Kapitel 9
Genya POV:
Ich ging wie immer zu meinem Training mit Gyomei Himejima, der Felsensäule. Ich war noch in Gedanken versunken, über die letzten Tage nachdenkend, als ich die vertraute, eindrucksvolle Gestalt von Gyomei am Trainingsplatz erblickte. Er saß dort, seine riesige Statur nahezu unsichtbar in der Dämmerung, und er betete. Die Stille um uns herum war fast heilig.
„Gyomei...?" Ich trat näher, etwas unsicher, ob ich ihn stören sollte.
Er öffnete langsam die Augen und sah mich mit einem Blick an, der sowohl Stärke als auch Mitgefühl ausstrahlte. „Genya", sagte er mit seiner tiefen, sanften Stimme. „Es gibt Neuigkeiten, die du wissen solltest."
Ich spürte, dass etwas nicht stimmte, als er aufstand. „Was ist passiert?" fragte ich, während ich versuchte, einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Irgendetwas in seinem Blick ließ mich frösteln.
„Die Säule des Nebels, Muichiro Tokito... sie ist tot", sagte er schließlich, seine Worte trafen mich wie ein Schlag.
Ich starrte ihn an, mein Herz setzte einen Schlag aus. Muichiro... das Mädchen, das ich so lange beobachtet hatte, das ich geliebt hatte... tot? Meine Kehle schnürte sich zu. „Was? Wie... wie ist das passiert?"
Gyomei senkte den Blick, seine Hand nachdenklich auf den Stein vor ihm legend. „Es war eine schwere Mission. Sie hat ihr Leben für uns gegeben. Das Schicksal hat sie gefordert."
Meine Gedanken rasten. Muichiro war... tot? Meine Welt drehte sich. Ich konnte es kaum fassen. Sie war die Nebelsäule gewesen, eine der stärksten, die ich gekannt hatte, und doch war sie einfach... gegangen? Mein Herz fühlte sich plötzlich viel schwerer an.
„Sie war... sie war die Nebelsäule?" fragte ich, noch immer nicht fähig zu begreifen, was mir gesagt wurde. „Aber... das Mädchen... das ich..."
Gyomei unterbrach mich mit einem ernsten Blick. „Du hast sie immer als Mädchen angesehen, Genya. Aber Muichiro war ein Junge. Ein sehr talentierter, tapferer Junge."
Ich blinzelte verwirrt, während sich ein kalter Schauer über meinen Rücken legte. „Was?" Meine Stimme klang fast ungläubig. „Du... du willst mir sagen, dass Muichiro ein Junge war?"
Gyomei nickte ruhig. „Ja. Muichiro war ein Junge. Ich weiß, dass du ihn immer für ein Mädchen gehalten hast, aber das war nie die Wahrheit."
Ich fühlte, wie sich ein heftiger Sturm in mir aufbaute. Wie konnte ich nur so blind gewesen sein? Wie konnte ich Muichiro für ein Mädchen halten, obwohl sie immer so viel mehr war? Ich hatte nie den Mut gehabt, genauer hinzusehen, und jetzt war sie tot. Diese Erkenntnis traf mich wie ein weiterer Schlag.
„Aber... warum...?" Ich konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen, als ich versuchte, all das zu begreifen.
„Es gibt viele Dinge, die wir manchmal nicht verstehen können", antwortete Gyomei mit einer ruhigen, aber tiefgründigen Stimme. „Muichiro war stark. Du hast es gesehen, Genya. Du hast gesehen, was für ein unglaublicher Kämpfer er war. Doch auch die stärksten müssen irgendwann fallen."
Ich wollte mehr fragen, wollte wissen, wie sie gestorben war, warum ich nie bemerkt hatte, dass sie ein Junge war... aber die Worte wollten nicht kommen. Es fühlte sich so falsch an. Muichiro war nicht nur die Nebelsäule gewesen, sie war jemand, den ich... ja, ich hatte Gefühle für sie. Und jetzt war sie weg. Und ich hatte nicht einmal die Chance, ihr zu sagen, was ich fühlte.
„Was passiert jetzt mit mir?" fragte ich schließlich, die Verzweiflung in meiner Stimme war nicht zu überhören. „Was soll ich tun?"
Gyomei sah mich an, als ob er wüsste, wie ich mich fühlte. „Du wirst deinen Weg finden, Genya. Du musst deine Stärke finden, aus dem, was dir geblieben ist. Das ist die Aufgabe eines Dämonenjägers."
Ich nickte langsam, auch wenn ich mir nicht sicher war, wie ich weitermachen sollte. „Werde ich... wird irgendetwas je wieder normal sein?"
Gyomei lächelte sanft. „Das Leben der Dämonenjäger ist nie normal, Genya. Aber du wirst deinen Platz finden."
Ich stand eine Weile da, der Wind strich durch die Bäume, während der Schmerz in mir langsam wieder verebbte. Muichiro... Muichiro war ein Junge. Ein unglaublich starker Junge, der niemals die Chance bekam, zu zeigen, was er hätte sein können. Und ich... ich war zu spät. Zu spät, um es richtig zu machen.
