Kapitel 4
„Hey, Harry", sagte Fenian plötzlich kumpelhaft, „Erzählen Sie mal was von Ihrem Mädchen in Evarts. Ist sie hübsch?"
Sam Meyer ließ ein Knurren verlautbaren, aber mit seiner Missbilligung stand er allein da. Den anderen Männern schien es offenbar sehr recht zu sein, sich durch ein Gespräch ablenken zu können und die Vorstellung eines hübschen Mädchens konnten sie gerade alle gebrauchen.
„Oh ja", sagte Harry Turner, „Sie ist die hübscheste von allen."
„Mit der zweithübschesten hättest du dich wohl auch nicht zufrieden gegeben", meinte Fenian scherzhaft.
„Sie selbst würde sich mit dem Titel der zweihübschesten nicht zufrieden geben", meinte Turner, „Sie ist eine Art Schneewittchen. Alle ihre Freundinnen sind neidisch auf sie und alle meine Freunde sind neidisch auf mich."
Jetzt nicht mehr, dachte Fenian, sprach es aber nicht aus.
„Catharina Jenkowic ist kein Umgang für einen achtbaren Mann", sagte Gene Waters, „Das habe ich dir schon mal gesagt und ich sage es dir auch jetzt."
„Sie müssen ja ziemlich verbohrt sein", fiel Fenian ihm ins Wort, „Sie verbieten ihm sogar jetzt noch von einer Frau zu träumen, die er gerne hat?"
„Ein anderer als ich wird darüber richten. Ich kann nur warnen."
„Lassen Sie ihn", sagte Bukowski, „Die einen mögen hübsche Mädchen, die andere ihren Gott. Aber was wir alle brauchen, ist etwas, an dem wir uns festhalten können, damit wir nicht verzweifeln."
„Woran halten Sie sich fest?", fragte Turner Fenian.
„An was schon?", blaffte Sam Meyer, „An dem guten Gefühl, fünf Abweichler ermordet zu haben."
Fenian ignorierte ihn wie die anderen und antwortete stattdessen: „Ich hab ein Mädchen in Chicago."
„Ne echte Großstadtbiene, was?"
„Kann man so sagen. Sie heißt Gwen und ich hätte sie gerne gefragt, ob sie mich heiraten würde."
„Warum hast du nicht?", fragte Caleb Bukowski.
„Weil sie mich ausgelacht hätte. Sie lacht über solche Sachen, alles, was sie konventionell findet."
„Catharina und ich hätten nächstes Jahr geheiratet", erzählte Harry Turner, „Ich wollte sie demnächst fragen, hab ein bisschen Geld für den Ring gespart und so weiter. Sie hätte bestimmt ja gesagt, wenn ich ihr erzählt hätte, dass ich vorhabe von hier wegzugehen."
„Weggehen?", fragte Greg Winters mit seiner schleppenden Stimme, „Wohin denn?"
„Kalifornien hab ich mir überlegt."
„Und als was, willst du arbeiten?"
„Alles ist besser als das hier, oder?"
„Arbeit, gleich welcher Art, schändet nicht", sagte Gene Waters, „Du solltest nicht so abfällig darüber reden."
„Ich hab gehört, sie suchen Leute auf den Plantagen. Arbeit unter freiem Himmel liegt mir mehr und vielleicht könnte ich selbst ein bisschen Land pachten und Obst anbauen. Catharina könnte auch eine Anstellung finden. Sie sagt, sie hätte nichts gegen ein bisschen Arbeit, wenn sie anständig bezahlt ist. Ich stelle mir vor, dass ich Pfirsichbäume anpflanze und sie Konserven herstellt. Vielleicht eröffnen wir eines Tages eine kleine Fabrik."
„Die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass du hier unten krepierst", sagte Meyer.
„Sie haben Cal gehört", mischte sich Greg wieder ein, „Wir alle brauchen was zum Träumen!"
„Und wovon träumen Sie?", fragte der Gardist.
„Dass Ihresgleichen den Arsch voller Schrotkugeln bekommt."
Das verwunderte Fenian, aber insgeheim freute er sich. Greg Winters und Sam Meyer waren Feinde? Er fragte sich wieso.
„Leute wie Sie wissen sich nicht anders als mit Gewalt zu wehren", sagte Meyer.
„Während Sie keineswegs jemals handgreiflich werden", spottete Fenian und erhoffte sich Zustimmung durch den alten, gebrochenen Mann.
Diese kam jedoch nicht. Stattdessen sage Sam Meyer süffisant: „Eine Reaktion auf realistische Gefahrensituationen für die Bevölkerung erfordert härter Maßnahmen als eine Kirchenpredigt. Ich nehme an, Sie stimmen mir zu, McKenna, dass kein Staat es hinnehmen darf, wenn Bauten in die Luft gesprengt werden?"
