Kapitel 5


„Ihr Name ist Melanie", sagte Bukowski „und sie ist eine dieser Frauen, die eigentlich Engel hätten werden sollen. Sie wissen schon... gewissenhaft, nie ein unangebrachtes Wort, sauberes Haus, gutes Essen. Sie backt einen hervorragenden Apfelkuchen. Mit Zimt. Weiß der Teufel, wo sie das teure Zeug herbekommt... Manchmal veranstalten wir Grillabende in unserem Garten und Melanie macht mit Abstand die beste Marinade. Das sagen alle. Man hat ihr auch gesagt, sie solle die Rechte an ihrem Rezept verkaufen und ihre Künste zu Geld machen, aber sie ist dagegen. Unsere Töchter sollen die einzigen sein, die so kochen wie ich. Wenn es jeder kann, wer soll sie dann heiraten?, sagt sie. Aber wenn Sie mich fragen, ändern sich die Zeiten und man kann sich nicht gegen den Lauf der Dinge stellen. Mädchen werden nicht mehr für ihren Apfelkuchen geheiratet."

„Sie reden Blödsinn, Bukowski, und das wissen Sie!", rief Sam Meyer dazwischen, „Wir alle kennen Ihre Frau und die Gewissenhaftigkeit, die Sie so schätzen, ist doch nichts weiter als ein Mantel für Unzufriedenheit. Ihre Frau ist unzufrieden. Unzufrieden mit Ihnen. Sehen Sie sich doch an! Ich denke, da wir sowieso alle verloren sind, können wir ruhig ehrlich miteinander sein, damit wir nicht dumm sterben... Sehen Sie sich an. Was kann eine Frau an Ihnen schon lieben? Sie haben ein nettes Häuschen in Evarts. Das haben Sie sich geleistet, aber sonst? Sogar den Zimt muss Ihre Frau vor Ihnen verstecken, weil sie sowas für Verschwendung halten würden. Essen tun Sie den Kuchen aber gerne, nicht wahr?"

„Das ist eine Unverschämtheit!", rief Bukowski, „Mischen Sie sich gefälligst nicht in die Familienangelegenheiten anderer Leute!"

„Sie sagen das so, als ob sie glauben würden, dass Sie jemand wären. Leute... die Angelegenheiten zu erledigen haben... Glauben Sie, sie sind unersetzlich? Glauben Sie irgendjemand legt Wert auf einen großkotzigen Pollacken, der ihnen erzählt, dass Fleiß und Tüchtigkeit Tugenden sind, mit denen man es weit bringen kann? So weit wie Sie selbst? Sie sind doch das beste Gegenbeispiel für ihre Theorie."

„Jetzt halten Sie aber mal die Luft an!", das war Gene Waters, der eine solche Menschenverachtung nicht durchgehen lassen konnte und vermutlich noch sauer war wegen der Beleidigungen, die er kassiert hatte.

„Und jetzt?", fragte Meyer, „Freies Land, freie Bürger, freie Meinung. Finden Sie nicht? Mein Punkt ist, dass Bukowski hier einem jüngeren, kraftvolleren Mann einen Arbeitsplatz wegnimmt, weil er gierig ist. Zudem käme ein jüngerer Mann die Gesellschaft auch kostentechnisch deutlich günstiger. Leute wie Caleb Bukowski haben die Gesellschaften in die Krise getrieben. Sie verlangen zu viel Geld und bauen dabei langsam geistig und körperlich ab. Sehen Sie sich nur das Häuflein Elend da hinten an!" Er wies auf Greg Winters, der eingedöst zu sein schien.

„Ja, das sieht Ihnen ähnlich!", mischte sich Fenian wieder ein, „Die Arbeiter sollen die Gesellschaften retten, indem sie verhungern."

„Er sieht nicht gerade verhungert aus", sagte Sam Meyer, „Muss an den Apfelkuchen liegen..."

„Mister Meyer, ich finde, dass Sie zu weit gehen!", sagte Harry Turner, „Cal ist ein guter Mann, der seinen Lohn mit ehrlicher, hartes Arbeit redlich verdient wie jeder von uns. Auch Sie! Wir alle zahlen Steuern, damit Sie uns hier..."

„Schikanieren!", warf Fenian schnell ein.

„Beschützen!", zischte Turner mit einem scharfen Blick gegen den Gewerkschaftler.

„Der Ire und der Pole verbünden sich, hätte man sich ja denken können!", sagte Meyer, „Eine Seuche. Der größte Abschaum der weißen Rasse."

„Was haben Sie für ein Problem mit unseren Herkunftsländern?", fragte Fenian, „Niemand fragt oder beurteilt Sie nach Ihrem."

„Weil ich mich assimiliert habe und Ihresgleichen immer noch ihr eigenes Süppchen kocht."

„Ach, das ist doch Blödsinn", versuchte es Gene Waters.

„Fenian... Was für ein Name! Wer Sie so genannt hat, muss Sie schon mit der Taufe zum Unfriedenstifter auserkoren haben."

Fenian fühlte sich ertappt. Tatsächlich hatte man sowohl in seiner Familie als auch in der Familie von Onkel Norbert recht viel darauf gegeben, dass man irisch war. Es stimmte schon, dass sie ihn immer angehalten hatten, sich seiner Wurzeln bewusst zu sein. „Die Amerikaner sind anders. Sie sind wie die Engländer. Sei nicht wie sie!", hatten sie ihm eingeschärft, „Sie kennen keine Moral, wenn sie Geschäfte machen, das ist der Unterschied. Es ist der Protestantismus, der sie verdorben hat."