„Ich verstehe, Gyomei. Ich werde weiter kämpfen", sagte ich schließlich, mein Blick fest entschlossen.
Gyomei nickte und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Das ist alles, was du tun kannst, Genya."
Und so ging ich weiter, mit einer neuen Last auf meinen Schultern, die Erinnerungen an Muichiro und die Erkenntnis, dass ich nie erfahren würde, was hätte sein können, wenn ich nur mutiger gewesen wäre.
Ich lag da, in der Dunkelheit des Raumes, der nur vom schwachen Licht der Laterne erleuchtet war. Der Futon unter mir war kalt, aber es war nicht die Kälte, die mich erschütterte. Es war etwas viel tieferes, etwas, das in meiner Brust nagte und mich mit jedem Atemzug mehr zerfraß. Ich konnte kaum atmen vor all dem Schmerz, der sich in mir aufstaute.
Es war die Nacht, nachdem Gyomei mir von Muichiros Tod erzählt hatte. Die Nacht, in der ich endlich die Wahrheit erfuhr. Aber es war nicht nur der Verlust, der mich quälte. Es war der Gedanke daran, dass ich nie die Gelegenheit gehabt hatte, meine Gefühle zu zeigen. Muichiro war fort, und ich hatte es nicht einmal geschafft, ihm zu sagen, was ich fühlte. Ich hatte nicht den Mut gehabt, nicht die Worte gefunden.
„Warum... warum musste ich so dumm sein?" Ich flüsterte die Worte in die Dunkelheit, als ob die Schatten sie verschlucken würden, doch sie hallten in meinem Kopf wider, wie ein schmerzhafter Echo.
Ich drehte mich auf die Seite und ballte meine Fäuste in den Stoff des Futons. Es war, als ob mein Herz in tausend Stücke zersprang. Ich hatte Muichiro... geliebt. Aber ich hatte nie den Mut, es ihm zu sagen. Die Zeit war nie richtig, die Worte nie passend. Und nun war es zu spät.
Ich schloss die Augen und sah Muichiro vor mir. Ich sah ihn mit diesem leicht verschmitzten Lächeln, das er oft trug, wenn er mit mir sprach. Ich erinnerte mich an all die Momente, die wir zusammen verbracht hatten, und wie ich es nie gewagt hatte, ihm zu sagen, was ich fühlte. Wie oft hatte ich an ihn gedacht, während ich versuchte, die Worte zu finden, aber nie den richtigen Zeitpunkt abwartete? Jetzt war es zu spät. Er war fort, und ich konnte nichts mehr tun, als zu weinen.
„Muichiro... warum hast du nie gewusst? Warum konnte ich es dir nie sagen?" Meine Stimme brach, als ich die Worte flüsterte, die nie den Weg zu ihm gefunden hatten. Der Schmerz, der in mir brannte, war unerträglich.
Ich setzte mich auf, meine Knie an die Brust gezogen, während Tränen unaufhörlich meine Wangen hinunterliefen. Ich konnte mich nicht beherrschen. Der Verlust war zu groß, die Qual, die ich fühlte, war zu viel. Mein Herz fühlte sich an, als würde es zerrissen werden, als würde jeder Tropfen Blut, der durch meine Adern strömte, sich gegen mich wenden und mich in Stücke reißen.
„Ich hätte dich nie so behandeln dürfen..." Ich weinte noch lauter, meine Stimme voller Schmerz. „Ich hätte dir meine Gefühle gestehen müssen, doch ich habe es nie getan. Warum konnte ich nicht einfach zu dir gehen? Warum habe ich mich nie getraut, dir zu sagen, dass du alles für mich bist?"
Der Gedanke, dass Muichiro nie erfahren würde, wie viel er mir bedeutete, zerbrach mich. Ich hatte meine Chance nie genutzt. Ich hatte es immer für später aufgeschoben, weil ich dachte, es wäre noch Zeit. Aber jetzt... jetzt war alles vorbei. Der Schmerz war unerträglich, und ich konnte keinen Ausweg finden.
„Ich liebe dich, Muichiro. Ich habe dich immer geliebt", flüsterte ich in die Stille. „Ich wollte nur, dass du es weißt."
Ich wünschte, er wäre hier. Ich wünschte, er könnte diese Worte hören, aber er war fort, und ich konnte nichts mehr tun. Der Gedanke, dass er nie erfahren würde, wie sehr ich ihn geliebt hatte, quälte mich wie ein schmerzhafter Stich in meinem Herzen.
Ich legte mich wieder hin und starrte an die Decke. Die Dunkelheit schien sich über mich zu legen, schwer und erdrückend. Es fühlte sich an, als würde ich ersticken. Der Schmerz, der Verlust, die Einsamkeit – sie waren zu viel. Ich wusste, dass ich nie wieder so etwas wie Frieden finden würde. Muichiro war weg, und ich war allein.
Die Tränen hörten nicht auf zu fließen. In meiner Brust war nur Leere, ein unermesslicher Schmerz, der mich zu zerreißen drohte. Ich wollte ihm so viel sagen, aber ich konnte es nicht mehr. Und das wusste ich. Ich konnte nur weinen.
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