Wieder redete er nur von den Bauten und nicht von den Menschen. Fenian knirschte mit den Zähnen. Er wusste, dass es eine Provokation war und dass man in seinem solchen Diskurs nur verlieren konnte: Diskutierte man mit den Provokateuren, machte man sich lächerlich, weil man sie ernst nahm. Diskutierte man nicht, glaubten die Provokateure, dass sie Recht hatten und dass man ihnen zustimmte. Denn natürlich meinten sie das alles ernst. Sie glaubten nur, wenn sie dabei lächelten, kämen sie davon wie ein Lausbub mit einem Streich.
Harry Turner versuchte die Situation zu entspannen, indem er auf das ursprüngliche Thema zurückkam: „Er zählen Sie mal was von Ihrer Freundin, Mister McKenna. Wie sieht ihre Gwen denn aus?"
Fenian beruhigte sich und sagte: Sie ist ziemlich groß. Fast so groß wie ich."
„Naja, Sie sind ja auch nicht der Größte", wand Caleb Bukowski ein.
„Ja, ja. Kann schon sein", sagte Fenian schnell. Vorhaltungen über seine schmächtige Statur hatte sein Onkel Norbert ihm auch ständig gemacht. Er solle mehr essen und weniger rauchen, mehr arbeiten und weniger den Mädchen hinterher schauen und sein Geld nicht für Vergnügungen rauswerfen, sondern dafür sich ein solides Leben aufzubauen.
„Jedenfalls", fuhr er fort, „lässt sie sich seit einiger Zeit die Haare wieder wachsen. Vor ein paar Monaten hatte sie sie sich ganz kurz geschoren. Es gefiel ihr zuerst, dass die Leute sie entsetzt anstarrten, aber irgendwann wohl nicht mehr."
„Ein verspäteter Flapper?", fragte Harry und lachte gezwungen.
„Ach nein", sagte Fenian, „Gwen könnte es nicht ertragen, wenn man ihr nachweisen könnte, sie sei unmodern. Sie ist einfach Gwen mit den verrückten Ideen."
„Hört sich nach einer ziemlich verwöhnten Tochter an", befand Caleb Bukowski und traf damit einen wunden Punkt.
„Sie kann es sich leisten, so zu sein, wenn Sie das meinen, ja", entgegnete Fenian, „Ihr Vater macht in Schweinefleisch." Das sagte Fenian immer, wenn er verschleiern wollte, was Walter Greystone wirklich trieb.
„Also eine Heuchlerin", befand Gene Waters, „Von oben herab fordert sie Privilegien für sich ein."
„He, Sie kennen sie nicht, als halten Sie sich mit ihren Urteilen zurück!", schnappte Fenian, „Sie halten wohl nicht viel von Frauen, hab ich recht?"
Gene Waters verbiss sich etwas, das er noch sagen wollte und sagte stattdessen: „Und halten Sie sich mit ihren Vorurteilen zurück!"
„Es ist kein Vorurteil, wenn ich Ihre Gottesfürchtigkeit lächerlich finde. Die christlichen Lehren sind mir nicht unbekannt, wissen Sie, ich bin ihnen nur entwachsen, weil jeder irgendwann erwachsen werden und Verantwortung übernehmen muss!"
„Glauben Sie ich übernehme keine Verantwortung?", rief Waters, „Was glauben Sie, tue ich hier? Meine Freizeit gestalten? Ich gehe zur Arbeit, weil es meine Pflicht ist, weil ich nicht faul und eigennützig bin, weil ich für andere etwas leisten möchte..."
„Ach halten Sie den Schnabel, Sie Komiker!", rief Sam Meyer dazwischen, „Was wissen Sie schon von Pflicht?"
„Es ist unsere Pflicht, uns zusammenzureißen!"
„Na, dann tun Sie das auch!", riet der Nationalgardist und griente, „Alles, was ich von Ihnen höre, ist Jammern und Moralisieren. Wollen Sie so den Menschen dienen?"
Entlarvend, befand Fenian, nicht gerade freundlich, aber doch entbehrte die Aussage nicht einer gewissen Wahrheit, der er sich gerne und mit Genugtuung anschließen wollte. Aber er sagte nichts, denn lieber erweckte er den Anschein einem Gläubigen zuzustimmen als einem Nationalgardist.
„Catharina würde auch gerne in einer Großstadt leben, glaube ich", mischte sich Harry Turner wieder ein, „Ich glaube, alle Frauen finden es in der Stadt schöner. Sie mögen das Komfortable."
„Und haben keinen Sinn für den Preis dafür", sagte Caleb Bukowski, „Man sollte sich eine Frau suchen, die bescheiden ist und sich zufrieden gibt, mit dem, was man ihr bieten kann. Das ist meine Devise. Ich rackere mich für sie ab – und ich tue es gerne, nicht dass Sie mich falsch verstehen – aber dann soll sie auch dankbar dafür sein."
„Sie wollen nicht, dass ihre Entscheidungen in Frage gestellt werden?", fragte Sam Meyer, „Dann heiraten Sie nie, kann ich Ihnen nur raten."
„Zu spät", sagte Caleb, „Ich bin es seit 18 Jahren und habe es keinen Tag lang bereut."
„Erzählen Sie doch was von Ihrer Frau", bat Fenian.
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