das ist seltsam. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wieso du unsere Gespräche hören kannst. Eigentlich ist das so gut wie unmöglich. Du bist kein Vampir und dazu ist es selbst für Vampire schwer in die Gedankenlinks von anderen zu gelangen." Als Zayn verstummte, schwang plötzlich die Wohnzimmertür auf und Louis kam gefolgt von Harry in den Raum. Ohne uns zu beachten, stieß Louis seinen Freund auf den Sessel und setzt sich auf dessen Schoß. "Ich kann erklären, wie das sein kann", sagte er dann beiläufig, als wäre er schon das ganze Gespräch über anwesend gewesen. Als er keine Anstalten machte, weiterzureden, trat ich ihm leicht gegen sein Schienbein. Er schaute mich kurz gespielt beleidigt an und verschränkte seine Arme vor der Brust. "Ganz einfach. Dein Vater ist ein Vampir, Liam."

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