„Es ist der Katholizismus, der sie verdorben hat!", sagte Sam Meyer.

„Dass Mister McKenna nicht sehr religiös ist, haben wir doch schon festgestellt", warf Gene Waters ein.

„Es steckt ihnen in den Genen!", behauptete Meyer, „Generationen von Katholiken unter sich bringen immer neue Generation menschlicher Degeneration hervor."

„Für jemanden, der noch vor ein paar Minuten die Freiheitsrechte für sich reklamiert hat, haben Sie es nicht so sehr mit der Religionsfreiheit, was?", fragte Caleb Bukowski, der gelassener wirkte, je aufbrausender der Gardist sich gebärdete, „Ich glaube viel mehr, Ihnen geht ganz schön die Klammer, weswegen Sie nicht mehr wissen, was Sie von sich geben. Ihr Problem ist, dass Sie andere kleinreden müssen, um sich selbst groß zu fühlen. Deshalb arbeiten Sie auch nicht, sondern stolzieren mit ihrem Gewehr durch die Gegend."

„Ganz genau, so wie Ihre streikenden Kollegen, nur dass ich die Staatsordnung wieder herstelle, welche die anderen untergraben wollen."

„All diese Diskussionen drehen sich im Kreis, merken Sie das nicht?", rief Harry Turner dazwischen, „Wir sollten an etwas Schönes denken und wenn Cal der Apfelkuchen seiner Frau glücklich mach, dann ist das meiner Ansicht nach in Ordnung. Und es ist mir verdammt noch mal egal, welche Religion einer hat!"

„Das sehe ich genauso", sagte Fenian, „Von mir aus kann jeder glauben, was er will, so langer damit niemanden belästigt ihm Schaden zufügt."

„Nun reden Sie aber bigott", befand Gene Waters, „Keine Gewalt im Namen der Religion, damit gehe ich d'accord. Aber ach gegen Gewalt im Namen jeder anderen Überzeugung sollte abgeschworen werden!"

Fenian seufzte: „Na schön. Von mir aus. Aber bedenken Sie, dass Fehler gemacht werden. Niemand ist perfekt..."

„Sie haben den verdammten Stollen in die Luft gejagt! Das nennen Sie einen Fehler? Eine Unperfektheit in Ihrem Lebenslauf?"

„Oh, da hat jemand doch Temperament", lobte Meyer Gene Waters, „Ich hatte Sie für einen kalten Fisch gehalten, aber das eben hat mir gefallen."

„Ja, weil er Ihren Zynismus kopiert hat, der noch nie jemandem in irgendeiner Weise geholfen hat", sagte Fenian.

„Sie erwarten wirklich, dass uns geholfen werden kann?"

„Hoffen ist besser, als sich gegenseitig zu zerfleischen!"

„Höre ich da ein Körnchen Religion heraus?"

„Halten Sie die Klappe, Meyers! Niemand interessiert sich für Ihre aufgesetzte Schlagfertigkeit. Wir sind alle erwachsen genug, um nicht auf sowas hereinzufallen!", sagte Fenian.

„So? Worauf denn reinfallen?", fragte Harry Turner.

„Auf seine Versuche, einen Sündenbock ausfindig zu machen."

„Das ist nicht Ihr Ernst, oder? Wer außer Ihnen soll denn Schuld tragen an unserer Situation?", lachte Sam Meyer, „Oh, ich sage es Ihnen: Die Gesellschaften, das System, wir alle, die ihn dazu getrieben haben, diesen Anschlag zu verüben, weil er sich nicht anders zu wehren weiß, gegen die allgegenwärtige Unterdrückung. Ich sag Ihnen was, Fenian: Niemand hindert Sie daran, im Wald von Wurzeln und Beeren zu leben! Allerdings können sie damit ihrer Großstadtschlampe nicht imponieren. Ich schätze, wir müssen alle Opfer bringen. Die einen den Luxus des Schmarotzens, die anderen ihr Leben..."

„Lassen Sie Gwen da heraus!", rief Fenian und wäre dem Gardist beinahe bei die Gurgel gegangen.

„Oh, gerne. Ich dachte nur, weil wir vorhin von den Ansprüchen der Frauen sprachen. Ich bin mir sicher, Ihre Gwen hat mit Ihnen einen großartigen Fang gemacht. Mit Ihnen an ihrer Seite wäre sie nicht so geendet wie Mrs. Melanie Bukowski. Und ohne Sie an ihrer Seite wahrscheinlich ebenfalls. Es ist nur eben so, dass Frauen – auch Ihre Gwen nicht – weder Faulenzer noch Geizkragen heiraten. Leider sind genau das die beiden Eigenschaften, die ein guter Katholik in sich vereint. Sie stimmen mir doch zu, Mister Turner?"

„Ich habe keine Ahnung vom Katholizismus", sagte der Angesprochene, fügte aber dann hinzu: „Aber ich glaube, dass jede Frau einen Anspruch auf ein angemessenes Leben hat, das ihr Mann ihr bieten sollte."

„Werden Sie erstmal so alt wie ich und bekommen sie Kinder, dann sehen Sie klarer, was die Ansprüche der Frauen angeht", sagte Caleb Bukowski nur und bemerkte wie sich ein plötzliches, betretenes Schweigen über die Gruppe legte. Sie alle wussten, dass Harry Turner nicht so alt wie Bukowski werden und auch keine Kinder jemals haben würde.

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